Erneute Absage an das Hamburger Landrecht
Dass das Landgericht Hamburg eine durchaus diskussionsbedürftige Auffassung von Meinungsfreiheit hat, war hier schon mehrfach Thema. Es ist deshalb immer wieder aufgehoben worden, in letzter Zeit verstärkt bereits durch das Oberlandesgericht Hamburg.
Über den Fall des Blogs regensburg-digital, das von der Diözese Regensburg abgemahnt und schließlich vom Landgericht Hamburg zur Unterlassung verurteilt worden ist, hatte ich im letzten Jahr berichtet. Es ging um einen Missbrauchsfall in der katholischen Kirche, zu dem das Blog u.a. geäußert hatte, dass die Diözese Schweigegeld an die Angehörigen des Opfers bezahlt habe. Im letzten Jahr hatte ich hierzu geschrieben:
Die Chancen, dass derartige Entscheidungen auch beim OLG Hamburg halten, sind freilich gesunken, nachdem auch das Oberlandesgericht erkennen musste, dass die Hamburger Linie beim Bundesgerichtshof keinen Rückhalt hat.
Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Wie das Blog berichtet, hat das OLG Hamburg heute der Berufung des Blogebtreibers Stefan Aigner in vollem Umfang stattgegeben (Az 7U 38/11) und das Urteil des Landgerichts aufgehoben.
Ein guter Tag für Blogger und die Meinungsfreiheit.
Wäre es nicht sinnvoll, mal drüber nachzudenken, ob es den Steuerzahler günstiger käme, diese seltsamen Richter rauszuwerfen und durch verfassungskonform urteilende zu ersetzen, statt die Verfahren immer wieder in die nächste Instanz zu schleifen?
Fragt sich
Frosch
Comment by Sabine Engelhardt — 18.10, 2011 @ 18:03
Schön. Das Grundproblem – die fixe Idee vom fliegenden Gerichtsstand – hatte ich anläßlich der Landgerichtsentscheidung hier besprochen: http://blog.delegibus.com/708
@Frosch: Es wäre ein inakzeptabler Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit, wenn man Richter absetzen könnte, nur weil sie kontroverse Entscheidungen treffen. Mit Andreas Buske und (im hiesigen Fall) seinem Kollegen Harald Schulz wird man deshalb weiterleben müssen. Einer falschen Rechtsprechung muß mit einer Gesetzesänderung begegnet werden.
Comment by Oliver García — 18.10, 2011 @ 18:28
3 Strike Modell …
Wenn ein Richter 3 Entscheidungen getroffen hat, die in einer höheren Instanz nichtig erklärt werden.
Fliegt er …
Aber zu behaupten wir müssten nun mit diesen Kreaturen leben, ist in meinen Augen der falsche Ansatz, denn das Gesamte System muss so schnell wie möglich neu besprochen werden und dafür muss die Regierungsriege und auch so einige Staatsangestellte verjagt werden ….
Unser Recht ist doch schon lange für den A… aber ich sehe immer noch nicht auf jedem Blog die einzelnen Interessenverbände verlinkt, denn natürlich ist die Kritik nicht neu, aber sie scheint immer wieder neu hervorgebracht zu werden, damit es nicht Langweilig wird, aber nicht um etwas zu verändern.
Da sich eigentlich ein Forderungskatalog nur erweitern sollte und nicht jedesmal neu geschrieben werden müsste.
Comment by pah — 18.10, 2011 @ 19:53
@Sabine Engelhardt:
Auch die richterliche Inkompetenz steht unter dem Schutz der Verfassung. ;-)
Ernsthaft: Die richterliche Unabhängigkeit ist notwendig und unverzichtbar, auch wenn sie gelegentlich zum Problem wird. Abhängige Richter wären ein noch viel größeres Problem.
Comment by Stadler — 18.10, 2011 @ 19:53
@Sabine Engelhardt und @Oliver García: Die bereits sprichwörtliche und langjährige medien- u. meinungsverbreitungsunfreundliche Tendenz der Rechtsprechung der Pressekammer des LG Hamburg habe auch ich wiederholt wahrgenommen, kritisiert und mit Rechtsmitteln angegriffen.
