Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

7.5.14

Lobos Rede zur Lage der Nation

Sascha Lobo hat auf der re:publica eine kämpferische Rede zur „Lage der Nation“ gehalten, in der u.a. nochmals seine These vom kaputten Internet verteidigt, die ich hier deutlich kritisiert hatte.

Lobo liest dem in Berlin anwesenden Teil der Netz-Community die Leviten wegen ihrer Passivität und fordert sie auf, dafür zu kämpfen, dass die aktuelle Überwachung des Internets durch NSA, BND und Co. nicht zur Normalität wird. Lobo bezieht sich in seinem Vortrag u.a. auf Herbert Marcuse und dessen These, dass bereits in die Konstruktion von Technologie Zwecke und Interessen der Herrschaft eingebaut seien.

Im zweiten Teil seiner Rede greift Lobo die Bundesregierung wegen der Nichtaufklärung des Spähskandals massiv an. Der SPD-nahe Lobo meint dann, man müsse der SPD als der weniger schlechten Regierungspartei helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben. Obwohl ich die Rede insgesamt für gut bis großartig halte, erscheint mir dieser Appell dann doch etwas naiv. Die SPD wollte schon immer gerne staatstragend sein und man kriegt ihre Spitenpolitiker immer am besten damit, dass man sie als politisch unzuverlässig qualifiziert. Und das funktioniert auch und gerade beim Thema Kontrolle von Geheimdiensten. Politiker wie Merkel oder Seehofer reagieren da auf öffentlichen Druck u.U. wesentlich deutlicher als andere, wofür Fukushima und die Energiewende das beste Beispiel bilden.

Aber beim Thema Überwachung fehlt einfach der Druck der Öffentlichkeit und auch der Druck der Straße, was Lobo im ersten Teil seiner Rede ja auch beklagt. Würde die Spähaffäre von der Öffentlichkeit tatsächlich als das Fukushima des Informationszeitalters wahrgenommen, dann würde sich auch die politische Haltung deutscher Spitzenpolitiker, egal ob von der Union oder der SPD schnell ändern. Merkel hatte sich nur vorübergehend etwas aufgeregt, als bekannt wurde, dass ihr Handy von der NSA abgehört wird. Nachdem sie aber bemerkt hat, dass die Überwachungsaffäre die deutsche Öffentlichkeit nicht übermäßig bewegt, sieht sie aktuell offenbar auch keinen Anlass mehr für politische Forderungen und Konseqenzen, weder im In- noch im Ausland. Das einzige was hier also helfen würde, ist öffentlicher Druck.

posted by Stadler at 15:32  

10 Comments

  1. Die Leute wollen halt Sicherheit. Muss man wissen. Zweitens sind die Kampagnenstrukturen verbesserungswürdig, hat Sascha ja drauf hingewiesen.

    Ist denn „Druck von der Straße“ überhaupt noch zeitgemäß? Es heißt doch immer, dass die Massendemos vorbei sind, wie sollen sich die Leute dann motivieren, auf die Straße zu gehen? Oder stimmt das nicht? Warum gehen die Leute dann nicht auf die Straße?

    Dein Beispiel Fukushima, hui. Ist das wegen des „Drucks von der Straße“ gekommen, oder gab es „Druck von der Straße“, nachdem Merkel es schon entschieden hatte? Ich bin unschlüssig. Müsste man mal Studien googeln.

    Comment by Julia Seeliger — 7.05, 2014 @ 15:42

  2. Nun, Sasha Lobo hat in erster Linie dabei versagt, uns aus der Passivität zu locken :-)

    Und im Beispiel Fukushima: Dort weiß man wenigstens halbwegs, was man dagegen machen kann.
    Außer „Internet neu erfinden“ fällt mir auch nichts mehr ein.

    Comment by Frank — 7.05, 2014 @ 15:44

  3. Erm, sorry, Nachtrag.

    Ich glaube außerdem, dass sich die meisten ein falsches Bild von „Politik“ und „Diskurs“ machen, und zwar in Bezug auf Wahrheit. Das führt dann zu der Enttäuschung, man könne ja „nur noch über Katzenbilder reden“. Dass dies in der Politik vielleicht nie anders war, wird dabei vergessen. (ich meine damit nicht, dass keine inhaltlichen demokratischen Entscheidungen zustande kommen, sondern, dass diese anders zustande kommen, als es sich die meisten denken)

    Vor dieser Enttäuschung ist anscheinend weder Sascha Lobo noch Frank Rieger noch Frank Schirrmacher noch die Piratenpartei gefeit. Deswegen müssen sie jetzt so schimpfen.

    Comment by Julia Seeliger — 7.05, 2014 @ 15:48

  4. Es gibt einfach keine Betroffenheit. Und es gibt nichts, worüber sich normale Bürger_innen so aufregen würden, dass sie dseshalb samstags auf die STraße gehen würden. Sogar weniger – es sind nicht einmal mehr die Massen mobiliserbar, die gegen ACTA auf die Straße zu bringen waren. Und man kann kaum sagen, dass sich die Netzprominenz nicht bemühte. Aber es fehlt halt das blutig-togeschlagene Robbenbaby des Internets. Es gibt praktisch keine Berichte darüber, dass irgendwer betroffen wäre – von der Sache mit dem Kochtopf jetzt mal abgesehen. Ansonsten passiert: nichts. Und worüber sollte man dann bestürzt sein oder gar das Gefühl haben: dagegen muss ich was tun?
    Und die „Netzgemeinde“: die sitzt lieber vor dem PC und twittert über die, die nicht auf die Straße gehen.

