Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.11.15

Geheimdienste und Massenüberwachung sind nicht Teil der Problemlösung

Geheimdienste und Überwachungsfantasien haben aktuell wieder einmal Hochkonjunktur. In Europa werden nach den Anschlägen von Paris Forderungen nach mehr Massenüberwachung laut und auch nach Schaffung eines europäischen Geheimdienstes, während US-Dienste die Gelegenheit nutzen, um zu beklagen, dass ihre Arbeit durch die Snowden-Enthüllungen beeinträchtigt worden sei und Snowden deshalb für die Anschläge irgendwie mitverantwortlich sei.

In einer Zeit, in der die öffentliche und politische Diskussion angst- und hysteriegetrieben ist, ist es umso mehr notwendig zu hinterfragen, ob die Geheimdienste in der Vergangenheit nennenswerte Beiträge zur Verhinderung von Terroranschlägen geleistet haben. Wer sich mit dieser Frage ernsthaft befasst, wird erkennen, dass dies nicht der Fall ist.

Dem praktisch nicht verifizierbaren Nutzen der Tätigkeit von Geheimdiensten, steht ein zumindest in Teilen konkret bestimmbarer Schaden der weltweiten Geheimdienstaktivitäten gegenüber. Warum die Geheimdienste diese Welt nicht sicherer, sondern unsicherer machen, habe ich im Jahr 2013 in den drei Blogbeitragen „Vom Nutzen der Geheimdienste für unsere Sicherheit“, „Empört Euch!“ und „Machen Geheimdienste die Welt sicherer?“ ausführlich dargelegt. Es erscheint mir aktuell notwendig, nochmals auf diese Beiträge hinzuweisen. Leider wird die Frage nach dem Nutzen der Geheimdienste für die Menschen wenig gestellt. Welches Leid und Unrecht Geheimdienste verursacht haben, ist selten Gegenstand der Berichterstattung. Instruktiv zu dieser Frage ist beispielsweise eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist.

Geheimdienste werden sich selbst immer als notwendig und unverzichtbar darstellen. Es ist die Aufgabe der Medien und der Politik, diese Haltung kritisch zu hinterfragen und zwar gerade in Zeiten, in denen das Geschäft mit der Angst wieder einmal floriert.

posted by Stadler at 14:43  

23 Comments

  1. Wie wahr, wie wahr. Ich befürchte nur, dass „die Medien“ in einem gleichermaßen hysteriegetriebenen schlagzeilen- und quotengeilen Modus unterwegs sind. Alles, was zählt, ist Alarmismus, nicht rationale Betrachtung.

    Comment by Harald Milz — 23.11, 2015 @ 14:53

  2. (von der Politik ganz zu schweigen. Da kommt ja dann noch die Notwendigkeit zur Simulation der eigenen Handlungsfähigkeit dazu.)

    Comment by Harald Milz — 23.11, 2015 @ 14:54

  3. „Die NSA hat mit der Massenüberwachung einen Taxifahrer in San Diego erwischt, der 7.500 US-Dollar an eine somalische Gruppe geschickt hatte“, sagte Bamford gegenüber heise online, „Das ist alles, was wir für die Milliardeninvestitionen in Massenüberwachung bekommen haben.“
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/Duncan-Campbell-Verbot-von-Verschluesselung-ist-kindischer-Mist-3010493.html

    Comment by Markus Kompa — 23.11, 2015 @ 14:58

  4. nehmen wir mal an, geheimdienste hätten grundsätzlich einen sinn, insbesondere auch in zusammenhang mit terrorabwehr. ganz ausschliessen kann man das ja nicht. warum es aber immer noch weitere, nun noch einen „europäischen“ geben soll, lässt sich daraus beim besten willen nicht ableiten. ebensowenig wie eine massenüberwachung der gesamten bevölkerung.

    es ist zu befürchten, dass es aber gar nicht um argumente geht, sondern um kontrolle dessen, was jedem von uns in der letzten dekade enorme zusätzliche freiheiten beschehrt hat: unselektierte information

    Comment by golda — 23.11, 2015 @ 16:25

  5. Ich würde sogar soweit gehen uns sagen, daß die Geheimdienste sogar ihren Regierungen nicht mehr folgen, sondern eine eigenständige Macht im Lande geworden sind. Die Frage wäre dann, wem gehorchen die Geheimdienste?

