Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.8.15

Das OLG Hamburg und das Recht auf Vergessenwerden

Das OLG Hamburg geht in einer neuen Entscheidung (Urteil vom 07.07.2015, 7 U 29/12) davon aus, dass ältere, ursprünglich rechtmäßig in das Internet eingestellte Beiträge in einem Internetarchiv einer Tageszeitung gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen verstoßen können, wenn ein zunächst bestehendes, allgemeines öffentliches Interesse an den berichteten Vorgängen durch Zeitablauf erloschen ist.

Dem Betroffenen steht dann gegen den Betreiber des Internetarchivs ein Anspruch darauf zu, es zu unterlassen, diese Beiträge in der Weise zum Abruf bereitzuhalten, dass sie durch Eingabe des Namens des Betroffenen in Internet-Suchmaschinen von diesen aufgefunden werden.

Der Betroffene kann also nicht die Löschung des Beitrags verlangen, sondern nur, dass der Archivbetreiber dafür sorgt, dass die betreffenden Beiträge nicht mehr von Suchmaschinen indiziert werden. Damit knüpft das OLG Hamburg ersichtlich an die Google-Entscheidung des EuGH an und bejaht damit eine Varainte des vieldiskutierten Recht auf Vergessen(werden).

Die maßgebliche Passage aus den Entscheidungsgründen hierzu lautet wie folgt:

Denn wenn – wenn auch auf datenschutzrechtlicher Basis – schon der Betreiber einer Suchmaschine dazu angehalten werden kann, die Erreichbarkeit von Internetbeiträgen durch bloße Eingabe des Namens der von diesen Beiträgen in erheblicher Weise betroffenen Personen zu unterbinden (EuGH, Urt. v. 13. 5. 2014, GRUR 2014, S. 895 ff.), dann kann es erst recht auch dem Urheber des betreffenden Beitrages – mag er auch das Presseprivileg für sich in Anspruch nehmen können – angesonnen werden, Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass dieser Beitrag zu einer stetig fließenden Quelle von Beeinträchtigungen persönlichkeitsrechtlicher Belange des Betroffenen wird. Dass die Begründung eines Zustandes nicht rechtswidrig gewesen ist, steht seiner Beurteilung als Störung bei seiner Fortdauer nach den allgemeinen Grundsätzen nicht entgegen (s. z.B. BGH, Urt. v. 18. 11. 2014, Az. VI ZR 76/14; std. Rspr seit BGH, Urt. v. 12. 1. 1960, GRUR 1960, S. 500 ff., 502 ff.). Ein Verschulden des Störers setzt der Beseitigungsanspruch nicht voraus.

Für das Entstehen der Verantwortlichkeit des Betreibers des Internetforums für derartige Beiträge gelten nach Ansicht des OLG Hamburg die für die Verantwortlichkeit der Betreiber von Internetforen entwickelten Grundsätze. Das bedeutet, dass der Betreiber erst dann verpflichtet ist zu handeln und Vorkehrungen für die Nichtindexierung durch Google & Co. zu treffen, wenn er vom Betroffenen auf den Verstoß qualifiziert hingewiesen worden ist.

Diese Auffassung erscheint mir wenig konsequent, denn der Grund für eine Privilegierung von Forenbetreibern besteht ja grundsätzlich darin, dass sie für die Inhalte, die Dritte bei Ihnen eingestellt haben, nicht wie für eigene Inhalte, sondern nur abgeschwächt haften sollen. Nachdem es sich vorliegend aber um eigene Inhalte der Tageszeitung handelt, die das Archiv betreibt, erscheint diese Argumentation nicht stimmig.

