Die handwerklichen Mängel des Leistungsschutzrechts
Die Debatte um das Leistungsschutzrecht wird vielfach emotional und ideologisch geführt. Was hierbei bislang zu kurz kommt, ist eine Auseinandersetzung mit den handwerklichen Defiziten des aktuell im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Entwurfs. Ich möchte deshalb zwei juristisch-handwerkliche Mängel des Entwurfs näher darstellen und gleichzeitig vor allem die Juristen dazu einladen, weitere Mängel und Ungereimtheiten des Gesetzesentwurfs zu diskutieren.
Die Vorschrift des § 87g Abs. 4 lautet nach dem Entwurf wie folgt:
Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 entsprechend.
Satz 2 verweist auf Teil 1 Abschnitt 6 des UrhG, also auf die sog. Schrankenbestimmungen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass damit insbesondere das Zitatrecht nach § 51 UrhG erhalten bleibt. Diese Aussage ist allerdings gänzlich falsch, da eine Maschine nicht zitieren kann. Ein Zitat im urheberrechtlichen Sinne setzt nämlich immer voraus, dass jemand eigene Gedanken zum Ausdruck bringt und sich mit dem zitierten Werk inhaltlich auseinandersetzt. Und genau das können automatisiert arbeitende Dienste nicht leisten. Sie setzen sich nicht geistig-inhaltlich mit einem Werk auseinander, sondern zeigen nur „Snippets“ nach voreingestellten Kriterien an. Derartige Snippets in Suchmaschinen oder bei News-Aggregatoren stellen also nie ein Zitat im Sinne des Urheberrechts dar. Die Vorschrift des § 87g Abs. 4 S. 2 läuft damit leer und ist gänzlich überflüssig. Google kann sich nicht auf das Zitatrecht berufen. Ob es sich hierbei um einen handwerklichen Fehler oder um eine gezielte Nebelkerze der Entwurfsverfasser handelt, vermag ich nicht zu beurteilen.
Weitaus schwerwiegender ist das systematische Problem der Ausgestaltung des Leistungsschutzrechts als ausschließliches Recht. Ein ausschließliches Recht berechtigt seinen Inhaber dazu, ein Werk unter Ausschluss aller anderen Personen auf die ihm erlaubte Art zu nutzen.
Was passiert jetzt aber, wenn der Autor eines journalistischen Textes mehreren Verlagen bzw. Redaktionen jeweils ein einfaches Nutzungsrecht an seinem Text einräumt und mehrere Zeitungen den Text dann auch online veröffentlichen? Nach der Logik des § 87f Abs. 1 müsste dann jeder Hersteller eines Presseerzeugnisses (Verleger) ein ausschließliches Recht erwerben, obwohl es ein solches ausschließliches Recht per definitionem nur ein einziges mal geben kann. An dieser Stelle entsteht ein Wertungswiderspruch, der mir nicht auflösbar erscheint.
Es sind also nicht nur grundlegenden Einwände, die gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse sprechen. Vielmehr ist der konkrete Entwurf auch handwerklich inkonsistent.
Ist „zugänglich machen“ unter Juristen eigentlich eine passende Formulierung? Für mich klingt das, als müßte jedes Gericht das kassieren, denn zugänglich wären all diese Pressererzeugnisse ja auch ohne einen Link dahin.
Comment by Sanníe — 4.12, 2012 @ 15:09
Das ausschließliche Recht bezieht sich ja nur auf das jeweilige Presseerzeugnis bzw. dessen redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge. Ich sehe eher die Problematik, dass die Übernahme von Snippets nach der Vorschaubilder-Rechtssprechung des weiterhin zulässig sein müsste, solange der Verleger keine Schutzmaßnahmen ergreift, also konkludent in die übliche Verwendung in Suchmaschinen genemigt.
Comment by Stefan — 4.12, 2012 @ 17:27
Vielleicht läßt sich der Widerspruch dadurch auflösen, dass der Text des Autors nur als rechtigtmäßige Vorlage für den Text der Zeitung gilt – selbst dann wenn beide Texte identisch sind. Das ausschließliche Recht würde dann nur für den Text der Zeitung gelten.
Die Sachen mit den Zitaten könnte z. B. für Seiten wie Perlentaucher, denen man die Handarbeit beim Sammeln und aufbereiten der Nachrichten ansehen kann, durchaus von Bedeutung sein.
Comment by Michael Schneider — 4.12, 2012 @ 17:53
@1: Ja, „öffentliche Zugänglichmachung“ ist ein fester Begriff, der eine Legaldefinition in § 19a UrhG hat: „Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.“
Comment by chi — 4.12, 2012 @ 18:08
„Und genau das können automatisiert arbeitende Dienste nicht leisten. Sie setzen sich nicht geistig-inhaltlich mit einem Werk auseinander, sondern zeigen nur “Snippets” nach voreingestellten Kriterien an.“
Und dass „geistig-inhaltlich Auseinandersetzung mit einem Werk“ erwas anderes ist als „nur Anzeige von Snippets nach voreingestellten Kriterien“ weiß man woher? Vielleicht ist das LSR ja der erste zaghafte Versuch des Gesetzgebers, die rechtsprechenden Gewalt von solchen Denkirrtümern zu befreien. Das wäre mal was Positives am Machwerk.
