Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.1.14

Schwierige Gegenwehr: Die sog. sekundäre Darlegungslast in Filesharing-Verfahren

In Filesharing-Fällen besteht nach der Rechtsprechung des BGH eine Vermutung dahingehend, dass der Anschlussinhaber auch die Rechtsverletzung begangen hat. Bereits diese Vermutung ist zweifelhaft. Eine solche Vermutung kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn nach der Lebenserfahrung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen typischen Geschehensablauf besteht. Nachdem der deutsche Haushalt durchschnittlich aus zwei Personen besteht, ist bereits die Annahme, dass der Anschlussinhaber im Regelfall auch der Rechtsverletzter ist, falsch. Nach meiner anwaltlichen Erfahrung wird Filesharing auch häufiger von Jugendlichen und jungen Erwachsenen betrieben, die noch bei den Eltern wohnen, als von älteren Menschen. Wenn es also überhaupt einen typischen Fall gibt, dann ist es der, dass die Kinder des Anschlussinhabers die Filesharer sind.

Wenn man also die tatsächlichen Gegebenheiten betrachtet, dann wäre es naheliegender von der Vermutung auszugehen, dass der Anschlussinhaber nicht der Rechtsverletzer ist als umgekehrt.

Diese falsche BGH-Rechtsprechung bildet dann allerdings den Anknüpfungspunkt für die sog. sekundäre Darlegungslast. Nach der Rechtsprechung genügt es für die Erfüllung der sekundären Darlegungslast ganz allgemein, wenn der Beklagte Umstände vorträgt, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt. Drei Oberlandesgerichte (Frankfurt, Köln, Hamm) haben hieraus für Filesharing-Prozesse mittlerweile die Schlussfolgerung gezogen, dass es ausreichend ist, wenn der Anschlussinhaber darlegt, dass der Anschluss auch von anderen Familienmitgliedern bzw. Mitbewohnern genutzt wird, weil allein dadurch die Vermutung erschüttert wird, der Anschlussinhaber sei selbst Täter der Urheberrechtsverletzung.

Das OLG Hamm hat dies in einer aktuellen Entscheidung nochmals (Beschluss vom 04.11.2013, Az.: 22 W 60/13) dargelegt:

Von dem Anschlussinhaber kann im Rahmen des Zumutbaren substantiiertes Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden, ihm obliegt aber nicht der Beweis des Gegenteils in dem Sinne, dass er sich bei jeder über seinen Internetzugang begangenen Rechtsverletzung vom Vorwurf der täterschaftlichen Begehung entlasten oder exkulpieren muss. Vielmehr genügt er seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass seine Hausgenossen selbstständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Köln, NJW-RR 2012, 1327). Vorliegend hat der Verfügungsbeklagte durch sein als Anlage AG 1 zum Widerspruch vom 09.04.2013 angefügtes Schreiben vom 25.02.2013 an den Verfügungsklägervertreter und durch den Inhalt des Widerspruchs erklärt, dass er vermutet, dass seine minderjährigen Kinder als Verursacher der Rechtsverletzung in Betracht kommen könnten. Darin ist die Erklärung zu sehen, dass diese selbstständig und ohne permanente Aufsicht durch den Verfügungsbeklagten dessen Internetanschluss nutzen können. Dieser Vortrag ist ausreichend, um eine ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die Alleintäterschaft des Verfügungsbeklagten darzulegen.

Weiterhin anders ticken allerdings die Uhren in München, speziell beim Amtsgericht München, denn dort genügt die Darlegung, dass auch andere Familienmitglieder bzw. Mitbewohner vorhanden sind, die den Internetanschluss ebenfalls nutzen (können), keinesfalls. Vielmehr muss nach Ansicht des AG München konkret dargelegt werden, ob diese Angehörigen zum besagten Zeitpunkt auch zuhause waren und das Internet genutzt haben. Das ist natürlich vielfach nicht möglich und läuft faktisch auf eine Beweislastumkehr hinaus.

posted by Stadler at 10:04  

15 Comments

  1. Bei Ihrer Kritik an der BGH-Entscheidung verwechseln Sie was: Dass „nach der Lebenserfahrung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen typischen Geschehensablauf besteht“, ist Voraussetzung für einen sog. Beweis des ersten Anscheins. Mit der Frage einer sekundären Darlegungslast (die hinter dem Anscheinsbeweis in ihren ihren Wirkungen weit zurückbleibt) hat diese Voraussetzung nichts zu tun.