Fraglich ist außerdem, ob man tatsächlich den Betreiber eines Archivs dazu verpflichten kann, bestimmte Inhalte nicht mehr für Suchmaschinen auffindbar zu machen. Der Erst-Recht-Schluss des OLG von Google auf den Archivbetreiber erscheint mir nicht zwingend. Unabhängig davon, lässt sich natürlich die Frage diskutieren, ob der hier streitige Inhalt nicht doch an seiner Quelle rechtmäßig bleibt und erst durch die Breitenwirkung einer Suchmaschine wie Google im Lichte der EuGH-Rechtsprechung rechtswidrig wird. Wenn dem so ist, dann wird dem Archivbetreiber nämlich aufgegeben, Vorsorge dafür zu treffen, dass ein Rechtsverstoß unterbunden wird, der nicht von ihm, sondern erst von Google bewirkt wird.

Das OLG hat die Revision zugelassen, weshalb sich wohl der BGH mit der Frage beschäftigen wird.

posted by Stadler at 17:28  

21.4.15

Wie sinnvoll ist der geplante Straftatbestand der Datenhehlerei?

Der Kollege Bernhard Freund hat in einem lesenswerten Blogbeitrag den geplanten Straftatbestand der Datenhehlerei kritisch beleuchtet. Freund fürchtet, dass die sehr weit gefasste Vorschrift vor allen Dingen die Gefahr mit sich bringt, dass Journalisten und Whistleblower kriminalisiert werden. Im Zusammenhang mit den von Justizminister Maas letzte Woche vorgestellten Leitlinien zur Vorratsdatenspeicherung wurde vom BMJ ebenfalls mitgeteilt, dass ein neuer Straftatbestand der „Datenhehlerei“ geschaffen wird.

Der bislang vorliegende Gesetzesentwurf des Bundesrates sieht die neue Vorschrift des § 202d StGB mit folgendem Wortlaut vor:

(1) Wer Daten im Sinne von § 202a Absatz 2, die ein anderer ausgespäht oder sonst durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, an deren Nichtweiterverwendung der Berechtigte ein schutzwürdiges Interesse hat und die nicht aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können.
(3) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 202a, 202b, 202d, 263 bis 264, 267 bis 269, 303a oder 303b verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
4) Der Versuch ist strafbar.
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung gesetzlicher Pflichten durch Amtsträger oder deren Beauftragte dienen. Die Absätze 1 bis 4 gelten ebenfalls nicht für Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, um Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zuzuführen.
(6) In den Fällen des Absatzes 3 ist § 73d anzuwenden.

Der Einwand von Freund ist nicht von der Hand zu weisen. Während der Gesetzgeber das Handeln von Amtsträgern ausdrücklich ausnimmt – dies dient u.a. der Privilegierung des Ankaufs der vieldiskutierten Steuer-CDs – gibt es keinerlei Ausnahmen für Zwecke der Berichterstattung. Das bringt Journalisten, Blogger und Whistleblower in eine gefährliche Lage, wenn sie sich Daten verschaffen oder gar veröffentlichen, die ein anderer sich zuvor rechtswidrig beschafft hat. Dass die im Tatbestand geforderte Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht nicht ausreichend ist, um diese Fälle von der Strafbarkeit auszuschließen, zeigt bereits der Umstand, dass der Gesetzgeber für Amtsräger zusätzlich die Vorschrift des Abs. 4 geschaffen hat. Aus verfassungsrechtlichen Gründen stellt sich aber zudem die Frage, ob diese Ausnahme nicht auch auf Zwecke der Berichterstattung ausgeweitet werden muss, weil dies zum Schutz der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit geboten ist.

Freund geht sogar davon aus, dass  der Betrieb von Whistleblowing-Portalen durch die Regelung zur Datenhehlerei praktisch unmöglich gemacht wird.

Den Regelungsbedarf, der sich auf die Annahme von Strafbarkeitslücken stützt, stellt Freund ebenfalls in Frage.

posted by Stadler at 14:56  

6.2.15

Muss der Vergewaltigungsparagraph verschärft werden?

