Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

12.4.16

Fall Böhmermann: Was darf Satire?

Der Fall Böhmermann hat sich mittlerweile zu einer Art Staatsaffäre ausgeweitet und wird kontrovers diskutiert. Hat Jan Böhmermann in seiner Fernsehsendung „Neo Magazin Royale“ den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in strafrechtlich relevanter Art und Weise beleidigt? Oder ist das was Böhmermann mit seinem „Gedicht“ gemacht hat unter dem Aspekt der Satire von der Kunst- oder Meinungsfreiheit gedeckt?

Zunächst ist die Frage zu stellen, ob die speziellere Kunstfreiheit einschlägig ist oder, ob es sich um eine Äußerung handelt, die nach den Grundsätzen der Meinungsfreiheit zu bewerten ist. Das Bundesverfassungsgericht beurteilt Äußerungen in Medien, die sich der Merkmale der Übertreibung, Verfremdung oder Verzerrung bedienen, häufig als satirische Meinungsäußerung und nicht als künstlerische Satire. Allein der Umstand, dass es sich bei einer Veröffentlichung um eine satirische Darstellung handelt, eröffnet nach der Rechtsprechung des BVerfG noch nicht den Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG. Für die rechtliche Einordnung als Kunst kommt es maßgeblich darauf an, ob die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist. Dies ist nicht schon bei einer bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung der Fall. Vor diesem Hintergrund wird man das „Gedicht“ Böhmermanns am Grundrecht der Meinungsfreiheit und nicht an dem der Kunstfreiheit zu messen haben. Die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ist aber von vornherein nicht schrankenlos gewährt, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken ausdrücklich in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre.

Die rechtliche Beurteilung von Satire erfordert nach der Rechtsprechung des BVerfG „die Entkleidung des in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes“, um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten. Dabei muß beachtet werden, dass die Maßstäbe im Hinblick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns.

Darüberhinaus ist es nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH so, dass äußerungsrechtliche Sachverhalte stets in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen sind und eine isolierte Betrachtung einer Äußerung nicht statthaft ist.

Bezogen auf den Fall Böhmermann bedeutet dies, dass man nicht nur das „Gedicht“ als solches betrachten kann. Böhmermanns Gedichtvortrag war innerhalb seiner Sendung eingebettet in eine Passage, die sich mit Erdogans Vorgehen und Aktivitäten gegen die Satiresendung Extra3 beschäftigt. Im Gespräch mit seinem Kollegen Ralf Kabelka fragt Böhmermann, wie weit Satire gehen darf, woraufhin Kabella erläutert, dass Schmähkritik verboten ist. Anschließend und zur Veranschaulichung dessen, was Schmähritik ist, trug Böhmermann seinen als „Schmähgedicht“ bezeichneten Text vor, verbunden mit dem Hinweis, das er so etwas natürlich im ZDF nie sagen würde.

Der Kern der Aussage Böhmermanns besteht meines Erachtens darin, dass man mit einer derart harmlosen Satire wie der von Extra3 noch weit von einer Beleidigung und Schmähung entfernt ist und man Erdogan schon auf eine Art und Weise angreifen müsse, wie in dem dann vorgetragenen Schmähgedicht geschehen. Böhmermann wollte also offenbar veranschaulichen, was Schmähkritik tatsächlich ist und hat sich dafür exemplarisch heftige Schmähungen ausgedacht, die einerseits rassistisch und auch islamfeindlich sind („sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinepfurz riecht schöner“) und Erdogan andererseits strafbare und perverse sexuelle Neigungen („Ziegen ficken“, „Kinderpornos schauen“, „zoophil“) unterstellen, was in die Aussage „Recep Fritzl Priklopil“ mündet, also in einer Gleichsetzung mit Josef Fritzl und Wolfgang Priklopil, zwei der perversesten Sexualstraftäter der jüngeren Geschichte.

