BGH zur Übernahme von Ausschnitten eines Interviews als Zitat
Der Fernsehsender VOX hatte in seinem Boulevard-Magazin „Prominent!“ Ausschnitte aus einem Interview gesendet, das zuvor exklusiv in der SAT.1-Sendungen „STARS & stories“ ausgestrahlt wurde. Während der Wiedergabe der Ausschnitte aus den Interviews blendete VOX auf der rechten Bildschirmseite um 90 Grad entgegen der üblichen Leserichtung gedreht von oben nach unten verlaufend die Angabe „Quelle: SAT 1“ ein. Der BGH hatte in einer gerade veröffentlichten Entscheidung die Frage zu klären, ob das eine Urheberrechtsverletzung darstellt (Urteil vom 17.12.2015, Az.: I ZR 69/14).
Der BGH hat grundsätzlich eine Urheberrechtsverletzung bejaht. VOX hatte nach Ansicht des BGH in das dem Sender SAT.1 zustehende Recht eingegriffen, seine Sendungen aufzuzeichnen und später zu verbreiten, § 87 Abs. 1 Nr. 2, § 96 Abs. 1 UrhG.
Die Frage war allerdings, ob diese Urheberrechtsverletzung durch die Schrankenbestimmungen von § 50 UrhG (Berichterstattung über Tagesereignisse) oder § 51 UrhG (Zitatrecht) gedeckt sein kann.
Die Voraussetzungen von § 50 UrhG hat der BGH, wie auch die Vorinstanzen verneint.Hierzu führt der Senat u.a. folgendes aus:
Die Bestimmung des § 50 UrhG unterscheidet nach ihrem Wortlaut zwischen dem Tagesereignis und dem im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar werdenden urheberrechtlich geschützten Werk. Ist § 50 UrhG gemäß § 87 Abs. 4 UrhG entsprechend anzuwenden, ist dementsprechend zwischen dem Tagesereignis und der geschützten Sendung zu unterscheiden. Nicht privilegiert ist eine Berichterstattung, die das Werk oder die urheberrechtlich geschützte Leistung selbst zum Gegenstand hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 I ZR 285/99, GRUR 2002, 1050, 1051 = WRP 2002, 1302 Zeitungsbericht als Tagesereignis, mwN). Das Werk muss vielmehr bei einem anderen Ereignis in Erscheinung treten (BGH, Urteil vom 1. Juli 1982 I ZR 118/80, BGHZ 85, 1, 6 Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; Urteil vom 1. Juli 1982 I ZR 119/80, GRUR 1983, 28, 30 Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 50 UrhG Rn. 21).
Daraus ergibt sich, dass die von der Klägerin im Rahmen ihres Fernsehprogramms gesendeten Interviews, also die urheberrechtlich geschützten Leistungen, nicht als aktuelles Tagesereignis im Sinne von § 50 UrhG in Betracht kommen. Entgegen der Auffassung der Revision scheiden auch die Interviews selbst und ihr Inhalt als Tagesereignis im Sinne von § 50 UrhG aus. Die Sendung und damit der urheberrechtlich geschützte Gegenstand werden nicht im Verlauf des Interviews wahrnehmbar. Es kommt hinzu, dass die Interviews exklusiv gegenüber der Klägerin gegeben worden sind. In einem solchen Fall lassen sich das Interview und die Sendung des Interviews nicht getrennt betrachten. Anderenfalls wären Exklusivrechte an einer Berichterstattung durch Funk-sendungen regelmäßig dadurch entwertet, dass diese bei Vorliegen der weite-ren Voraussetzungen des § 50 UrhG stets zustimmungs- und vergütungsfrei von Dritten genutzt werden könnten. Eine solche Einschränkung des Urheberrechts ist auch unter Berücksichtigung des Schutzwecks des § 50 UrhG nicht geboten.
Schließlich kommen als aktuelles Tagesereignis auch nicht die von der Beklagten geltend gemachten Gesichtspunkte der Selbstinszenierung der Frau M. sowie ihr Verhalten gegenüber ihrem Ehemann in Betracht. Auf Ereignisse, bei denen es der Öffentlichkeit auf eine zeitnahe Berichterstattung nicht ankommt, ist § 50 UrhG nicht anzuwenden (vgl. BGHZ 175, 135 Rn. 48 TV Total). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass diese Themen, die allgemeine und durch einzelne Ereignisse zu konkretisierende Vorgänge umschreiben, als Ereignisse der Gegenwartsberichterstattung und damit als tagesaktuelles Geschehen wahrgenommen werden. Auch die Revision zeigt nicht auf, dass die allgemeine Thematik der Selbstinszenierung der Frau M. sowie ihr Verhalten gegenüber ihrem Ehemann Lothar M. als Tagesereignis im Sinne von § 50 UrhG anzusehen ist.
