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Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.8.13

OLG Nürnberg ordnet Wiederaufnahme an: Mollath kommt sofort frei

Das OLG Nürnberg hat heute einen Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 24.07.2013 aufgehoben und die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Gustl Mollath angeordnet. Der Vorsitzende des Senats hat außerdem die unverzügliche Entlassung Mollaths aus der Unterbringung verfügt.

Das Oberlandesgericht hat nur einen einzigen Wiederaufnahmegrund bejaht, nämlich den der unechten Urkunde und sich deshalb mit den weiteren Aspekten erst gar nicht beschäftigt. Hierzu wird in der Pressemitteilung des Gerichts ausgeführt:

Der Senat stützt seine Entscheidung auf § 359 Nummer 1 der Strafprozessordnung (StPO). Danach ist die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens zulässig, wenn eine in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten vorgebrachte Urkunde „unecht“ ist. Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie auf einen Aussteller hinweist, von dem die Erklärung tatsächlich nicht stammt.

Als solche im juristischen Sinne „unechte Urkunde“ wertet der Senat ein ärztliches Attest vom 3. Juni 2006. Dieses Attest wurde zwar von einem approbierten Arzt verfasst und ausgestellt, der zudem die zugrunde liegende Untersuchung persönlich durchgeführt hatte. Das Attest selbst nennt aber nur den Namen der Praxisinhaberin, so dass der Eindruck entstand, diese gebe ihre eigenen Feststellungen wieder. Durch übermäßige Vergrößerung der Urkunde könne zwar festgestellt werden, dass der Unterschrift ein Vertretungshinweis („i.V.“) beigefügt war. Auf dem Attest in Originalgröße sei dieser Zusatz aber weder für den Senat noch ? soweit ersichtlich ? für die Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren erkennbar gewesen.

Zwar ist es in verschiedenen Rechtsbereichen zulässig, dass der Vertreter eine von ihm ausgestellte Urkunde sogar mit dem Namen des Vertretenen unterschreibt, wenn dieser damit einverstanden ist. Dann muss nicht einmal auf die Vertretung hingewiesen werden. Anders sei dies ? so der Senat ?, wo nicht geschäftliche Erklärungen abgegeben werden, sondern jemand seine höchstpersönlichen Wahrnehmungen wiedergibt. Bei solchen Erklärungen könne es keine zulässige Stellvertretung geben. So liege der Fall hier. Das Attest sei daher im Sinne des § 359 Nr. 1 StPO „unecht“.

Wegen der Bedeutung des Attests für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung sei eine Auswirkung dieses Umstandes auf die Ausgangsentscheidung nicht auszuschließen.

Da schon dieser Wiederaufnahmegrund durchgreift, kam es auf andere in den Wiederaufnahmeanträgen genannte Gesichtspunkte nicht mehr an.

Dies deckt sich mit meiner Einschätzung, dass das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahme zu Unrecht versagt und auch die fragliche Urkunde zu Unrecht als echt bewertet hat.

Das Strafverfahren muss jetzt nochmals von vorne beginnen und kann grundsätzlich natürlich auch mit einer Verurteilung Mollaths enden.

Nachdem sich das Landgericht Regensburg vier Monate Zeit gelassen hat, konnte das OLG in weniger als zwei Wochen entscheiden. Das ist auch deshalb erfreulich, weil der Freiheitsanspruch von Mollath eine zügige Entscheidung erforderte. Dem OLG Nürnberg saß vermutlich aber auch das Bundesverfassungsgericht im Nacken. Dieses hätte voraussichtlich im August zwar nicht über die Frage der Wiederaufnahme, sondern nur über die Fortdauer der Unterbringung entschieden. Wenn Mollath allerdings erst aufgrund einer Entscheidung aus Karlsruhe freigekommen wäre, hätte sich die bayerische Justiz damit vollends blamiert. Ich möchte nicht ausschließen, dass auch dieser Umstand den Senat zu einer zügigen Entscheidung veranlasst hatte.

Update vom 07.08.2013:
Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist mittlerweile auch im Volltext verfügbar.

