Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

12.3.18

Schränkt die Datenschutzgrundverordnung Meinungsäußerungen im Internet ein?

Das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit ist kein neues Thema, aber es wird durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die ab 25.05.2018 gilt, noch deutlich verschärft. Den Grundkonflikt hatte ich bereits hier und hier erläutert. Im Netz finden sich lesenswerte Beiträge u.a. von Winfried Veil, von Jan Mönikes und aktuell für den Bereich der Bildnisveröffentlichung von Benjamin Horvath zu diesem Themenkreis.

Die Meinungsfreiheit umfasst insbesondere das Recht, sich kritisch zu bestimmten Personen und ihrem Verhalten und Wirken zu äußern. Speziell die DSGVO postuliert das Verbot, konkrete Personen im Internet überhaupt namentlich zu nennen. Das mag für den juristischen Laien absurd klingen, entspricht aber der Rechtslage, die in Deutschland ab dem 25.05.2018 gelten wird.

Die DSGVO gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Eine Ausnahme macht die Verordnung lediglich für den persönlichen oder familiären Bereich.

Wer sich also online zu einer namentlich benannten Person äußert, fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich der DSGVO. Diese Datenverarbeitung ist auch nicht nach Art. 6 DSGVO rechtmäßig, so dass sie an sich unzulässig ist. Dem europäischen Gesetzgeber war das Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit freilich bewusst, denn er hat in Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel aufgenommen, die lautet:

Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang.

In Deutschland wird die Neufassung des BDSG allerdings diesbezüglich keine Regelungen enthalten, weil der Bund davon ausgeht, dass derartige Regelungen der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen. In den Bundesländern wird für den Bereich von Presse und Rundfunk derzeit an entsprechenden gesetzlichen Regelungen gearbeitet, die aber kaum zum 25.05.2018 in Kraft sein werden. Darüber hinaus werden diese Regelungen vermutlich lediglich den journalistischen Bereich abdecken, aber nicht Meinungsäußerungen von Privatpersonen im Netz.

Wenn man also die DSGVO schematisch anwendet, wird die namentliche Nennung einer beliebigen Person zum Beispiel auf Twitter oder in einem Blog ein Vorgang sein, den die DSGVO verbietet. Andererseits ist dies etwas, was die im Grundgesetz, der Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta der EU garantierte Meinungsfreiheit explizit erlaubt. Aus grundrechtlicher Sicht hat eine ergebnisoffene Abwägung der Grundrechte auf Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts der genannten, betroffenen Person zu erfolgen. Einen schematischen Vorrang wie nach der DSGVO darf es nach der Wertung der Grundrechte nicht geben. Die DSGVO verfolgt also in diesem Punkt ein Regelungskonzept, das nicht mit grundrechtlichen Wertungen vereinbar ist. Dies ist zunächst eine Fehlleistung des europäischen Gesetzgebers. Auch wenn sich der Bürger nicht unmittelbar auf die Grundrechtecharta der EU berufen kann, so bindet sie doch die Organe und Einrichtungen der EU. Der europäische Gesetzgeber (Parlament, Kommission, Rat) hat mit Schaffung der DSGVO, soweit sie einen schematischen Vorrang des Datenschutzes vor der Meinungsfreiheit postuliert, gegen die Grundrechtecharta verstoßen. Daran ändert auch die Öffnungsklausel des Art. 85 DSGVO nichts, denn der europäische Gesetzgeber kann dadurch nicht gewährleisten, dass sämtliche Mitgliedsstaaten pünktlich und in ausreichendem Umfang von dieser Öffnungsklausel auch Gebrauch machen. Demgegenüber wäre es problemlos möglich gewesen, meinungs- und presserelevante Sachverhalte von der DSGVO auszunehmen und dieses Spannungsverhältnis von vornherein zu beseitigen.

