Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.8.13

BVerfG: Maßnahmen der öffentlichen Gewalt dürfen auch scharf kritisiert werden

Das Bundesverfassungsgericht hat die strafrechtliche Verurteilung von Mitarbeitern einer Flüchtlingsorganisation wegen Kritik an einer Ausländerbehörde wegen Verstoß gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aufgehoben (Beschluss vom 24.07.2013, Az.: 1 BvR 444/13 und 1 BvR 527/13).

Das BVerfG betont, dass die Strafgerichte bei der Beurteilung von Kritik an öffentlichen Stellen berücksichtigen müssen, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört. Dieser Aspekt ist bei der gebotenen Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht deshalb besonders hoch zu veranschlagen.

Die Flüchtlingsorganisation hatte dem Rechtsamt einer Stadt, sowie einer namentlich genannten Sachbearbeiterin, anlässlich des „Antirassismustag 2010“ einen im Internet veröffentlichten „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ verliehen und dies u.a. damit begründet, die Behörde habe einem Flüchtling wider besseres Wissen eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellt. Die im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits abgegebene Stellungnahme der Stadt habe absichtlich und bewusst Fakten ignoriert, um Gründe für eine Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorbringen zu können. Dies stelle eine unmenschliche, diskriminierende und jegliche Tatsachen ignorierende Umgangsweise mit dem Flüchtling dar.

Das Amtsgericht hat die Beschwerdeführerin deshalb wegen übler Nachrede verurteilt, das Landgericht hat die Verurteilung bestätigt.

Das BVerfG rügt zunächst, dass bereits die Annahme einer Tatsachenbehauptung fehlerhaft ist. Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nach Ansicht des BVerfG nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht.

Das BVerfG betont außerdem, dass der Begriff der Schmähkritik eng definiert ist. Insbesondere bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage kann eine Schmähung nur selten angenommen werden.

Auch diese Entscheidung ist im Ergebnis nicht wirklich überraschend, verdeutlicht aber einmal mehr, dass die Instanzgerichte die Bedeutung und Reichweite der Meinungsfreiheit immer noch häufig verkennen.

posted by Stadler at 15:03  

13 Comments

  1. Auch diese Entscheidung ist im Ergebnis nicht wirklich überraschend, verdeutlicht aber einmal mehr, dass die Instanzgerichte die Bedeutung und Reichweite der Meinungsfreiheit immer noch häufig verkennen.

    Diesen Satz finde ich so gut, so richtig und auch so allgemeingültig, daß ich einfach mal so frei bin, ihn aus dem Gesamtbeitrag herauszuzitieren.

    Danke und Gruß aus Kölle, Baxter

    Comment by Baxter — 9.08, 2013 @ 15:52

  2. @Baxter

    und es tröstet, dass wenigstens das Verfassungsgericht das Grundgesetz verstanden hat. Doof ist nur, dass dieses Verfassungsgericht viel zu häufig ran muss.

    So langsam sollte mal entschieden werden, dass Richter und Politiker für Entscheidungen wider dem Grundgesetz die Verantwortung übernehmen müssen.

    Nicht übertreiben, Fehler passieren immer. Aber ungewöhnliche Häufungen erlauben doch recht sichere Schlüsse.

    „Three Strikes and your out“ etwa bei machen Fehlentscheidungen zum Urheberrechts fänd ich vielleicht gut.

    Oder im vorliegendem Fall die Gelegenheit einen Abschiebeflug persönlich zu erleben. Einmal als Opfer und dann als Begleiter. Für Sado-Masochisten müsste man sich dann aber doch etwas Anderes überlegen.

    Vielleicht eine Woche im Asylantenheim inkl. der die Menschenwürde verletzenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

    Von einem „Ausflug auf einem zu kleinem Boot, Sturmfeature und schreiende Kinder inbegriffen von Afrika nach Italien“ ganz zu schweigen.

    Und Fotos davon auf den nächsten Wahlplakaten

    Okay, vielleicht so doch nicht wirklich. Die könnten ja vor Angst und Schrecken sterben.

    Nein, weder wegen der Gefahr noch daran, dass es so traurig und verstörend wäre. Wo denkst Du hin, das sind alles Helden wie Putin. Machen die alles noch Fische fangend mit der linken oder eben der rechten Arschbacke und mit nacktem Oberkörper.

    Nein, die sterben nur wegen der Plakate!

    Jep und nu denk mal nach – lieber „Entscheider“.

    Comment by Joachim — 9.08, 2013 @ 17:44

  3. Wider einmal entsteht hier leicht der Eindruck, dass das BVerfG grundsätzlich den Bürger vor solchen rechtswidrigen Eingriffen schützen wird. Das ist nicht der Fall. Vielmehr sind es nur Einzelfälle. Die große Mehrheit solcher schwerer Verletztungen lässt das BVerfG unangetastet. Vielmehr verschwendet es seine kostbaren Resourchen damit, dem Gesetzgeber in allen Einzelheiten zu erklären, wie er evident verfassungswidrige Gesetze so ändern kann, dass sie gerade noch, mit viel Phantasie als verfassungsmäßig durchgehen können. Das aber ist nicht die Aufgabe dieses Gerichtes.

    Comment by m — 9.08, 2013 @ 19:27

  4. @m

    Soweit ich mich erinnere, kann das BVerfG nur tätig werden, wenn ein korrekt gestellter Antrag eingeht. Die köännen nicht einfach so ‚die große Mehrheit solch schwerer Verletzungen‘ kassieren, weil sie Lust drauf haben.