    Comment by Gast — 3.01, 2014 @ 15:12

  2. @Gast:
    Nein, ich habe nichts verwechselt. Meine Argumentation bezog sich auf die Rechtsprechungskonstruktion der sog. tatsächlichen Vermutung.
    Die Gerichte nehmen eine Beweiserleichterung an, wenn aufgrund einer vermeintlichen Lebenserfahrung ein bestimmter Geschehensablauf naheliegend oder warscheinlich erscheint.
    Die Rechtsprechung des BGH knüpft in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ an diese tatsächliche Vermutung zugunsten der Klagepartei eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten.

    Comment by Stadler — 3.01, 2014 @ 15:29

  3. Die „sekundäre Darlegungslast“ hat mit Beweis nichts zu tun – sondern, wie der Name schon sagt, mit den vorgelagerten Darlegungspflichten – und erleichtert diesen auch nicht. Es ist und bleibt deshalb falsch, sie an den Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis zu messen.

    Comment by Gast — 3.01, 2014 @ 15:53

  4. @Gast:
    Einfach mal die BGH-Entscheidung lesen. Dort wird zuerst eine tatsächliche Vermutung aufgestellt, die nach Ansicht des BGH zu einer sekundären Darlegungslast des Beklagten führt. Der BGH wörtlich:

    Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zu­geteilt ist, so spricht zwar eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen.

    Comment by Stadler — 3.01, 2014 @ 16:17

  5. Es geht doch um Ihren (!!!) Satz, wonach eine sekundäre Darlegungslast nur in Betracht komme, wenn “nach der Lebenserfahrung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen typischen Geschehensablauf besteht”. Das ist und bleibt falsch, aus dem bereits mehrfach genannten Grund, dass die in Anführungszeichen stehende Voraussetzung eben zum Anscheinsbeweis gehört und nicht zur sekundären Darlegungslast.

    (Nochmal erkläre ich es jetzt aber nicht.)

    Comment by Gast — 3.01, 2014 @ 17:45

  6. Bin ich hier im falschen Film??

    1. Eine IP-Nummer ist kein Beweis

    2. Die Beklagten haben nichts darzulegen

    3. Der Anschlußinhaber sollte sich nicht äußern

    Widerspruch, Widerspruch, Widerspruch, bis das Verfahren eingestellt wird.

    Das empfehlen gute Anwälte, die ihr Geld wert sind. Hier gibt es den Hinweis kostenlos.

    Stadler hat RECHT. Alles andere ist die Umkehr der Beweislast. Wer sich nicht äußert, hat alles richtig gemacht. Einfach widersprechen und ansonsten die Klappe halten, keine Vorladung wahrnehmen, und falls es vor Gericht geht, im Bett liegenbleiben und den Anwalt in den Ring schicken. Er wird dafür bezahlt. Es ist sein Job.

    Reden ist Silber, schweigen ist Gold.

    IP?? Pah!

    Comment by Zler — 3.01, 2014 @ 18:06

  7. @Gast: Das habe ich doch überhaupt nicht geschrieben. Diese Ausführungen beziehen sich auf die vom BGH postulierte Vermutung, aus der der BGH dann eine sekundäre Darlegungslast ableitet.

    Comment by Stadler — 3.01, 2014 @ 19:55

  8. Boah… sieben Juristen, ein Urteil?

    Das zeigt, wie verkommen die deutsche Rechtsprechung ist.

    Zwei Typen hier, aber keine Faktenlage. Dann kann man sich nur wünschen, nicht als Mandant beschädigt zu werden, wenn man das hier schon online mitbekommt.

    Merke: Eigenen Verstand einschalten, bloß keinen Anwalt!! Sie wissen nichts.

    Comment by Zler — 3.01, 2014 @ 20:12

  9. @Gemeinde

    Wo kein Anwalt nötig ist, meidet ihn.

    Abzocke ohne jeden Plan. Sucht im Netz die Rechtshilfe.

    Comment by Zler — 3.01, 2014 @ 20:15

  10. Ps. Rechtshilfe kostenlos und mit Hirn.

    Comment by Zler — 3.01, 2014 @ 20:16

  11. Und in Zukunft wünsche ich mir von Stadler, daß er offen Beiträge entfernt. Mit Begründung, wie es sich gehört. Nicht einfach wegmacht, sondern im Blog schreibt, wer, warum überhaupt und so weiter.

    Mein Wunsch für 2014.

    Einige Beiräge drinzulassen, andere kommentarlos zu entfernen, ist noch übler, als alles plattzumachen. Vor allem, wenn es unbegründet geschieht.

    Immer daran denken: Es sitzen Menschen am Rechner.

    Schönes Wochenende!