Aber auch der deutsche Gesetzgeber wird es, allem Anschein nach, nicht gewährleisten, dass bis zum 25.05.2018 gesetzliche Regelungen in Kraft sind, die entsprechende Ausnahmen in ausreichendem Maße vorsehen.

Die spannende Frage ist, wie die Gerichte mit dieser Situation umgehen werden. Bei der schematischen Anwendung der DSGVO können sie es in meinungsrelevanten Fällen im Grunde nicht belassen. Denn die Gerichte sind unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die deutschen Gerichte müssen nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die Grundrechtecharta der EU beachten, die auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Wenn die nationalen Gerichte also die DSGVO anwenden, müsse sie hierbei also (auch) die Grundrechtecharta berücksichtigen. Für den EuGH gilt dies ohnehin.

Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass die Gerichte bei Sachverhalten, die offensichtlich vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind, einen Verstoß gegen die DSGVO annehmen werden. Denn sie würden damit als Teil der öffentlichen Gewalt selbst gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen. Es ist damit naheliegend, dass ein nationales Gericht entweder eine grundrechtskonforme Auslegung wählt oder an den EuGH vorlegt.

Das alles ändert aber nichts daran, dass der datenschutzrechtliche Tunnelblick des europäischen Gesetzgebers eine formelle Rechtslage zugelassen hat, die aus rechtsstaatlicher Sicht schwer erträglich ist. Der deutsche Gesetzgeber hat von seiner Möglichkeit Abhilfe zu schaffen, bislang ebenfalls nicht Gebrauch gemacht.

posted by Stadler at 23:26  

20 Comments

  1. Dieses Gesetz wird wie ein Filter wirken. Verlieren werden die Blogger, Journalisten werden abhängiger, der Staat erhält über Gerichte mehr Möglichkeiten der Gehirnmanipulation bis hin zur Gehirnwäsche.

    Es ist ein weitere großer Schritt in Richtung Diktatur mit dem scheinheiligen Argument des Datenschutzes. Dieses Argument überzeugt die Massen. Was tatsächlich passiert, ist nicht offensichtlich.

    Im Prinzip alles folgerichtig aus Sicht der Herrschenden.

    Comment by Rolf Schälike — 12.03, 2018 @ 23:59

  2. Bedeutet also massive Rechtsunsicherhei fuer den Buergen, und massive Prozessrisiken. Laeuft.

    Und wer glaubt daran, derzeitige deutsche Politiker in Regierungsaemtern wuerden das aendern wollen? Es wird Regelungen fuer die „offizielle Presse“ geben, damit diese Interessengruppe „angemessen“ privilegiert ist, und das weitere ueberlaesst man den Gerichten und der Finanzkraft der Buerger. Laeuft.

    Und sich dann wundern, dass der Buerger das Vertrauen in die Institutionen verliert. Oder auch hier libertaer gesehen: laeuft.

    Comment by h s — 13.03, 2018 @ 08:14

  3. Frage: kann eine solche Regelung, die durch den Widerspruch von Grundrechten ueber die drohenden Prozessrisiken offensichtlich einen Chilling-Effekt auf die Meinungsfreiheit ausuebt, verfassungskonform sein?

    Comment by h s — 13.03, 2018 @ 08:21

  4. Ich würde jetzt mal ganz naiv behaupten, dass eine Rechtfertigung einer Veröffentlichung personenbezogener Daten zur journalistischen Zwecken sich aus Artikel 6 Abs. 1 e) DSGVO (Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt) ergeben könnte, wobei mensch sich da natürlich in die Gefahr beliebigier Auslegung durch Richter begäbe…

    Comment by martinf — 13.03, 2018 @ 11:25

  5. „Es ist damit naheliegend, dass ein nationales Gericht entweder eine grundrechtskonforme Auslegung wählt oder an den EuGH vorlegt.“

    Auch in Hamburg?

