Geheimnisverrat durch Wikileaks?
In der aufgeregten Diskusssion um Wikileaks und um die Festnahme seines (Mit-)Gründer Assange werden derzeit zu viele Dinge in einen Topf geworfen. Der Haftbefehl gegen Assenge beruht auf dem Vorwurf der Vergewaltigung, den die schwedische Justiz erhebt. Ob dies in Zusammenhang mit der Tätigkeit von Wikileaks steht und der Tatvorwurf politisch motiviert ist, wissen wir nicht, auch wenn es verlockend erscheint, einen solchen Zusammenhang anzunehmen.
Davon zu trennen ist der Druck auf Wikileaks, der vor dem Hintergrund speziell der jüngsten Veröffentlichungen der Plattform zu sehen ist und unmittelbar oder mittelbar von der US-Regierung ausgeht. Vor allen Dingen amerikanische Unternehmen (Amazon, PayPal, Master-Card, VISA) und Provider beenden gerade ihre Vertragsbeziehungen zu Wikileaks, ob in vorauseilendem Gehorsam oder aufgrund politischen Drucks. Dem steht aber auch eine erhebliche Welle der Solidarität gegenüber, vor allem der Netzgemeinde.
Die vielen Mirror-Sites haben die Frage aufgeworfen, ob man den Content von Wikileaks eigentlich spiegeln darf und was die Host-Provider davon halten. Hierzu werden mittlerweile die unterschiedlichsten Ansichten vertreten. Um beurteilen zu können, ob die Veröffentlichungen von Wikileaks strafbar oder rechtswidrig sind, müsste man im Grunde jedes einzelne Dokument prüfen und anschließend noch die Frage stellen, auf Grundlage welcher Rechtsordnung man die Beurteilung vornimmt.
Die Veröffentlichung der Dokumente, die ich bislang gesehen habe, sind nach meiner Einschätzung jedenfalls nicht als Geheimnisverrat i.S.v. §§ 94 ff. StGB strafbar, was ich vor einiger Zeit bereits anhand der Frage erörtert habe, ob man auf Dokumente bei Wikileaks verlinken darf. Es kann außerdem keinen Zweifel daran geben, dass das Spiegeln der Inhalte von Wikileaks grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 5 GG fällt und deshalb jeder Vorwurf einer Rechtsverletzung auch im Lichte der Bedeutung des Grundrechts zu bewerten ist.
Wenn Provider wie Hetzner jetzt auf ihre AGB verweisen und insbesondere darauf, dass danach die Veröffentlichung von rechtsverletzendem Content nicht möglich ist, dann läuft das auf einen Zirkelschluss hinaus. Denn es müsste zuerst festgestellt werden, dass der Content von Wikileaks rechtswidrig bzw. rechtsverletzend im Sinne des deutschen Rechts ist. Und gerade das ist vielfach nicht der Fall.
Man muss sich aber auch weiterhin die Frage stellen, ob sich Wikileaks nicht schon sehr weit von seiner ursprünglichen Idee entfernt bzw. in Widerspruch zu ihr gesetzt hat. Schließlich haben fast alle Mitstreiter Wikileaks in den letzten Monaten den Rücken gekehrt, weil sie die Marschrichtung von Assange nicht mehr mittragen wollten.
Angesichts der aktuellen Vorgehensweise der US-Regierung bin ich dennoch der Meinung, dass man Wikileaks unterstützen sollte. Denn es geht nicht um Assange, sondern um Transparenz und Informationsfreiheit. In einem älteren Blogbeitrag habe ich Initiativen wie Wikileaks als das neue „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnet. Das gilt für die Idee hinter Wikileaks nach wie vor uneingeschränkt.
„Schließlich haben fast alle Mitstreiter Wikileaks in den letzten Monaten den Rücken gekehrt, weil sie die Marschrichtung von Assenge nicht mehr mittragen wollten.“
Woher haben Sie diese Information? „Fast alle“? Wer denn genau? Ich weiß nur von dreien.
