Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

27.5.14

Google: Schlichtungsstelle soll EuGH-Urteil umsetzen

Die Süddeutsche berichtet unter Berufung auf das Handelsblatt darüber, dass die Bundesregierung mit Google über die Einrichtung einer Schlichtungsstelle verhandelt, die das Urteil des EuGH umsetzen soll, nach dem Google unter gewissen Voraussetzungen zur Löschung datenschutzwidriger Suchtreffer verpflichtet werden kann.

Google kann sich im Rahmen einer Maßnahme der freiwilligen Selbstkontrolle natürlich dazu verpflichten, an der Einrichtung einer Schlichtungsstelle mitzuwirken und den Schiedsspruch der Stelle zu befolgen, sollte dort auf eine Löschpflicht erkannt werden. Andererseits kann der Betroffene aber nicht darauf verwiesen werden, diese Schlichtungsstelle auch anzurufen. Es steht ihm grundsätzlich frei, sich direkt an Google zu wenden und dort seine Ansprüche durchzusetzen. An die Entscheidung der Gütestelle wäre der Betroffene außerdem nicht gebunden. Der Rechtsweg kann nicht versperrt werden. Es bleibt also abzuwarten, wie dieses Modell konkret ausgestaltet werden soll.

Staatssekretär Ole Schröder hatte dem Handelsblatt gesagt, es müsse verhindert werden, dass Suchmaschinen beim Löschen von Meinungen und Informationen willkürlich vorgehen. Es scheint also nach der fragwürdigen Entscheidung des EuGH durchaus die Befürchtung zu bestehen, dass Anbieter wie Google den Weg des geringsten Widerstandes wählen und im Zweifel löschen werden. Das könnte dann allerdings dazu führen, dass u.U. sogar massenhaft legale Informationen aus dem Suchindex getilgt werden und damit für eine breite Öffentlichkeit nicht mehr oder nur noch sehr schwer auffindbar sind.

Wie diese Schlichtungsstelle personell besetzt wird, wie hoch ihre Akzeptanz sein wird und wieviele Löschaufforderungen von ihr tatsächlich zu prüfen sind, muss vorab eingeschätzt werden. Vor allen Dingen stellt sich aber die Frage, nach welchen Kriterien eine solche Schlichtungsstelle prüfen soll. Denn die Vorgaben des EuGH sind eher vage und auch nicht unbedingt deckungsgleich mit der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR zum Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit.

posted by Stadler at 10:25  

18.4.14

Die Meinungsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung

Ein hessischer Aktivist hatte sich im Kommunalwahlkampf gegen einen Stadtrat (F.G.) einer hessischen Kleinstadt, der dort auch für das Bürgermeisteramt kandidierte, mit der Aussage positioniert:

Wählen Sie keinen Scharfmacher
(…)
Amöneburg ist Sitz mehrerer Neonazi-Organisationen. Besonders gefährlich sind die Berger-88-e.V., die F.G. deckt.

Vorausgegangen war ein Leserbrief, in dem der Politiker die besagte Organisation als nicht rechtsradikal bezeichnet und dem Aktivisten falsche Anschuldigungen unterstellt hat.

Wegen obiger Aussage wurde der Aktivist vom Amtsgericht Kirchhain, bestätigt durch das Landgericht Marburg, zivilrechtlich zur Unterlassung verurteilt. Die Verfassungsbeschwerde des Aktivisten wurde – was leider auch bei durchaus begründeten Verfassungsbeschwerden mittlerweile der Regelfall ist – vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, „without giving reasons„, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Richtung Karlsruhe anmerkt.

Der EGMR hat die Bundesrepublik Deutschland deswegen jetzt, wegen einer Verletzung von Art. 10 der MRK (Freiheit der Meinungsäußerung) verurteilt (Urteil vom 17.04.2014, Az.: 5709/09).

Der Gerichtshof betont zunächst, dass es sich um eine öffentliche Debatte handelt und, dass der Kritisierte ein Lokalpolitiker ist, der sich um ein öffentliches Amt beworben hat. In dieser Konstellation, so der EGMR, sind die Grenzen akzeptabler Kritik weiter zu ziehen, als in anderen Fällen. Ein Politiker muss grundsätzlich schärfere Kritik erdulden, als eine Privatperson, zumal wenn er sich selbst öffentlich äußert und damit Anlass für Kritik bietet.

Der EGMR geht schließlich davon aus, dass es sich bei den Aussagen des Aktivisten, entgegen der Ansicht der deutschen Gerichte, im Kern nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Wertungen gehandelt hat.

Der EGMR kritisiert außerdem, dass die deutschen Gerichte von dem Aktivisten den Nachweis der Richtigkeit seiner Aussagen verlangt hatten. Dies erachtet der Gerichtshof als unangemessen hohe Hürde. Im konkreten Fall gab es durchaus Anhaltspunkte dafür, dass die kritisierte Organisation dem rechten Spektrum zuzuordnen war.

Zum selben Thema auch Maximilian Steinbeis im Verfassungsblog.

posted by Stadler at 10:00  

17.1.14

Berichterstattung über das Intimleben eines Regierungschefs

Auch wenn es die Überschrift nahelegt, befasst sich dieser Beitrag nicht mit dem französischen Staatspräsidenten Hollande, sondern mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das den früheren finnischen Premierminister betrifft. Dieser hatte eine mehrmonatige Beziehung mit einer alleinerziehenden Mutter, was von dieser Frau dann in Buchform verarbeitet wurde, wobei auch intime Details geschildert worden sind.

