Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.4.10

Grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit

Das Bundesverfassungsgericht attestiert dem Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg ein grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit. Hierüber hatte am Wochenende bereits Telepolis berichtet. Zum wiederholten Male wurden die Hamburger Richter damit in Karlsruhe abgewatscht, abwechselnd vom BGH und vom BVerfG.

Dieses grundlegende Fehlverständnis ist leider immer noch nicht beseitigt und führt weiterhin zu haarsträubenden Entscheidungen wie unlängst gegen ein Regensburger Blog. Nachdem es bekanntermaßen in Hamburg nicht schwer ist, auch evident zulässige Meinungsäußerungen gerichtlich untersagen zu lassen und und von dieser Möglichkeit, wegen der Vorzüge des fliegenden Gerichtsstandes, auch reger Gebrauch gemacht wird, hat die meinungsfeindliche Hanseatische Rechtsprechung mittlerweile demokratiegefährdende Ausmaße angenommen.

In seinem Beschluss vom 09.03.2010 (Az.: 1 BvR 1891/05), dessen Lektüre nur empfohlen werden kann, führt das Verfassungsgericht aus:

Die Erwägung des Oberlandesgerichts, der Berichterstattungsgegenstand sei objektiv belanglos und begründe daher jedenfalls kein das Interesse des Klägers, ungenannt zu bleiben, überwiegendes öffentliches Informationsinteresse, deutet auf ein grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit hin. Sie lässt nämlich nicht hinreichend erkennen, ob das Gericht sich bewusst war, dass es zunächst vom Selbstbestimmungsrecht der Presse oder auch des journalistischen Laien als Trägers der Meinungsfreiheit umfasst ist, den Gegenstand der Berichterstattung frei zu wählen, und es daher nicht Aufgabe der Gerichte sein kann zu entscheiden, ob ein bestimmtes Thema überhaupt berichtenswert ist oder nicht (…). Die Meinungsfreiheit steht nicht unter einem allgemeinen Vorbehalt des öffentlichen Interesses, sondern sie verbürgt primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann. Angesichts dessen stellt es eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung dar, wenn das Oberlandesgericht dem Kläger vorliegend allein deshalb einen Unterlassungsanspruch zuerkannt hat, weil dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.

posted by Stadler at 18:47  

20 Comments

  1. m( m( m(

    Comment by vera — 28.04, 2010 @ 22:06

  2. Es sind wohl in Hamburg immer die selben Richter, dessen Urteile aufgehoben werden. Lässt sich hier nicht ein Dienstrecht anwenden, da die bestimmten Herren offensichtlich aus den immer wieder ablehnenden Urteilen höherer Gerichte nichts lernen?
    Unser Staat kann doch nicht machtlos sein.

    Comment by GustavMahler — 29.04, 2010 @ 08:50

  3. … das Urteil liesst man einerseits mit Freude, andererseits fragt man sich unweigerlich, warum es in der Legislative keine Regulierungsmechanismen für den Umgang mit diesem „grundlegenden Fehlverständnis“ gibt.
    Es kann doch nicht sein, dass wegen der Konstellation „Fliegender Gerichtsstand“ & OLG HH jeder Blogger / Journalist / Herausgeber immer damit rechnen muss mit seinem Fall bis zum BGH / BVerfG ziehen muss um die Grundrechte gewährt zu bekommen?!

    Comment by Christian — 29.04, 2010 @ 09:07

  4. Jetzt lese ich zum gefühlten 3 Dutzenden Mal das in Hamburg kaum vertretbare Urteile gefällt werden.

    Als Laie muss ich mich fragen: Interessiert das niemanden oder warum dürfen die ewig weitermachen?

    Comment by Felix Nagel — 29.04, 2010 @ 10:29

  5. Also wenn die Herrn Richter das immer noch nicht verstanden haben, frage ich mich doch, ob es nicht langsam an der Zeit ist diesen Richtern Rechtsbeugung vorzuwerfen?

    Comment by Hrothgaar — 29.04, 2010 @ 12:55

  6. Nein, keine Rechtsbeugung, vielmehr ist der Artikel bei Telepolis tendenziös verfasst von einem alles andere als neutralen Beobachter (bitte sich über Markus Kompa informieren). Und auch im hiesigen Blog sollte man sich mal Gedanken machen, ob Vokabular wie „demokratiegefährdend“ nicht für andere Sachverhalte aufgespart werden sollte.