Comment by Arkora — 7.12, 2010 @ 18:26
Einer von denen die Wikileaks verlassen haben, hat mir das sinngemäß so gesagt, mit dem Nachsatz, er wüsste nicht, wer noch da sei.
Comment by Stadler — 7.12, 2010 @ 20:37
Danke für den Beitrag – bisher gibt es noch sehr wenige juristische Einschätzungen zum Thema Wikileaks-Mirror. Drei Fragen drängen sich mir auf:
1. „Geheimnisverrat“ – kann eine Depesche der US-Regierung überhaupt in deutschland als Geheimnisverrat gedeutet werden? Die Tatsache, das eine fremde Regierung diese Depeschen verfasst hat, bedeutet doch im Umkehrschluss, dass das Geheimnis keins mehr ist.
2. Die veröffentlichung auf den WL-Mirrors erfolgt parallel – mit dem Moment des Erscheinens ist die Information allgemein an vielen Stellen zugänglich. Wenn ein Geheimnis an vielen Stellen öffentlich zugänglich ist, ist es nicht mehr Geheim, also kein Geheimnis mehr. Wie wäre die Argumentationslinie? Ein konspirativer Zusammenschluss von Geheimnisverrätern?
3. Nehmen wir an ich biete Wikileaks an, meine Infrastruktur zu nutzen. Wäre ich demnach nicht ein Serviceprovider? Die Menge der Dokumente legt nahe, das eine vorab Prüfung nicht Möglich ist, weshalb Serviceprovider m.W. auch nicht für Inhalte ihrer Kunden haften, sofern sie keine Kenntnis darüber haben. Mein einziges Vergehen wäre es, jemandem die Nutzung meines Servers zu genehmigen, der möglicherweise illegale Inhalte hochläd – wovon ich aber erstmal nichts weiß.
Comment by harms — 7.12, 2010 @ 20:41
Hier kommt strafrechtlich doch allenfalls Beihilfe zum Geheimnisverrat in Betracht.
Comment by fernetpunker — 7.12, 2010 @ 22:01
Hetzner korrigiert Position zu Wikileaks-Spiegelungen:
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Hetzner-korrigiert-Position-zu-Wikileaks-Spiegelungen-1149277.html
Comment by Heise-Leser — 7.12, 2010 @ 22:36
Wenn es sich um eine korrekt eingestufte deutsche Verschlussache mit dem Grad VS-Geheim handelt , so kann man nach meiner Meinung schon davon ausgehen dass es ein Staatsgeheimnis ist…
§ 3 VSA Bund
…
GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann,
….
Hat man eine deutsche VS-Geheim veröffentlicht, ist man entweder wohl dran oder die Einstufung war falsch…
Bei ausländischen Verschlusssachen könnte es sich allerdings anders verhalten…
Comment by christian — 8.12, 2010 @ 00:32
@christian
Zum einen handelt es sich hier um Dokumente der USA, und auch wenn das eine oder andere eine deutsche VS im Vollzitat bringt, handelt es sich nicht um Geheimnisverrat – zumindest nicht durch Wikileaks, Julian Assange oder sogar Bradley Manning [falls er der Zuträger sein sollte]. Um bei Manning zu bleiben – ich benutze seinen Namen als Platzhalter -, dürfte eine Einschätzung zum Geheimnisverrat nicht ganz einfach sein, da zum einen sämtliche bisher bekannt gewordenen Dokumente hunderttausenden Staatsangestellten bekannt war [es hatte wohl nahezu jeder Soldat aller Streitkräfte Zugang]. Außerdem gibt es in den USA keine Entsprechung zum britischen OSA, im Gegenteil, es gibt dort sogar eine lange Tradition der Öffentlichkeit.
