Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

13.1.10

Provider sollen stärker in den Jugendschutz eingebunden werden

Gestern habe ich über einen aktuellen Arbeitsentwurf zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) berichtet, der die Idee von Sendezeitbegrenzungen für Internet-Angebote aufgreift und weiter ausweitet. Die Regelung ist im Grundsatz allerdings bereits in der geltenden Fassung des JMStV enthalten, aber nie umgesetzt worden. Tatsächlich neu ist u.a. die genaue Definition unterschiedlicher Altersstufen. Ebenfalls neu und gänzlich unklar ist aus meiner Sicht die geplante Regelung in § 5 Abs. 2 S. 3 JMStV, die lautet:

Die Kennzeichnung von Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß §§ 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen, insbesondere weil diese von Nutzern in das Angebot integriert werden oder das Angebot durch Nutzer verändert wird, setzt voraus, dass der Anbieter nachweist, dass die Einbeziehung oder der Verbleib von Inhalten im Gesamtangebot verhindert wird, die geeignet sind, die Entwicklung von jüngeren Personen zu beeinträchtigen.

Diese Regelung ist ersichtlich auf Access-Provider und Hoster zugeschnitten. Der genaue Regelungsgehalt erschließt sich allerdings nicht, was primär an den handwerklichen Mängeln der Gesetzesformulierung liegt. „Angebote, die den Zugang zu Inhalten vermitteln„, gibt es nämlich nicht. Die Formulierung ist perplex, denn die technische Dienstleistung der Zugangsvermittlung stellt kein (Inhalts-)Angebot dar. Es hat allerdings ganz den Anschein, als wolle man damit Zugangs- und Host-Provider in die Verpflichtung zur Kennzeichnung jugendgefährdender Inhalte im Internet unmittelbar einbinden.

Den Grundstein für eine derartig verquere Vermischung von Technik und Inhalt, wie man sie in § 5 Abs. 2 S. 3 des Entwurfs wiederfindet, hat der deutsche Gesetzgeber bereits in den 90’er Jahren gelegt, zu Zeiten des Teledienstegesetzes und Mediendienstestaatsvertrags. Denn der Zugangsprovider wird seit dieser Zeit als Diensteanbieter betrachtet und damit auch wie ein Inhaltsanbieter behandelt. Anbieter im Sinne von TMG und JMStV sind nämlich auch diejenigen, die den Zugang zur Nutzung von Telemedien vermitteln, also die Access-Provider. Damit hat man den Provider und den Content-Anbieter mittels einer gesetzlichen Fiktion gleichgestellt.

Wernn man heute über Netzneutralität diskutiert, sollte man sich vor Augen führen, dass die Gesetzgebung von Bund und Ländern diese grundsätzliche Weichenstellung, die der Vorstellung von Netzneutralität zuwider läuft, bereits vor mehr als 10 Jahren getroffen hat. Der TK-Dienstleister Zugangsprovider, der eine neutrale technische Dienstleistung erbringt, wird als Diensteanbieter qualifiziert und damit einem Content-Anbieter gleichgestellt. Was die Sache schließlich gänzlich absurd macht, ist der Umstand, dass der Gesetzgeber gleichzeitig in § 1 TMG und in § 2 Abs. 2 JMStV zum Ausdruck bringt, dass die Gesetze nicht für Telekommunikationsdienste gelten sollen. Auf diesen Wertungswiderspruch habe ich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion immer wieder hingewiesen, u.a. in beiden Auflagen von „Haftung für Informationen im Internet„. Die meisten Fachautoren haben die Einbeziehung des Access-Providers in den Kreis der Diensteanbieter nach TMG (und JMStV) allerdings verteidigt, u.a. mit dem Argument, dass dem Provider ansonsten die Haftungsprivilegierung des TMG nicht zugute kommen würde. Was man dabei übersehen hat, ist, dass damit die eigentlich klar zu ziehende Grenze zwischen Technik und Inhalt verwischt wird und man sich gleichzeitig von der Netzneutralität verabschiedet hat. Es ging hierbei nicht um die Haftungsprivilegierungen, sondern darum, über einen technischen Dienstleister auf die Inhalte Einfluss nehmen zu können. Und hierfür war es erforderlich, den Internet-Service-Provider qua Gesetz wie einen Inhaltsanbieter zu behandeln.

Daneben schlummert auch in der bereits geltenden Fassung des JMStV die Möglichkeit, Zugangsprovider zur Sperrung von Websites zu verpflichten, Zensursula aus Gründen des Jugendschutzes sozusagen.

Bereits der Mediendienstestaatsvertrag sah die Möglichkeit vor, sog. Sperrungsanordnungen gegen Zugangsprovider zu erlassen, wovon die Bezirksregierung Düsseldorf im Jahre 2002 auch Gebrauch gemacht hat. Die Regelung zu den Sperrungsverfügungen existiert immer noch, sie findet sich jetzt in § 59 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags. Diese Regelung gilt auch im Bereich des Jugendschutzes. § 20 Abs. 4 JMStV besagt nämlich, dass die zuständige Landesmedienanstalt für Anbieter von Telemedien entsprechend § 59 Abs.2 bis 4 des Rundfunkstaatsvertrages die jeweiligen Entscheidungen treffen kann, zu denen eben auch Sperrungsverfügungen gegen Provider zählen.

