Das Internet ist ein grundrechtsfreier Raum
Dass die Geheimdienste in eher großem als in kleinem Stil das Internet und die Telekommunikation überwachen, wusste man irgendwie bereits vor Snowden, auch wenn dieser Umstand bislang nicht in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit vorgedrungen war.
Was Glenn Greenwald jetzt im Guardian schreibt, geht aber sogar über das hinaus, was bisher von Menschen behauptet wurde, die in dem Ruf stehen, Verschwörungstheoretiker zu sein. Die NSA betreibt danach nicht nur eine weitgehende Speicherung der individuellen Kommunikation (E-Mails, Chats, Browser-History), sondern das Programm XKeyscore bietet auch umfangreiche Recherchemöglichkeiten anhand unterschiedlichster Kriterien. Nachdem wir außerdem bereits aus öffentlich zugänglichen Dokumenten wissen, dass die US-Geheimdienste bestrebt sind, alle verfügbaren Daten in einem großen Datenpool wiederum allen Einzeldiensten, verschiedenen Behörden, dem Militär und autorisierten Mitarbeitern von Privatfirmen zur Verfügung zu stellen, ergibt sich so die Möglichkeit einer Form der Rasterfahndung, die auch die Informiertesten unter uns nicht für möglich gehalten haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung gewinnt damit auch der Bericht des Spiegel, wonach auch BND und Verfassungsschutz XKeyscore einsetzen, nochmals an Bedeutung. Die Frage ist insoweit, auf welche Datenbestände deutsche Dienste Zugriff haben bzw. auch, welche Daten deutsche Dienste an die NSA liefern.
Mir klingt noch die speziell von konservativen Politikern gerne wiedergekäute Plattitüde, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe, im Ohr. Wir müssen allerdings gerade erkennen, dass das Internet nicht nur ein rechtsfreier, sondern sogar ein grundrechtsfreier Raum geworden ist. Die Geheimdienste haben ihn, mit Billigung und tatkräftiger Unterstützung der Politik dazu gemacht. Das Recht hat hier offenbar seine Wirkung verloren. Und selbst die Fantasie eines George Orwell war nicht ausreichend, um diese Form der Vermessung der Welt vorauszuahnen, von der wir nunmehr scheibchenweise Kenntnis erlangen.
Die deutsche Politik hat diesem organisierten Rechtsbruch ganz augenscheinlich nichts entgegenzusetzen und sie erweckt auch überhaupt nicht den Eindruck, als wäre sie bereit, irgendetwas zum Schutz der Grundrechte ihrer Bürger zu unternehmen. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass die Bundesregierung seit Jahren, zumindest im Groben weiß, was vor sich geht.
Auch die Wohnung ist ein grundrechtsfreier Raum geworden.
Sie schauen dich an mit den Smart-TV, X-Box, Handycams und Webcams, sie hören dir zu mit den Microfonen in den Geräten und sehen wohin du gehst durch die Mobil-Telefone.
Und bald werden sie wissen, wann du das Licht einschaltest oder zu Bett gehst, wegen dem Stromverbrauch („intelligente“ Stromzähler).
Und sie wissen auch, wofür du dein Geld ausgibst.
Orwell hatte nur eine Ahnung… mehr nicht.
Comment by Frank — 1.08, 2013 @ 11:36
Die NSA hat das bereits wieder bestritten.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/NSA-Keine-unkontrollierte-Schnueffelei-mit-XKeyScore-1928074.html
Was mich zu der Frage führt, wie kann man eigentlich die Richtigkeit von Snowdens Dokumente überprüft/beweisen?
Comment by justme — 1.08, 2013 @ 11:56
@ justme — zum Richtigkeitsbeweis von Snowdens Enthüllungen — Zeitung aufschlagen, Reaktion der USA nachlesen.
Comment by Wolf-Dieter — 1.08, 2013 @ 12:13
@Wolf-Dieter:
Also wenn Snowden sagt, auch „einfache“ Mitarbeiter können Personen (ohne große Begründungen angeben zu müssen) z.B. mit XKeyScore überwachen und die NSA daraufhin antwortet, nein das kann nur ein kleiner gut überwachter Kreis von Angestellten, deren Gründe auch immer geprüft werden…wie/wo kann ich hier einen Richtigkeitsbeweis sehen?
Comment by justme — 1.08, 2013 @ 13:06
Was bitte ändert die Größe des Personenkreises der darauf Zugriff hat an der unberechtigten massenhaften Speicherung von Daten die niemals hätten erhoben werden dürfen?
Comment by Politikverdrossener — 1.08, 2013 @ 13:15
@justme: Na ja, ein hartes Dementi stelle ich mir irgendwie anders vor. Bestritten wurde ja gar nicht inhaltlich, sondern nur, dass ein größerer Personenkreis Zugang hat.