    Comment by Argonautiker — 23.11, 2015 @ 16:48

  6. Niemand kann in die Zukunft sehen, auch Geheimdienste nicht. Deswegen ist das laufende Argumentieren mit bisher kaum erwiesenen Vorhersageerfolgen nicht hilfreich. Man kann lediglich Wahrscheinlichkeiten schätzen und das geht seriös nur, wenn Informationen vorliegen. Es kann nach meiner Meinung also lediglich um die Verhältnismäßigkeit bei der Informationsbeschaffung gehen und nicht um das Ob. Ohne Geheimdienst wäre eine Demokratie nach außen praktisch blind und so lange wie nach dem ersten Busch hinter der jeweiligen Landesgrenze die Welt nicht endet, wäre diese Blindheit mittelfristig ungünstig. Der Mensch wird sich nunmal nicht ändern. Und wenn wir uns einig sind, dass es sich bei unserer Gesellschaftsform um eine in vielen Punkten schützenswerte handelte, dann sollte man sie auch schützen und zwar professionell von staatlicher, gesellschaftlich legitimierter Seite. Ich sehe keine Alternative zum Ob.

    Comment by Gast — 23.11, 2015 @ 18:11

  7. Grosse Teile der Informationsbeschaffung, Auswertung und Darstellung sind problemlos mit nicht-geheimen Mitteln moeglich und werden auch zZt so gemacht. Die Geheimen Dienste versagen auch dabei gerne mal oder agieren vorsaetzlich kontraproduktiv.

    Stellt sich die Frage, ob das spezifisch geheime den Aufwand, das Risiko und das Versagen wert ist. Und das ist eine absolut valide Frage.

    Comment by h s — 23.11, 2015 @ 18:45

  8. @hs Richtig. Aber wer sollte das systematisch tun? Die Empörungsmeute? Die sie fütternden Medien? Polizei und Bundeswehr scheiden auch aus, bleibt also niemand. Niemand interessiert sich für die oftmals frei zugänglichen und uninteressanten Kleinigkeiten. Bis zu dem Punkt, wo sie in Summe mal wieder Empörungspotential erreichen. Es führt also kein Weg daran vorbei. Man sollte sich wirklich mehr auf bessere und ebenso organisierte Überwachung und Regulierung der Dienste konzentrieren. Leider ist das noch unspektakulärer – erst recht wenn es funktioniert – und bis auf wenige Empörungsmomente ist keiner bereit einen Politiker der das möchte zu wählen. Die Forderung nach Abschaffung verschenkt nur Energie. Bei den ganz aktuellen Ereignissen wirkt sie vermutlich sogar eher kontraproduktiv.

    Comment by Gast — 23.11, 2015 @ 19:20

  9. Typisch ist, dass nach etwa 20 Jahren Krieg gegen den Terror und Billionenkosten nun in unmittelbarer Nachbarschaft der NATO in Brüssel lauter Terrorzellen identifiziert werden, die vorher keiner bemerkt hat. Typisch ist auch, dass das Endergebnis der Tätigkeit der Stasi die komplette Vernichtung der DDR war, sowie dass die Gestapo das erstaunliche Ergebnis hervorgebracht hat, das Dritte Reich völlig auszulöschen. Dies soll natürlich nicht heißen, dass die über ihre Vorläufer weit hinausgehende heutige Geheimdienst – Bürokratie den Steinzeitkommunismus herbei führt.

    Natürlich deutet darauf überhaupt nichts hin.

    Comment by Arne Rathjen RA — 23.11, 2015 @ 19:41

  10. @Arne Rathjen RA

    „Steinzeitkommunismus“ selbst das – mit Lenin hätten sie auch das schon fast geschafft.

    Comment by Gast — 23.11, 2015 @ 21:15

  11. @Gast: Wer? Ganz einfach: die nicht-geheime Stelle, die man mit durch Aufloesung der Geheimen Dienste freigewordenen Mitteln aufstellt. Trivial.

    Comment by h s — 23.11, 2015 @ 21:15

  12. Nicht-geheime Stellen werden aber einige – besonders die schädlichen – Informationen nicht erlangen können. Meist transparent und nur gelegentlich geheim geht nicht. Egal, ist doch nur meine Meinung.

    Deswegen vielleicht auch nochmal zu Arne Rathjen: Ich denke alles was du schreibst, ist der Radikalisierung der Meinungen und Menschen geschuldet und es stellte sich die Henne-Ei-Frage.

