Das Spannungsverhältnis von Datenschutz und Meinungsfreiheit
Am 02.10.2014 habe ich an einer Expertenrunde mit Innenminister de Maizière zum Thema „Datenschutz im Spannungsverhältnis zu Informations- und Meinungsfreiheit“ teilgenommen. Die sehr konstruktive Diskussion kann und möchte ich hier nicht zusammenfassend wiedergeben, sondern mich auf meine eigene Kernthese beschränken, die ich folgendermaßen formuliert habe:
Man sollte nicht nur darüber nachdenken, die sog. Haushaltsausnahme für Privatpersonen auszuweiten, sondern vielmehr darüber, veröffentlichte Informationen ganz generell vom Anwendungsbereich des Datenschutzrechts auszunehmen.
M.E. ist es nur so möglich, das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit aufzulösen und zu vermeiden, dass der Datenschutz zu einem Instrument der Informationsunterdrückung wird.
Die Konsequenz einer solchen Ausnahme wäre es, dass man – im Rahmen von § 823 BGB – die klassische Grundrechtsabwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit vornimmt. Mit dieser Abwägung kommt man jedenfalls bei veröffentlichten Informationen auch regelmäßig zu sachgerechten Ergebnissen.
Um zu verstehen, warum ich das fordere, muss man die Ausgangssituation und die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH und die sich anschließenden rechtspolitischen Forderungen kennen.
Die Meinungsfreiheit umfasst insbesondere das Recht, sich kritisch zu bestimmten Personen und ihrem Verhalten und Wirken zu äußern. Das Datenschutzrecht beinhaltet demgegenüber zunächst das Verbot, konkrete Personen im Internet überhaupt namentlich zu nennen. Das ist jedenfalls die Auslegung des EuGH aus der Lindqvist-Entscheidung, die ich in der Dialogrunde beim Innenminister zusammenfassend erläutert habe.
Beide Rechte stehen damit nicht nur in einem natürlichen Spannungsverhältnis, sondern stehen sich vielmehr diametral gegenüber.
Bei der Frage wie dieser Gegensatz aufzulösen ist, können wir auf europäischer Ebene derzeit eine Entwicklung beobachten, die auf einen Regelvorrang des Datenschutzrechts und damit zwangsläufig auf ein Zurücktreten der Meinungs- und Informationsfreiheit hinausläuft. Der EuGH hat in der vielkritisierten Google-Entscheidung postuliert, dass der Datenschutz im Allgemeinen Vorrang vor dem Interesse der Internetnutzer auf Informationszugang hat. Das wurde nunmehr unter italienischer Ratspräsidentschaft dankbar aufgegriffen und soll in die geplante Datenschutzgrundverordnung aufgenommen werden. Nach dem Vorschlag eines neuen Erwägungsgrundes 53a – danke an Carlo Piltz für den Hinweis – soll das Recht des datenschutzrechtlich Betroffenen grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse der Internetnutzer auf Informationszugang haben. Von dieser Regel soll nur in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden.
Eine solche Regelung würde allerdings nichts anderes als einen Bruch mit der jahrzehntelangen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darstellen und einen Paradigmenwechsel hin zu einem Supergrundrecht auf Datenschutz, was zwangsläufig mit einer politisch gewollten generellen Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit verbunden wäre.
Weil ich einen derart meinungsfeindlichen Ansatz in einer freiheitlichen Informationsgesellschaft für gänzlich inakzeptabel halte, kann aus meiner Sicht die einzige sachgerechte Lösung darin bestehen, in der Datenschutzgrundverordnung veröffentlichte Informationen vom Anwendungsbereich des Datenschutzrechts auszunehmen bzw. ein erweitertes Medienprivileg zu schaffen, das sämtliche veröffentlichte Informationen umfasst, unabhängig davon, ob sie von klassischen Medien stammen oder von Privatpersonen.
Man muss die aktuelle Entwicklung jedenfalls sehr aufmerksam beobachten, denn es gibt auf europäischer Ebene meinungsfeindliche Strömungen, die das Datenschutzrecht tatsächlich als Instrument zur Beschneidung der Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzen wollen.