Etwas vorschnell hatte ich gestern behauptet, Gustl Mollath könnte in dem jetzt neu aufzurollenden Strafverfahren auch verurteilt werden. An dieser Stelle muss ich mich korrigieren. Manchmal hilft auch der berühmte Blick ins Gesetz. § 373 Abs. 2 StPO enthält nämlich ein Verbot der Schlechterstellung in den Fällen, in denen nur der Verurteilte oder zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme beantragt hat. Das frühere Urteil darf dann in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Verurteilten geändert werden. Die Besonderheit besteht im Fall Mollath jetzt darin, dass er in dem ersten Verfahren ja wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde.

Da das Gesetz eine Schlechterstellung im Rechtsfolgenausspruch verbietet, bedeutet das, dass Mollath jetzt zwar im Schuldspruch formell verurteilt werden könnte, dass aber die Rechtsfolge einer Geld- oder Freiheitsstrafe nicht verhängt werden darf, egal welche Erkenntnisse das Verfahren liefert. Mollath kann also in dem neuen Verfahren nicht bestraft werden. Hierauf weist Henning Ernst Müller im Beck-Blog zu recht hin. Er könnte allenfalls erneut nach § 63 StGB unterbracht werden. Das dürfte aber angesichts dessen, dass die siebenjährige Unterbringung kaum verhältnismäßig war und eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit allein wegen einer Tat, die über 10 Jahre zurückliegt, kaum mehr prognostiziert werden kann, äußerst unwahrscheinlich sein.

posted by Stadler at 12:21  

23 Comments

  1. Was ist denn eigentlich, wenn sich am Ende herausstellt, dass Herr Mollath unschuldig weggesperrt war. Bekommt er dann die ganzen Vermögensschäden ersetzt, die er erlitten hat? Haus verloren, kein Arbeitsentgelt für mehrere Jahre bekommen, verringerte Rentenansprüche wegen dieser Ausfallzeiten und vieles mehr.

    Comment by Rangar — 6.08, 2013 @ 12:28

  2. Schön, dass sich in Bayern der Rechtsstaat gegenüber dem Amiga-Sumpf durchzusetzen scheint. Wenn auch spät.

    Comment by Wolfgang Ksoll — 6.08, 2013 @ 12:50

  3. Was lange währt, wird endlich gut.

    Comment by SC — 6.08, 2013 @ 13:17

  4. Die bayerische Justiz hat sozusagen „in allerletzter Sekunde“ die Kurve bekommen und sich vor einer wahrlich schallenden Ohrfeige aus Karlsruhe noch rechtzeitig weggeduckt. Die Freilassung Mollaths war nur noch eine Frage der Zeit, wie schon sein RA Strate mitgeteilt hat. In den Medien wird nun der Eindruck erweckt, die Wiederaufnahme und Freilassung Mollaths sei das „Ziel von Frau Merk“ gewesen. Das ist schon bemerkenswert, wie immer wieder die Fakten manipuliert werden.

    Comment by Schwerd — 6.08, 2013 @ 13:46

  5. „Zwar ist es in verschiedenen Rechtsbereichen zulässig, dass der Vertreter eine von ihm ausgestellte Urkunde sogar mit dem Namen des Vertretenen unterschreibt, wenn dieser damit einverstanden ist. Dann muss nicht einmal auf die Vertretung hingewiesen werden. Anders sei dies, so der Senat, wo nicht geschäftliche Erklärungen abgegeben werden, sondern jemand seine höchstpersönlichen Wahrnehmungen wiedergibt. Bei solchen Erklärungen könne es keine zulässige Stellvertretung geben. So liege der Fall hier. Das Attest sei daher im Sinne des § 359 Nr. 1 StPO ´unecht´.“

    Wow! Das erinnert doch 1:1 an das, was ich mit OG hier im Blog „erarbeitet“ habe! Ich gebe zu: ich bin gerade mächtig gut gelaunt ;-)

    Comment by BrainBug2 — 6.08, 2013 @ 14:17

  6. @Rangar: IMHO könnte es eine Haftentschädigung geben:https://de.wikipedia.org/wiki/Haftentschädigung
    Es steht Herrn Mollath natürlich frei, die Verantwortlichen (Ehefrau, Helfer usw.) zu verklagen und zivilrechtliche Forderungen zu stellen. Wenn sie schuldig gesprochen werden.