    Comment by Gast — 23.11, 2015 @ 21:30

  13. Es fehlt irgendein Anhaltspunkt fuer die positive Wirkung solcher geheimer Informationen. Es gibt haufenweise Anhaltspunkte fuer negative Wirkung der Geheimen Dienste. Da unterscheidden sich die Geheimen massiv on der Polizei.

    Das ist nicht neu. Schon von Helmut Schmidt gibt es das bonmot, er lese die NZZ statt Berichte des BND…

    Comment by h s — 23.11, 2015 @ 21:35

  14. Erkläre nichts mit Boshaftigkeit, wenn auch Dummheit eine Lösung ist.

    Wir beobachten das gleiche Phänomen wie in der Industrie bei irgendwelchen Umstrukturierungen in Industriebetrieben: das Management erlässt einsame Beschlüsse, und die komplette Belegschaft brüllt pflichtschuldigst Hurra.

    Bei Strafe des Rausschmisses mutieren Kompetenzträger zu Parteisoldaten. Künstlich produzierte Massendummheit. Es fällt schwer, bei dem Anblick Contenance zu bewahren.

    Comment by Wolf-Dieter — 23.11, 2015 @ 22:18

  15. Nachtrag – die Nebeneffekte der Generalüberwachung werden gerne mitgenommen.

    Comment by Wolf-Dieter — 23.11, 2015 @ 22:25

  16. Offen mit der Dummheit der anderen zu Argumentieren ist zur Durchsetzung eigener Interessen nicht sonderlich hilfreich. Das, was du als Dummheit bezeichnest, ist vielleicht das Abwägen der Optionen im eigenen Interesse, also schlimmstenfalls Opportunismus oder Egoismus.

    Comment by Gast — 23.11, 2015 @ 22:37

  17. @Gast – meine Erklärung ist in der Tat nicht hilfreich, sondern nur zutreffend. Ich habe keine Lösung anzubieten.

    Comment by Wolf-Dieter — 23.11, 2015 @ 22:46

  18. Es wird noch etwas nicht beachtet: dass es etwas anderes gibt als James Bond und NSA-Überwachung, also wie „human intelligence“ in der Praxis aussieht. Und da kann man auch nicht „unterlegen“ sein, vorausgesetzt, Dienste dürfen analysieren und (auch verdeckt) herausfinden, was andere Dienste gegen den eigenen Staat unternehmen. Zwar ist dies auch nichts, worüber man sich im Detail auslassen wird, aber die Bevölkerung (die kritische, wache) kann sich mit dem vertraut machen, was darüber an allgemeinen Infos vorhanden ist. Z.B, was denn nun wirklich eine „false flag“ ist – da haben manche kritische Blogger und Internet-Journalisten sich die Mühe gemacht, Paris kritisch zu prüfen hinsichtlich bekannter Fakten (und kommen zum Schluss, es ist keine „false flag“). Ich gehe hier darauf ein: https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/19/geheimdienste-realistisch-betrachtet/

    Was „signals intelligence“ betrifft, so trägt diese ja nur zur „human intelligence“ bei; in der Debatte über noch mehr Überwachung wird aber so getan, als gäbe es eh nur „signals intelligence“; in Wahrheit müssen Dienste aber in der Lage sein, „Signale“ richtig zu beurteilen. Und das ist dann doch „human intelligence“, nicht nur, blosses Gerede von Handeln zu unterscheiden, sondern auch zu erkennen, wo wer verdeckt agiert, also etwas im Schilde führt.

    Comment by Alexandra Bader — 24.11, 2015 @ 16:12

  19. Es gibt noch einen Gesichtspunkt: durch die massive Vernetzung existiert keine Grenzziehung mehr zwischen Geheimdiensten, Militär und Polizei. Das macht die Arbeit für Anwälte sicher nicht leichter. Der aktuelle Bürokratiesaurier ist eher eine Mischung aus den Ergebnissen von Murphy ‚ s Law und dem Parkinsonschen Gesetz. Danach wächst eine Bürokratie von selbst, weil sie eine Bürokratie ist. Ob das irgend jemandem nützt ist aber völlig unerheblich. Laut Murphy ‚ s Law geht alles schief, was schief gehen kann.

    Wenn sich also regelmäßig Totalausfälle ereignen, dann werden Kommissionen einberufen, die erklären sollen, warum. Danach ändert sich meistens nichts. Die gerügten Missbräuche gehen weiter und werden vervielfacht. Völlig aufgeblähte bürokratische Apparate werden dann noch weiter aufgebläht und mit noch mehr Geld vollgepumpt, damit sie noch mehr Chaos produzieren können.