Update vom 06.10.2014:
Wie unsachlich die Diskussion auf EU-Ebene gerade läuft, zeigt eine Reaktion des Europaabgeordneten Jan Philipp Abrecht auf Twitter, der mir schreibt, mein Vorschlag sei immer zu Recht abgelehnt worden, weil es nicht mit der Menschenwürde vereinbar sei, das Recht auf Selbstbestimmung und Privatsphäre durch einen Öffentlichkeitsvorrang zu ersetzen.
Ich habe allerdings gar keinen Öffentlichkeitsvorrang gefordert, sondern nur eine ergebnisoffene Grundrechtsabwägung im Einzelfall, weil auf EU-Ebene gerade ein gegenläufiger Regelvorrang des Datenschutzrechts vor der Meinungsfreiheit propagiert wird, der übrigens kaum mit der Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta vereinbar wäre.
Man kann meinen Vorschlag dogmatisch auch als weitreichendes Medienprivileg ausgestalten, das neben den klassischen Medien jegliche Veröffentlichung im Netz, auch durch Private umfasst.
Die Meinungsfreiheit ist doch schon längst in vieler Hinsicht untergraben. Wenn ich nur mit dem Stolpe Urteil 2005 anfange und dazu noch SLAPP gebe
https://de.wikipedia.org/wiki/SLAPP
ist die Schere im Kopf der meisten schon vorprogrammiert. Wozu dann noch die in meinen Augen fadenscheinige Alibi-Papiertiger Institution des Datenschutzes hilfsweise hinzugezogen werden musste, ist mir nicht begreiflich.
Bedrohlich für die Meinungsfreiheit ist die neue Tendez allerdings. Ich werde das Gefühl nicht los, es geht wiederum nur um Arbeitsbeschaffungsmassnahmen der Juristen Lobby.
Comment by Dr.Klusenbreuker — 5.10, 2014 @ 17:32
Persönlichkeitsrechte, Menschenwürde, Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf das Vergessen werden, Nutzung des Namens, Urheberrechte an anwaltlichen Schriftsätzen etc. diesen nur der Kommerzialisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen.
Es geht darum, bestimmt das Geld, das kapital alles oder gibt es noch andere Werte und relevante. mächtige Gegenkomponenten.
Gegenwärtig läuft alles auf die vollständige Kommerzialisierung alles menschlichen, auf die Individualisierung.
Konflikte, Differenzen lösen die Gerichte, d.h. der Staat. Das ist Diktatur pur.
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit findet gegenwärtig ihre nicht zu überschreitenden grenzen im Kommerz der Massenmedien. Diese dürfen nicht pleite gehen.
Einzelpersonen, Blogger etc. sind zu beseitigende Störfaktoren.
Zensur als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Zensurrichter und Medienanwälte spielt ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
Zu einer stablne Gesellschaftsform füht das nicht.
Comment by Rolf Schälike — 5.10, 2014 @ 18:37
Ohne genaue Definition kann man unter dem Begriff Datenschutz sehr viel zusammenfassen; eine Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeit sind da schon wesentlich genauer, weil sie einen Schutz nur dann vorsehen, wenn ein Schaden verursacht werden kann. Eine bloße Namensnennung in einem harmlosen Zusammenhang, kann unter einen diffusen (und eventuell interessengeleiteten) Schutzbegriff gestellt werden; fragt man aber nach dem Schaden, der angerichtet werden kann, relativiert sich die Angelegenheit.
Wobei auch der Unterschied zwischen Meinungs- und Informationsfreiheit deutlich zu machen wäre; die erstere stellt eigentlich keinen Wahrheitsanspruch; Informationen können aber durchaus wahr (also zutreffend) sein.
Comment by metepsilonema — 5.10, 2014 @ 21:01
Wer sind denn diese „meinungsfeindlichen Strömungen“ auf EU-Ebene? In der Datenschützer-Community sind mir die jedenfalls noch nicht begegnet.
Comment by Ralf Bendrath — 5.10, 2014 @ 23:07
@Ralf Bendraht
Die meinungsfeindlichen Strömungen auf der EU-Ebene sind die Vertreter der Kommerzialisierung der Presse- und Meinungsfreiheit.
Zu finden im Internet: http://bit.ly/1uOmfdp
Art. 10 EMRK ist stärker auf die Kommerzialisierung der Meinungsfreiheit ausgerichtet.
