Markus Hündgen (Videopunk) schreibt auf Hyperland über einen „Glaubenskrieg der Digitalwelten“. Der Beitrag stützt sich im Wesentlichen auf Thesen von Peter Kruse. Ob die bewusste Anlehnung an das Werk von H.G. Wells „Krieg der Welten“ den (politischen) Konflikt zwischen den „Digital Natives“ und den „Digital Immigrants“ tatsächlich zutreffend umschreibt, war die erste Frage, die ich mir bei der Lektüre des Textes gestellt habe. Dass Kruse dieses gegensätzliche Begriffspaar durch „Digital Residents“ und „Digital Visitors“ ersetzen will, kann man zumindest als sinnvollen Ausgangspunkt betrachten.
Bereits die Gegenüberstellung der vermeintlichen Plattitüden “Freiheit statt Angst” und “Das Internet ist ein rechtsfreier Raum“ ist allerdings schwer nachvollziehbar. „Freiheit statt Angst“ ist ein Kampagnen- und Demonstrationsmotto, während die beschwörende Forderung, die im übrigen „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ lautet und keineswegs „Das Internet ist ein rechtsfreier Raum“, eher unter die Rubrik der politischen Schimären fällt.
Zwei weitere Thesen Kruses finde ich dann allerdings geradezu verstörend.
Die erste lautet, dass beide Seiten dasselbe persönliche Wertesystem hätten. Das halte ich für eine grandiose Fehleinschätzung. Denn die Diskussion zwischen Netzaktivisten und innen- und sicherheitspolitischen Hardlinern ist nichts weiter als die Fortsetzung eines Jahrhunderte alten Konflikts zwischen freiheitlichen Kräften einerseits und totalitären Bestrebungen andererseits. Dieser Konflikt wird durch die technologische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in beide Richtungen wieder befeuert. Einerseits bieten technische Errungenschaften auch immer neue (technische) Möglichkeiten der Überwachung. Weil innenpolitische Hardliner permanent einen Kontroll- und damit Machtverlust fürchten, lautet ihre Forderung deshalb stets, dass alles, was technisch möglich ist, grundsätzlich auch gemacht werden müsse. Auf der anderen Seite eröffnet das Internet bisher ungeahnte Möglichkeiten der Kommunikation und Vernetzung, was zum Aufkommen einer digitalen Bürgerrechtsbewegung geführt hat und Anlass zu der Hoffnung gibt, dass gänzlich neue zivilgesellschaftliche Strukturen entstehen könnten. Zumindest ist das Internet, wie Rigo Wenning es gerne formuliert, eine große Tröte mit deren Hilfe man sich Gehör verschaffen kann. Das Netz hat die politischen Spielregeln jedenfalls bereits insoweit verändert, als Netzaktivisten mittlerweile in der Lage sind, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Was dabei allerdings ganz deutlich wird, ist, dass innenpolitische Hardliner und freiheitlich gesinnte Netzbürger für ganz unterschiedliche Grundwerte und Überzeugungen stehen und eintreten.
Die zweite diskussionsbedürftige These Kruses lautet, dass diejenigen, die mehr auf Kontrolle setzen, an die Kraft und Intelligenz des Individuums glauben, während die Digital Residents auf die Intelligenz der Masse vertrauen würden. Das ist Ausdruck einer monokausalen Betrachtung, die die tatsächlichen Verhältnisse nicht abbildet.
Diejenigen, die sich für Freiheit einsetzen, sind sehr häufig sogar extreme Individualisten – was mir in gewisser Weise auch zwangsläufig erscheint – während diejenigen, die auf mehr staatliche Kontrolle hoffen, oftmals klassische Herdentiere sind. Die anderslautende These Kruses scheint mir stark von der Vorstellung einer Schwarmintelligenz geprägt zu sein. Damit lassen sich bis zu einem gewissen Grad Phänomene wie Wikipedia und GuttenPlag erklären. Die digitale Bürgerrechtsbewegung ist aber gerade deshalb erfolgreich, weil es ihr – allerdings nicht immer – gelingt, einen Haufen Individualisten zusammenzubringen, die sich zumindest punktuell dann wie ein Schwarm verhalten. Hieraus resultiert eine besondere Dynamik, allerdings auch ein besonderes Spannungsverhältnis, das sich dann auch immer wieder in mehr oder minder heftigen internen Auseinandersetzungen entlädt. Denn Individualisten bleiben Individualisten, auch wenn sie kurzzeitig und punktuell als Schwarm agieren. Und gerade wenn das passiert, entsteht eine enorme Kraft, der die Politik häufig nichts entgegenzusetzen hat und die sie oftmals nicht versteht und deshalb für unberechenbar hält.