Ich würde allerdings – gerade als Verfechter von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit – nie auf die Idee kommen, bei Richtern mit abweichenden Rechtsauffassungen eine Amtsenthebung zu fordern. Auch Richter dürfen eine (Rechts-)Meinung haben, das muss nicht meine sein.
Und welche Gesetzesänderung soll denn Urteile mit abweichenden und verfassungsrechtlich kritikwürdigen Tendenzen in vergleichbaren Fällen verhindern?
Ok, der fliegende Gerichtsstand fördert phasenweise in bestimmten Bereichen den Klage-Tourismus der entsprechend tendenziell bevorzugten Kreise. Herrn Buske in Hamburg oder Herrn Mauck in Berlin zum Argument gegen den fliegenden Gerichtsstand zu nehmen, halte ich allerdings für zu kurz gesprungen. Tatsächlich setzt sich Oliver García in seinem sehr lesenswerten, oben von ihm verlinkten Blog-Beitrag auch wesentlich differenzierter und vertiefter mit dem Thema des § 32 ZPO und diesbezüglich in Betracht kommenden Gesetzes-Ergänzungen auseinander.
Das „Hamburger Landrecht“ sollte unabhängig davon weiterhin sehr wach, sehr kritisch und sehr engagiert unter die Lupe und in die (Blog-)Berichterstattung und -Kommentierung aufgenommen werden, wie dies dankenswerter Weise wiederum vom Kollegen Stadler in der ihm eigenen Art fabriziert worden ist. „Blog auf!“
Comment by Ralf Petring — 18.10, 2011 @ 20:42
Es geht hier um die Abwägung zweier jeweils grundrechtlich geschützter und wichtiger Rechtspositionen: Meinungsfreiheit ./. Persönlichkeitsschutz.
Das LG Hamburg (und andere Gerichte, darunter der EGMR) bewertet den Persönlichkeitsschutz hoch, der BGH und das BVerfG derzeit weniger.
Ist das wirklich „inkompetent“ oder nicht eher eine Wertungsfrage, die man so oder so sehen kann?
Ist es nicht erstaunlich, dass gerade diejenigen, denen der Persönlichkeitsschutz in anderen Zusammenhängen elementar erscheint („Bayerntrojaner“ als aktuellstes Beispiel), hier denjenigen, die das in einem anderen Zusammenhang machen, „Inkompetenz“ vorwerfen?
Comment by St. Ivo — 18.10, 2011 @ 21:19
@Ralf Petring: Ich meinte in der Tat hier eine Gesetzesänderung zur Eindämmung des fliegenden Gerichtsstands. Was die LG-Entscheidung in der Sache betrifft, so bin ich Ihrer Meinung, daß der Gesetzgeber nicht viel bewirken kann. Die Meinungsfreiheit auf der einen Seite und der Ehrenschutz auf der anderen sind unmittelbar verfassungsrechtlich verankert und dürften einfachgesetzlich geringen Spielraum lassen. Wie diese beiden „tektonischen Platten“ sich jeweils aufeinander schieben, muß die Rechtsprechung vermessen. Insoweit kann man auch mit der Rechtsprechung auf BVerfG- und BGH-Ebene weitgehend zufrieden sein (mit Ausnahmen: http://blog.delegibus.com/2011/06/23/eva-herman-entscheidung-eine-zeitbombe-fur-das-presserecht/). Wenn bestimmte Gerichte, vor allem in Hamburg, Berlin und Köln, einen Sonderweg beschreiten, dann ist das ein Kollateralschaden der richterlichen Unabhängigkeit, den man in Kauf nehmen muß. Für die einzelnen Betroffenen, die dieser Rechtsprechung ausgesetzt werden, handelt es sich in vielen Fällen um eine einjährige „Justizverzögerung“ – sofern sie eben den langen Atem haben, durch die Instanzen zu gehen. Immerhin hat der Gesetzgeber schon einen ersten Schritt gemacht, prozessual das Problem zu entschärfen: Die Abschaffung der unanfechtbaren 522-Beschlüsse verhindert das Gedeihen des „Hamburger Landrechts“.
