Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

24.1.12

Warum das Europaparlament ACTA die Zustimmung versagen sollte

Das sog. Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) soll verschiedene neue Instrumentarien zur Eindämmung von Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen einführen. Es handelt sich um ein völkerrechtliches Abkommen, das sich am TRIPS-Abkommen orientiert und dessen Hauptziel eine bessere internationale Durchsetzung von Rechten des „geistigen Eigentums“ ist.

Die Verhandlungen,an denen unter anderem die USA und die EU teilnahmen, wurden geheim geführt. Das Ergebnis ist aus formellen und aus inhaltlichen Gründen als problematisch einzustufen.

Die Verhandlungen, in die weder die WTO noch die WIPO einbezogen worden sind, erfolgten ohne Konsultation der nationalen Parlamente und des Europaparlaments und wurde hinter verschlossenen Türen geführt. Ein Prozess, der der Schaffung weitreichender Regelungen im Bereich des Urheberrechts und der gewerblichen Schutzrechte dient, die sich anschließend in den teilnehmenden Staaten massiv gesellschaftlich und wirtschaftlich auswirken, ist transparent und demokratisch zu gestalten. Nachdem diese Voraussetzungen nicht im Ansatz erfüllt sind, muss allein dieser Umstand ausreichen, damit das Europaparlament das Abkommen nicht ratifiziert.

Schwerwiegender sind allerdings die inhaltlichen Einwände. Auch wenn im Laufe der Verhandlungen Instrumentarien wie Netzsperren wieder gestrichen worden sind, verfestigt ACTA eine Fehlentwicklung im Urheberrecht, die dringend einer Korrektur bedürfte. Führende deutsche und europäische Rechtswissenschaftler haben das Ergebnis deshalb kritisiert und das Europarlament aufgefordert, ACTA nicht zu ratifizieren.

ACTA steht nicht für den dringend notwendigen Ausgleich der widerstreitenden legitimen Interessen von Urhebern und Rechteinhabern einerseits und Nutzer andererseits. ACTA stärkt vielmehr erneut in sehr einseitiger Weise die Interessen der Content-Industrie, schadet aber dem Gemeinwohl der teilnehmenden Staaten. Welche Weichenstellung im Urheberrecht aus meiner Sicht geboten wäre, habe ich hier im Blog bereits ausführlich skizziert.

Auch die von Urheberrechtslobbyisten gerne verbreitete These, dass die fortlaufende Verschärfung des Urheberrechts zu Gunsten der Rechteinhaber wirtschaftlich notwendig und sinnvoll sei, erweist sich bei näherer Betrachtung als Trugschluss, sofern man gesamtwirtschaftliche Erwägungen im Blick hat und nicht die Singularinteressen einer einzelnen Branche.

Karl-Nikolaus Peifer, einer der renommiertesten deutschen Urheberrechtler und Mitunterzeichner der „OPINION OF EUROPEAN ACADEMICS ON ANTI-COUNTERFEITING TRADE AGREEMENThat unlängst in einem Interview sehr anschaulich erläutert, warum das (digitale) Urheberrecht am Abgrund steht und welche Maßnahmen erforderlich wären, um die Legitimationskrise des Urheberrechts zu beenden und einen fairen und vor allen Dingen funktionierenden Ausgleich zwischen den Interessen von Urhebern und Nutzern herbeizuführen.

Die Europaparlamentarier sollten deshalb im Interesse der Menschen die sie gewählt haben und auch im Interesse der volkswirtschaftlichen Belange der Mitgliedsstaaten ACTA die Zustimmung versagen.

 

posted by Stadler at 21:27  

13 Comments

  1. Hinter Acta stehen aber auch noch Dinge die gar nicht das Netz betreffen, aber nicht minder unrechtmässig sind. Das ganze begann bereits mit Trips http://tinyurl.com/8yg6yos

    Comment by Markus Salchow — 24.01, 2012 @ 21:51

  2. Das Digitale Urheberrecht steht nicht am Abgrund, wir stehen am Abgrund!
    Ich habe keine Ahnung wer die Europaparlamentarier sind, ich höre und sehe nichts von ihnen und ich habe darum auch niemanden gewählt.
    Die EU IST bereits eine Diktatur (oder in Gründung), es fehlt nur noch eine Art Ermächtigungsgesetz.
    Die Content-Mafia bekommt es bereits durch Acta, PIPA und SOPA.

    Comment by Frank — 24.01, 2012 @ 21:51

  3. Es ist völlig irrwitzig, wie gerade die Musikindustrie schon seit Jahrzehnten mit Fantasie-Zahlen jonglieren, um einen Umsatzverlust möglichst groß zu reden. Schon in den 70’er Jahren wurde bei der Einführung der Compact-Cassette behauptet der Plattenindustrie würden eine halbe Milliarde DM verloren gehen.

    Unter diesem Aspekt kam es also niemals zu einer Realisation von Gewinnen. Vor mehr als vierzig Jahren nicht und heute auch nicht. Es kann also faktisch nicht nachgewiesen werden, dass ein Verlust existiert. Wo es schon ein halbes Jahrhundert kein Markt gab, wird es auch in Zukunft keinen geben. Vor allem nicht durch Reglementierungen wie es ACTA vorsieht. Das man Märkte nicht erzwingen kann, hat man schon im Sozialismus festgestellt ;-)

    Außerdem sollten Gesetzte solcher Tragweite niemals dem (virtuellen) Bestandsschutz eines Teilzweiges einer Industrie zugeschnitten werden.

