Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

27.10.09

Kommen die Netzsperren über den Umweg Brüssel?

Nach dem Koalitionsvertrag soll das Zugangserschwerungsgesetz für die Dauer eines Jahres nicht angewendet werden. Die FDP hat versucht, dieses Verhandlungsergebnis als großen Erfolg zu verbuchen.

In diesem Zusammenhang sollte man allerdings bedenken, dass auf EU-Ebene bereits seit dem Frühjahr ein Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Kinderpornografie existiert. Dieser Vorschlag liegt derzeit dem EU-Parlament zur Entscheidung vor.

Der Vorschlag führt zum Thema Netzsperren u.a. folgendes aus:

„Durch die zunehmende Erschwerung des Zugangs zu öffentlichen Webseiten soll die Verbreitung von Kinderpornografie eingeschränkt werden. Allerdings ist diese Maßnahme kein Ersatz für die Entfernung der Inhalte an der Quelle oder für die Verfolgung der Straftäter“.

„Inhaltlich enthält der Vorschlag Elemente, die im Übereinkommen des Europarats nicht enthalten sind wie die Durchsetzung eines EU-weiten Verbots für Sexualstraftäter, Tätigkeiten im Kontakt mit Kindern auszuüben, die Sperrung des Zugangs zu Kinderpornografie im Internet …“

Das Thema der Access-Sperren steht in Brüssel also ganz konkret auf der Agenda. Das Kalkül der Union in den Koalitionsverhandlungen könnte deshalb schlicht folgendes gewesen sein: Man gönnt der FDP medial noch einen Verhandlungserfolg in der Erwartung, dass aus Brüssel ohnehin die verbindliche Vorgabe kommt, den Zugang zu kinderpornografischen Websites zu blockieren. Denn dann kann man anschließend einfach hergehen und das bereits bestehende Gesetz unter Verweis auf die europarechtlichen Vorgaben in Kraft setzen. Und das ist möglicherweise auch der Grund dafür, dass die Union das Gesetz nur auf Eis legen möchte.

Wenn die FDP Netzsperren also tatsächlich verhindern will, dann ist es nötig, dass sie jetzt auf EU-Ebene, insbesondere auch mithilfe ihrer Europaabgeordneten, aktiv wird. Gleiches gilt auch für die Bürgerrechtsorganisationen, die sich zu oft nur auf ihre nationalen Vorgänge konzentrieren.

Update:
Über den Stand beim EU-Parlament hat EDRi kürzlich berichtet. Nach allzu heftigem Widerstand des Parlaments sieht es offenbar bislang nicht aus.

posted by Stadler at 10:30  

Keine Kommentare

  1. … das übliche "Über-die-Bande-spielen". Nichts neues unter der Sonne.

    Die EU-Regierungen sind u.a. ueber den EU-Ministerrat hervorragend vernetzt. Die Öffentlichkeiten in den einzelnen EU-Staaten sind es de facto so gut wie nicht (Sprachbarrieren, kulturelle Barrieren).

    Man kann diese Art von "über-die-Bande-spielen" nur kippen, wenn es gelingt, eine EU-weite Gesamtöffentlichkeit herzustellen.

    Keine Regierung und keine Industrie wird dabei hilfreich sein.

    Comment by Anonymous — 27.10, 2009 @ 11:10

  2. Diese Vermutung hatte ich auch schon. Verstärkt wird diese These durch die lobby- gesteuerten Kinderschutzorganisationen wie UNICEF, ECPAT, Save The Children und Innocence in Danger, deren Einfluss nicht zu unterschätzen ist: http://www.guedesweiler.wordpress.com

    Comment by guedesweiler — 27.10, 2009 @ 11:16

  3. Der EU-Entwurf hat sich schon während der nationalen Debatte "angekündigt" – siehe hier:
    http://tinyurl.com/yk5n3yf (beck-blog)
    Er enthält neben Netzsperre auch materiellstrafrechtliche Forderungen

    Comment by Henning Ernst Müller — 27.10, 2009 @ 12:07

  4. @Henning Ernst Müller:
    Der Vorschlag der Kommission stammt ja auch schon vom März und ist nicht ganz neu. Er scheint aber langsam die entscheidende Phase zu erreichen. Mir erschien vor allem der Zusammenhang zum Koalitionsvertrag interessant. Dass das Thema Netzsperren nur einen kleinen Teilaspekt darstellt, ist mir bewusst.

    Comment by Pavement — 27.10, 2009 @ 12:40

  5. Bin mal gespannt.. vorallen ist ja nach deren Vorstellungen alles Kinderpornografie was nach unter 18 aussehen könnte. Und wenn dann noch die Vorschläge kommen auch das Ansehen strafbar zu machen.. dürften auch die normalen Videotheken nur noch Filme wie "Oma 80 … bla bla" anbieten dürfen..

    Comment by Anonymous — 27.10, 2009 @ 14:50

  6. tja, sieht ganz nach einem "pyrrhus-sieg" der fdp aus. und dann noch nebenbei mit dem nichtanwednugserlass das rechtsstaatsgebot verletzt.

    Comment by Henning Ernst Müller — 27.10, 2009 @ 20:46

  7. War da von FDP-Abgeordneten im EU-Parlament die Rede ? Dass die dortige Vorzeigeabgeordnete hier besonders aktiv wird, ist nach den Veröffentlichungen von vor der Europawahl ja nicht zu erwarten. Wozu man schließlich fragen muss: Wofür steht Frau Koch-Mehrin eigentlich ?

    Comment by Coda — 28.10, 2009 @ 14:36

  8. Die EU ist leider nicht sehr demokratisch, wie man sehen kann. Denn die Vorgänge werden dort kaum an die Öffentlichkeit kommuniziert, womit es äusserst schwierig ist, sich als mündiger Bürger bereits im Vorfeld zu informieren. Wie einer meiner Vorposter bereits gesagt hat: es fehlt an europaweiter Vernetzung der Bürger. Dahingegen sind die Regierungen geradezu vorzüglich vernetzt. Mir persönlich macht das Angst.

    Comment by Anonymous — 30.10, 2009 @ 11:19

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