Comment by Oliver García — 18.10, 2011 @ 21:25
Ich habe mir heute die beiden Berufungen am OLG Hamburg von SPIEGEL und Regensburg Digital gegen die Regensburger Pfaffen angesehen.
Die Pfaffen wollten es so hinstellen, als sei es Idee und Interesse der Eltern gewesen, die Sache geheim zu halten und keine Strafanzeige zu machen. Außerdem bestritten sie den Zusammenhang zwischen den Geldzahlungen und der Schweigevereinbarung.
Aus einer früheren Fassung des Vertrags zwischen den Eltern und der Kirche folgte aber sehr wohl, dass die Eltern sich eine Strafanzeige hatten vorbehalten wollen. Als eine solche schließlich gestellt wurde, lehnte die Kirche Therapiekosten ab …
Ansonsten juristische Wortklauberei, wobei die Pfaffen damit argumentierten, sie wären an einer Strafanzeige durch den Datenschutz gehindert gewesen … Vielleicht hinderte sie aber auch eine Direktive aus Rom, die das Brechen der Omertà nicht gut findet.
Fachlich interessant ist, dass das OLG im Gegensatz zur Zivilkammer 25 (wo ich heute zu tun hatte) der Meinung war, dass die angeblich erweckten Eindrücke zum Großteil entweder gar nciht erweckt werden, oder eben falsch sind. Auch muss eine Kirche halt ein bisschen etwas abkönnen, man hätte schließlich moralisch erwarten können, dass die ihren pädophilen Pfaffen selbst anzeigt – statt ihn in einer anderen Gemeinde erneut auf die Kinderlein Gottes los zu lassen.
Die Flugreise des Regensburger Overdomspatz ins protestantische hat sich für Kirchens nicht gelohnt.
Die Zivilkammer 25, die Aigner den Maulkorb anlegte, nimmt übrigens seit diesem Jahr kein Medienfälle mehr an und arbeitet noch Altfälle ab. Medienrecht ist am Landgericht Hamburg wieder „Chefsache“. ;-)
Comment by RA Kompa — 18.10, 2011 @ 21:45
@St. Ivo: Der Persönlichkeitsschutz der katholischen Kirche gegen eine (wahrheitsgemäße) Berichterstattung über Missbrauchsfälle?
Nein, das ist im konkreten Fall keine Abwägung, die man so oder so sehen kann.
Comment by Stadler — 18.10, 2011 @ 22:17
Hier noch mein Senf: http://www.kanzleikompa.de/2011/10/18/regensburg-digital-erzeugte-keine-falschen-eindrucke/
Comment by RA Kompa — 18.10, 2011 @ 22:24
In der Presse stand, dass Richter Andreas Buske sich darum bemüht, OLG-Richter zu werden.
Vielleicht wird er bald Fr Dr. Raben im Pressesenat ersetzen bzw. ihr beistehen.
Das wäre politisch nichts Neues.
Nebenbeibemert: Heute hat Richterin Dr. Raben den ehemaligen Hamburger Politier Bülenz Cifnik dazu gezwungen, in einem Punkt die Klage gegen Spiegel Online zurückzunehmen.
Im Gegenzug hat der SPIEGEL-Verlag in einer anderen Sache den Berufungsantrag zurückgenommen.
Die Kosten wurden im Berufungsverfahren gegeneinander aufgehoben. Auf den Kosten der 1. Instanz (Buske) blieb Spiegel vollständig sitzen.
Insofern hatte die Zensur auch heute bei Frau Dr. Raben Erfolg.
In der Sache, bei der der Spiegel verlor, ging es um das Wort „bedeutsam“. Diese Wertung eines Ereignisses, welches Frau Dr. Raben als unbedeutsam einschätze, bleibt für Spiegel verboten.