Art. 5 GG ist meinungsfreundlicher, dafür ideologischer.
Das wird in der Fachliteratur thematisiert und diskutiert. Siehe: http://bitly.com/1uOmfdq
Comment by Rolf Schälike — 6.10, 2014 @ 00:39
@Ralf Bendrath: Wer ist denn das die Datenschützer-Community? Welche Forderungen gibt es, veröffentlichte Informationen auszunehmen oder zumindest ein weitgehendes Medienprivileg zu schaffen, das sich auf jeden erstreckt, der im Netz Inhalte veröffentlicht? Habe bislang nichts davon gehört.
Comment by Stadler — 6.10, 2014 @ 09:05
Zum Vergleich zwischen Art. 10 EMRK uznd Art. 5 GG findet man vieles im Internet:
http://bit.ly/1xg85Qr
In @5 war der Link fehlerhaft.
Comment by Rolf Schälike — 6.10, 2014 @ 10:14
Ich glaube nicht, dass wir mit einer Diskussion zu den den Inhalten von Grundrechten weiterkommen. Einerseits ist es so, daß alle Beteiligten einen effektiven Datenschutz und eine möglichst große Meinungsfreiheit wollen. Andererseits kann die Tatsache, daß etwas irgendwie öffentlich gemacht wurde, nicht zur Nichtanwendung der Anwendung der Datenschutzgesetze führen. Der Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im deutschen Recht zwar zielführend. Aber auf der Ebene einer europäischen Datenschutzregulierung ist er kein Ersatz, denn das APR existiert auf europäischer Ebene und in den Mitgliedsstaaten einheitlich so nicht. In Frankreich findet z.B. die Abwägung von Droits de l’Homme unter ganz anderer Methodik statt.
Daraus erklärt sich der Vorwurf von Jan-Philipp Albrecht, das gleiche einer Abschaffung des Datenschutz. Für die Betrachtung des deutschen Rechts ist das eine Polemik. Für die Betrachtung der europäischen Ebene ist es eine berechtigte Sorge.
Zuerst müssen wir feststellen, daß das Datenschutzrecht plötzlich den Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit auf europäischer Ebene herbeiführen muss. Da kann man nicht mehr allein mit deutschem Kartesianismus operieren ohne auf großes Unverständnis bei den anderen Europäern zu stoßen. Zu dieser Schwierigkeit kommt hinzu, daß ein Ausgleich der widerstreitenden Grundrechte in einem Prozess organisiert werden muss. Und das kann weder bedeuten, daß man den Mittler (Intermediaries) einfach die Verantwortung überbürdet und sie damit allein läßt (wie in Google vs. Spain). Noch kann es bedeuten, daß die Abwägung schon in der Datenschutz Grundverordnung getroffen wird. Vielmehr müssen wir über die Organisation dieses -in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen- Interessenausgleichs nachdenken und wie man in prozessual in der Grundverordnung verankern kann. Es geht also mehr um den Prozess und nicht um den Inhalt. Der Streit zum Inhalt ergibt sich als notwendige Folge eines guten Prozesses – sagt Habermas. Der Schwachpunkt des EuGH ist ja gerade, dass er uns alle an die Macht der Mittler verkauft hat. Bei der Organisation des Interessenausgleichs erhoffe ich mir mehr Offenheit vom Rapporteur und mehr Disziplin bei der Diskussion von uns allen.
Comment by Rigo Wenning — 6.10, 2014 @ 16:11
Lieber Rigo,
es gibt allerdings noch eine zweite europäische Ebene, nämlich die der Menschenrechtskonvention. Die Rspr. des EGMR ist in ihrer Grundstruktur der des BVerfG sehr ähnlich. Und die EU ist MItglied der MRK!
Was wir hier auch vermeiden müssen, sind Parallelstrukturen mit abweichender Wertung. Wenn man die Dinge nicht aus der Warte des einfachen Rechts (Datenschutz) betrachtet, sondern aus der verfassungsrechtlichen Sicht, ist die ergebnisoffene Grundrechtsabwägung unverzichtbar. Man sollte deshalb nicht versuchen, über das einfache Recht eine Abwgägung vorzugeben, die grundrechtswidrig ist.
Was hier auf europäischer Ebene gerade postuliert wird, ist ein Supergrundrecht auf Datenschutz. Und dem gilt es entgegenzutreten.