Hierfür wurden die Frau und der Verleger des Buches in Finnland von einem Strafgericht zu Geldstrafen verurteilt. Diese Verurteilungen hat der EGMR im Ergebnis nicht beanstandet und nicht als Verletzung von Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) bewertet.

Der EGMR macht in seiner Urteilsbegründung (Urteil vom 14.01.2014, Az.: 73579/10) allerdings deutlich, dass sich Teile des Buches in zulässiger Weise mit einer „public figure“ befassen und einen Beitrag zu einer Debatte leisten, die von allgemeinem Interesse ist. Letztlich hat der EGMR allerdings die Ansicht des finnischen High Courts geteilt, dass diejenigen Passagen des Buches, die sich mit dem Sexualleben des Premierministers bzw. intimen Vorgängen befassen, einen nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckten Eingriff in die Privats- bzw. Intimsspähre darstellen.

Diese Abwägung entspricht im Grundsatz auch dem, was das BVerfG zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht vertritt. Gerade die Intimsphäre genießt nach deutschem Verfassungsrecht grundsätzlichen absoluten Schutz.

Der Kollege Lehofer zieht aus der Entscheidung des EGMR den Schluss, dass zwar „kiss and tell“ Journalismus zulässig sein kann, aber nicht „f**k and tell“.

So kann man das sehen und zusammenfassen. ;-) Wobei bereits die Küsse evtl. dem Intimbereich zuzuordnen sind.

posted by Stadler at 11:08  

11.10.13

EGMR: Haftung eines Newsportals für Nutzerkommentare

In Estland wurde der Betreiber eines Newsportals zu Schadensersatz wegen der Veröffentlichung rechtswidriger Nutzerkommentare verurteilt, obwohl er die Kommentare zügig entfernt hatte, nachdem er auf die rechtswidrigen Inhalte der anonymen Kommentare hingewiesen wurde.

Haftung des Portalbetreibers für Nutzerkommentare verstößt nicht gegen Art. 10 MRK

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  hat diese Verurteilung durch estländische Gerichte gebilligt und hierin keinen Verstoß gegen Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) gesehen (Urteil vom 10.10.2013, Az.: 64569/09). Zur Begründung führt der EGMR u.a. aus, dass die Rechtsverletzung schwerwiegend gewesen sei, dass die Inanspruchahme der Autoren wegen der Anonymität der Postings erschwert war und die Gerichte nur einen sehr geringen Schadensersatz zugesprochen haben, der ein kommerzielles Portal nicht stark beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund sieht der Gerichtshof keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Portals auf Meinungsfreiheit. Bedenklich an der Entscheidung erscheint mir allerdings der Hinweis des Gerichts, dass das Portal nicht genug getan hätte, um rechtswidrige Kommentare zu verhindern. Das führt nämlich zu der Frage, ob man als Newsportal tatsächlich gehalten ist, Kommentare vorab nicht nur automatisiert zu filtern, sondern vielleicht sogar redaktionell zu prüfen. Die hierdurch ausgelösten Chilling-Effects beleuchtet der EGMR nicht ausreichend.

Verstößt die Haftung des Portalbetreibers gegen EU-Recht?

Mit der Frage, ob die Entscheidung der estländischen Gerichte gegen EU-Recht verstößt, hat sich der EGMR nicht zu befassen. Sein Prüfungsmaßstab ist nur die Menschenrechtskonvention. Die EU-rechtliche Fragestellung gehört allerdings zu den eigentlich spannenden Aspekten des Falles. Die Eröffnung der Möglichkeit Nutzerkommentare zu posten, dürfte nämlich grundsätzlich unter die Haftungsprivilegierung von Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie fallen, nachdem es sich um eine  Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen handelt. Die estländischen Gerichte hatten die Anwendung der Haftungsprivilegierung mit dem Argument abgelehnt, der Portalbetreiber habe ein wirtschaftliches Interesse daran, dass Nutzer Kommentare posten. Dieser Aspekt ist allerdings nach der Richtlinie kein geeignetes Kriterium um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Der estländische High Court hätte zumindest an den EuGH vorlegen müssen. Der EuGH geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass sich selbst Onlinemarktplätze wie eBay auf die Haftungserleichterung berufen können. Das wirtschaftliche Eigeninteresse ist also kein ausreichendes Argument um die Haftungsprivilegierung zu versagen. Im übrigen ist die Frage, ob der Kommentarteil eines Newsportals im Hinblick auf die Haftung nicht eher mit einem sozialen Netzwerk vergleichbar ist, als mit einer Handelsplattform wie eBay. Bei sozialen Netzwerken hat der EuGH die Möglichkeit der Berufung auf Art. 14 der ECRL bejaht und zudem betont, dass den Betreibern wegen Art. 15 der ECRL keine allgemeine Filter- oder Überwachungspflicht auferlegt werden kann. Auf eine solche läuft die Rechtsprechung der estländischen Gerichte letztlich aber hinaus, denn die Schadensersatzhaftung lässt sich nur dadurch vermeiden, dass man bereits im Vorfeld prüft und filtert.

Zusammenfassung

Die Entscheidung des EGMR, der nur über einen Verstoß gegen Art. 10 MRK zu befinden hat, erscheint mir deshalb problematisch, weil er sich offenbar der Tragweite und der zu befürchtenden Chilling-Effects auf die Meinungsfreiheit nicht bewusst ist. Nicht zum Prüfungsmaßstab des EGMR gehört die Frage eines Verstoßes gegen die E-Commerce-Richtlinie. Ein solcher Verstoß liegt nach meiner Einschätzung materiell allerdings vor.

posted by Stadler at 10:12  
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