Derzeit tobt eine erbitterte und emotional aufgeladene Diskussion über eine Verschärfung des Strafrechts im Bereich der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung. Konkret geht es hierbei um die Forderung, nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen. Auslöser der Diskussion ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gehalt aus dem Jahr 2011 (Istanbul-Konvention), die die Vertragsstaaten verpflichtet, alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen mit einer anderen Person unter Strafe zu stellen. Der wortgewaltige Strafrechtler und Vorsitzende Richter am BGH Thomas Fischer hat sich in dieser Diskussion wiederholt zu Wort gemeldet und deutlich Position gegen eine entsprechende Verschärfung des Strafrechts bezogen. In der ZEIT warf er den Abgeordneten des Bundestages zuletzt vor, nicht zu wissen wovon sie reden. Ihm widerspricht gerade drüben im Verfassungsblog Maximilian Steinbeis in einem lesenswerten Rant.

Der zentrale juristische Einwand von Thomas Fischer besteht in der Annahme, dass das geltende Strafrecht gar keine Schutzlücke aufweist und deshalb auch mit Blick auf die Istanbul-Konvention keine Veranlassung für ein Tätigwerden des Gesetzgebers besteht. Diese Ansicht wird zwar von einigen renommierten Strafrechtlern wie Monika Frommel geteilt, die Mehrheit der Wissenschaftler sieht das allerding anders, was Fischer in der ZEIT auch einräumt. Fischer konzediert außerdem, dass es (aus seiner Sicht) falsche gerichtliche Entscheidungen gegeben hat, in denen eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 4 StGB oder § 177 StGB zu Unrecht verneint wurde und die Angeklagten zu Unrecht freigesprochen wurden. Man könnte freilich allein diesen Umstand als legitimen Anlass für ein Tätigwerden des Gesetzgebers betrachten. Denn eine Beseitigung einer bestehenden erheblichen Rechtsunsicherheit oder auch eine Korrektur einer bestimmten Entwicklung in der Rechtsprechung, gehört natürlich auch zu den Aufgaben des Gesetzgebers.

Die unter Juristen streitige Frage, ob eine Schutzlücke existiert oder nicht, hängt letztlich auch davon ab, wie weit oder eng man die Begriffe der Gewalt und der Drohung in § 177 Abs. 1 StGB und § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB versteht. Und an dieser Stelle herrscht, wie so oft, kein wirklicher Konsens.

Was die Position von Bundesrichter Thomas Fischer angeht, ist außerdem seine eigene Kommentierung (Strafgesetzbuch, 62. Aufl., 2015, § 240, Rn. 59) aufschlussreich. Fischer schreibt dort nämlich, es sei unverständlich, dass die Nötigung zur Duldung sexueller Handlungen von der Norm nicht erfasst ist, denn eine Auslegung des Begriffs „Handlung“ dahingehend, dass auch das Dulden fremder Handlungen umfasst wird, würde die Wortlautgrenze überschreiten. Bei § 240 Abs. 4 StGB sieht Fischer also selbst eine Schutzlücke, die er allerdings in seinen öffentlichen Äußerungen nicht erwähnt. Der Sinn der Regelung des § 240 Abs. 4 StGB besteht aber gerade darin, eine Schutzlücke zum Tatbestand des § 177 StGB zu schließen, denn für eine sexuelle Nötigung ist nach dieser Vorschrift eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erforderlich, während es bei § 240 Abs. 4 StGB genügt, dass mit einem empfindlichen Übel gedroht wird. Letztlich will § 240 Abs. 4 StGB also die Fälle der sexuellen Nötigung unterhalb der Schwelle des § 177 StGB erfassen.

Rechtsdogmatisch erheblich erscheint mir allerdings der Einwand Fischers, dass sowohl für die Verwirklichung von § 177 StGB als auch für § 240 Abs. 4 StGB selbst nach einer entsprechenden Änderung immer noch eine Nötigungshandlung erforderlich wäre. Und eine Nötigung ist per definitionem eine Willensbeugung durch Gewalt oder Drohung. 

Letztendlich geht es um die Frage, ob man eine Strafnorm schaffen kann und will, deren Erfüllung ausschließlich vom (inneren) Willen des Opfers abhängt oder ob man weiterhin verlangt, dass sich das Nein des Opfers auch äußerlich manifestieren muss. Das scheint mir der eigentliche (juristische) Streitpunkt zu sein. Und ich muss gestehen, ich bin in der Frage noch unentschieden.

posted by Stadler at 21:07  

2.2.15

Welche Fotos darf man künftig noch anfertigen und verbreiten?