    Comment by Volker König — 13.03, 2018 @ 13:21

  6. Es wird sich ein schönes neues Geschäftsfeld für Abzockanwälte entwickeln. Das dient der Herrschaftssicherung. Ist zwar nicht nachhaltig, was eine aufgeklärte Menschheit betrifft, wirkt aber stabilisierend, weil unklar ist, ob Aufklärung überhaupt greift, zukunftsträchtig ist.

    Comment by Rolf Schälike — 13.03, 2018 @ 17:18

  7. Selbst wenn man mit einer Gesetzgebungsinitiative zur „Rettung des KUG“ Erfolg hätte, wäre damit nur das Foto an sich gerettet, aber das hilft ohne Metadaten, IPTC-Daten nichts, also muss man weiter denken und die in Art. 85 DSGVO angelegten Zwecke insgesamt, also auch Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in Abwägung mit der DSGVO soweit erforderlich von der DSGVO freistellen. siehe bzgl. KUG auch https://www.fotorecht-seiler.eu/dsgvo-und-fotografie-teil-3/

    Comment by Seiler — 14.03, 2018 @ 16:39

  8. Beispiele wären sehr hilfreich. Darf man, wenn das Gesetz keinerlei Ausnahmen zulsäst, als Nicht-Presse auf Twitter oder Facebook z. B. überhaupt noch ein Konzert unter Nennung der Künstlernamen besprechen, kritisieren, oder auch nur bewerben? Darf es der Veranstalter überhaupt noch, wenn kein expliziter Vertrag zum Datenschutz vorliegt? Gibt es irgendeine Art konkludentes Handeln, das den Datenschutz aufhebt? Oder ist das alles einfach nur 150%ig schlecht gemacht, wie so viele der neueren Gesetze?

    Comment by AndreasP — 15.03, 2018 @ 10:04

  9. Ich schreibe stets, was ich will! Wenn es Strafbefehle hagelt, zahle ich sie gerne und voller Freude. Nach Causa Böhmermann, der straffrei Volksverhetzung, üble Nachrede, Beleidigung und Diffamierung postulieren durfte, werden Staatsanwaltschaften sowieso ihre Schaffenskraft diesbezüglich weiter reduzieren. Sie haben was Besseres zu tun in ihrer Arbeitszeit. Es gibt andere Delikte, die vorrangig bearbeitet werden. Nach zwei Jahren machen sich die Staatsanwaltschaften dann darüber Gedanken, wer wen auch immer beleidigt hat. Oder sagen wir eher, sie senden ihr Formschreiben im Usus raus. Wie lautet es? Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Was sie nicht schreiben, ich aber gerne hinzufüge: Weil es uns am Arsch vorbei geht und wir sowieso nichts gemacht haben, da die Zeit und Lust fehlt, uns um diese Scheiße zu kümmern.

    Comment by Edgar Rohlmann — 28.03, 2018 @ 17:46

  10. Ich bin von der Regelung nicht allzu begeistert.
    Mit solchen Regelungen wird oft die Wahrheit verwischt.

    Comment by we-love-webdesign — 4.04, 2018 @ 15:26

  11. „Darüber hinaus werden diese Regelungen vermutlich lediglich den journalistischen Bereich abdecken, aber nicht Meinungsäußerungen von Privatpersonen im Netz.“

    „Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass die Gerichte bei Sachverhalten, die offensichtlich vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind, einen Verstoß gegen die DSGVO annehmen werden. Denn sie würden damit als Teil der öffentlichen Gewalt selbst gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen.“

    Wieder mal kurz das Interessante aus der Dampfplauderei zusammengefasst. In der Kürze liegt die Würze.