Dann wäre auch noch zu fragen, inwieweit hier eine akute und konkrete Bedrohung entstanden/dokumentiert worden ist. In den USA regt man sich doch nicht darüber auf, dass Standorte von sicherheitsrelevanten Einrichtungen weitergegeben wurden, sondern darüber, dass deren außenpolitische Hybris dokumentiert ist.
Im für die amerikanische Regierung günstigsten Fall lässt sich Wikileaks Spionage vorwerfen – die allerdings davon lebt, ausgespähte Informationen geheim zu halten, nicht zu veröffentlichen. Während des Kalten Krieges unterschied man schön in ‚Spione‘, das waren die Bösen der anderen Seite, und ‚Agenten‘, die machten zwar genau dasselbe, aber eben für uns.
Comment by Dierk — 8.12, 2010 @ 09:43
Muss den vorangegangenen Kommentatoren zustimmen, “Schließlich haben fast alle Mitstreiter Wikileaks in den letzten Monaten den Rücken gekehrt, weil sie die Marschrichtung von Assenge nicht mehr mittragen wollten.” klingt schon ziemlich nach den Homestories der Qualitätsjournalisten, die mit dem Fazit enden, das der ehemalige Partner von Assange ja demnächst ein eigenes Projekt an den Start bringt und/oder ein Buch veröffentlicht.
Unter dem Verdacht des Geheimnisverrat, oder der Beihilfe dazu, steht ja dann wohl auch der Spiegel, Spiegel online und alle auf Wikileaks verlinkenden Medien, auch wenn unsere geschätzte Bundesregierung gerade an der „Aufhebung der Beihilfe“ bastelt – und sich die Frage stellt ob nicht davon inzwischen wieder abgesehen wird.
Comment by Udo — 8.12, 2010 @ 10:44
-= OFF-Topic =-
„All I want for christmas is you“ – WIKILEAKS edition:
http://tinyurl.com/xmas-wikileaks
Comment by X-mas song — 9.12, 2010 @ 00:23
@Stadler: Ich nehme dann an, dass die Aussage von Domscheit-Berg ist. Wenn er wirklich gesagt hat, er wisse nicht, wer noch dabei ist, dann war das wohl bloße Rhetorik. Ich kann mir auch fast nicht vorstellen, dass jemand, der bei WL wirklich involviert ist, so eine Aussage getroffen hat.
Nach allem, was ich weiß, ist Wikileaks personell äußerst stabil. Und ab heute kennt auch der letzte das „neue Gesicht“ von Wikileaks.
Im übrigen ist es schade, dass D-B gegangen wurde. Wikileaks hätte ein deutscher Sprecher in diesen Tagen gut getan.
Comment by Arkora — 9.12, 2010 @ 01:39
Die Datensammlung der Botschafter-Dokumente kann doch wohl als Datenbank i.S.d. UrhG betrachtet werden, völlig unabhängig von der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe der EINZELNEN Dokumente. Auch scheint mir der Aspekt der tangierten Persönlichkeitsrechte der zitierten Politiker nicht adäquat bewertet zu sein. Ob es Art. 5 GG da in jedem Einzelfall erlaubt, dass sich Wikileaks über diese Rechte Dritter hinsetzen darf, bezweifle ich doch sehr – zumindest das Video mit dem im Irak von GIs niedergeknallten Journalisten hätte IMHO unverpixelt nie in Umlauf gebracht werden dürfen.
Ich kann daher die Bedenken deutscher Hostbetreiber wg. TDG gut verstehen. Andererseits, wo kein Kläger, da kein Richter, und mir ist nicht bekannt, dass diejenigen, deren individuelle Rechte nach UrhG oder Art. 1 GG berührt sind, sich gegen die Veröffentlichung auf dem Rechtswege gegen die Serverbetreibern wehren würden. Denn die Aktionen, die die USA gegen Wikileaks betreiben, sind in jedem Fall illegal und spiegeln nur das archaische Machtverständnis der USA wieder (Faustrecht)
Comment by Ackermann — 10.12, 2010 @ 09:54