Das Neunundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, das u.a. die Vorschrift des § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) neu fasst, ist vor wenigen Tagen in Kraft getreten. Die Regelung stellt eine Reaktion des Gesetzgebers auf den Fall Edathy dar und sollte eigentlich die Verbreitung von Nacktbildern von Kindern unter Strafe stellen. Die Regelung wurde im Vorfeld nach massiver Kritik allerdings noch  abgeschwächt und modifiziert. Die Neufassung von § 201a StGB lautet nunmehr:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,

2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,

3. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder

4. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat

1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder

2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft.

(4) Absatz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 3 oder Nummer 4, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen.

Problematisch erscheint mir weiterhin vor allen Dingen die Regelung des Abs. 2, der es unter Strafe stellt, eine Bildaufnahme Dritten zugänglich zu machen, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Nachdem der strafrechtliche Begriff des Zugänglichmachens, anders als beispielsweise der urheberrechtliche, nach überwiegender Ansicht beispielsweise auch die Verlinkung umfasst, könnte diese Regelung gerade im Internetkontext weitreichende Konsequenzen haben.

Auch Abs. 3, der in der Tat eine Art Lex Edathy darstellt, ist durchaus fragwürdig. Denn Bilder von nackten Kindern werden häufig hergestellt, angeboten oder verschafft. Unterfällt das berühmte Cover des Nirvana-Albums Nevermind beispielsweise der Vorschrift? Wenn man das bejaht, wofür einiges spricht, hilft nur noch das Privileg des Abs. 4 der Handlungen die u.a. der Kunst oder der Berichterstattung dienen, ausnimmt.

Das Gesetz schießt deutlich über das Ziel hinaus.

posted by Stadler at 21:11  

10.11.14

Wolfgang Bär zum Richter am BGH gewählt

Der Richterwahlausschuss hat am 06.11.2014 drei neue Bundesrichter gewählt u.a. für den Bundesgerichtshof den Bayreuther Juristen Wolfgang Bär, der zuletzt in der Abteilung für Strafrecht und Internetkriminalität des Bayerischen Justizministeriums tätig war und zwar im Referat „Internetkriminalität, Missbrauch neuer Technologien und Kriminologie“. Von Bär gibt es eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Themenkreis Internet- und Computerkriminalität sowie TK-Überwachung. Bär ist hierbei nie als bürgerrechtsfreundlich aufgefallen, sondern hat regelmäßig die Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden eher weit ausgelegt. Er ist beispielsweise ein erklärter Befürworter der umstrittenen Quellen-TKÜ auf Gurndlage der geltenden StPO.

Eine liberale Rechtsprechung ist von Bär nicht erwarten. Die Pressemitteilung des bayerischen Justizministers zur Berufung von Bär ist durchaus lesenswert.

posted by Stadler at 09:32  

29.10.14

Wann macht sich ein Hoster strafbar?

Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 25.8.2014 (Az.: 4 Ws 71/14) klargestellt, dass die Haftungsprivilegien der §§ 8 – 10 TMG auch für die Frage einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Hostproviders für von ihm gehostete Inhalte gelten.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte einen Hostprovider, der dem rechten Spektrum zugeordnet wurde, wegen Beihilfe zu verschiedenen Straftaten angeklagt. Die Staatsanwaltschaft ist davon ausgegangen, dass der Hoster billigend in Kauf genommen habe, dass seine Kunden strafbare Inhalte auf den vom Angeschuldigten betriebenen Server einstellen. Eine konkrete Kenntnis war dem Hoster aber nicht nachweisbar.

