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Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

25.7.12

Kein gültiges Wahlrecht mehr in Deutschland

Dass das Bundesverfassungsgericht auch die Neuregelung des Bundeswahlgesetzes mit Urteil vom heutigen Tag als verfassungswidrig ansieht, dürfte wohl schon jeder mitbekommen haben. Die Entscheidung betrifft das gerade erst gesetzlich neu geregelte Verfahren der Zuteilung der Abgeordnetensitze des Bundestages.

Das vom Bundestag neu gestaltete Verfahren verstößt nach der Entscheidung des BVerfG gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien. Bereits das alte Verfahren ist in Karlsruhe kassiert worden, was bedeutet, dass der Bundestag die Vorgaben aus er damaligen Entscheidung des Gerichts nicht korrekt umgesetzt haben.

Anders als in vielen anderen Fällen, sieht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch keine Übergangsfristen vor.  § 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2a des Bundeswahlgesetzes sind nach dem Urteil nichtig. Genau auf dieses verfassungsrechtliche Problem hatte ich in einem älteren Blogbeitrag aus dem letzten Jahr bereits hingewiesen.

Das Gericht betont auch, dass die alte Regelung nicht wieder auflebt. Das Fazit der Verfassungsrichter lautet:

In Folge dieser Feststellungen fehlt es an einer wirksamen Regelung des Sitzzuteilungsverfahrens für die Wahlen zum Deutschen Bundestag. Die bis zum Inkrafttreten des Neunzehnten Änderungsgesetzes geltenden und durch diese ersetzten oder modifizierten Bestimmungen leben nicht wieder auf.

Das bedeutet mit anderen Worten, dass es in Deutschland derzeit kein gültiges und anwendbares Wahlrecht gibt. Sollte es also kurzfristig zu einer Regierungskrise kommen, wären Neuwahlen derzeit rechtlich überhaupt nicht möglich.  Der Bundestag kann im Moment also nicht gewählt werden.

Man darf gespannt sein, ob speziell die Union das Bundesverfassungsgericht ein weiteres mal provozieren will oder ob es der Bundestag nunmehr endlich schafft, ein sauberes und verfassungskonformes Wahlgesetz zu verabschieden.

Der Kollege Udo Vetter bloggt ebenfalls zum Thema.

posted by Stadler at 15:50  

10 Comments

  1. warum habe ich am Ende nur „die Union das Bundesverfassungsgericht ein weiteres mal provozieren will oder ob es den Bundestag nunmehr endlich abschafft“ gelesen?

    Comment by Chef — 25.07, 2012 @ 15:53

  2. Es ist wirklich an der Zeit, dass Politiker für verfassungswidrige Gesetze zur Verantwortung gezogen werden. Das müsste mindestens finanzielle Auswirkungen haben. Eine Art Three/Two-Strikes-And-You-Are-Out Regelung wäre auch interessant.

    Nebenbei: Irgendwie ist es schon verquer, dass ein nicht verfassungsgemäß gewählter Bundestag ein verfassungsgemäßes Wahlreicht zu beschließen hat.

    Comment by Weirdo Wisp — 25.07, 2012 @ 16:46

  3. @2: Das wäre in diesem Fall aber möglicherweise fatal. Wenn der gesamte Bundestag „out“ wäre, könnte man ja keinen neuen Wählen. Wenn nur die zustimmenden Abgeordneten „out“ wären, könnte es trotzdem passieren, dass der Bundestag nicht mehr beschlussfähig wäre.

    Comment by Ein Mensch — 25.07, 2012 @ 17:05

  4. Gratuliere.
    Die CDU/CSU hat eine der Grundlagen unserer Demokratie gründlich und wissentlich an die Wand gefahren.

    Und zu so jemand sollen wir ins Auto steigen um die Wege der Politik zu befahren?

    Ich würde von so jemand nicht einmal einen Gebrauchtwagen kaufen.

    mfg.de

    Comment by DerExperte — 25.07, 2012 @ 17:06

  5. @2: Das war auch mein erster Gedanke. Nach kurzer Recherche musste ich allerdings zugeben, dass das nicht durchführbar ist. Der Bundestag wäre wohl leer.

    siehe Für nichtig oder verfassungswidrig erklärte Bundesgesetze:
    http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/10/10_06/index.html

    Comment by peet — 25.07, 2012 @ 17:43

  6. „wären Neuwahlen derzeit rechtlich überhaupt nicht möglich. “

    Ist es nicht genau das was unsere Prollitiker wollen? Die Abschaffung von Wahlen?

    Comment by EuroTanic — 25.07, 2012 @ 21:36

  7. Die Regierung hat endlich ihr Ziel erreicht. Die Demokratie – die im Wesentlichen durch die Volkswahl definiert wird – kann als abgeschafft betrachtet werden.

    Comment by SC — 26.07, 2012 @ 02:10

  8. @2: Es scheint als „Strafe“ für Politiker, die regelmäßig vom BVerfG zurückgepfiffen werden, lediglich vorgesehen sein, dass das Volk sie abstraft beim nächsten Wahlgang.
    Dass das derzeit offensichtlich nicht passiert – siehe Zuwachs an Zustimmungswerten für Merkel, z.B. nachdem Sie in Brüssel umgekippt ist – zeigt ein weiteres Problem unserer Demokratie. Helmut Kohls Vision des unpolitischen Bürgers hat sich komplett durchgesetzt.
    In dem Zusammenhang ganz interessant zu lesen: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683916.html – das war 1994 !

    Comment by Oliver — 26.07, 2012 @ 09:43

  9. Es war ja tatsächlich mal strafbar, vorsätzlich gegen Anordnungen des BVerfG zu verstoßen. Das war §42 BVerfGG, aber man hat ihn im Zuge einer Reform des Vereinsrechts abgeschafft.

    Comment by AndreasM — 26.07, 2012 @ 11:13

  10. Guten Tag,

    @das bedeutet mit anderen Worten, dass es in Deutschland derzeit kein gültiges und anwendbares Wahlrecht gibt …

    „derzeit“ ist wohl nicht ganz treffend formuliert.

    Vielmehr gab es noch nie ein „verfasungskonformes“ BWahlG.

    Dies wiederum bedeutet, dass nunmehr endgültig feststeht, dass unter der “Geltung” des Bundeswahlgesetzes – Ausfertigungsdatum von 07.05.1956 – noch nie “ein verfassungsmäßiger Gesetzgeber” am Werk war und somit insbesondere alle erlassenen „Gesetze“ und „Verordnungen“ seit 1959 nichtig sind.

    Mehr auf meiner Seite…

    MfG.

    Comment by Sich.-Ing. Jörg — 31.07, 2012 @ 12:34

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