„Ziel des Projekts ist es letztlich, eine hochwertige Semantische Suchmaschine zu schaffen. Diese soll den Sinn einer in natürlicher Sprache gestellten Frage erfassen und in einer großen Datenbank, die ebenfalls Texte in natürlicher Sprache umfasst, innerhalb kurzer Zeit die relevanten Passagen und Fakten auffinden.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Watson_(K%C3%BCnstliche_Intelligenz)
Als materialistischer Filosoff bin ich der Ansicht, dass mit zunehmendem technischen Fortschritt die Bewislast, dass es einen „Geist in der (biologischen) Maschine“ gibt, auf diejenigen übergeht, die das behaupten. Bis zum Beweis dieser Tatsache ist vom Gegenteil auszugehen.
„Derartige Snippets in Suchmaschinen oder bei News-Aggregatoren stellen also nie ein Zitat im Sinne des Urheberrechts dar.“
Outdated worldview :)
Comment by ThorstenV — 4.12, 2012 @ 19:33
@ThorstenV
Da bin ich auch drüber gestolpert. Aber, das was google bisher mit den Snippets gemacht hat, ist nicht zitieren.
Comment by Mirco — 4.12, 2012 @ 21:46
Ich hätte eine juristische Frage:
http://blog.area23.at/2012/12/ein-rechtstext-oder-agbs-konnen-meiner.html
Was ist, wenn ich meine früher eingegebenen Texte unter anderen AGBs mit anderer Absicht zur Verfügung gestellt habe? Können die jetzt einfach durch AGB Änderungen zum geistigen Eigentum des Verlags assimiliert werden?
Comment by Heinrich Elsigan — 5.12, 2012 @ 06:10
@5 Mirco
Immerhin stellt Google die Ergebisse in einer gewichteten Reihenfolge zusammen. Damit sollte dies Schöpfungsöhe als Datenbankwerk haben, ganz unabhängig davon, was da sortiert wird.
Comment by ThorstenV — 5.12, 2012 @ 11:06
§ 87h
Und wie erfährt der Urheber von den Erlösen nach §87f?
Wäre es nicht logisch das über Verwertungsgesellschaften ab zurechen und die Liste des UhrG § 54h zu erweitern.
Und müsste der UhrG § 101 nicht auch noch erweitert werden, damit ich auch hier bei unerlaubter Nutzung die Ertage aus UhrG § 87f erfragen kann?
Comment by winston t. wolf — 5.12, 2012 @ 19:36
Creative Commons
Bedeutet das Leistungsschutrecht eigentlich das Aus für Creative Commons in Presserzeugnissen?
CC-Lizenz
8. Sonstige Bestimmungen
Jedes Mal wenn Sie den Schutzgegenstand für sich genommen oder als Teil eines Sammelwerkes verbreiten oder öffentlich zeigen, bietet der Lizenzgeber dem Empfänger eine Lizenz zu den gleichen Bedingungen und im gleichen Umfang an, wie Ihnen in Form dieser Lizenz.
Comment by winston t. wolf — 5.12, 2012 @ 20:00
Ich verstehe das Gesetz anscheinend nicht. In der Begründung zum Gesetzentwurf steht explizit: „Das Leistungsschutzrecht schützt das Presseerzeugnis in seiner konkreten Festlegung und nicht die darin enthaltenen Schriftwerke sowie sonstige Elemente wie Graphiken, Lichtbilder oder Bewegt-bilder.“ Klar, die Texte und Bilder sind ja bereits durch das Urheberrecht geschützt.
Aber wenn ich jetzt aus dem Text ein Snippet herauslöse und in eigener Formatierung anbiete, berührt das zwar den Urheber, aber gerade nicht die Verlagsleistung der „konkreten Festlegung“, oder?
Comment by Johannes Orzechowski — 5.12, 2012 @ 23:39
Ich finde toll wie die allgemeine Verwirrung hier in den Kommentaren deutlich den Titel des blogposts illustriert :-D
Comment by Benjamin — 6.12, 2012 @ 09:21
@4 chi
Aber genau diese Definition macht mich ja gerade so ratlos. Denn genau das tut doch nicht Google, sondern die Verlage selbst. Ist ja ganz einfach zu prüfen: Gäbe es Google nicht, wären die Werke ja trotzdem „drahtlos oder drahtgebunden“ (wtf) zugänglich.
Comment by Sanníe — 6.12, 2012 @ 11:11