    Comment by Edgar Rohlmann — 4.04, 2018 @ 19:14

  12. „Wenn man also die DSGVO schematisch anwendet, wird die namentliche Nennung einer beliebigen Person zum Beispiel auf Twitter oder in einem Blog ein Vorgang sein, den die DSGVO verbietet.“

    Möglich, siehe aber zur Nichtanwendung der DSGVO im Privatbereich (Art. 2 II Lit. c) auch den Erwägungsgrund 18: „Diese Verordnung gilt nicht für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten und somit ohne Bezug zu einer beruflichen oder wirtschaftlichen Tätigkeit vorgenommen wird. Als persönliche oder familiäre Tätigkeiten könnte auch das Führen eines Schriftverkehrs oder von Anschriftenverzeichnissen oder die Nutzung sozialer Netze und Online-Tätigkeiten im Rahmen solcher Tätigkeiten gelten. Diese Verordnung gilt jedoch für die Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter, die die Instrumente für die Verarbeitung personenbezogener Daten für solche persönlichen oder familiären Tätigkeiten bereitstellen“ (https://dejure.org/gesetze/DSGVO/Erwaegungsgruende.html).

    Privatpersonen werden zum Glück ;-) in den meisten Fällen wahrscheinlich gar nicht erfahren, dass oder warum ihre Meinungsäußerungen aus dem Netz entfernt wurden.

    Comment by Schmunzelkunst — 9.04, 2018 @ 13:29

  13. Böse Frage:

    Wie schaut es mit „Archiven“ von Kommentaren aus z.B. hier in dem Blog, wo zu älteren Artikeln Kommentare zu sehen sind die u.U. Namen enthalten….gibt es da ein „Rückwirkungsverbot“ oder müssen da die Archive durchforstet werden?

    bombjack

    Comment by Anonymous — 11.04, 2018 @ 09:29

  14. @anonymus:

    nein, so irrational waren se dann doch nicht; es gilt nichts rückwirkend, sondern ab…

    Comment by DasKleineTeilchen — 2.05, 2018 @ 16:14

  15. @ Seiler „Rettungs des KUG“: Hier wird eine eine Stellungnahme vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Bürgerservice) veröffentlicht, nach der die DSGVO das KUG nicht verdrängt:
    http://www.hannover-busse.de/forum/viewthread.php?thread_id=5456&pid=49973
    Siehe dort den Beitrag vom 07.05.2018 21:11

    Comment by Schmunzelkunst — 9.05, 2018 @ 15:04

  16. @Schmunzelkunst Das steht mittlerweile auch in der DSGVO-FAQ des BMI: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2018/04/faqs-datenschutz-grundverordnung.html

    Allerdings frage ich mich als Laie, ob sich die Datenschutzbehörden danach richten werden, da sie nicht weisungsgebunden sind.

    Comment by Shred — 12.05, 2018 @ 14:07

  17. @Shred: Danke für den Link.
    Zur Stellungnahme des BMI gibt es inzwischen eine Entgegnung von David Seiler vom 12.05.2018:
    https://www.fotorecht-seiler.eu/dsgvo-fotografie-kug-update/
    Unklar ist mir der Satz: „Dies ist die Meinung des deutschen Gesetzgebers (Legislative), der nicht für die Auslegung der DSGVO zuständig ist und dessen Meinung weder für die Gerichte (Judikative) noch für die Datenschutzaufsichtsbehörden (Exekutive) verbindlich ist.“ Der BMI ist doch nicht der Gesetzgeber. Oder ist Bayern gemeint ;-)?

    Comment by Schmunzelkunst — 14.05, 2018 @ 12:32

  18. Was soll eigentlich der Unterschied zwischen Journalist(Presse) und Privatperson sein? Journalistische Betätigung steht jedem offen und jeder darf sich Journalist nennen. Das ist aus Gründen des Demokratieschutzes so.

    Comment by Der Münsteraner — 20.05, 2018 @ 16:03

  19. Laut Art. 17 DSGVO steht die Meinungsfreiheit dem Anspruch auf Löschung von Daten entgegen: https://dejure.org/gesetze/DSGVO/17.html.

    Comment by Der Münsteraner — 20.05, 2018 @ 16:11

  20. So kann das nicht weitergehen. Bald haben wir hier irgendwann Zustände wie in Nordkorea

    Comment by Webdesign Bremen — 8.05, 2019 @ 17:21

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