Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.9.10

BayVGH: Lehrerbewertung im Internet verstößt gegen Schulrecht

Kaum war man der Meinung, dass die Frage der Zulässigkeit von Lehrerbewertungen im Internet wegen des Urteils des BGH „spickmich.de“ und der Nichtannahme der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde endgültig geklärt sei, wirft ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10.03.2010 (Az.: 7 B 09.1906) neue Fragen auf.

Der VGH hat entschieden, dass die Eröffnung eines Internetforums durch einen Schüler, in dem zur Bewertung eines Lehrers aufgerufen wird, einen Verstoß gegen schulrechtliche Verhaltenspflichten darstellt, der den Ausspruch eines (verschärften) Verweises rechtfertigt.

Zur Begründung führt der BayVGH u.a. aus:

In der Eröffnung des Forums lag ein dem Kläger vorwerfbarer Verstoß gegen schulrechtliche Verhaltenspflichten, weil er damit für seine Mitschüler einen erhöhten Anreiz geschaffen hat, sich in ehrverletzender Weise öffentlich über einen Lehrer zu äußern. Es entspricht allgemeiner Erfahrung und musste auch dem damals dreizehnjährigen Kläger bekannt sein, dass die Hemmschwelle für Beleidigungen deutlich absinkt, wenn der mögliche Täter damit rechnen kann, unerkannt zu bleiben. Bei dem hier zu beurteilenden Internetforum, zu dem sich jedermann unter einem beliebigen Phantasienamen als Teilnehmer anmelden konnte, lag diese Voraussetzung vor. Wie die Gesamtliste der Beiträge zeigt, gab keiner der Diskutanten seine wirkliche Identität zu erkennen. In dieser Atmosphäre allgemeiner Anonymität fiel es den Verfassern der Beiträge besonders leicht, die Grundregeln des sozialen Umgangs zu missachten und sich in persönlich verletzender Form über den genannten Lehrer zu verbreiten. Wie oft es bis zur Schließung des Forums tatsächlich zu solchen Beleidigungen kam, ist für die Bewertung des klägerischen Verhaltens nicht entscheidend.

Ist die Meinungsfreiheit eines Schülers – außerhalb der Schulzeit wohlgemerkt – durch das bestehende Sonderrechtsverhältnis tatsächlich derartig stark eingeschränkt?

Das Verhalten des Schülers müsste geeignet sein, den Schulfrieden zu stören und den Bildungsauftrag der Schule ernstlich gefährden. Insoweit überzeugt die Begründung des VGH nicht. Der zentrale Begründungsansatz, die Eröffnung eines solchen Forums würde den Anreiz erhöhen, einen Lehrer zu beleidigen, geht über eine Behauptung nicht hinaus. Offenbar ist es auch nicht zu (klaren) Beleidigungen gekommen, sonst wäre dies dem Urteil zu entnehmen.

Wesentlich ist auch hier, dass der betroffene Schüler von einem Grundrecht Gebrauch macht. Insoweit sind auch die Vorschriften des bayerischen Schulrechts, auf die sich der VGH stützt, im Lichte des Kommunikationsgrundrechts des Art. 5 GG auszulegen. Die lediglich spekulative Annahme des Gerichts, aufgrund der Möglichkeit einer anonymen Teilnahme an einem Diskussionsforum wäre eine erhöhte Gefahr der Beleidigungen gegenüber Lehrern gegeben, bietet m.E. keine ausreichende Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs.

Auch die Ausführungen des VGH zur Frage eines Widerspruchs zur Entscheidung des BGH überzeugen mich nicht. Ausgehend vom Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung muss nämlich die Frage gestattet sein, ob die Grundrechtsabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, die der BGH in seinem Urteil vorgenommen hat, nicht auch hier zwingend zum selben Ergebnis hätte führen müssen.