Selbst wenn man bei der Beurteilung dieser Einkleidung mit der Rechtsprechung des BVerfG erheblich mildere Maßstäbe anlegt, als bei gewöhnlichen Ehrverletzungen und den satirischen Ansatz berücksichtigt, wird es im konkreten Fall am Ende schwerfallen, in der Abwägung nicht ein deutliches Überwiegen des Ehrschutzes anzunehmen. Zumal die heftigsten Schmähungen Böhmermanns auch keinen Zusammenhang mehr zu Erdogans politischem Wirken erkennen lassen, anders als beispielsweise der Halbsatz „Kurden treten, Christen hauen“, der für sich betrachtet unproblematisch ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer schon älteren Entscheidung ebenfalls zur Frage der Zulässigkeit einer Satire, allerdings unter dem Aspekt der Kunstfreiheit, die im Zweifel noch weiter geht als die Meinungsfreiheit, ausgeführt, dass ein Eingriff in den durch die Menschenwürde geschützten Kern menschlicher Ehre, nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt sein kann. Das Gericht hat damals vor allem die in der Einkleidung enthaltene Darstellung sexuellen Verhaltens beanstandet, die den Betroffenen als Person entwertet.

Und damit sind wir an dem für die Causa Böhmermann zentralen Punkt angelangt. Die Schilderung von schwerwiegenden Sexualstraftaten und die Gleichsetzung mit zwei der perversesten Sexualstraftätern und sei es auch im satirischen Gewand zur Veranschaulichung einer heftigen Schmähkritik, berührt den Kern dessen, was wir als die Würde des Menschen betrachten. Das Gedicht Böhmermanns ist auch unter Berücksichtigung des Kontexts und des satirischen Ansatzes persönlichkeitsverletzend.

Man muss sich bei dieser Fragestellung auch etwas von den Personen Erdogan und Böhmermann lösen. Denn die Sympathie für Böhmermann und/oder die Ablehnung von Erdogan, sind nicht der richtige Beurteilungsmaßstab.

In strafrechtlicher Hinsicht gehe ich davon aus, dass die Voraussetzungen von § 185 StGB (Beleidigung) vorliegen. Nachdem Erdogan offenbar auch direkt bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag gestellt hat, halte ich eine Anklage oder einen Strafbefehl für durchaus naheliegend. Ob darüberhinaus eine Strafverfolgung nach der eher zweiefelhaften Vorschrift des § 103 StGB (Beleidigung von Organen ausländischer Staaten) erfolgen soll, ist eine Frage, die für mich nicht im Zentrum steht, zumal der Strafrahmen des § 103 StGB gegenüber dem des § 185 StGB nur etwas höher ist.

Update:
Andere Juristen sehen das, erwartungsgemäß anders. Lesenswert u.a.:
Alexander Thiele im Verfassungsblog

posted by Stadler at 14:59  

4.4.16

Wieder mal Onlinearchive und Berichterstattung über Straftaten

In einer neuen Entscheidung (Urteil vom 16. Februar 2016, Az.: VI ZR 367/15) hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob ältere Artikel in einem Onlinearchiv verbleiben können, in denen über den Verdacht einer Straftat berichtet wurde, wenn das Ermittlungsverfahren später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.

Der BGH betont in dieser Entscheidung, dass die Frage wesentlich sei, ob die ursprüngliche Berichterstattung rechtmäßig und zulässig gewesen ist und das Gericht diese Rechtsfrage auch dann zu klären hat, wenn beide Parteien diesen Aspekt für umbeachtlich gehalten haben.

Nach dieser Entscheidung des BGH genügt die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens jedenfalls als solche noch nicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen, um eine identifizierende Berichterstattung zu ermöglichen. Interessant sind in diesem Kontext auch die folgenden, weiteren Ausführungen des BGH:

Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat (BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 35). Auch das entastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist (Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz, 3. Aufl., Rn. 64; Löffler/Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 208 f.; HH-Ko/MedienR/Kröner, 2. Aufl., 33. Abschnitt Rn. 60; HH-Ko/MedienR/Breutz/Weyhe, 2. Aufl., 39. Abschnitt Rn. 55).

Also auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft als sog. privilegierte Quelle namentlich über ein Ermittlungsverfahren berichtet, müssen die Medien eine Abwägung vornehmen, ob sie nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung den Namen des Beschuldigten nennen dürfen.

posted by Stadler at 22:05  

1.3.16

BGH: Erhöhte Prüfpflichten für Bewertungsportale

Die mit Spannung erwartete Entscheidung des BGH zu Prüfpflichten von Bewertungsportalen wurde heute verkündet (Urteil vom 1. März 2016, Az.: VI ZR 34/15). Bislang liegt hierzu wie üblich nur die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vor.