    Comment by Jörg Rupp — 7.05, 2014 @ 15:51

  5. Leider scheint die SPD für den Vorwurf der Unzuverlässigkeit nur dann empfänglich zu sein, wenn er von einer bestimmten Seite kommt. Dabei „glänzt“ sie vor allem von der anderen Seite mit Unzuverlässigkeit.

    Comment by Sebastian Lisken — 7.05, 2014 @ 16:08

  6. Bei Fukushima-Vergleichen ist nicht zu vergessen, dass auch die „Druck von der Straße“ von sehr starken und gewachsenen Organisationsstrukturen getragen wurde. Demo-Aufrufe kommen nicht von irgendwo, und wer Deutschlandweite Aktionen will, braucht im kleinen existierende Organisationsstrukturen, die sich vernetzen. Um das mal konkret zu machen: Es braucht in jeder Stadt irgendwen, der sich zuständig fühlt und weiß, dass wenn er zu einem bestimmten Thema einen Aufruf startet auch mindestens 20 bis 2000 Leute kommen. Und derjenige braucht eine kleine lokale Gruppe, mit der er sich treffen und diskutieren kann.

    Comment by Arne Babenhauserheide — 7.05, 2014 @ 16:51

  7. Der Vergleich mit Fukushima passt ganz gut, den dieser Super-GAU hat die Menschen wach gerüttelt und sogar sowas wie eine Energiewende ausgelöst. Nur war das nicht der erste Super-GAU. Eigentlich hätte das alles schon nach Tschernobyl passieren können, aber damals war der Glaube an Atomkraftwerke noch ungebrochen.

    Snowden ist das Tschernobyl des Internets. Wir müssen auf den zweiten Snowden warten, bis das Thema wirklich Wellen schlägt. Allerdings will ich mir fast nicht ausdenken, was für ein Vorfall das sein mag.

    Comment by Dirk — 7.05, 2014 @ 17:31

  8. Ich glaube wir haben hier ein Phänomen, dass wir aus dem Hellfeld unzulässig auf das Dunkelfeld schließen. Sascha Lobo recycelt Alt-68er Philosophen, um vom Hellfeld plausibel auf das Dunkelfeld zu schließen und scheitert(das misslingt Kriminologen, besonders in Hannover auch immer recht gut :-) Mein Eindruck ist eher, dass es in der Bevölkerung erheblich unter der Motorhaube grummelt. Aber selbst nach zwei deutschen DDR (Deutsches Reich 1945) und DDR, die massiv auch durch aus dem Ruder gelaufenen Geheimdiensten zerstört wurden (Gestapo und Stasi) ist es heute nicht so, dass man die Massen gegen die Staatsmacht mobilisiert, die unter den Augen von CDU-Schäuble Menschenraub durch die CIA zulässt, die Geheimdienste in Pakistan mit Drohnen morden lässt (und der BND dazu die Daten liefert), die schweigt, wenn die CIA in Syrien Terroristen mit Waffen beliefert, um das Land zu zerstören, die zulässt dass deutsche Geheimdienstler und AA-Mitarbeiter in Foltergefängnisse in Guantanamo schickt, um Menschen zu befragen, die nichts getan haben, aber von entarteten Geheimdiensten unter menschenunwürdigen Verhältnissen der Freiheit beraubt werden, oder die schweigt, wenn der GHCQ die Bürger in Deuschland durch heimliches Aufschalten der webcam beim Ficken bespannt. Wir haben eine sublimere Bedrohung durch den eigenen Staat, als wenn z.B. eine Mio. Menschen in Berlin 2003 auf die Straße gehen, um die Regierung zu unterstützen, nicht in den Irakkrieg zu ziehen (wohin Merkel so dringend hinwollte und der eigenen Regierung landesverräterisch in der Washington Post in den Rücken fiel, indem sie eine fremde Macht unterstützte eine rechtswidrigen Angriffskrieg zu führen).

    Das Sascha Lobo nun die SPD über den Keks lobt, wie Nico heute auch, hat was surreales:
    – Die SPD hat die Vorratsdatenspeicherung im Programm. Lars Klingbeil konnte sich gegen die Noske-Fraktion („Einer muss den Bluthund machen“) nicht durchsetzen.
    – Brigitte Zypries schrieb mir auf die Frage, warum nach dem Zugangserschwerungsgesetz denn kleine Provider (< 10.000 User) ungehemmt Kinderpornografie an Schulen z.B. durchleiten dürfen sollten, deren Lagerorte dem BKA bekannt waren, aber nicht gelöscht werden sollten, dass es für Schulen ja Filtersoftware gäbe. Als ehemalige Justizministerin hatte sie aber übersehen, dass die Weitergabe der hoch geheimen BKA-Sperrlisten an Dritte wie Softwarehersteller als Ordnungswidrigkeit im Zugangserschwerungsgesetz streng verboten wurde.
    – Gabriel hat sich erblödet, die VDS mit Hinweis auf Norwegen zu begründen und hat das Blaue vom Himmel gelogen.
    – die Beseitigung der Störerhaftung bei offenen LANS (selbstverständlich mit integrierter VDS, anders als in USA) wurde von der SPD in Berlin und Hamburg so dilettantisch in den Bundesrat eingebracht, dass sich die Legislative auch noch von der Exekutive vorführen ließ.