Hierzu hat das Kammergericht entschieden, dass ein bedingter Vorsatz (dolus eventualis), für den es ausreichend ist, dass etwas ernsthaft für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird, für eine Strafbarkeit eines Host-Providers nicht genügt. Wegen der Wertung des § 10 TMG müsse dem Hoster vielmehr positive Kenntnis der konkreten strafbaren Inhalte nachgewiesen werden, also direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades). Nur in diesem Fall entfällt das Haftungsprivileg des § 10 TMG. Das Gericht erläutert zudem ausführlich, dass und weshalb die Privilegierungstatbestände des TMG auch für das Strafrecht uneingeschränkt gelten.

posted by Stadler at 11:00  

27.10.14

Nach der kinox.to-Razzia: Was haben die Nutzer zu befürchten?

Die Polizei hat nach Presseberichten, die von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden laut Heise zwischenzeitlich bestätigt wurden, vergangene Woche in vier Bundesländern Razzien gegen die Betreiber der Filmplattform kinox.to durchgeführt. Bei den Nutzern geht jetzt die Angst um. Wie schon im Fall von kino.to wird die Frage diskutiert, ob auch die Nutzer des Portals eine Urheberrechtsverletzung begangen oder sich sogar strafbar gemacht haben. Ob der Nutzer urheberrechtswidriger Streaming-Portale das Urheberrecht verletzt, ist juristisch umstritten.

Ist das Streaming durch den Nutzer überhaupt urheberrechtlich relevant?

Zunächst muss die Frage geklärt werden, ob der Nutzer, der ein Werk im Wege des Streaming lediglich betrachtet und anders als beim Download nicht (dauerhaft) auf seiner Festplatte speichert, überhaupt eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung vornimmt.

Gegen die Annahme einer Urheberrechtsverletzung spricht auf den ersten Blick der Umstand, dass der bloße Werkgenuss grundsätzlich keine Nutzungshandlung darstellt. Das hat seinen Grund auch darin, dass die Wiedergabe des Werkes nach § 15 Abs. 2 UrhG nur dann urheberrechtlich relevant ist, wenn sie öffentlich erfolgt. Wer also ein Werk der Musik oder des Films zum Eigenkonsum nur abspielt, begeht grundsätzlich selbst dann keine Urheberrechtsverletzung, wenn er eine Raubkopie benutzt.

Die zu beantwortende Frage lautet also, ob das Streaming durch einen Nutzer sich in der bloßen Wiedergabe des Werks erschöpft oder eine darüberhinausgehende Nutzungshandlung beinhaltet.

Beim Streaming wird technisch bedingt eine kurzfristige Zwischenspeicherung im Arbeitsspeicher des Nutzers vorgenommen. Der weite Vervielfältigungsbegriff des Art. 2 Infosoc-Richtlinie umfasst allerdings auch solche vorübergehenden Vervielfältigungen, weshalb auch die Zwischenspeicherung (Caching) grundsätzlich als Vervielfältigung anzusehen ist. Diese vorübergehende Speicherung stellt nach § 44a UrhG und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG (Infosoc-Richtlinie) eine Vervielfältigungshandlung dar, die allerdings unter den dort genannten Voraussetzungen auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers zulässig ist. Dies betrifft nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere „die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Kopien auf dem Bildschirm seines Computers und im „Cache“ der Festplatte dieses Computers“. Diese Rechtsprechung betrifft somit ohne weiteres auch das sog. Streaming. Ob sie allerdings auch auf das Streaming von urheberrechtswidrigen Inhalten angewendet werden kann, ist unklar, nachdem die Entscheidung nur einen Fall betraf, in dem die Inhalte mit Zustimmung des Rechteinhabers ins Netz gestellt worden sind.

Ist das Streaming von § 44a UrhG privilegiert?

Der Wortlaut von § 44a UrhG und von Art. 5 Abs. 1 Infosoc-Richtlinie lässt nicht eindeutig erkennen, ob die Vorschrift auch dann eingreifen kann, wenn die benutzte Datei an der Quelle nicht rechtmäßig ins Netz gestellt worden ist. Nach der Vorschrift ist der Nutzer nur dann privilegiert, wenn die Zwischenspeicherung einer rechtmäßigen Nutzung des Werks dient. In der Literatur wird hieraus z.T. gefolgert, dass derjenige, der geschützte Werke urheberrechtswidrig nutzt, sich nicht auf § 44a UrhG berufen könne. Vielmehr sei maßgeblich, ob die Quelle rechtmäßig ist (Loewenheim in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. § 44a, Rn. 9; Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 678 ff.).