    Comment by Zler — 3.01, 2014 @ 20:44

  12. Filesharing gehört zu den Fällen, in denen eine sekundäre Darlegungslast nicht gefordert werden dürfte. Denn das setzte voraus, dass die Ermittlung des Anschlussinhabers tatsächlich fehlerfrei (oder wenigstens so gut wie fehlerfrei) wäre. Das ist sie nachweislich nicht, was schon daran ersichtlich wird, dass ein nicht geringer Prozentsatz der ermittelten IPs zum Zeitpunkt der angeblichen Verletzung gar nicht vergeben war. Aber Fehlerquoten von 10% (oft wesentlich mehr) werden problemlos durchgewunken.

    Auch wenn bei der sekundären Darlegungslast keine Beweiskraft gefordert wird, ist es in Single-Haushalten fast unmöglich, darzulegen, dass es auch jemand anderes gewesen sein könnte selbst dann, wenn die alleinlebende Rentnerin angeblich Heavy Metal heruntergeladen hat.

    Comment by Avantgarde — 4.01, 2014 @ 15:06

  13. @Gast:

    Ich empfehle die Lektüre dieses Aufsatzes:

    http://www.ja-aktuell.de/cms/website.php?id=/de/studium_referendariat/aufs/tats

    Darin wird das Institut der tatsächlichen Vermutung auch im Hinblick auf die Lebenserfahrung ausführtlich erörtert.

    Bei Filesharingsachen folgt aufgrund der – angeblichen – Lebenserfahrung die tatsächliche Vermutung, dass der Anschlussinhaber der Täter des Filesharings war. Aufgrund dieser tatsächlichen Vermutung obliegt es im Rahmen der sekundären Darlegungslast dem Anschlussinhaber, die Vermutung zu erschüttern.

    Ob eine sekundäre Darlegungslast auch in anderen Konstellationen aus anderen Gründen in Betracht kommt, mag sein. In den Filesharingfällen folgt sie jedoch daraus, dass es nach der – angeblichen – Lebenserfahrung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für diesen typischen Geschehensablauf gibt.

    Hinsichtlich der Filesharingverfahren hat Herr Stadler somit völlig Recht.

    Definitiv falsch ist jedoch die Behauptung, dass die Lebenserfahrung ausschließlich (!) im Zusammenhang mit dem Anscheinsbeweis relevant ist. Auch die tatsächliche Vermutung stützt sich darauf.

    Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutung sind ohnehin nicht trennscharf abzugrenzen. M. E. ist der einzige Unterschied, dass man beim Anscheinsbeweis die Tatsachen, mit denen man ihn erschüttern will, auch beweisen muss, wohingegen es bei der tatsächlichen Vermutung zur Erschütterung genügt, die erschütterungsgeeigneten Tatsachen lediglich darzulegen.

    @Stadler:

    Gibt es eine Fundstelle für ein aktuelles Urteil des AG München, in welchen ausgeführt wird, dass es den Urteilen der OLG nicht folgt die von Ihnen beschriebenen weiteren Darlegungen fordert?

    Wenn nein, beabsichtigen Sie eine solche zu schaffen? Donwload als PDF würde auch genügen.

    Comment by Anonymous — 4.01, 2014 @ 15:14

  14. Mich stört schon lange diese Amerikanisierung der deutschen Justiz! Haben wir hier case-law? Sind Urteile anderer Richter, Gesetz? Dieses laufende Zitieren von Urteilen ist eine Krankheit! Hier wird anhand dieser möglich falschen Entscheidungen so getan als wäre das schon Gesetz. Dem ist nicht so.
    Denn dafür haben wir Gesetze. Das ist ja schlimmer als bei den Koran-Interpretationen hier!
    Laufend wird Angst und Schrecken kolportiert.

    Comment by jkl — 6.01, 2014 @ 21:58

  15. Richterrecht gibt es auch im Positvrecht, nicht nur im guten case law.

    Viele Auslegungen sind erst durch die Rechtspraxis, gerade im Zivilrecht möglich.

    Was man natürlich mal machen müsste wäre manche Dinge gerade im Bereich „Abmahnungen“ vors BVerfG zu bringen und dort einige Fragen klären zu lassen, u. a.:

    Recht auf den gesetzlichen Richter
    Was darf ein Abmahnanwalt, also wann handelt er aus Eigeninteresse und wann ist er nur „Agent“.

    Denn gerade bei den „Filesharing“ Abmahnungen geht es um reine Masse, Wo es gar nicht mehr um eine rechtliche Bearbeitung geht.

    Wenn man dort Grenzen ziehen würde, wäre schon einiges gewonnen.
    Beim Streaming hat sich der Versuch, als „Eigentor“ erwiesen oder besser als „verschossener Freistoß“ aus aussichtsreicher Position.

    Comment by Anonymous — 6.01, 2014 @ 22:39

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