Comment by Rolf Schälike — 19.10, 2011 @ 03:18
@7 Oliver Cartìa Für die einzelnen Betroffenen, die dieser Rechtsprechung ausgesetzt werden, handelt es sich in vielen Fällen um eine einjährige “Justizverzögerung” – sofern sie eben den langen Atem haben, durch die Instanzen zu gehen.
Es ist ein Irrtum, dass langer Atem ausareicht. Viele Hamburger Zensursachen bestätigt auch das OLG – nicht nur der 7. Senat – rechtmissbräuchlich und das Recht brechend.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt die Sachen nicht an, weil es juristisch nichts Neues ist und die Entscheidngen dieser Instanzen zu akzeptieren sind.
Man muss kuschen lernen, auch wenn Recht gebrochen wird. Das ist die Auffassung der Richter am Bundesverfassungsagericht.
Comment by Rolf Schälike — 19.10, 2011 @ 03:30
Es gab schon mehr als ein Dutzend von Buske-Entscheidungen, die das OLG unter dem Vorsitz von Frau Dr. Raben aufhob.
Es ging um die immer noch einsitzenden Mörder Körppen und Hößl, die Einträge aus den Internet-Archiven gelöscht haben wollten.
Sogar ein Polizeikommissar hat sich seinerzeit gebeugt – sich strafbewehrt gegenüber dem Mörder unterworfen – und sicxh sogar bei Buske bedankt ob der Kostenentscheidung. Der Verlag musste allerdings daran glauben.
Für Buske gab es überhaupt keine Folgen ob dieser skandalösen Beschlüsse und Urteile.
Inzwischen verbietet Buske Internet-Archive von Wirtschaftkriminellen. Diese können ungestört weiter machen. Die Vergangenheit geht niemanden etwas an.
Comment by Rolf Schälike — 19.10, 2011 @ 03:44
Herzlichen Glückwunsch an regensburg-digital.de
Ich finde es Gut, dass der Grosssektenführer Bischof Müller duch die Instanzen geht.
Dadurch werden seine Verfehlungen, nach jedem Urteil, in der Presse wiederholt.
Weiter so, Bischof Müller. Geh bis zum Bundesverfassungsgericht.
Übrigens es ist:
http://www.kirchenaustrittsjahr.de/
Kostenlos austreten für Schüler, Studenten, Harzler, geringverdiener
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/2924/gebuehren_fuer_kirchenaustritt_wenn_religionsfreiheit_unbezahlbar_ist/
Comment by Wolfgang T. — 19.10, 2011 @ 14:45
Auch auf die Gefahr hin, hier als Spielverderber zu gelten:
Meiner Beobachtung nach wird das LG Hamburg verhältnismäßig nicht öfter aufgehoben, als jedes andere Landgericht auch. Bei aller Freude sollte man die Entscheidungen nicht vergessen, die vom OLG Hamburg bestätigt werden. Davon erfährt natürlich nur niemand etwas. Unter anderem deshalb, weil man im Rahmen einer solchen Meldung nicht „den Tag für die Meinungsfreiheit“ ausrufen kann.
Klar ist auch, dass der Schritt vor den BGH meist nur dann überhaupt gewagt wird, wenn der Fall ein hohes Maß an Erfolg verspricht.
Comment by Arno Lampmann — 19.10, 2011 @ 16:45
Ach Leute, Hamburg ist doch schon lange nicht mehr das Problem. Schaut mal nach Köln, wenn ihr wissen wollt, was Zensur ist. Keiner der Damen und Herren Persönlichkeitsschützer, der halbwegs auf der Höhe der Zeit ist, geht heute noch nach Hamburg oder Berlin.
Comment by code — 19.10, 2011 @ 19:29
Es scheint das Bischof Müller und seine Leute aus Gewohnheit die Unwahrheit behaupten.(Gewohnheitslüger, Kernkompetenz von Pfaffen)
Sieh auch:
Informationen zur Unterlassungsklage von Michael Schmidt-Salomon
gegen den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller
Auch Bischöfe sollten bei der Wahrheit bleiben
http://www.schmidt-salomon.de/mss-mueller.htm
Comment by Wolfgang T. — 19.10, 2011 @ 19:33