    Die heutige Überwachungsdichte ist zudem kaum steigerungsfähig. Es gibt kaum noch etwas, was nicht erfasst wird. Die seltene Ausnahme, dass etwas nicht überwacht wird, ist kaum erwähnenswert. Damit ist aus der gesetzlich vorgesehenen Ausnahme des Eingriffs in Grundrechte die Regel geworden. Der Eingriff ist die Regel, der staatsfreie Raum die Ausnahme.
    Die Kombination aus Stasi und Hightech hat eine staatliche Ordnung völlig neuer Qualität produziert.
    Ein Rechner von der Größe eines Schranks erledigt die Arbeit, die früher von Millionen von Auswertern erledigt wurde.

    Vor diesem Hintergrund war der
    Steinzeitkommunismus des Pol Pot in den siebziger Jahren nur eine kleine Randepisode.

    Comment by Arne Rathjen RA — 24.11, 2015 @ 17:31

  20. Bei unserem letzten Besuch im Stasi-Museum hatten wir eine Art Déja-vu. Bisherige Diktaturen waren davon gekennzeichnet, dass es immer noch einige geschafft haben, trotz widriger Umstände, den Machthabern und deren Terror zu entkommen. Mittlerweile werden wir überall zwangsweise vernetzt bzw. vernetzen uns freiwillig, weil es uns ein „bequemeres Leben“ ermöglicht. Sozial-, Bank- und Finanzdaten, die elektronische Gesundheitskarte, die vollkommene Überwachung im öffentlichen Raum. Jeder weiß, dass uns auch die Vorratsdatenspeicherung nicht vor dem Tod beschützen kann. Zu erwähnen ist der biometrische Pass, das automatisierte Bewerberverfahren bei der Arbeitsplatzsuche, Hartz-IV nur unter willfährigem Verhalten, die neue Meldebescheinigung bis hin zur Idee, das Bargeld abzuschaffen. Künstliche Intelligenz, Mensch-Maschine. Irgendwann auch ohne Mensch. Das Buch: S. Aust, T. Ammann: Die digitale Diktatur. Der Film von Laura Poitras und Ed Snowden. Sicherheit statt Freiheit? Eine Vielzahl von Ereignissen, die auch in den Medien immer losgelöst voneinander betrachtet werden. Uns scheint die eigenständige Nutzung unseres Gehirns bereits vielfach völlig abhanden gekommen zu sein. Sonst hätten wir längst festgestellt, dass es diesmal kein Entrinnen mehr geben wird. Wer die eGK nicht einsetzen will, ist schon jetzt Selbstzahler oder findet keinen behandelnden Arzt mehr. Bautzen war gestern, heute gibt es die perfekte Existenzvernichtung durch Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe. Wer offline ist, wird zum Paria.

    Comment by initiative 146 — 25.11, 2015 @ 19:46

  21. Die Geheimdienste bezahlen V-Leute, die dann das Geld nehmen um z.B. jemandes Leben zu nehmen (siehe NSU). Also ich würde sagen das Geheimdienste für den Terror verantwortlich sind, nicht nur finanziell.

    Comment by AnarchoHumorist — 27.11, 2015 @ 20:11

  22. Brandaktuell:
    EU Kommissar Oettinger:
    http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-11/guenther-oettinger-geheimdienste-ueberwachung-internet-terrorismus
    Ich zitiere:
    „Und gerade wir in Deutschland sollten endlich unser Grundmisstrauen gegenüber Geheimdiensten ablegen“, fordert der CDU-Politiker. „Wir brauchen eine bessere Überwachung und eine akribische Analyse der digitalen Kommunikation islamistischer Terroristen“, sagte Oettinger.

    Comment by BrainBug2 — 28.11, 2015 @ 11:11

  23. Ich empfinde eine große Sehnsucht nach meinem Win95, dass ich mir in den nächsten Tagen wieder auf alle meine Rechner installieren werde.

    Ich möchte zurück zu den Wurzeln, den guten, alten Zeiten. Da sich die jüngsten Schädlinge immer auf das aktuelle BS beziehen, kann man mit Win95 astrein und unfallfrei surfen.

    Man sollte nicht nur abschalten, sondern auch umschalten können. Einfach mal die Gänge auf 95 legen. Mit Ruhe und Gemütlichkeit, die wir damals noch hatten.

    Euch einen guten Abend.

    Comment by Lobbyist — 30.11, 2015 @ 15:07

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