Der BGH hält allerdings ein privilegiertes Zitat im Sinne von § 51 UrhG für denkbar und führt hierzu aus:
Für ein Eingreifen der Schutzschranke des § 51 UrhG ist es nicht erforderlich, dass sich der Zitierende in erheblichem Umfang mit dem übernommenen Werk auseinandersetzt. Für das Vorliegen eines Zitatzwecks und damit die urheberrechtliche Privilegierung des Zitats ist maßgeblich, dass der Zitierende eine innere Verbindung mit dem fremden Werk oder der urheberechtlich geschützten Leistung im Streitfall mit der Funksendung der Klägerin herstellt. Für die Annahme einer inneren Verbindung reicht es aus, dass das fremde Werk als Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erscheint (BGH, GRUR 2012, 819 Rn. 28 – Blühende Landschaften, mwN). Dies ist im Streitfall zu bejahen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatten die Sendung der Beklagten vom 1. August 2010 die Selbstinszenierung von Frau Liliana M. und die Sendung vom 3. August 2010 das Verhalten der Liliana M. gegenüber ihrem Ehemann Lothar M. zum Thema. Die übernommenen In-terviewteile sind von der Beklagten als Beleg für die behauptete mediale Selbstinszenierung und die These der Beklagten verwendet worden, Liliana M. habe ihren Mann nicht nur aus persönlicher Zuneigung, sondern jedenfalls auch wegen dessen Berühmtheit und Wohlstand geheiratet. Eine darüber hinausgehende ausführliche Auseinandersetzung auch mit der Klägerin oder ihrer Sendung „STARS & stories“ setzt die Schutzschranke des § 51 UrhG dagegen nicht voraus.
Das Berufungsgericht hat ferner angenommen, die Beklagte habe die Schlüsselszenen der Exklusivinterviews der Klägerin übernommen. Es hat darin einen im Rahmen der Interessenabwägung besonders schwerwiegenden Eingriff in das originäre Verwertungsrecht der Klägerin an den Interviews unter dem Gesichtspunkt der empfindlichen Störung der Phase der Erstauswertung der ihr exklusiv gegebenen Interviews gesehen. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand.
Allerdings ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang durch das Zitat die dem Rechteinhaber zustehenden Verwertungsmöglichkeiten beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1958 – I ZR 180/57, BGHZ 28, 234, 243 Verkehrskinderlied; BGH, GRUR 1986, 59, 61 Geistchristentum; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 I ZR 189/84, GRUR 1987, 362, 364 Filmzitat; Schricker/Spindler in Schricker/Loewenheim aaO § 51 UrhG Rn. 23; Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 51 UrhG Rn. 18). Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht auch nicht den Zweck der Schutzschranke des § 51 UrhG verkannt, indem es darauf abgestellt hat, dass die Beklagte jeweils die Schlüsselszenen der von der Klägerin gesendeten Interviews übernommen habe. Das Berufungsgericht hat insoweit nicht das Zitatrecht gerade in Bezug auf die als Beleg besonders geeigneten Stellen eingeschränkt, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls angenommen, dass das Verwertungsinteresse der Klägerin an den ihr exklusiv gewährten Interviews vor allem die jeweiligen Schlüsselszenen betrifft. Dies ist im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden.
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe es durch die Übernahme der Ausschnitte aus den Sendungen der Klägerin wesentlich erschwert, die exklusiv der Klägerin gewährten Interviews kommerziell umfassend allein auszuwerten, wird von seinen getroffenen Feststellungen jedoch nicht getragen.
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe zwar in quantitativer Hinsicht lediglich kurze Sequenzen aus den Sendungen der Klägerin übernommen. Es handele sich jedoch überwiegend um solche Ausschnitte, die inhaltlich den Kern und die Schlüsselszenen der jeweiligen Interviews beinhaltet hätten. Dies gelte namentlich für den Gefühlsausbruch von Frau M. im ersten Interview und für die wechselseitigen Statements, die im zweiten Interview Frau M. auf Deutsch und Herr B. auf Italienisch auf einem Sofa sitzend über den aktuellen Stand ihrer Beziehung abgegeben hätten. Die übernommenen Zitate hätten von ihrer Aussagekraft ein besonderes Gewicht und eine erhebliche Bedeutung, weil es sich dabei um die maßgeblichen Szenen der Interviews handele.
Diesen Ausführungen ist zwar zu entnehmen, dass das Berufungsgericht die übernommenen Sequenzen als „Schlüsselszenen“ angesehen hat. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht diese Szenen jedoch als für die nachfolgende Verwertung maßgeblichen Kern der Interviews beurteilt hat, lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat außerdem keine Feststellungen dazu getroffen, ob und wenn ja aus welchen Gründen der Fernsehzuschauer die von der Beklagten übernommenen Sequenzen als Schlüsselszenen der von der Klägerin geführten Interviews erkennen und aus diesem Grund sein Interesse an der Wahrnehmung der vollständigen Interviews auf dem Sender der Klägerin oder durch von der Klägerin lizenzierte Veröffentlichungen verlieren wird.
Unjuristische Lesermeinung – Zitatrecht als Ausgangspunkt eigenständiger Erörterung – verstanden und Zustimmung.
Im Übrigen bin ich dankbar für einen vorgeschalteten Tenor. Für Lektüre des Textes musste ich mich unwahrscheinlich konzentrieren.
Dies bitte ausdrücklich nicht als Kritik missverstehen, sondern als Kompliment an den Juristen, der das „drauf“ hat.
Comment by Wolf-Dieter — 4.03, 2016 @ 08:36
Entscheidend ist offenbar dieser BGH-Leitsatz: „Die Anwendung der Schutzschranke gemäß § 51 UrhG setzt nicht voraus, dass sich der Zitierende in erheblichem Umfang mit dem übernommenen Werk auseinandersetzt.“
Hätte das RA Prof. Dr. Christian Schertz gewusst, hätte er in Hamburg seinerzeit viel Geld und Nerven sparen können. Die Rücknahme seiner Klagen beim OLG hätte er sich sparen können.
Dieses BGH-Urteil ist ein gewisser Sieg für das Zitieren.
Comment by RolfSchaelike — 4.03, 2016 @ 16:45
@RolfSchaelike yep genau.
Comment by Wolf-Dieter — 4.03, 2016 @ 19:04