Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.4.14

Gerichte urteilen zum Filesharing weiter uneinheitlich

Während das Amtsgericht Bielfeld in einer neuen Entscheidung zum Thema Filesharing die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast zutreffend anwendet und außerdem auch die Lebenswirklichkeit berücksichtigt, hat das LG München I nahezu zeitgleich einen vergleichbaren Sachverhalt gegenteilig entschieden. In beiden Fällen ging es zentral um die Frage, ob sich ein Anschlussinhaber darauf berufen kann, dass in seinem Haushalt mehrere andere Familienmitglieder das Internet selbständig benutzen, oder ob er darüber hinaus vortragen muss, wer konkret der Rechtsverletzter ist bzw. was seine Angehörigen zu dem besagten Zeitpunkt genau gemacht haben und ob und inwieweit sie das Internet zu dem fraglichen Zeitpunkt genutzt haben.

Das Amtsgericht Bielfeld hat mit Urteil vom 06.03.2014 (Az.: 42 C 368/13) die Klage eines großen Tonträgerhertsellers abgewiesen und dies im wesentlichen wie folgt begründet:

Eine tatsächliche Vermutung besagt lediglich, dass auch Tatsachen, für die der sog. Beweis des ersten Anscheins spricht, d. h. auf deren Vorliegen aus unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen sind, vorliegen. Gleichwohl ist von der Klägerin die entsprechende Tatsachenbehauptung, auf deren Vorliegen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen ist, vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens) soll eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061). Die Annahme einer derartigen tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbständig und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzlichen Bedenken. Die Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass eine Hausgenossen selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Hamm, Beschluss v. 27.10.2011, I – 22 W 82/11; OLG Hamm, Beschluss v. 04.11.2013, I – 22 W 60/13; OLG Köln NJW-RR 2012, 1327; AG Hamburg, Urteil v. 30.10.2013, 31 C 20/13; AG München, Urteil v. 31.10.2013, 155 C 9298/13).

Vollständig gegensätzlich hat das Landgericht München I hat mit Urteil vom 19.03.2014 (Az.: 21 S 10395/13) entschieden. Die Begründung auf die sich beispielsweise das AG Bielefeld und unlängst das OLG Hamm stützen, hat das LG München I als durch die Morpheus-Entscheidung des BGH überholt angesehen.

Nach Ansicht des LG München I genügt weder der Vortrag, man sei als Anschlussinhaber selbst im fraglichen Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, noch der Vortrag, dass neben dem Anschlussinhaber auch noch die Ehefrau und zwei volljährige Söhne den Internetanschluss selbständig nutzen, den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast. Das Landgericht bezieht sich in seinem Urteil außerdem auch auf die aus seiner Sicht zutreffende Urteilsbegründung erster Instanz.

Wirklich haarsträubend wird es beim Landgericht München I allerdings bei der Begründung für die Nichtzulassung der Revision. Die Revision wurde deshalb nicht zugelassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage gesichterter höchstrichterlicher Rechtsprechung handle. Das ist angesichts des Umstandes, dass die Gerichte vergleichbare Sachverhalte landauf landab aktuell immer wieder konträr entscheiden und es keine einzige BGH-Entscheidung gibt, die sich mit der Frage befasst, ob die Berufung darauf, dass andere Familienmitglieder den Internetanschluss ebenfalls benutzen, ausreichend ist, um die vom BGH postulierte Vermutung einer Rechtsverletzung durch den Anschlussinhaber zu entkräften, schlicht nicht mehr nachvollziehbar.

Das Landgericht München I geht zudem davon aus, dass Abmahnkosten und Schadensersatz auch ohne gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs verfolgt werden können, während andere Gerichte diese isolierte Geltendmachung als rechtsmissbräuchlich ansehen.

posted by Stadler at 11:52  

11 Comments

  1. Könnte man sich nicht auch auf ungefixte Lücken in der Routersicherheit berufen, die ja ständig auftauchen und somit dem Hersteller eine Störerhaftung anrechnen?
    Zum Beispiel: ein unbekannter Rechner im WLAN Log bei ausreichend sicherem Schlüssel.