Comment by Stadler — 1.08, 2013 @ 13:51
@justme: Scheibchenweise ist über das Treiben der Geheimdienste schon so viel ans Licht gekommen, was sie aufgrund von öffentlichem Druck irgendwann im Nachhinein zugeben mussten, obwohl sie es vorher dementiert hatten. So ist das nunmal: Wer immer nur beim lügen erwischt wird, dem glaubt man irgendwann gar nichts mehr. Also können sich NSA und Konsorten ihre Dementis sonstwo hinschieben. Wer sich „geheim“ nennt, hat außerdem wohl was zu verbergen. Wer lügt und wer dazu noch was zu verbergen hat, dem glaubt man schon zweimal nicht.
Comment by Moki — 1.08, 2013 @ 14:24
Deine politische Einschätzung teile ich im Ergebnis völlig. Nur mit der Ausgangsthese hab ich vielleicht ein kleines rechtliches Problem:
Das Internet ist ein globales Medium. Die deutschen Grundrechte aber waren noch nie global durchsetzbar, so wünschenswert es vielleicht auch scheinen mag. Der „Rechtsbruch“ ist daher für mich nicht so ganz eindeutig, unterstellt das US-Recht eben nicht gebrochen wurde und der BND die Wahrheit sagt und nur im rechtlich erlaubten Rahmen Daten zuliefert und abfragt.
Der Skandal um die NSA macht daher für mich vor allem etwas in seiner Bedeutung deutlicher, was auch in anderen Lebensbereichen gilt:
Im völkerrechtlichen Maßstab hat das (Menschen-) Recht noch lange nicht über die (staatliche) Macht gesiegt. Und der deutsche Staat war und ist gar nicht in der Lage, sein Recht (einschließlich des Grundgesetzes) zwangsweise in und dort gegen fremde Staaten durchzusetzen, wenn sie das nicht wollen bzw. ein entgegenstehendes Recht haben. Wer das dennoch fordert, will in letzter Konsequenz Krieg. Wer die grundsätzliches Machtlosigkeit des Staates in anderen Zusammenhängen umgekehrt begrüßt, der darf sich jetzt nicht aufregen.
Wer nicht, dem hilft m.E. nur kluge und entschiedene Politik, Verhandlung und Diplomatie langfristig weiter. Kurzfristig kann eine nationale IT-Sicherheitsinitiative, die der NSA und Anderen das Überwachen vielleicht etwas schwieriger macht, indem sie beispielsweise Verschlüsselung ab dem Layer 2 konsequent fördert, schon ein wenig weiterhelfen.
Das zu erkennen, einzugestehen und dann entsprechend zu handeln, wäre in der Tat jetzt die Aufgabe einer verantwortungsvollen Regierung und einer Kanzlerin, die ihren Amtseid ernst nimmt und zudem aus eigener Biographie eigentlich wissen müsste, das schon das Gefühl ständiger Beobachtung die Freiheit eines Menschen verletzen und die einer Gesellschaft insgesamt beseitigen kann.
Aber, ich war ja noch nie der Ansicht, man würde Frau Merkel unterschätzen…
Comment by Jan Mönikes — 1.08, 2013 @ 15:25
Was heißt hier, (nur) das Internet ist ein grundrechtsfreier Raum? Auch die reale Welt ist, dank über dem Grundgesetz stehender Geheimverträge, letztlich ein rechtsfreier Raum. War es schon seit dessen Inzeption.
Comment by Matthias Urlichs — 1.08, 2013 @ 16:15
Die Richtigkeit der Dokumente ersieht man u.A. daran, dass die US-Regierung (a) keines dieser Dokumente wirklich dementiert, (b) ihren Mitarbeitern verbietet, diese zu lesen, da sie noch der Geheimhaltung unterliegen – auch wenn sie längst öffentlich sind.
Geheim können sie aber überhaupt nur dann sein, wenn sie authentisch sind.
Comment by Matthias Urlichs — 1.08, 2013 @ 16:18
@Jan Mönikes:
Ich stimme Dir fast vollständig zu. Dass sich der BND allerdings im Rahmen des deutschen (Verfassungs-)Rechts bewegt, kann ich nicht so wirklich glauben.
Bedenklich und im Ergebnis auch rechtswidrig ist ferner der Umstand, dass amerikanische Dienste in Deutschland Horchposten unterhalten und – mit oder ohne Unterstützung deutscher Dienste – auf deutschem Boden spionieren und hier auch Daten abgreifen. Das wird offenbar von unserer Politik geduldet, verletzt aber inländische Grundrechte.
Comment by Stadler — 1.08, 2013 @ 16:52
Stiglitz hat auf den interessanten Zusammenhang zwischen dem Verschwinden von X Billionen Dollar / Euro / usw.im Gefolge der „Finanzkrise“ sowie der 9-11-Hysterie hingewiesen, die gezielt angefacht wurde.
Schwere Zeiten für Menschenrechtsanwälte, investigativ tätige Journalisten und andere „Verdächtige“, etwa Anti-Irakkrieg-Demonstranten, gegen die etwa die Antiterrorgesetzgebung eingesetzt wurde.