Ein Arzt hatte gegen eine Bewertung seiner ärztlichen Leistung auf dem Ärztebewertungsportal jameda geklagt.

Der BGH geht von einer gesteigerten Prüfpflicht des Betreibers von Bewerungsportalen aus, weil, so der BGH, bei solchen Portalen von vornherein ein gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen besteht. Wenn ein Betroffener eine Bewertung beanstandet, ist der Portalbetreiber gehalten, diese Beanstandung demjenigen zu übersenden, der die Bewertung abgegegeben hat und ihn aufzufordern, die Leistung möglichst genau zu beschreiben. Außerdem muss er sich auch vorhandene Unterlagen vorlegen lassen, um die Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen in der Bewertung zu prüfen. In der Pressemitteilung heißt es dazu:

Der Betrieb eines Bewertungsportals trägt im Vergleich zu anderen Portalen von vornherein ein gesteigertes Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sich. Diese Gefahr wird durch die Möglichkeit, Bewertungen anonym oder pseudonym abzugeben, verstärkt. Zudem erschweren es derart verdeckt abgegebene Bewertungen dem betroffenen Arzt, gegen den Bewertenden direkt vorzugehen. Vor diesem Hintergrund hätte die beklagte Portalbetreiberin die Beanstandung des betroffenen Arztes dem Bewertenden übersenden und ihn dazu anhalten müssen, ihr den angeblichen Behandlungskontakt möglichst genau zu beschreiben. Darüber hinaus hätte sie den Bewertenden auffordern müssen, ihr den Behandlungskontakt belegende Unterlagen, wie etwa Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien, möglichst umfassend vorzulegen. Diejenigen Informationen und Unterlagen, zu deren Weiterleitung sie ohne Verstoß gegen § 12 Abs. 1 TMG in der Lage gewesen wäre, hätte sie an den Kläger weiterleiten müssen. Im weiteren Verfahren werden die Parteien Gelegenheit haben, zu von der Beklagten ggf. ergriffenen weiteren Prüfungsmaßnahmen ergänzend vorzutragen.

posted by Stadler at 10:26  

26.2.16

BGH zur Zulässigkeit von Boykottaufrufen

Ob und unter welchen Voraussetzungen Boykottaufrufe zulässig sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine generelle Regel, wonach Boykottaufrufe regelmäßig unzulässig wären, existiert jedenfalls nicht. Es ist im Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite, u.U. auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb bei Unternehmen, gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG abzuwägen.

Einen solchen Fall hat der BGH gerade entschieden und die Zulässigkeit des Boykottaufrufs bejaht (Urteil vom 19.01.2016, Az.: VI ZR 302/15). Die Prämisse des BGH besteht darin, dass der Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und damit also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient.

Der BGH führt dazu aus:

Im Streitfall ist das Schutzinteresse des Klägers mit dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Bei der vom Kläger angegriffenen öffentlichen Aufforderung zur Kontokündigung in Verbindung mit der angegriffenen Darstellung im Internet handelt es sich um eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung und nicht um eine Tatsachenbehauptung, für deren Zulässigkeit es grundsätzlich auf die Wahrheit der Behauptung ankäme.

(…)

Den angegriffenen Äußerungen ist der grundrechtliche Schutz nicht deshalb entzogen, weil sie die öffentliche Aufforderung zu einer Kontokündigung zum Gegenstand und damit den Charakter einer Boykottmaßnahme haben. Auch der Aufruf zu einer Boykottmaßnahme, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zu Grunde liegt, kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (BVerfGE 25, 256, 264 – Blinkfüer; 62, 230, 243 f.; BVerfGK 12, 272, 275; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 17). Das ist hier der Fall. Der auf der Internetseite des Beklagten veröffentlichte Artikel ist nicht auf die Aufforderung zur Kündigung des Kontos des Klägers beschränkt, sondern führt zur Begründung wertende Elemente an, mit denen der Beklagte der Volksbank und der Öffentlichkeit seine ablehnende Haltung gegenüber der Pelztierzucht und damit dem Kläger als Interessenverband der Pelztierzüchter deutlich macht.

Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts überwiegt bei der erforderlichen Abwägung das Schutzinteresse des Klägers das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit nicht.

Bei einem Aufruf zu Boykottmaßnahmen sind für die Abwägung zunächst die Motive und damit verknüpft das Ziel und der Zweck des Aufrufs wesentlich. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG regelmäßig Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden (BVerfGE 25, 256, 264 – Blinkfüer; 62, 230, 244; BVerfG, NJW 1992, 1153, 1154; BVerfGK 12, 272, 276; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 24; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juni 1966 – VI ZR 261/64, BGHZ 45, 296, 308 – Höllenfeuer). Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten (BVerfGE 7, 198, 215 – Lüth; 62, 230, 244; BVerfGK 12, 272, 276). Schließlich dürfen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung etwa durch Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit Nachdruck verleihen sollen und so die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen (BVerfGE 25, 256, 264 f. – Blinkfüer; 62, 230, 244 f.; BVerfGK 12, 272, 276; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13, VersR 2015, 717 Rn. 24).

posted by Stadler at 17:40  

9.2.16

Werbung in automatisierten Bestätigungsmails ist als Spam zu qualifizieren

Der BGH hat mit Urteil vom 15.12.2015 (Az.: VI ZR 134/15), das jetzt im Volltext veröffentlicht wurde, entschieden, dass Werbezusätze in einer automatisierten Bestätigungs-E-Mail als unerlaubte Zusendung von Werbung zu betrachten sind, die einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen begründen.

Das gilt nach Ansicht des BGH jedenfalls dann, wenn der Empfänger dem Erhalt von Werbung zuvor ausdrücklich widersprochen hat. Ob in diesen Fällen auch dann von einer unerlaubten Werbung auszugehen ist, wenn es an einem ausdrücklichen Widerspruch fehlt, hat der BGH offengelassen. Angesichts der bisherigen ständigen Rechtsprechung zu Werbung per Telefax oder E-Mail und der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation – vom BGH missverständlich nur als Datenschutzrichtlinie bezeichnet – kann allerdings für diese Fälle nichts anderes gelten. Nach Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie darf elektronische Post (E-Mail) für Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer gestattet werden.

Unternehmen, die in automatischen Bestätigungsmails Werbung unterbringen, verletzten damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Empfängers und verhalten sich datenschutz- und wettbewerbswidrig.

 

posted by Stadler at 10:38  

2.2.16

Rückrufpflicht für Veröffentlichungen und Äußerungen im Internet?

In einer wenig beachteten aktuellen Entscheidung (Urteil vom 28.07.2015, Az.: VI ZR 340/14) hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob und inwieweit eine Haftung für Folgeveröffentlichungen Dritter besteht und welche Maßnahmen derjenige ergreifen muss, der für die Erstveröffentlichung verantwortlich ist.

Gerade im Zeitalter sozialer Medien erleben wir es täglich, dass eine bestimmte Berichterstattung geradezu viral weiterverbreitet wird, nicht nur per Link, sondern auch per Copy & Paste oder zumindest durch Wiedergabe und Wiederholung der zentralen Aussagen. Wenn die Erstberichterstattung rechtswidrig war, weil sie beispielsweise falsche Tatsachenbehauptungen enthielt, stellt sich die Frage, ob derjenige, der für die Erstveröffentlichung verantwortlich ist, auch für Folgeveröffentlichungen in Anspruch genommen werden kann, sei es auf Unterlassung oder Schadensersatz.

Der BGH hat in seiner Entscheidung eine Störerhaftung desjenigen, der die Erstveröffentlichung zu verantworten hat, auch für Folgeveröffentlichungen in eingeschränktem Umfang bejaht.

