Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.7.10

Keine Erfolgsaussichten der Zensus-Verfassungsbeschwerde?

Kaum ist die Verfassungsbeschwerde gegen das neue Volkszählungsgesetz (ZensG) erhoben, wird auch schon in der taz und in Blogs deren mangelnde Erfolgsaussicht beklagt. Fundierte Argumente werden für diese Ansicht freilich nicht ins Feld geführt.

Wenn Christian Rath in der taz schreibt:

„Das allerdings ist ein Missverständnis. Verboten hatte das Karlsruher Gericht damals nicht den Einsatz von Ordnungsnummern innerhalb der Volkszählung, sondern die Zusammenführung der Zensusdaten und anderer bei Behörden gespeicherter Daten mittels einer Personenkennziffer.“

so unterliegt er in zweifacher Hinsicht einem Irrtum. Das BVerfG hat im Volkszählungsurteil keine Zusammenführung mittels Personenkennziffer verboten, weil das in dieser Form seinerzeit nicht entscheidungserheblich war. Das Gericht hat dennoch darauf hingewiesen, dass auch die Übernahme sämtlicher Daten aus bereits vorhandenen Dateien keine zulässige Alternative zu der vorgesehenen Totalzählung darstellt. Aus diesen Ausführungen des Gerichts ist in der datenschutzrechtlichen Literatur zum Teil sogar die Schlussfolgerung gezogen worden, dass eine registergestützte Volkszählung überhaupt nicht datenschutzkonform ausgestaltet werden kann.

Die Kritiker der Verfassungsbeschwerde könnten freilich aus einem anderen Grund Recht haben. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine schrittweise Erosion der Grundrechte erlebt, die auch vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Halt gemacht hat. Das Gericht hat vielmehr das Schutzniveau seiner Rechtsprechung schrittweise abgesenkt. Wenn mich jemand vor 20 Jahren gefragt hätte, ob ein Gesetz wie das ZensG vor dem BVerfG hält, hätte ich das ohne zu zögern verneint. Heute bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher.

Dass aus der Datenschutzszene wenig Widerspruch gegen das ZensG kam, spricht eher dafür, dass dort die Schwerpunkte falsch gesetzt und verschiedene Dinge offenbar auch nicht verstanden werden. Während man gegen Nebensächlichkeiten wie Google Street View Sturm läuft, regt sich bei tatsächlich substantiellen Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen, wie sie vom ZensG ausgehen, mittlerweile kaum mehr Widerstand. Es ist deshalb umso wichtiger, dass es Bürgerrechtler gibt, die gegen die neue Volkszählung mobil machen, auch wenn manche Journalisten das nicht verstehen.

posted by Stadler at 16:07  

14 Comments

  1. Da fasse ich mir mal an die eigene Nase: Es ist bisher wenig darüber gebloggt worden, und niemand hat bis jetzt die Zusammenhänge einfach und verständlich dargestellt. Empörung ist zu wenig. Die Unterstützer finden sich hauptsächlich unter den Teilnehmern der letzten, über 20 Jahre zurückliegenden Proteste.

    Comment by vera — 18.07, 2010 @ 16:35

  2. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil damals viel davon geschrieben, was technisch möglich war und und hat auch immer wieder von Abwägungen gesprochen.

    Einschränkungen dieses Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung“ sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muß. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch hat er organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.

    Es gibt einen Grundrechtseingriff durch registergestützte Volkszählungen. Gemäß den Leitsätzen ist jedoch ein Eingriff möglich, wenn er bestimmten Anforderungen genügt. Die Hoffnung, dass man mit einem weniger intensiven Mikrozensus in ausreichendem Maße verlässliche Daten bekommen könne, hat sich in der Praxis ja leider nicht bestätigt.

    Comment by Torsten — 18.07, 2010 @ 16:38

  3. vera: Empörung gibt IMHO es eine Menge. An Argumenten mangelt es hingegen – auf den Webseiten des „AK Zensus“ findet sich leider fast gar nichts Fundiertes.

    Comment by Torsten — 18.07, 2010 @ 16:39

  4. Das ganze wäre für mich ohne Probleme zu ertragen, wenn absolut sichergestellt wäre, dass die Daten vollständig anonymisiert würden aber genau daran hakt es.

    Warum hat man überhaupt ein Interesse an nicht vollständig anonymen Daten, wenn es denn angeblich nur um Statistik geht?

    Comment by Nunja — 18.07, 2010 @ 19:56

  5. Nunja: Sie sind vollständig anonymisiert, idS, dass Namen gelöscht baldmöglichst werden. Der Einwand ist, dass man aus den anonymen Zahlen wieder Namen generiren könnte.