Seltsam: die höchste Staatsverschuldung aller Zeiten, „Rettungsprogramme“, die Billionen kosten ( werden ), die höchste Abgabenbelastung aller Zeiten und andere wenig nützliche Dinge mehr, die zu einem ebenso seltsamen Erodieren der Wählerschaft geführt haben
( etwa bei einer glatt halbierten SPD ) treten auf in einem Kontext der Totalkontrolle des gesamten Kommunikationsflusses….parallel zu dem Verschwinden von Billionenbeträgen…seltsam…
….interessantes Thema für eine Doktorarbeit: Die reale Bedeutung der Eigentumsgarantie im modernen Schuldenimperium.
Ein weiteres interessantes Projekt: nachdem etwa Otte sehr Lesenswertes über wirtschaftliche Desinformation fabriziert hat müsste ein Desinformations-Lexikon folgen, welches die rechtliche Sphäre betrifft, nicht zu reden von einer Analyse der modernen politischen Propaganda und der heutigen Massenhirnwäsche.
Comment by Arne Rathjen, Rechtsanwalt — 1.08, 2013 @ 20:52
frei nach Polt: „Das kann doch nicht sein, da muss doch was passieren. Eine Revolution muss her – und deswegen wähle ich auch dieses Mal wieder CSU (CDU)!“
Comment by lawman — 1.08, 2013 @ 22:24
„Die deutsche Politik macht auch überhaupt nicht den Eindruck, als wäre sie bereit, irgendetwas zum Schutz der Grundrechte ihrer Bürger zu unternehmen“
Die Bürger haben damit die Politik und die Justiz, die sie sie wählen und die sie sich gefallen lassen. Sie – die Bürger – wollen offenbar nicht, dass sich etwas ändert. Sonst würden sie heute schon anders wählen, was sie aber nicht wollen:
https://twitter.com/ZDF/status/363214675837612033/photo/1
Das muss man am Ende des Tages (leider) akzeptieren. Ebenso wie die Tatsache, dass es der jungen Generation wohl egal ist, dass sie im Internet ALLES öffentlich macht und das es ALLE – auch die Geheimdienste – lesen.
http://www.sueddeutsche.de/digital/junge-social-media-nutzer-liege-nackt-auf-dem-balkon-und-esse-kekse-1.1735903
Das ist Demokratie, lieber Herr Stadler, die beste – so Popper – aller bisher bekannten Lösungen.
Comment by Pressekritik — 2.08, 2013 @ 11:36
Alle Bundesregierungen wußten und wissen von den Aktivitäten der Auslandsgeheimdienste. Ich kann mich noch gut erinnern, als Steinmeier die Massenmörderin und Folterfreundin Rice immer mit Küsschen begrüßt hat. Es geht in Deutschland nur um eines: Wirtschaft. Kriege für Öl sind der deutschen Bundesregierung nur recht und billig, vor allem, wenn sie selber nur als willfähriger Handlanger agieren muß. Drittgrößter Waffenexporteur der Welt, die schmutzigen Hände immer mit im Spiel, wenn Menschen in aller Welt durch die USA gefoltert und ermordet werden. Da soll Merkel, die Schweigsame, aufmucken? Sie kann es gar nicht, weil sie selber Mitglied der Mörderbande ist. Wie oft ist hier geschrieben worden, daß Deutschland kein Rechtsstaat ist. Belächelt und weggeklickt. Irgendwann kommt man nicht mehr so billig davon. Irgendwann ist es so offensichtlich, daß auch die Dümmsten nicht mehr lächeln und abwinken können.
Comment by Luca Delgado — 2.08, 2013 @ 16:31
Was CIA, FBI, NSA nicht können, hat Boston gezeigt. Es gibt in der Welt Nerds, die immer noch mehr auf dem Kasten haben werden. Die Masse machts. Das Netz bleibt unkontrollierbar.
Comment by Luca Delgado — 2.08, 2013 @ 16:43
„Und selbst die Fantasie eines George Orwell war nicht ausreichend, um diese Form der Vermessung der Welt vorauszuahnen, von der wir nunmehr scheibchenweise Kenntnis erlangen.“
Orwell, Stasi, Gestapo, Huxley….alles Schnee von gestern.
Was technisch machbar ist, wird auch gemacht, da es ja die anderen auch machen können, nur: was machbar ist, kann sich kaum jemand vorstellen !
Das Grundgesetz wurde im Übrigen per Genehmigungsschreiben der alliierten
Militärgouverneure in Kraft gesetzt.
Eine Volksabstimmung gab es bis heute nicht…
Comment by Arne Rathjen, Rechtsanwalt — 5.08, 2013 @ 18:54
Die Bundesanwaltschaft ist zumindestens halbherzig und zaghaft tätig geworden. Spät, sehr spät. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Das Thema wird weiterhin aktuell bleiben. Vor und nach der Bundestagswahl. Auch die Bundesanwaltschaft wird nicht mit einem Schulterzucken aus ihrer Verantwortung entlassen. Ganz im Gegenteil!
Comment by Richter — 6.08, 2013 @ 18:10