Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

4.2.15

BGH: Meinungsäußerungen ohne konkretes wirtschaftliches Interesse sind nicht viel wert

Der BGH hat mit Beschluss vom 13.01.2015 (Az.: VI ZB 29/14) eine Entscheidung des OLG Koblenz bestätigt, wonach die Beschwer für eine Kritik an den gewerblichen Leistungen eines Mietwagenunternehmers, die im Internet geäußert wurde, 500 EUR nicht übersteigt. Das hat zur Folge, dass die Berufung gegen ein Unterlassungsurteil des Landgerichts Mainz nicht zulässig war, weil hierfür der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigen muss (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht Mainz hatte den Beklagten dazu verurteilt, die Veröffentlichung von zwei E-Mails eines Mietwagenunternehmers zu unterlassen, die der Beklagte im Zuge einer von ihm geäußerten Kritik an der gewerblichen Leistung des Unternehmers ins Internet gestellt hatte. Das Landgericht hat den Streitwert auf 7.500 EUR festgesetzt. Der Streitwert blieb auch in der Berufung bei 7.500 EUR, lediglich die für die Berufung maßgebliche Beschwer des Beklagten wurde dort auf 500 EUR festgesetzt.

Der BGH geht in seinem Beschluss davon aus, dass Aufwand und Kosten für die Löschung der beanstandeten E-Mails von der Internetseite des Beklagten die festgesetzte Beschwer nicht übersteigen und hält im übrigen eine Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH, in der davon ausgegangen wird, dass das Interesse des Klägers und des Beklagten an einer Unterlassung reeglmäßig gleich beurteilt werden muss, nicht für einschlägig und begründet dies wie folgt:

Entgegen der Rechtsbeschwerde ist nicht festgestellt, dass der Beklagte gewerblich tätig ist und aus dem Betrieb seiner Internetseite Umsätze erzielt, auch nicht, dass er in einem Wettbewerb zum Kläger steht. Eine nach der Rechtsprechung des I. Zivilsenats für diese Fälle für die Beschwer maßgebende Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 – I ZR 174/11, GRUR 2013, 1067 Rn. 15; Beschluss vom 24. Februar 2011 – I ZR 220/10, AfP 2011, 261 Rn. 7) ist mangels wirtschaftlicher oder gewinnorientierter Tätigkeit des Beklagten ebenfalls nicht festgestellt. Damit ist es ohne Bedeutung, ob das Landgericht den Streitwert mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen des Klägers zutreffend festgesetzt hat.

Wenn man allerdings die Entscheidung des I. Zivilsenats (Az.: I ZR 174/11) liest, wird sehr schnell klar, dass sich der VI. Zivilsenat mit den wesentlichen Aspekten gar nicht auseinander setzt. Der I. Senat geht davon aus, dass das Interesse des zur Unterlassung verurteilten Beklagten an einer Beseitigung der Verurteilung zwar nicht zwangsläufig, aber doch regelmäßig dem Interesse des Klägers an dieser Verurteilung entspricht (BGH, Urt. v. 24.01.2013 – I ZR 174/11). Die Fälle, in denen dem Kläger und dem Beklagten, je nachdem, wer unterliegt, unterschiedliche Rechtsmittelmöglichkeiten offenstehen, müssen nach dieser Rechtsprechung auch im Interesse der prozessualen Waffengleichheit beider Parteien, möglichst die Ausnahme bleiben. Bereits der Grundsatz des fairen Verfahrens, der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt und in Art. 6 MRK verankert ist, gebietet es, beiden Parteien eines Verfahrens im Grundsatz dieselben Rechtsmittelmöglichkeiten zu eröffnen.

Dieser zutreffende Ansatz hat nicht damit zu tun, ob eine Streitigkeit wettbewerbsrechtlicher Natur ist, oder ob beide Parteien Kaufleute sind. Die prozessuale Waffengleichheit beider Parteien kann nicht davon abhängig sein, dass beide im geschäftlichen Verkehr handeln. Für den Beklagten hat die Entscheidung des BGH übrigens auch noch eine unschöne kostenrechtliche Konsequenz. Nachdem der Streitwert des Verfahrens bei 7.500 EUR verblieben ist, muss er nämlich auch die Gerichts- und Anwaltskosten aus diesem Streitwert bezahlen, obwohl ihm mangels ausreichender Beschwer die Möglichkeit einer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil genommen wurde.

Auch der Ansatz des BGH, die Beschwer anhand des Löschungsaufwands zu bemessen, erscheint verfehlt. Internetinhalte sind regelmäßig ohne großen Aufwand zu löschen. Wäre dies tatsächlich der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Beschwer des Äußernden, käme man in konsequenter Anwendung dieser Entscheidung in den meisten Fällen zu keiner Beschwer mehr, die 600 EUR übersteigt.