    Comment by Werner — 6.08, 2013 @ 14:21

  7. @Werner
    Naja, wenn ich da sehe, dass es 25 Euro pro Tag gestohlener Lebenszeit gibt, kann ich das nur als menschenunwürdig bezeichnen.
    Müsste nicht eigentlich die Staatskasse für den (Vermögens)schaden aufkommen, wenn die Justiz eine Fehlentscheidung trifft?

    Comment by Rangar — 6.08, 2013 @ 15:10

  8. Zunächst ist heute ein Freudentag. Egal, wie das kommende Verfahren auch immer ausgeht, Herr Mollath wird nicht nochmal, wo auch immer, hinter Gittern landen.

    Zu verdanken hat er die Freilassung nicht der Einsicht der Justiz, sondern alleine dem Druck des Bundesverfassungsgerichtes und der kommenden Landtags- und Bundestagswahl. Die bundesweite Empörungswelle konnte anders nicht mehr gestoppt werden, einige Politiker haben sich eingemischt, nicht ohne Erfolg, auch wenn das bestritten wird, im Usus bestritten werden muß.

    Auch der Presse ist zu danken, vor allem der Süddeutschen, die das Thema, wie versprochen, niemals hat einschlafen lassen, ausdrücklich und gerade online nicht.

    Ein paar Redaktionen haben es sich nicht nehmen lassen, diesen Fall als Deutschlands Guantanamo zu bezeichnen. Ich stimme zu und weise darauf hin, daß der Fall des Herrn Mollath kein Einzelfall ist.

    Es gibt daher noch reichlich Arbeit in dem vermeintlichen Rechtsstaat Deutschland.

    Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 16:59

  9. Allgemein möchte ich festhalten, daß Richter niemals objektiv handeln, das können Menschen bei bestem Bemühen nicht. Dazu gibt es eindeutige Studien, mutige Richter haben das auch schon in Diskussionsrunden zugegeben.

    Richter sind ebenfalls nicht unabhängig, sondern in ihrem Klüngel stets gefangen, geradezu verhaftet.

    Richter sind Menschen mit Fehl und Tadel.

    Wer meint, es nicht zu sein, sollte sich ein anderes Betätigungsfeld suchen.

    Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 18:39

  10. Ein Freudentag, wahrlich! Hoffentlich kommen jetzt auch die wahren Täter im Fall Mollath vor Gericht!

    Comment by fernetpunker — 6.08, 2013 @ 20:35

  11. @Oswald

    Du kennst mich! Der Typ würde den Gerichtssaal wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt nicht unter drei Jahren Haft ohne Bewährung verlassen.

    Aber ich kann Dir jetzt schon sagen, daß das Subjekt diese Strafe nicht erhält. Es wird mal wieder eine Geldstrafe, weil wir es mit den Amtsträgern zutun haben, die ihren Job missverstehen als Schützer der armen Polizeibeamten, die immer gar so schrecklich mit dem Bodensatz der Gesellschaft in Kontakt kommen müssen, den Kopf hinhalten (oder eher anderen den Kopf einschlagen).

    Es wäre an der Zeit, daß Richter verstehen:

    Der Bodensatz kann auch Uniform tragen!

    Eine solche Einsicht kann man sich abschminken, dazu kenne ich die Kollegen zu gut. Sie sind nicht in der Lage, hier ein gerechtes Urteil zu sprechen. Geldstrafe, wette?

    Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 20:42

  12. Ich habe vollstes Verständnis. Wenn es meine Tochter gewesen wäre….

    Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 21:02

  13. Nachbarn von Frank W. sagen hinter vorgehaltener Hand, daß der Knabe seine Ehefrau oft genug verdroschen hat. Sie haben Angst, das laut zu sagen, weil Frank W. seine Dienstwaffe in der Wohnung deponiert. Seine Ehefrau habe Angst, er würde sie erschießen, wenn sie jetzt den Mund aufmacht.

    Es kommen sicherlich noch viele Fakten ans Licht.

    Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 21:17

  14. Hallo, hier geht´s um Mollath!

    Comment by fernetpunker — 7.08, 2013 @ 00:36

  15. Zuerst mal freue ich mich für Herrn Mollath dachte zuerst ich höre nicht richtig als ich es im Rundfunk hörte.

    Da ist ja soviel im Argen das es schon lange einer Wideraufnahme bedarft hätte, war ja auch die Meinung von ausgewiesenen Rechtsexperten die ich so die letzte Zeit zu dem Fall gehört habe.