Update:
Wie ich gerade gehört habe, sehen die Provider die wesentliche Änderung zu ihren Lasten darin, dass jetzt in § 3 Nr. 2 JMStV die Zugangsvermittler ausdrücklich als Anbieter definiert werden, weshalb man befürchtet, dass sämtliche Anforderungen des Jugendschutzes, die der Staatsvertrag aufstellt, die Access-Provider direkt treffen könnte.

posted by Stadler at 11:15  

7 Comments

  1. Der Entwurf ist in der Tat nicht nur bezüglich der Formulierungen unterirdisch.

    "Angebote, die den Zugang zu Inhalten vermitteln" würde ich interpretieren als typische Web 2.0 Dienste wie Flickr oder YouTube. Allerdings lässt die Formulierung in der Tat auch eine Erweiterung auf Zugangs- und Hosting-Provider zu. Und spätestens dann würde es wirklich gefährlich.

    Comment by Joerg Heidrich — 13.01, 2010 @ 11:38

  2. Herr Stadler, es ist nicht richtig, dass die Sendezeitbeschraenkung bei Telemediendiensten bisher nicht umgesetzt worden ist. Zahlreiche Anbieter (auch zuletzt Quelle.de) haben davon Gebrauch gemacht und nutze es aktiv, z. B. um Werbung ab 23.00 Uhr zu schalten oder, wie im Fall quelle.de, das Erotiksegment freizuschalten.

    Herr Heidrich, was ist ein Web 2.0-Dienst? Was machen wir, wenn wir Web 2.1 oder die Final 3.0 haben? Nicht immer nur kritisieren! Besser machen…

    Hat man frueher die Suchmaschinenanbieter als Torwaechter gesehen, sind es zunehmend die Provider, die sich quer stellen und zum Hueter ueber Sperrung und Nichtsperrung werden. Insofern der Staat keine geeigneten Instrumente bereitstellt, um die Anbieter ranzubekommen, bleibt es eben beim Schluesseldienst.

    Comment by Anonymous — 13.01, 2010 @ 12:18

  3. Warum sollte der Anbieter verhindern, daß erwachsene Nutzer auf Inhalte für Erwachsene zugreifen? Um Angebote zu kennzeichnen, die nicht für Kinder geeignet sind oder nutzergenerierte Inhalte haben, gibt es seit 1995 (!) den PICS-Standard des W3C, der kürzlich von POWDER abgelöst wurde. Tools wie der Label Generator machen die Kennzeichnung zum Kinderspiel. Die so gekennzeichneten Seiten wiederum können von clientseitiger Kinderschutzsoftware erkannt und ggf. gefiltert werden. Dieses System setzt natürlich mündige Bürger und verantwortungsbewußte, kompetente Eltern voraus, wovon es anscheinend in Deutschland einen Mangel gibt.

    Comment by kliehm — 13.01, 2010 @ 12:38

  4. @ Joerg Heidrich:
    Also der Verweis auf §§ 7 ff. TMG deutet eigentlich an, dass damit alle gemeint sind, die der dortigen Privilegierung unterliegen. Also gerade auch Access- und Host-Provider.

    @Anonym: Das war mir nicht bekannt. Die meisten Anbieter aus dem Erotiksegment haben Deutschland – zumindest offiziell – eh längst verlassen und der Rest wird jetzt folgen. Und an diesem Punkt kommen dann natürlich die Provider ins Spiel.

    @kliehm: Guter Einwand. Das hätte auch den Vorteil, dass es im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung vermutlich auch halbwegs funktionieren würde.

    Comment by Pavement — 13.01, 2010 @ 13:18

  5. Es ist die ganz klare Absicht zu erkennen, die Provider in die Pflicht zu nehmen. Wie sonst sind diese beiden Änderungen zu erklären ?

    In der bisherigen Version des Vertrages gab es den $2 Abs.2 :

    "Dieser Staatsvertrag gilt nicht für Telekommunikationsdienstleistungen und das geschäftsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdiensten nach § 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010)."

    Dieser Absatz wurde in der neuen Version ersatzlos gestrichen.

    § 3 Abs.2 wird in der neuen Version wie folgt neu gefasst:

    "Anbieter" Rundfunkveranstalter, Anbieter von Plattformen im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages oder natürliche oder juristische Personen, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur
    Nutzung vermitteln.

    Comment by Anonymous — 13.01, 2010 @ 13:34

  6. @Anonym

    "Zahlreiche Anbieter"?

    Können Sie da bitte noch ein paar andere Beispiele nennen?

    Comment by Peter — 13.01, 2010 @ 17:44

  7. Wann kapieren die es endlich, Internet ist kein Kindernet! Dieses Medium ist ebensowenig wie Film oder Fernsehen für Kinder geschaffen worden. Daß die Jugendschützer sich anmaßen, darüber entscheiden zu wollen, was wir uns im Netz oder sonstigen Medien ansehen können, ist absolut unfaßbar. Schließlich leben wir nicht mehr im Mittelalter, wo der Papst bestimmte, was gelesen werden darf.

    Comment by Anonymous — 26.01, 2010 @ 00:23

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