In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen (S. 12), kritisiert Michael Hutter in einem äußerst lesenswerten Beitrag die Rede vom Diebstahl geistigen Eigentums.
In der Tat haben sich Ausdrücke wie „Raubkopie“ und „Diebstahl geistigen Eigentums“ etabliert, wenn man von einer urheberrechtswidrigen Vervielfältigung von Werken spricht. Dieses Bild könnte unrichtiger freilich gar nicht sein, denn beim Diebstahl und beim Raub wird vom Täter eine Sache weggenommen, während in dem anderen Fall ein Geisteswerk kopiert und damit vermehrt wird. Es ist also anschließend nichts weg, sondern in Wahrheit ist noch mehr davon da als vorher. Wenn man einen halbwegs passenden Vergleich zu herkömmlichen Straftaten ziehen will, dann eher zu den Fällen der Erschleichung einer Leistung, die vergütungspflichtig ist.
Unpassende Begriffe wie der der Raubkopie sind eine unmittelbare Folge der Fiktion vom geistigen Eigentum, das nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem tatsächlichen Eigentum gleichgesetzt und dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterstellt worden ist.
Die Verlage sowie die Musik- und Filmindustrie klammern sich vehement an diese Vorstellung vom geistigen Eigentum, was den Blick auf das verstellt, was notwendig wäre, um dieser Industrie das Überleben zu sichern.
Denn die Unterhaltungsindustrie hat in Wahrheit noch nie Geisteswerke verkauft, sondern – wie Hutter es in seinem Beitrag für die SZ nennt – immer nur Behälter. Diese Behälter heißen Bücher, Schallplatten, CD’s, DVD’s. Und seit man diese Behälter nicht mehr zwingend benötigt, hat sich gezeigt, dass Geisteswerke nicht wie Sachen festgehalten werden können und es neuer Mechanismen bedarf, wenn man weiterhin an ihrer wirtschaftlichen Verwertung partizipieren will.
Diesen neuen Mechanismen hat sich speziell die Musikindustrie immer strikt verweigert und sie tut das heute noch. Die Major-Labels hätten Ende der 90’er Jahre damit beginnen können, eine große Plattform für den kostenpflichtigen Download von Musik aufzubauen. Stattdessen hat man Tauschbörsen und P2P-Netzwerke und deren User mit juristischen Mitteln verfolgt und sich gleichzeitig Einnahmen in Milliardenhöhe entgehen lassen. Als dann ca. fünf Jahre später Apple der Musikindustrie demonstriert hat, wie man im Netz mit dem Vertrieb von Musik Geld verdienen kann, war man keineswegs begeistert, sondern hat auch diese Entwicklung nur zögerlich angenommen. Der Zug ist in der Zwischenzeit allerdings weiter gefahren. Derzeit ist dennoch deutlich zu erkennen, dass die stark steigende Zahl kostenpflichtiger Downloads die Umsätze der Musikindustrie wieder stabilisiert hat. Das hätte die Industrie vor 10 Jahren auch schon haben können, freilich auf damals noch deutlich höherem Niveau.
Es fehlt der Branche aber weiterhin die Einsicht, dass man zwingend neue Vertriebsformen benötigt, weil man im Laufe der Zeit immer weniger körperliche Werkexemplare verkaufen wird. Diese Entwicklung ist zwangsläufig, kein Gesetzgeber dieser Welt wird sie aufhalten.
Eines dieser Modelle auf das die Industrie setzen könnte, mag es auch noch unausgegoren und mit Blick auf internationale, völkerrechtliche Verträge nicht ohne Schwierigkeiten umsetzbar sein, ist die Idee von der Kulturflatrate.
Die Industrie und offenbar auch die Bundesregierung sind aber noch nicht einmal bereit, über dieses Modell zu diskutieren.
Am Ende wird die Frage nicht sein, ob der juristische Kampf gegen Filesharer legitim ist oder nicht, sondern allein ob er wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das ist er nicht. Denn die Eindämmung des Filesharing in den letzten 5 Jahren, auf die sich die Musikindustrie so gerne beruft, hat der Industrie keine steigenden Umsatzzahlen beschert. Die Zusammmenhänge sind also möglicherweise doch anders als die Musikindustrie glaubt. Man kann die Branche nicht zu wirtschaftlich sinnvollem Verhalten zwingen, aber zumindest der Gesetzgeber sollte endlich damit aufhören, das Urheberrecht ständig weiter wider die Interessen der Allgemeinheit zu verschärfen.
Die Einführung eines Auskunftsanspruchs gegen Provider in § 101 UrhG hat bisher nur zur Entstehung eines neuen Abmahnunwesens geführt. Die Zahl der jährlichen Filesharing-Abmahnungen bewegt sich nur im Musikbereich deutlich im sechsstelligen Rahmen, wovon wiederum bestimmt 90 % auf sog. One-Song-Abmahnungen entfallen. Das ist zwar für einen dadurch neu entstandenen Geschäftszweig um Unternehmen wie DigiProtect lukraktiv, nützt aber der Musikindustrie wenig. Ganz im Gegenteil verschlechtert man sein Ansehen damit nur weiter. Solange Politik und Industrie aber in ihrer reflexhaften und rückwärtsgewandten Haltung übereinstimmen, dürfte sich wenig ändern.