Zwar könne von dem Erstveröffentlicher keine Löschung oder Unterlassung der Folgeveröffentlichung verlangt werden, aber ein „Hinwirken auf Löschung rechtswidriger, im Internet abrufbarer Tatsachenbehauptungen“.  Die zentralen Ausführungen des BGH lauten folgendermaßen:

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Beklagte den auf der Internetseite der Kanzlei von Dr. S. & v. B. abrufbaren ursprünglichen Beitrag selbst verfasst und in das Internet gestellt. Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist für die Nachprüfung in der Revisionsinstanz zu unterstellen, dass die von der Klägerin beanstandeten Tatsachenbehauptungen bereits Gegenstand dieses Beitrags waren. Dann hat der Beklagte aber durch sein Verhalten den von der Klägerin beklagten Störungszustand herbeigeführt. Er hat die maßgebliche Ursache für die von der Klägerin beanstandeten Veröffentlichungen gesetzt; erst durch sein Verhalten wurden die beanstandeten Tatsachenbehauptungen einem größeren Personenkreis bekannt und konnten von diesen weiterverbreitet werden (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 1976 – VI ZR 23/72, NJW 1976, 799, 800).
Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der ursprüngliche Beitrag des Beklagten sei für die Folgeveröffentlichungen nicht adäquat kausal geworden, weil es nicht dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspreche, dass ein Beitrag ohne Zutun des Verfassers von Dritten veröffentlicht werde. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dem Verfasser eines im Internet abrufbaren Beitrags eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch insoweit zuzurechnen, als sie durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags durch Dritte im Internet entstanden ist. Da Meldungen im Internet typischerweise von Dritten verlinkt und kopiert werden, ist die durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags verursachte Rechtsverletzung sowohl äquivalent als auch adäquat kausal auf die Erstveröffentlichung zurückzuführen. Der Zurechnungszusammenhang ist in solchen Fällen auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Persönlichkeitsrechtsverletzung insoweit erst durch das selbstständige Dazwischentreten Dritter verursacht worden ist. Denn durch die „Vervielfältigung“ der Abrufbarkeit des Beitrags durch Dritte verwirklicht sich eine durch die Veröffentlichung des Ursprungsbeitrags geschaffene internettypische Gefahr (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 55 f.; vom 11. November 2014 – VI ZR 18/14, AfP 2015, 33 Rn. 21).
Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs auf der Grundlage des revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalts erfüllt sind, kann die Klägerin vom Beklagten allerdings nicht verlangen, die Löschung der angegriffenen Behauptungen zu bewirken. Ihr steht lediglich ein Anspruch darauf zu, dass der Beklagte im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren bei den Betreibern der Internetplattformen, auf denen die angegriffenen Äußerungen noch abrufbar sind, auf eine Löschung hinwirkt.

Der Verfasser eines rechtswidrigen Beitrags haftet also auch für die Rechtsverletzungen, die erst durch die Weiterverbreitung seines Ursprungsbeitrags durch Dritte im Internet entstehen. Von ihm kann zwar keine Unterlassung oder Löschung verlangt werden, er muss aber im Rahmen des Zumutbaren auf eine Löschung hinwirken, also versuchen, eine solche Löschung zu erreichen. Welche Bemühungen hier konkret verlangt werden, erläutert der BGH freilich nicht.

Was der BGH also hier postuliert, ist im Ergebnis eine Art Rückrufpflicht für rechtswidrige Äußerungen im Internet. Wer im Internet falsche Tatsachen behauptet oder sich ehrverletzend äußert, muss zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen, auch Folgeveröffentlichungen wieder aus dem Netz zu bekommen, indem er auf diejenigen einwirkt, die seine Erstveröffentlichung weiterverbreitet haben.

posted by Stadler at 18:01  

22.12.15

Anspruch auf Löschung intimer Fotos nach dem Ende der Beziehung

Wenn ein Partner von dem anderen intime Bild- oder Filmaufnahmen macht, kann der Abgebildete nach dem Ende der Beziehung eine Löschung verlangen, wenn er seine Einwilligung in die Anfertigung und Verwendung der Aufnahmen (konkludent) auf die Dauer der Beziehung beschränkt hat. Das hat der BGH mit Urteil vom 13.10.2015 (Az.: VI ZR 271/14) entschieden, das jetzt im Volltext veröffentlicht wurde.

Die interessante Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen jemand im Rahmen einer Beziehung die Anfertigung von Fotos oder Filmen auf die Dauer der Beziehung beschränkt, beantwortet der BGH leider nicht, weil er sich insoweit an die Auslegung des Berufungsgerichts gebunden fühlt.

