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Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.6.11

Bundestag ignoriert jetzt auch die verbindlichen Vorgaben des Verfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 des Bundeswahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt, soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann.

Das Gericht hat den Gesetzgeber deshalb mit Urteil vom 3. Juli 2008 (Az.: 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07) dazu verpflichtet, spätestens bis zum 30. Juni 2011 – also dem heutigen Tag – eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.

Nachdem es noch nicht einmal einen entsprechenden Gesetzesentwurf gibt, verstößt der deutsche Bundestag durch seine Untätigkeit ab dem morgigen Tag gegen die verbindliche Vorgabe des BVerfG.

An der formellen Rechtslage ändert sich dadurch aber nichts, da das Gesetz nicht für nichtig erklärt wurde und deshalb weiterhin in Kraft bleibt.

Update:
Es gibt offenbar doch bereits einen Gesetzesentwurf der Koalition vom 28.06.2011, der in den Bundestag eingebracht wurde.

Update vom 01.07.2001:
Der Gesetzesentwurf der Koalition scheint auf den ersten Blick den Vorgaben des BVerfG zu genügen, weil er § 7 BWG streicht und damit die dort normierte Listenverbindung beseitigt. Das Gericht hatte dies ausdrücklich als eine von mehreren Lösungsmöglichkeiten angesehen. Dieses Konzept begünstigt allerdings (weiterhin) die größten Parteien – und damit wohl vor allem die Union – weil es voraussichtlich auch in Zukunft für zahlreiche Überhangmandate sorgen wird.

Es könnte allerdings sein, dass der geplante neue § 6 Abs. 2a BWG wiederum zu dem vom BVerfG beschriebenen Effekt des negativen Stimmgewichts führt, zumindest wird dies befürchtet.

Der Gesetzesentwurf der Koalition ist jedenfalls nicht von dem Bestreben getragen, eine für den Bürger nachvollziehbare und klare Regelung zu schaffen. Die Neuregelung bleibt vielmehr kompliziert und intransparent und soll am Ende eben wiederum der Union nützen.

Selbst wenn die geplante Neuregelung als verfassungsgemäß zu betrachten ist, kann man sie politisch, von einem demokratischen Standpunkt aus betrachtet, nicht begrüßen.

posted by Stadler at 16:06  

13 Comments

  1. So und nun lass mal einer die schwarz/gelbe-Koalition in Berlin zusammenbrechen.
    Preisfrage: Wie kommen verfassungskonforme Neuwahlen zustande, wenn eigentlich keine beschlussfähige Regierung vorhanden ist, die Gesetze auszuarbeiten und zu beschließen?
    Das könnte eine ordentliche Verfassungs- und Regierungskrise auslösen.
    Oh, sorry, mein Fehler, das mit der Verfassungskonformität ist ja schon länger eher sekundär bis tertiär.

    Comment by Oliver — 30.06, 2011 @ 16:15

  2. Die korrekte Antwort lautet Übergangsregierung. Vom verfassungsgericht eingesetzt/bestätigt, wenn ich nicht irre.

    Comment by Hendrik — 30.06, 2011 @ 17:07

  3. Müsste jetzt nicht eigentlich der Verfassungsschutz Ermittlungen aufnehmen?

    Comment by Florian Albrecht — 30.06, 2011 @ 17:19

  4. … ich frage mich als Nicht-Jurist: Wieso passiert da nichts, wieso hat das keinerlei Konsequenzen, wenn der Bundestag & die Regierung diese Vorgabe des Verfassungsgericht einfach ignoriert?

    Comment by Christian — 30.06, 2011 @ 17:53

  5. Laut dem Artikel der FAZ gibt es bereits einen Gesetzesentwurf:

    http://www.faz.net/artikel/C30923/verfassungswidriges-wahlrecht-koalition-will-kontingente-fuer-laender-30448106.html

    Comment by Mic — 30.06, 2011 @ 19:49

  6. Schon lustig jetzt. Die Polizei sowie die Armee sind beide der Exekutive unterstellt. Die Judikative verfügt über keinerlei Zwangsmittel, um die Abgeordneten ein wenig anzuspornen…

    Bleibt jetzt nur noch der Volksaufstand? *jk*

    Comment by turtle of doom — 30.06, 2011 @ 20:02

  7. Das darf man nicht so eng sehen. Immerhin waren die praktisch durchgehend damit beschäftigt, ihre Diäten zu erhöhen.
    http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Mai-2008-Sieben-Fakten-zur-Diaetenerhoehung_bid_33340.html
    Da ist nun mal keine Zeit mehr für so Lappalien wie demokratische Grundordnung.

    Comment by Andreas — 30.06, 2011 @ 21:10

  8. Zwar ein Wunschtraum:

    http://www.heise.de/tp/blogs/foren/S-Re-Wie-saehe-eine-Alternative-fuer-Dich-aus/forum-197811/msg-20098104/read/

    aber man wird doch mal träumen dürfen…..

    Kann es sein, dass sehr viele Probleme einfach auch mit dem Parteien-Filz und der Umgebung davon zusammenhängen?

    bombjack

    Comment by bombjack — 1.07, 2011 @ 08:48

  9. @bombjack

    Das wäre wohl eher ein Albtraum.

    Comment by Dimiter — 1.07, 2011 @ 11:10

  10. @Dimiter

    Warum?

    bombjack

    Comment by bombjack — 1.07, 2011 @ 13:35

  11. via Fefe:
    http://www.wahlrecht.de/news/2011/14.htm

    Anscheinend verstoesst die neue Version noch immer gegen die Vorgaben des BVerfG.

    Unfaehiges Pack!

    Comment by hathol — 1.07, 2011 @ 19:15

  12. Einen Aufruf für „Wählen ohne Überhang“ und weitere Infos zum Thema gibt es hier: https://www.mehr-demokratie.de/waehlen-ohne-ueberhang.html

    Comment by Thorsten Sterk — 1.07, 2011 @ 21:19

  13. Negatives Stimmgewicht würde auch ohne den neuen Absatz 2a auftreten. Das selbe gilt für ein bloßes Streichen der Listenverbindung. Man muß schon stäker in den Mechanismus der Überhangmandate eingreifen.

    Comment by Martin Fehndrich — 8.07, 2011 @ 16:57

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