Comment by Stadler — 6.10, 2014 @ 18:29
Mit dem Datenschtuz sollte es ähnlich sein, wie mir dem „Recht aufs Vergessen“. Dieses Recht hat jeder. Aber nicht das „Recht auf das Vergessen werden“.
Dar Recht, seine Daten zu schützen, hat jeder. Da gibt es wohl Konsens.
Aber nicht jeder sollte das Recht haben, dass seine von ihm geschützten Daten , nicht bekannt werden.
Schwerpunkt sollte in der Rechtsprechung (und in den Gesetzen) nicht der absolute Datenschutz sein, sondern das Ergebnis des falschen Umgang mit schutzwürdigen Daten.
Der Datenschutz wird von den Kriminellen, den Betrügern zu sehr missbraucht.
Sehr genau ist zu untersuichen, wem der Datenschutz nnutzt und was passiert, wenn es weniger Datenschutz, weniger Geheimnisse in der Wirtschafft etc. gibt.
Gibt es Forschungen über den Zusammenhang von den Finanzblasen und dem Datenschuitz?
Comment by Rolf Schälike — 6.10, 2014 @ 20:04
@Stadler
„Was hier auf europäischer Ebene gerade postuliert wird, ist ein Supergrundrecht auf Datenschutz. Und dem gilt es entgegenzutreten.“
Deswegen sage ich ja, wir brauchen eine Prozess und dass der Rapporteur uns zuhören möge. Denn wir haben ‚was zu sagen. Die EMRK hilft Dir nicht, weil sie nur indirekt ein Teil der EU charta der Menschenrechte ist. Der EuGH hat grosse Macht bekommen. Das Parlament und der Rat sind die Gegenmacht. Der Rapporteur kann nicht so tun, als ob es das EuGH-Urteil und seine Schäden nicht gegeben hätte. Und wir können nicht so tun als ob es den massiven Missbrauch und die aberwitzige Lobbying Campagne nicht gegeben hätte. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte….
Comment by Rigo Wenning — 6.10, 2014 @ 22:47
@Stadler: Allein die Verwendung des Wortes „Supergrundrecht“ zeigt doch, dass es Ihnen (nur der Polemik willen) um die Diffamierung des Datenschutzes geht. Meinung, Meinungsfreiheit über Alles, …
Comment by Igel — 8.10, 2014 @ 15:27
Zitat Stadler: „Die Meinungsfreiheit umfasst insbesondere das Recht, sich kritisch zu bestimmten Personen und ihrem Verhalten und Wirken zu äußern. Das Datenschutzrecht beinhaltet demgegenüber zunächst das Verbot, konkrete Personen im Internet überhaupt namentlich zu nennen.“
Das stimmt so nicht, denn es kommt darauf an, um welche Personen es sich handelt. Stichwort Politiker, Ärzte, Lehrer etc. auf Bewertungsportalen zum Beispiel.
Überhaupt ist das eine Debatte, die an der Wirklichkeit vorbei geht, denn faktisch lästert, mobbt und verleumdet es in allen Foren, Blogs, sozialen Netzwerken, bis die Rechner glühen. Dort werden schon Kinder in den Selbstmord getrieben. Die hochfeine Juristen-Diskussion ist daher eher vergleichbar mit dem langweiligen Gequatsche der Philosophen-Runden, die sich nach einer halben Stunde selber nicht mehr verstehen. Im realen Netz läuft es anders ab. Da wird gemacht, was man will.
Comment by Eckhard — 8.10, 2014 @ 18:05
Der Anon Tor rüstet zur Zeit massiv auf, denn die übernächsten FF-Versionen werden Tor automatisch inne haben. Dann werden aus ein paar Millionen Nutzern schnell knapp 3 Milliarden Nutzer. Der Datenschutz in jeder Hinsicht damit nur noch Makulatur. Die Verwendung wird optional gestaltet, aber ich bin sicher, jeder wird sich damit anfreunden.
Dann wird die Debatte Datenschutz, Meinungsfreiheit, politische Hilflosigkeit und juristische Unmöglichkeit der eventuellen Strafverfolgung neu eröffnet werden (müssen).
Comment by Eckhard — 8.10, 2014 @ 18:26