    Comment by ElGraf — 29.04, 2010 @ 14:20

  7. Natürlich bedarf dies einer genauen Überprüfung. Das BVerfG nennt dies nicht ganz so offensichtlich und benutzt natürlich auch ein anderes Vokabular.

    Zitat:“…deutet auf ein grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit hin.“

    Könnte schon auf eine „subjektive Rechtsbeugung“ hinweisen. War halt nur mein erster Gedanke zum Urteil.

    Comment by Hrothgaar — 29.04, 2010 @ 15:11

  8. „Und auch im hiesigen Blog sollte man sich mal Gedanken machen, ob Vokabular wie “demokratiegefährdend” nicht für andere Sachverhalte aufgespart werden sollte.

    Wieso? Regelmäßige Unterminierung der eigentlich doch grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit ist doch genau das: demokratiegefährdend.

    Es gibt natürlich auch zahllose „andere Sachverhalte“, die als demokratiegefährdend einzustufen sind, irgend etwas ist schließlich stets noch ein bißchen schlimmer. Aber warum sollte man deshalb auf eine (in den Augen vieler) zutreffende Beschreibung (oder zumindest Bewertung –> also Meinung) der Urteile aus Hamburg verzichten? Das ist in nicht einsichtig.

    Comment by Peter Viehrig — 29.04, 2010 @ 17:44

  9. @admin (off-topic):

    Warum gibt es keine Möglichkeit für ein E-Mail-Abonnement der Kommentare? Oder übersehe ich etwas?

    Comment by Peter Viehrig — 29.04, 2010 @ 17:48

  10. @9 – Peter Viehrig
    Zumindest per RSS kann man informiert bleiben (einmal in die Browserleiste schauen, da sollte ein orangenes Icon sein)
    Per Mail würde mich auch interessieren.

    Comment by Felix Nagel — 29.04, 2010 @ 19:49

  11. @ El Graf

    Was gibt es denn über mich zu informieren?

    Ich habe im Wesentlichen nur die BVerfG-Entscheidung referiert und bin definitiv ein Kenner der Hamburger Rechtsprechung zum Äußerungsrecht. Ich vertrete dort meistens (nicht immer) auf Abwehrseite. Meine Meinung über das Verhältnis des LG/OLG Hamburg zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Nichtbeachtung der Karlsruher Rechtsprechung ist unter Presserechtlern definitiv Konsens. Sie können meinen Befund anhand der divergierenden Urteile nachvollziehen.

    Ihre Äußerung über meine Person könnte man nach Hamburger Lesart als „Schmähung“ auffassen sowie als Meinungsäußerung mit falschem Tatsachenkern. Das wäre dann abmahnfähig …

    Wenn Ihnen aber der Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie nicht bekannt ist, haben Sie ganz andere Probleme.

    Comment by RA Kompa — 29.04, 2010 @ 23:44

  12. Wer sich über den Grafen informieren will, der schaue hier: http://rw22linux5.jura.uni-sb.de/pipermail/urecht/

    Comment by TutnichtszurSache — 30.04, 2010 @ 10:19

  13. @12: das bin nicht ich.

    @11: Dass Sie kein neutraler Beobachter sind, bestreiten Sie nicht und mehr als das habe ich nicht gesagt. Das ist auch nach Hamburger Lesart keine Schmähung (so gut kenne ich die Hamburger Rechtsprechung zum Äußerungsrecht dann doch). Vielmehr ist Ihre Behauptung, was „unter Presserechtlern definitiv Konsens“ ist, wenn nicht falsch, so doch irreführend. Und wenn wir schon bei wilden Unterstellungen sind: 1. Was bringt Sie dazu behaupten, dass ich den Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie nicht kenne? 2. Welche Probleme habe ich denn dann? Ihre Reaktion lässt Ihre Äußerungen jedenfalls nicht in einem besseren/neutraleren Licht erscheinen.

    Comment by ElGraf — 30.04, 2010 @ 14:58

  14. Zur Klarstellung nochmal, worum es mir hier geht:
    Das billige LG Hamburg-Bashing hilft genau wie das Anti-Urheberrechts-, Anti-Print-, Anti-Öffentlichrechtlicher-Rundfunk- und was sonst noch-Gehabe halt immer wunderbar, in der heise-Troll-Ecke neue Freunde zu finden und alte Freundschaften (sprich: Mandate) aufrecht zu erhalten. Das ist auch legitim. Machts aber nicht weniger billig. Und Kraftausdrücke wie demokratiegefährdend im hiesigen Kontext zu verwenden, finde ich fehl am Platz. Ach ja, an dieser Stelle, Herr Kompa: „Offensichtlich“ ist im Kontext eines BVerfG-Kammerbeschlusses kein „Kraftausdruck“, sondern der Gesetzestext des § 93c Abs. 1 BVerfGG. Aber das wissen Sie ja.