    Comment by Torsten — 18.07, 2010 @ 22:49

  6. soll heißen: idS dass Namen baldmöglichst gelöscht werden

    Comment by Torsten — 18.07, 2010 @ 22:54

  7. Baldmöglichst ist dann Auslegungssache der Behörde oder ist dieser Rahmen wenigstens nach oben hin geregelt?

    Comment by Nunja — 18.07, 2010 @ 23:06

  8. Nunja: Einfach ins Gesetz gucken. Zensusgesetz, Paragraph 19:

    (1) Die Hilfsmerkmale sind von den Erhebungsmerkmalen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen und gesondert aufzubewahren.

    Comment by Torsten — 18.07, 2010 @ 23:56

  9. „(1) Die Hilfsmerkmale sind von den Erhebungsmerkmalen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen und gesondert aufzubewahren.“

    Und?? Wozu sie überhaupt aufbewahren? Und klar werden sie „gesondert aufbewahrt“, aber wer sagt, dass es keinen Schlüssel gibt, mit dem man sie ggf. im Einzelfall zusammenführen kann?

    Comment by Christian — 19.07, 2010 @ 06:42

  10. Christian: Wie mehrmals gesagt: eine Kritik am Zensus ist, dass man die Daten auch ohne „Schlüssel“ zusammenführen könnte.

    Die „Hilfsdaten“ sind ähnlich wie die Unterschriftenliste im Wahllokal – die Stimme wird von der Wahlbenachrichtigung getrennt.

    Comment by Torsten — 19.07, 2010 @ 08:48

  11. @Torsten: § 19 ZensG wird faktisch dazu führen, dass die Daten vier Jahre aufbewahrt bleiben. Wenn man z.B. § 12 Abs. 5 liest, wird klar, dass der Datenbestand mehrfach abgeglichen und ergänzt wird, um Unstimmigkeiten zu beseitigen, wie es heißt. Der Personenbezug bleibt deshalb zwangsläufig für einen längeren Zeitraum erhalten und die Daten fließen auch immer wieder zu den Landesämtern zurück.

    Auch § 9 Abs. 3 sollte man gelesen haben. Die Daten der Wohnungs- und Haushaltszählung werden mit den kombinierten Datensätzen mittels der Anschrift zusammengeführt und dann personenweise den Wohnungen zugeordnet. Anonymisiert ist da gar nichts.

    Es ist schon richtig, dass der Gesetzgeber nicht jeden Fehler aus den 80’er Jahren wiederholt hat. Wenn man sich an den Kriterien des Volkszählungsurteils orientiert, dann ist dieser Zensus verfassungswidrig. Ich hege nur die Befürchtung, dass das BVerfG seine eigenen Kriterien aufweichen wird.

    Gemessen an dem, was hier geplant ist, auch in Kombination mit den Daten die von Vermietern/Hausverwaltern abgefragt werden, waren die früheren Volkszählungen Kinderkram.

    Die journalistische Verharmlosung, die auf einer Unkenntnis der Tragweite und der Zusammenhänge beruht, ist jedenfalls wenig hilfreich.

    Comment by Stadler — 19.07, 2010 @ 11:41

  12. Stadler: Natürlich wird mehrfach abgeglichen – das ist der ganze Witz bei dem Zensus 2011. Dass daraus daraus eine vierjährige unanonymisierte Speicherung resultieren soll, ist allenfalls eine gewagte Hypothese.

    Die im Volkszählungsurteil ausdrücklich genannten Pro-Argumente einer Volkszählung lässt Du komplett weg und ignorierst dabei die notwendige Abwägung, die bei einer Entscheidung zu Grundrechten fast immer entscheidend ist.

    Aber wir können hier Argumente zusammentragen bis wir schwarz werden – entscheiden wird nun das Bundesverfassungsgericht. Ich für meinen Teil werde aber die Begründung lesen, bevor ich eine Entscheidung in Grund und Boden verdamme, selbst wenn sie evtl. nicht meiner Überzeugung entspricht.

    Comment by Torsten — 19.07, 2010 @ 12:27

  13. @Torsten:
    Also sind wir uns zumindest einig, dass der vorgesehene Mehrfachabgleich dazu führt, dass zumindest für eine gewisse Dauer gespeichert wird. Die Verwaltung neigt stets dazu, einen gesetzlichen Rahmen, zu ihren Gunsten, auszuschöpfen. Und irgendeinen Grund wird man immer finden, wenn noch nicht gelöscht wurde.

    Das ZensVorbG sieht außerdem die Möglichkeit vor, dass die Ordnungsnummer bei der Gebäude- und Wohnungszählung das Merkmal „Schlüssel der Straße“ enthält, so dass aus der Ordnungsnummer der Wohnort rückerschließbar ist. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es mit der Anonymisierung nicht so weit her ist.

    Comment by Stadler — 19.07, 2010 @ 13:58

  14. Dass man zu einem Datenabgleich Daten benötigt, ist eine etwas banale Erkenntnis, nicht?

    Bleibt die Frage, die ich hier als erstes stellte: wie soll man es besser machen oder muss man für alle Zeiten auf Volkszählungen verzichten?

    Comment by Torsten — 20.07, 2010 @ 01:42

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