    Und diese in Netzwerkpolitk traditionell verhindernde SPD soll jetzt zum Hoffnungsträger von Sascha und Nico hochgejazzt werden? In einer Mischform aus postmoderner APO und traditionell im Parlament vertretenen Partei?
    Ich glaube nicht, dass diese Kosmetik an der äußeren Form zielführend ist.

    Wir wissen jetzt genug darüber, welche globalen Probleme global operierende Geheimdienste schaffen, wie sie Demokratie und Rechtsstaat abbauen. Wir müssen jetzt anfangen über neue, globale Sicherheitsarchitekturen sprechen, damit die Geheimdienste nicht weiter unsere Gesellschaften zerstören. Das Analogon zum Spionage-GAU ist m.E. nicht die Atomkraft, sondern die Atombombe. In Hiroshima und Nagasaki wurden von einer demokratischen Gesellschaft hunderttausende Frauen, Kinder, Alte, Wehrlose, Nichtkombattanden in Sekunden pulverisiert. Weil es technisch möglich war. (Wo die Nazis sich noch Monate und Jahre mit konventionellen Öfen abmühten, um Menschen zu vernichten). Erst später wurde klar, dass durch diese Schwerstverbrechen die Welt nicht sicherer machen würde. Also kam der Atomwaffensperrvertrag.

    Jetzt spionieren die Geheimdienste, weil es technisch möglich ist. Nicht etwa um Terror zu bekämpfen. Das ist das Ergebnis ja erschrecken. Sie liefern gar nicht.

    Ich glaube, wenn wir anfangen über Lösungen statt über Formen der Findung von Lösungen zu diskutieren, kommen wir weiter. Die Schaukämpfe, wo wann Snowden verhört werde könnten, sind immer noch nur Analysephase ohne Chance auf erhöhten Erkenntnisgewinn. Aber da haben Saschas viel zu lange Rede und Nicos Einwurf zur Stützung der SPD aus der APO heraus wenig gebracht.

    Um nicht nur negativ zu kritisieren, habe ich einen möglichen Lösungsansatz aufgeschrieben:
    http://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/2014/04/26/geheimdienste-mussen-global-durch-un-reguliert-werden/

    Comment by Wolfgang Ksoll — 7.05, 2014 @ 22:27

  9. Das Problem der Untätigkeit in der NSA & Co. Spionageaffäre greift tiefer. Da hilft auch kein Auftritt von Sascha Lobo bei der re:publica, denn dort erreicht Sacha Lobo lediglich ein Fachpublikum.

    Der „normale“ Bürger versteht ganz einfach nicht, was die NSA Spionage ganz konkret für ihn selbst bedeuten könnte.

    Dieses Problem wiederum klar und verständlich dem Bürger zu vermitteln, überfordert allerdings ein informiertes Fachpublikum. Die Katze beißt sich somit in den eigenen Schwanz und wir als Gesellschaft drehen uns weiter im Kreis.

    Die deutschen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu den USA sind offenbar wertiger als eine millionenfach stattfindende Überwachung unserer Bürger und Unternehmer, denn diese wird bis heute billigend von unserer Regierung in Kauf genommen, was an sich schon ein Skandal ist.

    Hier einen Ausweg zu finden, dass die BRD- und die europäischen Bürger sich gegen diese Überwachung unmissverständlich wehren, wird wohl „die“ Frage sein. Ich habe leider auch keine realistische Antwort darauf. Eine realistische Antwort wäre allerdings dringend notwendig!

    Comment by Thomas Lang — 8.05, 2014 @ 11:30

  10. „Der “normale” Bürger versteht ganz einfach nicht, was die NSA Spionage ganz konkret für ihn selbst bedeuten könnte.“

    Das halte ich für falsch. Es ist viel schlimmer. Sie wissen, was es bedeutet, aber es ist ihnen egal. Der Großteil der Onliner kann mit dem Wort Datenschutz gar nichts mehr anfangen, weil die Kinder mittlerweile schon in der Grundschule ihr Privatleben ins Netz stellen.

    Und je mehr wir von diesen Dummköpfen online haben, desto angreifbarer wird der Datenschutz für die Menschen, die größten Wert darauf legen und sogar das Wort schreiben können.

    Dummköpfe und Ignoranten aufzuklären ist so nutzlos, wie einen durstigen Säugling an die Männerbrust zu legen.

    Comment by Linus — 9.05, 2014 @ 20:06

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