Dass der BGH hier eine ausschließlich wirtschaftliche Betrachtung dergestalt anstellt, dass der Beklagte kein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Abwehr eines äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs habe, ist bedenklich. Art. 5 GG dient nicht dem Schutz wirtschaftlicher Interessen. Im Lichte der Bedeutung und Tragweite von Art. 5 GG und der häufig nicht wirtschaftlich motivierten Äußerung von Meinungen, würde eine solche Betrachtung zu einer massiven Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit führen, weil man nicht wirtschaftliche motivierte Meinungsäußerungen damit regelmäßig als minderwertig im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten qualifizieren könnte. Damit wären dann all jene Fälle, in denen der Unterlassungsschuldner kein hinreichendes wirtschaftliches Interesse darlegen kann, von vornherein auf ein erstinstanzliches Verfahren beschränkt, was wiederrum eine Beeinträchtigung des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 IV GG) im Bereich äußerungsrechtlicher Sachverhalte zur Folge hätte. Oder anders formuliert: Meinungsäußerungen ohne konkretes wirtschaftliches Interesse sind danach minderwertig und nur noch eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.

Ergänzende Anmerkung: Unsere Kanzlei hat den Beklagten in dem Verfahren vertreten.

posted by Stadler at 10:44  

10 Comments

  1. Wenn das nicht fast schon ein Selbstläufer für eine Urteilsverfassungsbeschwerde ist:

    Fairer Prozess und Art. 5 GG nicht als immaterielles Recht.

    Comment by syrcro — 4.02, 2015 @ 11:12

  2. Nur zu ! Schreiben Sie eine Verfassungsbeschwerde und dadurch Rechtsgeschichte !

    Comment by JLloyd — 4.02, 2015 @ 12:40

  3. Gibts nicht die Möglichkeit einer Sprungrevision? Sieht doch aus wie fehlerhafte Rechtsanwendung.

    Comment by Wolf-Dieter — 4.02, 2015 @ 17:15

  4. @Die Entscheidung war ja schon vom BGH. Der ordentliche Rechtsweg ist ausgeschöpft. BVerfG oder EGMR wären noch denkbar.

    Comment by Stadler — 5.02, 2015 @ 08:37

  5. Hab ich (nicht Fachkundiger) das richtig verstanden?

    Wenn ich meine Meinungsäusserung über ein Geschäftsgebahren im Internet äußere und dazu noch einen Beweis erbringe, muss ich damit rechnen verklagt zu werden, weil ich jemandem sein (Abzock) Geschäft versaue?

    Auch wenn mir kein Vorteil daraus entsteht und ich nur meine Mitmenschen warnen will?

    War das so in etwa? Oder hab ich das etwas wichtiges verpasst?

    Mit freundlichen Grüßen
    yt

    Comment by yt — 5.02, 2015 @ 08:58

  6. Da es sich nicht um einen Sachverhalt handelt mit dem man leicht in die Schlagzeilen kommen kann, werden sich die „Politiker“ im BVerfG ziemlich sicher nicht damit beschäftigen. Da kann die Rechtswidrigkeit noch so in den Himmel schreien. Die Annahmeausichten zum EGMR sind noch kleiner.

    Comment by M — 5.02, 2015 @ 10:19

  7. Ich plädiere dafür, die private Rechtsschutzversicherung abzuschaffen, damit sich Klagedödel mitsamt ihren Anwälten keine goldene Nase mehr verdienen können.

    Comment by Oskar — 5.02, 2015 @ 18:22

  8. @Herrn Stadler

    Bitte bei Beschwer noch ein e hängen, dann passt es mit der Rechtschreibung.

    @Oskar

    Die BRAGO sollte abgeschafft und ein fixer Stundenlohn für RA von 12 Euro die Stunde eingerichtet werden. Viele Menschen können sich nämlich nicht mal die Versicherung leisten, die ca. 300 Euro im Jahr als Minimum für Privatpersonen ausmacht (je nach versichertem Risiko).

    Es kann und darf nicht sein, daß sich Leute durch die Instanzen klagen, die einen Versicherungsschutz haben, der anderen Menschen versagt bleibt. Es kann weiterhin nicht sein, daß sich reiche Menschen außerhalb der Versicherung die besten Anwälte leisten können, während die anderen sich mit Pflichtanwälten herumschlagen müssen.

    Bezahlbare Volksanwälte müssen her. Die setzen sich dann auch richtig ein, was die Sache betrifft und sehen nicht nur die Kohle!

    Comment by Ned — 5.02, 2015 @ 18:44

  9. Ps. de wäre noch besser. BeschwerDE

    Comment by Ned — 5.02, 2015 @ 18:47

  10. Pps. Die anwaltliche Aufklärung für die Zukunft sollte den Mandanten auf VPN hinweisen. Dann wäre sowas nämlich gar nicht erst passiert.

    Immer hübsch anon bleiben ist heutzutage erste Bürgerpflicht.

    Comment by Ned — 5.02, 2015 @ 18:57

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