    Comment by ElGraf — 30.04, 2010 @ 15:05

  15. Und weil ich gerade so in Schreiblaune bin:
    Im hier thematisierten Kammerbeschluss geht es gerade nicht in erster Linie um die demokratiegarantierende Funktion der Meinungsfreiheit, sondern um den anderen „Strang“, nämlich die „Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen“. Und darauf bezog sich auch das hier freudig ausgeschlachtete Diktum „grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit“.
    Danke für die Aufmerksamkeit.

    Comment by ElGraf — 30.04, 2010 @ 15:13

  16. Wer selbst so viele trollige Worte wie ElGraf in Kommentar #14 verbraucht, der sollte sich nicht über seinesgleichen aufregen. Und ob der hierfür verschwendeten Zeit steht ihm ein Urteil über die Akquisebemühungen anderer Anwälte auch nicht zu.

    Comment by Peter Hense — 3.05, 2010 @ 15:52

  17. @16:
    – Inwiefern handelt es sich bei meinem Vokabular um das eines Trolls?
    – Wieso „andere“ Anwälte?
    – Verschwendet erscheint mir die Zeit in der Tat manchmal, siehe auch meine Reflektionen hier: http://elgraf.wordpress.com/2010/05/03/reflektionen-eines-medienrecht-trolls/

    Comment by ElGraf — 3.05, 2010 @ 16:57

  18. nu bin wirklich kein RA, aber wenn ein, bzw. MEHRERE höher gestellte Gerichte rechtsgültig entschieden haben, dass das LG Hamburg FALSCH geurteilt hat, dann IST das Konsens. Insofern ist Ihre Meinung, Herr ElGraf absolut unerheblich – da können sie noch so viel rumtrollen und mit Kraftausdrücken um sich werfen, daß interessiert einfach nicht. Schlimmer noch, es wirkt wie das „Doch“ von Homer Simpson, der sich dem „Nein“ von Bart Simpson (äh BVG) nicht beugen will.

    Comment by kein RA — 12.05, 2010 @ 09:48

  19. Der Diskussionsstil hier, lässt an der demokratiestabilisierenden Funktion der Kommunikation wahrlich zweifeln.

    Wer wie ElGraf anfangs darauf hinweist, dass die Aufhebung eines Urteils oder auch mehrerer von durch das BVerfG mit Rechtsbeugung rein gar nichts zu tun hat (#6), wird als Feind der so schönen schwarz-weiß-Sicht entlarvt, was daran mündet, ihm zu unterstellen, er würde die besagte Rechtsprechung des LG/OLG Hamburg unterstützen (#18).
    An Widersprüchlichkeit nicht zu überbieten, ist der in Foren (wenn einem gar nichts mehr einfällt) sehr gerne gefundene Threadinhalt, die langen Ausführungen seien doch Zeitverschwendung(#16).
    Über den Beschluss selbst, wird in keiner Weise kommunziert.Auch nicht darüber, dass das BVerfG in der Sache gar nicht entschieden hat, also nicht etwa geurteilt hätte, die Berichterstattung im Blog sei rechtmäßig, sondern „nur“ zurückgewiesen hat.

    Comment by Felix Zimmermann — 23.06, 2010 @ 19:11

  20. Jetzt frage ich mich folgendes (da ich jetzt auch an der Reihe bin und übermorgen, 24.8., vor dem LG Hamburg Termin habe): Hätte eine Splashpage juristisch Bedeutung, die den Aufruf der eigenen Site in Hamburg untersagt und vor Einblick in die Seiten ein Einverständnis verlangt, das besagt, dass der Leser sich nicht in Hamburg aufhält und den Gerichtsstand des Betreibers respektiert? Demnach würde, wenn ich das richtig denke, die Begründung für den fliegenden Gerichtsstand entfallen, denn die Seite wäre ja nicht mehr in Hamburg zu empfangen, jedenfalls nicht legal.

    Comment by Christoph Lemmer — 21.08, 2010 @ 21:56

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