Der BGH geht zunächst davon aus, dass bei Aufnahmen mit Intimbezug Löschungsansprüche aus § 823 Abs. 1, § 1004 BGB wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) bestehen können. Den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht – in seiner die Bildnis- und Intimsphäre schützenden Funktion – sieht der BGH darin, dass der Beklagte die Verfügungsmacht über Aufnahmen gegen den Willen der Klägerin weiterhin ausübt. Für diese rechtliche Bewertung liefert der BGH eine durchaus bemerkesnwerte Begründung:

Die zur Anregung des gemeinsamen Sexuallebens erbrachte Entblößung wird als demütigend wahrgenommen, wenn das gemeinsame Erleben entfällt, sie aber dauerhaft sichtbar bleibt, wenn das aktive Subjekt gegen seinen Willen zum reinen Objekt des Bildbetrachters wird. So liegt es im Streitfall. Die Klägerin erfährt durch die gegen ihren Willen fortbestehende Verfügungsmacht des Beklagten über die Aufnahmen, die die Öffnung ihrer Intimsphäre sichtbar festschreiben, ein Ausgeliefertsein und eine Fremdbestimmung, durch die sie im unantastbaren Kernbereich ihres Persönlichkeitsrechts verletzt wird.
(…)
Zwar hat die Klägerin nicht der Öffentlichkeit, aber dem Beklagten Einblick in ihre Intimsphäre gewährt und ihm die Aufnahmen zum Teil selbst überlassen, im Übrigen gestattet. Diese Einwilligung war aber begrenzt auf die Dauer ihrer Beziehung zu dem Beklagten. Das ergibt sich aus der – rechtlich nicht zu beanstandenden – Auslegung der von der Klägerin konkludent erklärten Gestattung durch das Berufungsgericht.
(…)
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Bilder im privaten Bereich und nur im Rahmen dieser Liebesbeziehung ohne vertragliche Vereinbarungen und unentgeltlich entstanden sind, nur zu persönlichen bzw. privaten Zwecken gefertigt wurden und nicht zur Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt waren. Es hat weiter festgestellt, dass die Einwilligung in die Nutzung zeitlich auf die Dauer der zwischen den Parteien bestehenden Beziehung beschränkt war.

Die Frage, ob bei beendeten Beziehungen im Regelfall davon ausgegangen werden kann, dass die Einwilligung in die Anfertigung und den fortbestehenden Besitz intimer Bilder entfällt, oder ob es hierzu besonderer Umstände bedarf, die auf einen Wegfall der einmal erklärten Einwilligung schließen lassen, beantwortet die Entscheidung leider nicht.

posted by Stadler at 10:28  

16.12.15

Ist Werbung in automatisierten Bestätigungsmails als Spam zu qualifizieren?

Der BGH hat gestern (Urteil vom 15.12.2015, Az.: VI ZR 134/15) darüber entschieden, ob ein Werbezusatz in einer automatisierten Bestätigungs-E-Mail als unerlaubte Zusendung von Werbung zu betrachten ist.

Aus der eher vagen Pressemitteilung des BGH ergibt sich, dass eine unzulässige Werbung per E-Mail und damit eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht jedenfalls dann vorliegen soll, wenn der betroffene Verbraucher in einer früheren E-Mail erklärt hat, dass er eine Werbung auch in solchen Bestätigungsmails nicht wünsche. Ob der BGH bereits die erstmalige Zusendung einer Bestätigungsmail mit Werbezusatz als Rechtsverstoß betrachtet, bleibt nach der Pressemitteilung unklar. es gilt also den Volltext des Urteils abzuwarten.

posted by Stadler at 17:25  

12.10.15

Die Urteile Kachelmann vs. Springer liegen im Volltext vor

Die beiden Urteile des Landgerichts Köln vom 30.09.2015 (Az.: 28 O 2/14 und 28 O 7/14) , in denen dem Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen der Berichterstattung von BILD und bild.de ein Schmerzensgeld von insgesamt 635.000 EUR (300.000 + 335.000) zugesprochen wird, sind mittlerweile im Volltext hier und hier online. Kachelmann hatte freilich ein noch deutlich höheres Schmerzensgeld gefordert, weshalb er die Prozesskosten zu einem überwiegenden Teil zu tragen hat. Es steht zu erwarten, dass gegen das Urteil Berufung eingelegt wird, möglicherweise von beiden Parteien.