    Comment by Aljoscha Rittner — 25.01, 2012 @ 10:57

  4. Weißt du aus dem Stegreif, ob die Generikaregelung noch drin ist?

    Comment by vera — 25.01, 2012 @ 14:11

  5. Offenbar sind Generika betroffen, zumindest erwähnt sie der zurückgetretene Kader Arif ausdrücklich:

    https://www.laquadrature.net/wiki/ACTA_rapporteur_denounces_ACTA_mascarade

    Comment by tschill — 27.01, 2012 @ 00:06

  6. EU-Pseudoregierungs-Geheimpolitik zum Schutz amerikanischer Geldbeutel. Kann gar nicht so viel fressen …

    Comment by coombs — 27.01, 2012 @ 10:20

  7. ein sehr informativer Artikel. Ich finde es erschreckend das in Deutschland kaum Aufklärung in Bezug auf ACTA betrieben wird. Sehr sehr viele haben von ACTA noch nichts gehört und können damit auch nichts verbinden.
    Spätestens im 3ten Quartal diese jahres werden die meisten auf die Barrikaden gehen, aber es wird dann zu spät sein. bei uns in Deutschland ist leider auch der Medienpräsenz sehr schwach von ACTA! Während in anderen Ländern die Menschen auf die Straßen gehen, gibt es hier nur einen kleinen Online Protest. Ich finde es sehr schade, denn wenn die Leute es merken, wird es leider zu spät.
    ich versuche durch diverse ANTI ACTA Aktionen die Leute aufzuklären.
    Ich habe zb. diese Seite eingerichtet. http://www.stopacta.de damit die leute sich informieren können.

    Es sollte einfach mehr Medienpräsenz geben und es sollten mehr Informations Kampagnen gestartet werden!

    Comment by julian — 1.02, 2012 @ 15:43

  8. @Julian: Es wird bald sehr extensive „nicht-online“-Proteste in Deutschland geben: http://maps.google.com/maps/ms?msid=212120558776447282985.0004b7b33e16f13c710c7&msa=0

    Am 11.02 ist fast Europaweit ACTA-Protesttag angesagt, je mehr desto besser insofern verteil den Link :P

    Comment by Dexter — 2.02, 2012 @ 22:04

  9. Wie sollen die Proteste erkannt werden wenn das halbe I-net schon eingeschüchtert ist durch die Verbreitung irgendwelcher Fakes.
    Es sollten alle erkennen das es auch an den sogenannten Datenschutz geht!
    Insofern kann auch Facebook nicht mehr an der Börse bestehen, wenn ACTA sich durchsetzt oder besser uns aufgezwungen wird.
    ES SOLLTEN NICHT NUR 500 SONDERN 5000 UND MEHR AUF die STRAßE GEHEN!!
    Traurig ist das die Medien nicht mitspielen, schade eigentlich.
    Diktatur hatten WIR hier im OSTEN lange genug.

    LEIPZIG WERDE WACH!!

    Comment by Karsten — 2.02, 2012 @ 22:50

  10. „Bücher brannten, Menschen starben, die Geschichte ist ein Loop. Sieh nur alles wiederholt sich. Wirklich wahr, das ist nicht gut.“

    Comment by donk — 2.02, 2012 @ 23:45

  11. ACTA ist noch nicht von der EU ratifiziert worden. Derzeit befasst sich der Ausschusses für Internationalen Handel (INTA) des Europäischen Parlamentes mit ACTA. INTA wird abschliessend einen Bericht dem Gesamtparlament vorlegen und dort die Abstimmung zur Ratifizierung ACTAs massgeblich beinflussen.

    EU-Bürger, die wegen des ACTAs Bedenken haben, sollten daher zur Zeit die Mitglieder der INTA-Ausschusses kontaktieren (bitte freundlich und sachlich bleiben) um einen Einfluss auf den INTA-Abschlussbericht zu nehmen.

    Deutsche Abgeordnete im INTA-Ausschuss sind:

    Daniel CASPARY
    Albert DESS
    Norbert GLANTE
    Silvana KOCH-MEHRIN
    Bernd LANGE
    Godelieve QUISTHOUDT-ROWOHL
    Helmut SCHOLZ

    E-Mail-Adressen der EU-Abgeordneten sind allgemein:

    Vorname.Nachname@europarl.europa.eu

    Telefonnummern, E-Mail-Adressen und INTA-Mitglieder anderer Länder finden sich auch unter:
    https://memopol.lqdn.fr/europe/parliament/committee/INTA/

    Ein gutes Beispieltelefonat findet sich unter:
    http://www.laquadrature.net/wiki/Gegen_ACTA_auftreten

    Comment by monday — 5.02, 2012 @ 07:30

  12. Na, das passt ja:
    Frau (Dr.?) KOCH-MEHRIN sitzt in einem Ausschuss, der sich mit Urherberrecht bechäftigt! Da kann sie sicher viel Expertenwissen mit einfließen lassen…

    http://www.spiegel.de/thema/silvana_koch_mehrin/

    Comment by Kalle — 11.02, 2012 @ 07:23

  13. Danke sehr informativ.

    ACTA finde ich eher unnötig als gefährlich. Was ich aber als gefährlich empfinde ist wie einfach Gesetze ( bzw.Völkerrechtliche Verträge ) durchgesetzt werden.
    Über ACTA wurde wie gesagt hinter verschlossenen Türen gesprochen. Und das nicht von Volksvertretern.
    Wozu wählen wenn in zukunft eh jeder mit Geld oder Macht ( naja eigentlich das gleiche ) Gesetze entwirft bzw. festlegt.
    Das hat in meinen Augen nichts mit Demokratie zu tun.

    Wir sichern mit komplizierten Gesetzen ab dass kein politiker zu viel Macht erhält und dann bekommen sie andere einfach so.

    ich bin da ein bischen nervös wie das in der Zukunft enden wird … ( wir werden ja sehen )

    Comment by Henrik — 29.02, 2012 @ 23:04

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