Dies hätte freilich erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die hier diskutierte Fragestellung des Streamings, sondern vielmehr auf jede Nutzung des World Wide Web. Denn wie der EuGH in seiner Entscheidung klargestellt hat, betrifft die Ausnahmeregelung gerade auch die Fälle des Browsings, also des bloßen Betrachtens von Webseiten durch einen Nutzer. Das würde allerdings dann auch bedeuten, dass Nutzer des WWW eine Urheberrechtsverletzung begehen, sobald sie eine Website aufrufen, auf der sich urheberrechtswidrig eingestellte Texte, Fotos, grafische Elemente o.ä. befinden. Damit würde der Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung, die normale Nutzung des Internets nicht zu beeinträchtigen, unterlaufen. Aus diesem Grund wird in der Literatur mittlerweile wohl überwiegend davon ausgegangen, dass eine rechtmäßige Nutzung nicht zwingend eine rechtmäßige Vorlage erfordert, sondern bereits dann anzunehmen ist, wenn eine gewöhnliche rezeptive Werknutzung vorliegt ( So oder so ähnlich: Galetzka/Stamer, MMR 2014, 292, 296 f.; Hilgert/Hilgert, MMR 2014, 85, 86 f.; Knies, CR 2014, 140, 143; Stadler/Heidrich in: Taeger (Hrsg.),
Big Data & Co – Neue Herausforderungen für das Informationsrecht, Tagungsband Herbstakademie 2014, S. 325, 336 f).

Es erscheint nicht überzeugend, allein auf die Rechtmäßigkeit der Quelle abzustellen, nachdem die Richtlinie von einer rechtmäßigen Nutzung spricht. Damit wird nämlich erkennbar an den Nutzungsvorgang und nicht auf das Einstellen der Inhalte an der Quelle angeknüpft.

In einer anderen Entscheidung betont der EuGH in Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Infosoc-Richtlinie auch, dass eine kurzfristige Zwischenspeicherung lediglich dem Betrieb eines Satellitendecoders dient und damit dem Empfang von Sendungen. Ergänzend stellt der EuGH klar, dass der bloße Empfang von Sendungen als solcher, insbesondere auch ihre visuelle Darstellung im privaten Kreis, keine nach Unionsrecht beschränkte Handlung darstellt. Das deutet darauf hin, dass der EuGH den bloßen privaten Werkgenuss auch dann nicht für urheberrechtlich relevant hält, wenn eine Zwischenspeicherung stattfindet.

Man wird diese Erwägungen auf sämtliche Fälle des Cachings übertragen müssen, wenn man nicht erhebliche Teile der Internetnutzung als urheberrechtswidrig qualifizieren möchte.

Eine weitere Ansicht, die vom Amtsgericht Hannover vertreten wird, stellt für die Anwendung des § 44a UrhG ohne nähere Begründung darauf ab, ob kurzfristig eine nicht offensichtlich rechtswidrige Vorlage gestreamt wird. Ob sich ein solches subjektives Element tatsächlich aus der Vorschrift des § 44a UrhG bzw. der Infosoc-Richtlinie ableiten lässt, erscheint fraglich. Das AG Hannover vermengt letztlich die Schrankenbestimmung des § 53 Abs. 1 UrhG – dort ist diese Voraussetzung ausdrücklich normiert – mit den Voraussetzungen von § 44 a UrhG.

Die Schrankenbestimmung des § 53 UrhG (Privatkopie)

Sofern man das Streaming aus Nutzersicht also als urheberrechtlich relevante Vervielfältigung betrachtet, verbleibt lediglich der Rückgriff auf § 53 UrhG, der eine Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch ermöglicht. Voraussetzung der Berufung auf diese Schrankenregelung ist allerdings, dass zur Vervielfältigung keine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.