Der Schadensersatz ist vor allem deshalb so hoch ausgefallen, weil das Gericht eine Vielzahl schwerwiegender Verletzungen der Privats- bzw. Intimsphäre Kachelmanns angenommen hat. Ein noch höheres Schmerzensgeld hat die Kammer u.a. deshalb versagt, weil Kachelmann in einer ganzen Reihe von Fällen, in denen er Schmerzensgeld beansprucht, zuvor von Springer keine Unterlassung verlangt hat. Das Gericht führt hierzu (Az.: 28 O 2/14) aus:

Nach Auffassung der Kammer führt der grundsätzliche Verzicht des Klägers auf die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen hinsichtlich der weiteren Artikel bzw. Äußerungen, welche nach seiner Auffassung eine Geldentschädigung rechtfertigen sollen, dazu, dass ihm im Ergebnis insofern ein Geldentschädigungsanspruch versagt bleiben muss. Die Gewährung einer Geldentschädigung hat nämlich die Aufgabe, eine sonst verbleibende Lücke des Persönlichkeitsschutzes zu schließen; der Anspruch hat also subsidiären Charakter. Kann die Verletzung auf andere Weise hinreichend ausgeglichen werden, entfällt der Anspruch (LG Berlin, Urteil vom 18.3.2008 – 27 O 884/07, m.w.N.). Vorliegend wäre in Betracht gekommen, die Beklagte zumindest zur Unterlassung aufzufordern, da der jeweils Betroffene grundsätzlich gehalten ist, sich um einen solchen anderweitigen Ausgleich – notfalls mit gerichtlicher Hilfe – zu bemühen, bevor er eine Geldentschädigung verlangen kann (BGH, NJW 1979, 1041; OLG Hamm, Urteil vom 6.4.2001 – 9 U 130/00; LG Berlin, a.a.O.). Ferner ist nach der Rechtsprechung des BGH bei der gebotenen Gesamtwürdigung ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.1971 – VI ZR 26/70; BGH, Beschluss vom 30.6.2009 – VI ZR 340/08; BGH, Urteil vom 21.4.2015 – VI ZR 245/14). Auch dies spricht dafür, dass der Kläger zumindest Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte hätte geltend machen müssen.

Diese zumindest diskutablen Rechtsausführungen des Landgerichts Köln werden möglicherweise auch Jörg Kachelmann dazu bewegen, das oder die Urteile vom OLG Köln im Wege der Berufung überprüfen zu lassen.

posted by Stadler at 16:07  

25.9.15

15.000 EUR Schmerzensgeld wegen Verbreitung pornografischer Fotomontagen im Netz

Die Verbreitung von Bilddateien über das Internet, bei denen Kopf und Gesicht einer Frau durch Bildmanipulation auf den Körper nackter Frauen montiert worden ist, stellen eine besonders schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar, die ein erhebliches Schmerzensgeld rechtfertigt.

Das Landgericht Oldenburg hatte in einem solchen Fall ein Schmerzensgeld von EUR 22.000,- zugesprochen (Urteil vom 02.03.2015, Az.: 5 O 3400/13), das das OLG Oldenburg mit Urteil vom 11.08.2015 (Az: 13 U 25/15) auf EUR 15.000,- reduziert hat.

Das Landgericht hatte die besondere Eingriffsintensität betont, weil die Bildmanipulation die scheinbar entblößte Klägerin in pornografischen Posen beim Geschlechtsverkehr z.T. mit mehreren Männern zeigt, was die Klägerin nach Ansicht des Gerichts zu Recht als erniedrigend, abstoßend und zutiefst verletzend empfunden hat. Das Gericht geht insgesamt von elf verschiedenen Veröffentlichungen aus, in einem Fall sogar mit vollständigem Namen der Klägerin. Vor diesem Hintergrund hat es ein für deutsche Verhältnisse sehr hohes Schmerzensgeld zugesprochen, das vom OLG dann aber wieder etwas reduziert worden ist.

posted by Stadler at 09:47  
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