BVerfG: Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ kann ehrverletzend sein
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Bezeichnung „durchgeknallter Staatsanwalt“ als zulässige Meinungsäußerung bewertet hatte, hat sich landläufig die Ansicht durchgesetzt, es sei nicht ehrverletzend, jemand „durchgeknallt“ zu nennen. Dass diese Schlussfolgerung in dieser Allgemeinheit nicht zwingend ist, sondern immer alle Umstände des Einzelfalles bewertet werden müssen, belegt eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der einer Verfassungsbeschwerde der Ex-Politikerin Gabriele Pauli teilweise stattgegeben wurde (Beschluss vom 11.12.2013, Az.: 1 BvR 194/13).
Entscheidend für das BVerfG war insoweit allerdings, dass die Bezeichnung von Gabriele Pauli als „durchgeknallte Frau“ als Zusammenfassung einer vorangegangenen, in den Intimbereich übergreifenden Verächtlichmachung zu sehen war. Hätte man Pauli im Zusammenhang mit ihrem öffentlichen, politischen Wirken als durchgeknallt bezeichnet, wäre die Entscheidung des BVerfG vermutlich anders aufgefallen. Gerade gegenüber Aussagen, die den Intim- oder Sexualbereich einer Person betreffen bzw. diesen ansprechen, ist das BVerfG allerdings äußerst kritisch, was auch damit zusammenhängt, dass das Gericht die Intimssphäre eines Menschen, anders als seine Sozialsphäre, als absolut geschützt betrachtet.
Das BVerfG führt in seiner Entscheidung wörtlich aus:
Wenn die Beschwerdeführerin von der Beklagten die Unterlassung der Äußerung „Frau Dr. P. ist eine durchgeknallte Frau“ beantragt, so wendet sie sich gegen diese Äußerung als Zusammenfassung des vorangegangenen Absatzes, in dem es heißt: „Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft.“ Durch das Wort „durchgeknallt“ wird dieser Absatz zusammengefasst. Das Wort „durchgeknallt“ hat hier somit eine grundlegend andere Bedeutung als in dem von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016). Eine schlichte Übertragung der verfassungsrechtlichen Beurteilung jenes Falls auf den vorliegenden Fall durch den formalen Verweis auf die in beiden Fällen gefallene Bezeichnung einer Person als „durchgeknallt“ scheidet so von vorneherein aus.
Das Oberlandesgericht übersieht die persönliche Ehre als in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Schranke, die auf zivilrechtlichem Gebiet durch die §§ 823 ff. BGB gesetzlich normiert ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <17>). Die Beklagte verschiebt mit ihrem Text die öffentliche Auseinandersetzung um die Person der Beschwerdeführerin in dem inkriminierten Absatz hin zu rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson. Sie stützt diese auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass diese Spekulationen irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der Beschwerdeführerin an, die für ein Gesellschaftsmagazin posierte und eine Serie von Fotos von sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung hiermit auch gefallen lassen muss. Die von der Beklagten hieraus gezogenen Folgerungen, die sie mit den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei Anknüpfungspunkt in dem Verhalten der Beschwerdeführerin. Die Beklagte zielt hier vielmehr bewusst darauf, die Beschwerdeführerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden Achtungsanspruch gerade schon als private Person abzusprechen.
Angesichts dessen kann sich die Meinungsfreiheit nicht durchsetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer emotionalen Auseinandersetzung ist, wie es in dem von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ der Fall war (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016), in dem es außerdem um eine strafrechtliche Verurteilung und nicht – wie hier – um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch ging. Auch bleibt es der Beklagten unbenommen, sich – auch zugespitzt und polemisch – zu dem Verhalten der Beschwerdeführerin zu äußern. Die in den Intimbereich übergreifende Verächtlichmachung der Beschwerdeführerin durch die Beschreibung als „frustrierteste Frau“, die nicht mehr wisse „was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft“ und ihre Bezeichnung als in diesem Sinne „durchgeknallt“ ist demgegenüber mit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin nicht mehr vereinbar.
Die Persönlichkeitsrechtsverletzung entstammte übrigens der Feder des zweifelhaften Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner, was das BILDblog kommentiert.
Update:
Lese gerade noch den Blogbeitrag des Kollegen Vetter, dem ich ausnahmsweise nicht zustimmen kann. Die Begründung des BVerfG steht in der Tradition der bisherigen äußerungsrechtlichen Rechtsprechung des Gerichts und ist auch überzeugend. Es ist schlicht ein Unterschied, ob man einen Staatsanwalt wegen seiner amtlichen/beruflichen Tätigkeit als durchgeknallt kritisiert, oder, ob man einer Politikerin eine Hormonstörung attestiert und mit Vokalbeln wie Liebe, Sehnsucht und Orgasmus hantiert. Das eine betrifft die Sozialsphäre, das andere die Intimsphäre.