    Werden Gesetze als verfassungswidrig erkannt, ist es sehr wohl die Aufgabe des Gerichtes, dem Gesetzgeber zu erklären, was da falsch ist. Wir sagen auch ‚Urteilsbegründung‘ dazu. Dass die Exekutive mit Hilfe der Mehrheitsfraktionen versuchen wird, diese Begründung so weit wie möglich auszunutzen, ist nicht das Problem des BVerfG, sondern unserem Koalitionseifer zu verdanken, mit dem die Trennung von Exekutive und Legislative faktisch aufgehoben ist.

    Comment by Dierk — 9.08, 2013 @ 20:06

  5. Natürlich wird das BVerfG nur auf Antrag tätig (so wie alle Gerichte in Deutschland).
    Rechtskundige nennen das „Beschwerde“. Diese wissen auch, dass das BVerfG eine solche ohne Begründung ablehnen kann. Übrigens werden beim BVerfG fast alle Beschwerden werden so erledigt, gerade die von „kleinen Leuten“. Ganz genauso sollte dieses Gericht auch bei den Rechtssatzbeschwerden gegen evident (soll ich das Wort erklären?) rechtswidrige Gesetze vorgehen.

    Comment by m — 10.08, 2013 @ 10:21

  6. ²RA Stadtler
    Betr. BVerfG gestern

    Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern, hieß es bei einem literarischer Klassiker.

    Von Zeit zu Zeit, genauer seit 1969, läßt auch das Bundesverfassungsgericht basisdemiokratische Banalitäten ab wie gestern diese: “dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vorstaatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist.”

    Das nennen erfahrene Justizkritiker Sprechblasendemokratie in Form von Grundrechtslyrik.

    Comment by D7 — 10.08, 2013 @ 11:42

  7. Es sind meines Erachtens zwei Straftatbestände aus dem Mittelalter aus dem Strafgesetzbuch ersatzlos zu streichen:

    1. Beleidigung

    2. Schmähkritik und Co.

    Diese Gesetze stammen aus einem Zeitalter, als man sich noch gegenseitig den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen hat und danach zum Duell überging.

    Wer der Meinung ist, dieser und jener Mensch sei dieses und jenes, der soll das klar sagen dürfen. Und er kann es in vielen Fällen auch, es kommt nur auf die findige Formulierung an.

    „Er ist ein Idiot“ ist nicht gleichzusetzen mit der Formulierung „Ich halte ihn für einen Idioten“.

    Derart windiges Geschehen kann man abstellen, indem man endlich diesem Beleidigungszirkus ein Ende bereitet. Vor allem dann, wenn selbst Richter, die verurteilen müssen, der Meinung sind, der Kläger sei ein Idiot, man dürfe es nur nicht laut sagen. Das macht man dann nach der Verhandlung bei einer Tasse Kaffee. Dann ärgern sich Richter, überhaupt urteilen zu müssen, wegen so eines IDIOTEN.

    Comment by Sven — 10.08, 2013 @ 12:00

  8. Info:

    Wenn man schreibt, daß man alle Politiker für Arschlöcher hält, Juristen durch die Bank für korruptes Schweinspack, Beamte für faule Säue, dann ist das gar nicht strafbar.

    Strafbar ist nur der PERSÖNLICHE Angriff. Das sollte man für Laien verdeutlichen, gerade auf einem Juristen-Board.

    Comment by Sven — 10.08, 2013 @ 13:09

  9. @Sven

    So ist es. Wurde nicht bereits vor 10 Jahren in einem Forschungsbericht nachgewiesen, daß es sich speziell beim „Straftatbestand“ „Beleidigung“ um ein fiktives oder „Phantomdelikt“ (Albrecht) handelt?

    Comment by D7 — 10.08, 2013 @ 16:34

  10. Meese ist auch freigesprochen worden, wie ich es vermutet habe. Hitlergruß.

    Diese gesamte Beleidigungs-volksverhetzungs-dahatjemandaua-Empörungspestilenz ist unerträglich.

    Jetzt wieder Zigeunerschnitzel.

    Wer jemals ein Lexikon gelesen hat, der weiß, was Zigeuner bedeutet: Wanderer, auch Volksgruppen, die auf Wanderschaft gehen, keinen festen Wohnsitz haben. Beleidigend? Es ist doch so!

    Wo zum Teufel hat diese Gesellschaft ein Problem? Jetzt auch noch Wortwächter? Darauf einen Negerkuss!

    Comment by Olsen — 16.08, 2013 @ 18:10

  11. Ist das ein seriöser Lösungsvorschlag oder Wahlkampf?

    „Wir müssen Whistleblowing in die anerkannten Asylgründe aufnehmen“, sagte Kipping Handelsblatt Online. „Wem Verfolgung für die Wahrheit droht, muss in Deutschland Aufnahme finden.“

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/forderung-nach-manning-urteil-whistleblowing-muss-asylgrund-werden-seite-all/8674876-all.html

    Comment by Pressekritik — 22.08, 2013 @ 14:02

  12. Manning und Snowden sind für mich Helden – sie ermöglichen mir an das gute im Menschen zu glauben.

    Was der arme Kerl Manning bereits erdulden mußte möchte man nichtmal 90 Miuten lang im Kino sehen.

    Auch in unseren Land wurden Menschen für das Verteilen von Flugblättern – nenn es FlyerLeaks – von einem grausamen Staat vernichtet.

    Mich erfüllt das eine wie das andere Leak mit Dankbarkeit und dem beschämenden Gefühl mehr tun zu müssen als einen Blog-Kommentar abzusetzen.

    @8: Wie toll die entsprechenden Länder sind und welche Verdienste sie in der Vergangenheit erworben haben steht derweil auf einem anderen Blatt.

    Comment by Marcus — 23.08, 2013 @ 00:36

  13. Sorry, Kommentar zum falschen Artikel. Wie kam das denn?

    Comment by Marcus — 23.08, 2013 @ 00:39

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