Was viele schon immer vermutet haben, wird langsam zur Gewissheit. Unter dem Deckmantel der (legitimen) Verfolgung urheberrechtlicher Interessen etabliert sich ein neuer Wirtschaftszweig, der die urheberrechtliche Abmahnung zu einem lukrativen Geschäftsmodell umgestaltet hat. Und hierbei wird offenbar gegen geltendes Recht verstoßen.
Wikileaks hat vor einigen Tagen ein sehr brisantes Telefax des deutschen Rechtsanwalts Udo Kornmeier vom 19.03.2008 an einen britischen Kollegen der Kanzlei Davenport Lyons veröffentlicht, das dem News-Portal Gulli zugespielt worden war. Kormmeier ist im Bereich der Filesharing-Abmahnungen einer der bekannten Player in Deutschland. Er vertritt u.a. die DigiProtect Gesellschaft zum Schutz digitaler Medien mbH, die wiederum mit Rechteinhabern Vereinbarungen abschließt, die DigiProtect zur Rechtswahrnehmung berechtigt, insbesondere dazu, Rechtsverletzungen in P2P-Netzwerken zu verfolgen.
Rechtsanwalt Kornmeier erläutert seinem Kollegen aus London in diesem Telefax die finanzielle Seite der Vereinbarung mit DigiProtect. Interessant hieran ist zunächst die Aussage Kornmeiers, dass die britische Kanzlei Davenport Lyons als in England beauftragte Kanzlei 37,5 % der im Rahmen der Rechtsverfolgung erzielten Einnahmen erhält. Außerdem weist Kornmeier darauf hin, dass dem ursprünglichen Rechteinhaber keinerlei Kosten entstehen und es für DigiProtect deshalb nicht möglich ist, Zahlungen zu garantieren. Das ganze Projekt sei, so Kornmeier, aus der Sicht von DigiProtect eine Art „Joint Venture“ aus dem die Anwaltskanzlei 37,5 % der Einnahmen erhält, wobei darin aber die Kosten/Gebühren für die Rechtsverfolgung enthalten sind, mithin also explizit auch die Anwaltskosten. Rechtsanwalt Kornmeier stellt in seinem Faxschreiben klar, dass dies in Deutschland so gehandhabt wird.
Das bedeutet nichts anderes, als dass die Kanzlei Kornmeier der Fa. Digiprotect keine Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz berechnet, sondern vielmehr ein reines Erfolgshonorar vereinbart worden ist.
Einer solchen Vereinbarung sind nach deutschem Recht allerdings sehr enge Grenzen gesetzt. § 4a des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes besagt, dass ein Erfolgshonorar nur für den Einzelfall und nur dann vereinbart werden darf, wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ansonsten von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.
Diese Voraussetzungen sind hier ersichtlich nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einer Vereinbarung für den Einzelfall, weil vorliegend Rahmenverträge geschlossen werden, die die Verfolgung einer (unbestimmten) Vielzahl von Einzelfällen abdeckt. Außerdem wäre schwerlich zu begründen, dass ein Unternehmen wie DigiProtect aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ansonsten die Rechtsverfolgung nicht stemmen könnte.
Wesentlich interessanter ist allerdings die Frage, wie sich dies für den Abgemahnten auswirkt. Die Kanzlei Kornmeier verlangt in ihren Abmahnungen zunächst meistens einen Pauschalbetrag (450 EUR) zur Abgeltung von Schadensersatzansprüchen und Anwaltskosten. Bestreitet der Abgemahnte die Berechtigung dieser Kosten, dann macht die Kanzlei Kornmeier in einem Folgeschreiben – ein derartiges Schreiben liegt mir ganz aktuell mit Datum vom 03.11.09 vor – ganz ausdrücklich Anwaltskosten nach dem RVG geltend. Die Kanzlei Kornmeier beruft sich dabei ausdrücklich darauf, dass die ihrer Mandantschaft (DigiProtect) nach dem RVG entstandenen Anwaltskosten, zu tragen sind.
Hierzu muss man zunächst feststellen, dass der DigiProtect keine Anwaltskosten nach dem RVG entstanden sind, weil zwischen ihr und der Kanzlei ja gerade eine abweichende Erfolgshonorarvereinbarung besteht. Nach dem Gesetz (§ 683 BGB) kann bei der sog. Geschäftsführung ohne Auftrag, auf die sich der Erstattungsanspruch stützt, aber nur der Ersatz von Aufwendungen verlangt werden. Und Aufwendungen müssen nach der Rechtsprechung des BGH nachweisbar entstanden sein.
Da der DigiProtect aber keine Aufwendungen entstanden sind – sie schuldet der Kanzlei Kornmeier vereinbarungsgemäß keine Anwaltskosten – kann sie vom Verletzer auch keine Erstattung von Anwaltskosten verlangen.
Man muss sogar noch einen Schritt weiter gehen. Die Kanzlei Kornmeier fordert Anwaltskosten, von denen sie weiß, dass sie nicht entstanden sind. Dieses Verhalten wird man zivilrechtlich als unerlaubte Handlung qualifizieren können und strafrechtlich als (versuchten) Betrug.
Abschließend noch ein Schwenk vom Konkreten zum Allgemeinen. Derartige „Geschäftsmodelle“ wie sie von Digiprotect und der Kanzlei Kornmeier praktiziert werden, sind nur deshalb möglich, weil der Gesetzgeber durch eine Neuregelung des Urheberrechts einen fragwürdigen Auskunftsanspruch (§ 101 Abs. 9, Abs. 2 UrhG) geschaffen hat, dem einige Gerichte, insbesondere das Landgericht Köln, im Wege automatisierter Massenverfahren nachkommen.
Das Update vom 19.11.09