    Comment by Bassomat — 3.04, 2014 @ 16:23

  2. @ 1: Interessantes Argument, würde sich auch mit dem Tenor der SUL-Entschgeidung des BGHs decken.

    Dort wird nur verlangt, dass der Schlüssel ausreichend sicher sein muss.

    Das der „Nutzer“, der Begriff „User“ dürfte ehr gefährlich in dem Kontext sein, siehe „TRON“, ein vollausgebildeter Informatiker sein muss wird nicht verlangt.

    Interessant wird auch die Frage ob man sich wirkllich gegen „brute force“ und andere „Hacker-Angriffe“ schützen kann, als Laie.
    Denn von „Bugs“ weiss der „Privatnutzer“ eigentlich nie was, denn er kennt weder den techn. Aufbau des Routers, noch den Quellcode der Steuerungssoftware oder der Scnittstelle mit dem OS.

    Comment by Anonymous — 3.04, 2014 @ 17:49

  3. Lieber Kollege Stadler,

    die nicht plausibel und nicht durchgreifend begründete Nichtzulassung der Revision erinnert an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2012 (Az. 1 BvR 2365/11), mit dem ein Urteil des 6. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Köln vom 22.07.2011 (Az. 6 U 208/10) nach Verfassungsbeschwerde aufgehoben wurde und der am 08.01.2014 bekanntlich doch noch zur Korrektur jener OLG-Entscheidung durch den BGH (Az. I ZR 169/12) führte.

    Da ist wohl zunächst an eine Anhörungsrüge (und hilfsweise Gegenvorstellung) nach § 321a ZPO zu denken, oder?

    Comment by Ralf Petring — 3.04, 2014 @ 20:34

  4. Und selbst als Nichtlaie kann man wenig dagegen machen, wenn die Geräte Lücken haben.

    Comment by Frank — 3.04, 2014 @ 21:55

  5. @ Frank:
    Das ist richtig, aber ein „USER“ hat mehr Möglichkeiten als der „Laie“.
    Vor allem wird der wahrscheinlich nicht zu einem der bekannten Großmärkte gehen und sich einen Router vom „Wühltisch“ besorgen, nach dem Motto: „Gig“ oder“Ibdnb“.

    Ein andere Frage ist zum Beispeil die „Provider Haftung“.
    Nich im Sinne von der „Provider haftet für den Kunden“, sondern der Provider haftet für die Geräte die er anbietet und für die der Kunde ja auch miete Zahlt, entweder konkret pro Monat oder als Prozentsatz in seiner Flatrate.

    Mit einer Gerätehaftung auf seiten der ISP wäre auch wieder Waffengleichheit hergestellt, da sich dort dann wieder zwei „gewerbliche“ Parteien streiten und nicht der Verbraucher mit einer Unternehmerhaftung konfrontiert wird.

    Im Zusammenhang mit den „Redtube-Abmahnungen“ und auch Entscheidungen aus München hat man von Klägerseite durchaus „Kreativität“ erlebt.

    Strafrechtlich wäre dann zwar der Tatbestand des Betrugs erfüllt, wenn dieses ein „gemeinsames Handeln“ erkennen läßt.

    Jedoch geht es bei den Abmahnverfahren nicht um Recht oder Unrecht sondern um Einnahmen.

    So weit ich weiß werden Abmanungen eher gegen finanziell schwache Gegener und gegen „Normalnutzer“ durchgefochten.

    Die BGH Entscheidungen zur Eltern-Kind-Haftung wurde z. B. von Klägern aus der Grundsicherung erreicht, sondern von finanzkräftigerern Personen.

    Comment by Anonymous — 3.04, 2014 @ 23:49

  6. „Die BGH Entscheidungen zur Eltern-Kind-Haftung wurde z. B. von Klägern aus der Grundsicherung erreicht, sondern von finanzkräftigerern Personen.“

    Falsch – nur eines davon („Morpheus“), aber nicht „BearShare“ und schon gar nicht I ZR 7/14 (anhängig)

    Comment by Shual — 4.04, 2014 @ 09:03

  7. Lieber Kollege Petring,
    die Gehörsrüge halte ich an sich nicht für notwendig und zielführend, weil die Nichtzulassung der Revision keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern des gesetzlichen Richters ist. In der von Ihnen angesprochenen Entscheidung des BVerfG wird auch deutlich gemacht, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vorliegt.