Und an dieser Stelle wird es bei Angeboten wie kintx.to schwierig. Während man bei Portalen wie redtube.com sicherlich die Auffassung vertreten kann, dass der Nutzer keine offensichtlich rechtswidrige Vorlage streamt, dürfte dies bei aktuellen Kinofilmen anders zu bewerten sein.

Nach Ansicht des AG Hannover liegt eine offensichtlich rechtswidrige Vorlage dann vor, wenn aktuelle Kinofilme oder Fernsehserien bereits vor oder kurz nach dem offiziellen Kinostart bzw. vor der Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen kostenlos angeboten werden. Andernfalls dürfe der durchschnittliche Internetznutzer davon ausgehen können, dass die Betreiber eines Streaming-Portals die erforderlichen Rechte an den Filmen erworben haben.

Zusammenfassung

Die urheberrechtliche Zulässigkeit des Streamings urheberrechtswidrig ins Netz gestellter Werke ist aus Sicht des Nutzers an den Schrankenvorschriften der §§ 44a oder 53 Abs. 1 UrhG zu messen. Nach der hier vertretenen Auffassung, ist die rezeptive Nutzung von Streaming-Angeboten als ein Fall des bloßen Werkgenusses regelmäßig als rechtmäßige vorübergehende Vervielfältigung nach § 44a Nr. 2 UrhG zu betrachten. Damit ist auch das Streaming aus urheberrechtswidriger Quelle aus Nutzersicht nicht rechtswidrig.

Wenn man dies anders sieht und mit Teilen der juristischen Literatur die Schrankenbestimmung zur Privatkopie (§ 53 UrhG) für maßgeblich hält, liegt bei der Nutzung von Portalen wie kinx.to in vielen Fällen eine Urheberrechtsverletzung vor. Damit diese Urheberrechtsverletzung gleichzeitig eine Straftat darstellt, muss noch Vorsatz hinzu kommen. Wobei beim Streaming von aktuellen Kinofilmen jedem Nutzer klar sein muss, dass der Anbieter solche Inhalte nicht legal ins Netz gestellt hat, weshalb der Schritt zur Bejahung einer vorsätzlichen Rechtsverletzung nicht mehr weit ist.

Nachdem die Rechtslage derzeit nicht geklärt ist, besteht auch für Nutzer von Portalen wie kinox.to durchaus das Risiko einer Strafverfolgung. Ob die Staatsanwaltschaften Handlungen einzelner Nutzer überhaupt ermitteln und insoweit ebenfalls Strafverfahren einleiten, ist bislang allerdings unklar.

posted by Stadler at 09:58  

24.10.14

Wenn der Staat zu Straftaten anstiftet

Der verdeckte polizeiliche Ermittler, der einen nicht Tatverdächtigen zu einer Straftat verleitet, war in rechtsstaatlicher Hinsicht seit jeher umstritten. Während der BGH früher dazu tendierte in solchen Fällen einen Strafausschließungsgrund zu bejahen, geht die neuere deutsche Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass ein solcher Täter verurteilt werden kann und die Verleitung zur Tat durch einen Polizeibeamten lediglich im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen ist.

Zu Unrecht, wie der Europäische Gerichsthof für Menschenrechte (EGMR) gestern entschieden hat (Az.: 54648/09).

Die strafgerichtliche Verurteilung eines zunächst Unverdächtigen, der erst durch einen Poliziebeamten zu einer Straftat angestiftet worden ist, verstößt nach der Entscheidung des EGMR gegen Art. 6 Abs. 1 der MRK (Recht auf ein faires Verfahren). Der EGMR betont, dass Art. 6 Abs. 1 es verbietet, Beweismittel zu verwerten, die auf einer polizeilichen Anstiftung zu Straftaten beruhen.