posted by Stadler at 14:56  

11 Comments

  1. Hmpf. Monatsfrist für die VB dürfte längst abgelaufen sein …

    Comment by Jens — 23.09, 2010 @ 16:00

  2. Wir wollen den Fall des VGH zu Vergleichszwecken einmal etwas abwandeln:

    A ist Arbeitnehmer in der Rechtsanwaltskanzlei AFS. In einem lokalen Diskussionsforum eröffnet er einen Thread mit der Überschrift „wer mag bitteschön herrn rechtsanwalt s.??” Unter dem Pseudonym „sagichnich” beantwortet A diese Frage mit „wer mag bitteschön herrn rechtsanwalt s.?? alsoichnich!! Der mit seinem Fenstertick*omg*”. In den nachfolgenden Tagen werden in dem genannten Internetforum mehrere, zum Teil negative Äußerungen über die Person und die fachliche Befähigung von Rechtsanwalt S. abgegeben, wobei die jeweiligen Verfasser, die sich jeweils als Arbeitnehmer der Kanzlei AFS ausgeben, nicht namentlich in Erscheinung treten. A erhält von der Kanzlei eine Abmahnung. Hiergegen wendet er sich unter Berufung auf Art. 5 I GG.

    Wie wäre hier Ihrer Meinung nach die Rechtslage, Herr Stadler?

    Comment by Gerd — 23.09, 2010 @ 16:37

  3. Damals haben Lehrer noch die Eltern des Schülers zum Gespräch geladen, wenn der Mist gebaut hat.

    @Gerd: Verärgerter Lehrer? Als Nichtjurist würde ich vermuten, dass Fälle von Beleidigung oder Verleumnung durchaus abmahnfähig sind und der betroffene Anwalt davon wahrscheinlich weiß, sofern die Behauptungen tatsächlich unwahr sind.

    Comment by Seb — 23.09, 2010 @ 17:28

  4. @Gerd: Schüler sind keine Arbeitnehmer. Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich.

    Comment by Stadler — 23.09, 2010 @ 17:38

  5. Man muss aber unterstreichen, dass bei SpickMich keine ehrverletzenden Kommentare gepostet wurden bzw. werden können. Das war hier möglicherweise nicht der Fall.

    Comment by Christoph — 23.09, 2010 @ 17:45

  6. Wieso wirft ein Urteil vom März d. J. neue Fragen auf? Die sind entweder dieselben wie bei spickmich.de und dann durch alle Instanzen pro spickmich & Co entschieden. Oder es sind ganz andere Fragen, dann aber schon alt und nicht deshalb neu, weil man jetzt erst auf diese aufmerksam wurde.
    Ich bestreite im übrigen die Existenz von „schulrechtlichen Verhaltenspflichten“ die die Freizeit eines Schülers und seine Aktivitäten in dieser Zeit betreffen. Oder habe ich als Vater etwa „schulrechtliche Verhaltenspflichten“, nur weil ich meine Kinder, dem Gesetz folgend, zur Schule sende und damit faktisch Teil des Systems Schule bin? Bin ich zu verpflichten mich jeder Kritik an der jeweiligen Institution, der Schulaufsicht, der Bildungspolitik und den Fähigkeiten einzelner Protagonisten zu enthalten, nur weil einer von zwei Erziehungsberechtigten bin?

    Comment by M. Boettcher — 23.09, 2010 @ 17:47

  7. @4: Schwach. Haben Arbeitnehmer keine Meinungsfreiheit?

    Comment by Gerd — 24.09, 2010 @ 00:39

  8. Zum Denkansatz bzgl. Vergleich mit Arbeitnehmern: Hat der Arbeitnehmer auch soetwas wie eine Schulpflicht?

    Comment by RA Peters — 24.09, 2010 @ 03:39

  9. Selbst die vielgescholtene römische Kurie und der Papst haben es zu jeder Zeit erduldet, dass man sie am Pasquino in Rom verspottet. Anonym. Aber Bayern ist eben doch nicht der Kirchenstaat.

    Comment by Peter Hense — 24.09, 2010 @ 08:22

  10. Neu ist das Urteil tatsächlich nicht und war auch schon im Frühjahr veröffentlicht. Schade, dass der Beschluss des BVerfG ohne Begründung erging.

    Comment by ElGraf — 24.09, 2010 @ 10:18

  11. @Gerd [4]
    Ja haben Sie – aber auch eine Treuepflicht, die sich meines Wissens nach aber auch nicht auf die Freizeit erstreckt. Aber auch so dann erneut eine Gegenfrage: Haben Schüler soetwas gegenüber einem Lehrer/der Schule?

    Comment by Bob — 24.09, 2010 @ 21:38

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