    Es könnte durchaus sein, dass Verfassungsbeschwerde erhoben wird. Gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 6 GG.

    Comment by Stadler — 4.04, 2014 @ 10:58

  8. @ Shual:
    Worum geht es in dem verfahren I ZR 7/14 ?

    Jedoch bleibe ich bei meiner Haltung, dass „Massenabmahnungen“ tendenziell eher gegen Personen gerichtet werden, die nicht ein fünf- oder sechstelliges Prozessrisiko tragen können.

    Wenn sie nicht in Insolvenz gehen wollen.

    Denn anders wäre solch ein Modell nicht praktikabel, wenn der Abmahner bei der Mehrzahl der Abmahnungen mit einem Gerichtsverfahren rechnen müsste.

    Comment by Anonymous — 4.04, 2014 @ 11:16

  9. @Anonymous
    5.“Jedoch geht es bei den Abmahnverfahren nicht um Recht oder Unrecht sondern um Einnahmen.“

    Das dürfte inzwischen landläufig bekannt sein, aber ich sehe hier mittlerweile nicht mehr nur die Abmahner in der Schuld, sondern habe meine Zweifel, ob solche Gerichte wie das in München, nicht auch Urteile nach Profit sprechen.
    Wie könnte das Gericht oder die Gerichte davon profitieren, wenn sie Urteile sprechen, die recht seltsam scheinen und zum Widerspruch anregen?
    Könnte es sogar eine finanzielle Verbindung zwischen Richtern und Abmahnern geben?
    Was ist deren wirklicher Beweggrund, solche Urteile zu sprechen?
    Dem sollte mal nachgegangen werden, denn diese Richter erwarten Kontrolle (zwar nicht bei sich selbst, sondern den Beschuldigten), also sollten sie auch mal Kontrolle bekommen, bei sich selbst.
    Denn irgendwas kann bei denen nicht stimmen, sagt mir mein gesunder Menschenverstand.

    Comment by Frank — 4.04, 2014 @ 17:41

  10. @8

    I ZR 7/14 – arm/allein erziehend, etc….

    Ansonsten sind die gängigen Massenabmahnsysteme „repräsentativ“, was die Abgemahntenseite angeht. Es kommt bei solider Ermittlung auf die „Werke“ selbst an – hier wären bei zB Serien von Hörbüchern eher die gut situierten Abgemahnten überrepräsentiert.

    Auch definierte sich die Gegenwehr nur anteilig über die finanzielle Seite. Bis zum Inkrafttreten des § 104a UrhG bestand zB ein massiver und rein psychischer Druck auf Grund des oftmals hunderte Kilometer entfernten Gerichtsstands und bekannt „unnachgiebiger“ Richter dort. Es gibt weitere Punkte, wie „Pornoklagen“, die so ziehmlich keiner gerne hat, etc…

    Ich persönlich habe alles anzubieten, was sich gewehrt hat. Von der armen Migrantenfamilie auf HarzIV bis zum Unternehmer. Und genauso auch andersrum.

    Es gibt aber auch Auffälligkeiten im Klagewesen. So hat eine Hamburger Porno-Kanzlei zu 98% (meine Statistik) allein gegen Männer zwischen 30 und 50 Jahren Klage erhoben, die also auch zum Großteil voll berufstätig waren, etc…

    Comment by Shual — 4.04, 2014 @ 17:47

  11. @ Frank:
    Zu den finanziellen Verflechtungen ( Gericht Kanzlei), gibt es auch schon Aussagen.
    Leider sind diese Fälle eben durch den „fliegenden Gerichtsstand“ legal gewesen.
    Das Gericht was sehr für die Abmahner entschieden hat, hat eben gut zu tun.
    Braucht also Richter (R1 ~ 3.700 € brutto).

    Comment by Anonymous — 5.04, 2014 @ 16:48

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