Dem Betroffenen nutzt die Entschädigung die der EGMR jetzt zugesprochen hat freilich wenig, denn er hat seine Strafe abgesessen. Die deutschen Gerichte werden ihre Rechtsprechung jetzt allerdings überdenken und ändern müssen. Der Kollege Udo Vetter hat zum Thema ebenfalls gebloggt.

posted by Stadler at 14:28  

25.9.14

Darf ein Verteidiger eine ihm elektronisch zur Verfügung gestellte Aktre vollständig kostenpflichtig ausdrucken?

Ein Pflichtverteidiger hatte für den Ausdruck einer ihm elektronisch zur Verfügung gestellte Strafakte eine Dokumentenpauschale von mehr als 67.000 EUR für den Ausdruck von ca. 380.000 Seiten gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Das OLG Düsseldorf hat dem Verteidiger hiervon aber nur ca. 14.000 EUR zugebilligt und die Auffassung vertreten, dass ein Verteidiger nicht zum wahllosen Ausdruck aller überreichten Datenträger berechtigt sei. Er müsse sich vielmehr auf diejenigen digitalisierten Aktenteile beschränken, die das Verfahren betreffen und auch der Kammer in Papierform vorliegen, wobei ein Ausdruck erkennbar doppelt eingestellter Inhalte im Interesse einer kostensparenden Mandatsausübung zu vermeiden ist. Angesichts der außergewöhnlichen Höhe angemeldeter Auslagen seien, so das OLG, an die Darlegung und Glaubhaftmachung entsprechend hohe Anforderungen zu stellen.

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf besteht kein grundsätzlicher Anspruch eines Verteidigers auf Ausdruck einer kompletten e-Akte zum Zwecke einer sachgerechten Verteidigung, wenn ihm die kompletten Akten dauerhaft in digitalisierter Form als Arbeitsgrundlage zur Verfügung stehen.

Quelle: PM des OLG Düsseldorf vom 23.09.2014

posted by Stadler at 11:13  

17.9.14

Neue Regelungen zur Strafbarkeit von Persönlichkeitsrechtsverletzungen

Vor ein paar Monaten habe ich über den Referentenentwurf des BJM berichtet, der u.a. zum Ziel hatte, die Herstellung, Übertragung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von bloßstellenden Bildaufnahmen oder von Bildaufnahmen einer unbekleideten Person unter Strafe zu stellen.

Hierzu liegt jetzt ein offizieller Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor, der die geplante Änderung des § 201a StGB nochmals geringfügig anders formuliert als der Referentenentwurf. Die aktuell geplante Fassung von § 201a Abs. 1 S. 2 StGB lautet folgendermaßen:

Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, oder unbefugt eine Bildaufnahme von einer unbekleideten anderen Person herstellt oder überträgt.

Im Referentenentwurf war von bloßstellenden Bildaufnahmen die Rede, was zu erheblicher Kritik geführt hatte. Dies hat man nun dahingehend eingeschränkt, dass die Bildaufnahme geeignet sein muss, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. In der Gesetzesbegründung ist freilich weiterhin von einer bloßstellenden Bildaufnahme die Rede, was die Frage aufwirft, ob der Gesetzgeber „bloßstellend“ und „geeignet erheblich zu schaden“ synonym verwendet. Wörtlich heißt es im Entwurf der Bundesregierung zur Begründung:

Unter bloßstellenden Bildaufnahmen versteht man solche, die die abgebildete Person in peinlichen oder entwürdigenden Situationen oder in einem solchen Zustand zeigen, und bei denen angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten zugänglich gemacht werden.

Die Frage, wann insbesondere bei einer Person der Zeitgeschichte (public figure) eine peinliche oder entwürdigende Situation vorliegt, bleibt offen, zumal eine peinliche Situation ja nicht unbedingt ein Berichterstattungsinteresse ausschließt.

Die grundsätzliche Kritik zum unklaren Verhältnis insbesondere zu den vorhandenen Vorschriften des KUG, die ich hier ausführlich erläutert habe, wurde in dem neuen Entwurf nicht berücksichtigt.

posted by Stadler at 11:51  
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