    Meine persönliche Meinung es ist schon erschreckend wie leicht man doch jemanden wegsperren kann und diesen seiner Existenzgrundlagen berauben kann.

    Was ich auch aus der Presse vernommen habe ist der Umstand das Herr Mollath nun über keinerlei Papiere verfügen soll, wie kann denn das sein? Auch wenn diese abgelaufen sein sollten, so zählen diese doch auch zumindest zum Besitz eines Menschen.

    Bin mal gespannt wie sich das alles nun so weiter entwickelt aber dennoch erst mal ein schöner Tag für Herrn Mollath und kämpfen zahlt sich manchmal doch auch aus…

    MFG

    Comment by Rudy — 7.08, 2013 @ 03:49

  16. Wenn öffentlicher Druck dafür notwendig ist, dass jemand zu seinem Recht kommt, ist irgendwas falsch. Und umso trauriger für diejenigen, die zwar im Recht sind, aber aus irgendwelchen Gründen nicht das Glück haben, die Medien auf ihrer Seite zu haben, sondern im besten Fall von diesen ignoriert oder schlimmstenfalls sogar diffamiert werden. Für diese Menschen sieht es dann nämlich ziemlich düster aus, wenn der öffentliche Druck für das Vorgehen der Justiz der entscheidende Faktor ist.

    Comment by Annabelle Mcgowan — 8.08, 2013 @ 14:33

  17. Wenn das ärztliche Attest tatsächlich vom 3. Juni 2006 (wie Sie schreiben) stammen sollte, wäre es wohl nicht nur unecht, sondern auch etwas spät entstanden.

    Comment by Barth — 9.08, 2013 @ 16:46

  18. Herr Mollath hat als erste Maßnahme einen BPA beantragt. Er möchte nicht mehr als Unperson gelten, es ist ihm anscheinend besonders wichtig angesichts des Verbrechens, welches dieser Staat an ihm verübt hat.

    Der CSU wird das im Wahlkampf wenig nutzen, daß Herr Mollath jetzt freigekommen ist. Diese Freilassung ist alleine der Öffentlichkeit und Presse zu verdanken. Ohne deren Bemühungen würde Herr Mollath heute noch in der Klapse sitzen. Seehofer hat sich auch nur aufgrund des Wahlkampfes eingesetzt, vorher fein geschwiegen. Merk sollte dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst. Unfähig, verlogen, verkommen.

    Comment by Sven — 10.08, 2013 @ 12:27

  19. Ps. Es wird ein Buch über den Fall geschrieben, in welchem Herr Mollath auspackt. Dieses Buch wird sich monatelang auf der Spiegel-Bestseller-Liste befinden. Mein Wort!

    Comment by Sven — 10.08, 2013 @ 12:32

  20. Gustl Mollath: Fall für Transparency International
    http://german.ruvr.ru/2013_08_05/Gustl-Mollath-Fall-fur-Transparency-International-4361/

    Comment by Walter Keim — 12.08, 2013 @ 02:47

  21. „Whistleblower in der Klapse, Bankster unbehelligt“
    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hypo-vereinsbank-whistleblower-in-der-klapse-bankster-unbehelligt/7456514-2.html
    In den USA hat die Hypo-Vereinsbank für Steuerhinterziehung Strafe bezahlt in Deutschland wurde Anmelder weggesperrt: http://t.co/mgK9I2p34g

    Comment by Walter Keim — 12.08, 2013 @ 16:50

  22. Nachdem sich die Politik und Justiz auf den Weg zum Rechtsstaat begeben haben ist auch für die Psychiatrie Wahrheit, Wissenschaftlichkeit und Rechtsstaatlichkeit angesagt: http://home.broadpark.no/~wkeim/files/Leipziger.html

    Comment by Walter Keim — 25.08, 2013 @ 18:06

  23. Gustl Mollath bei der Tagung der GAG in Giessen am 24.August
    Über die undemokratischen Strukturen in der Justiz und im Gutachterwesen. Eine Podiumsdiskussion über “Richter und ihre Denker”.
    http://tv-orange.de/2013/08/gustl-mollath-bei-der-tagung-der-gag-in-giessen-am-24-august/

    Comment by Walter Keim — 25.08, 2013 @ 22:10

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