Pressemitteilung des LG Köln zum Tagesschau-App-Urteil
Mir liegt mittlerweile die bislang offenbar online nicht verfügbare Pressemitteilung des Landgerichts Köln zum Urteil vom 27.09.2012 (Az.: 31 O 360/11) vor, die ich in mehrfacher Hinsicht für bemerkesnwert halte und deshalb nachfolgend vollständig wiedergebe.
Tagesschau-App:
Landgericht Köln gibt Zeitungsverlagen RechtDas Landgericht Köln hat im Rechtsstreit um die sog. Tagesschau-App den klagenden Zeitungsverlagen Recht gegeben und es den Beklagten – der ARD und dem NDR – untersagt, die von ihnen angebotene Tagesschau-App zu verbreiten oder verbreiten zu lassen.
Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich die Entscheidung des Landgerichts nur auf die konkrete Verletzungshandlung bezieht, die Gegenstand des Rechtsstreits war. Dabei handelt es sich um die Tagesschau-App vom 15.6.2011. Eine allgemeine Aussage zur nach dem Rundfunkstaatsvertrag zulässigen Länge oder Ausführlichkeit von Texten enthält das Urteil deswegen nicht.
Die Zivilkammer folgte bei ihrer Entscheidung der Argumentation der Klägerseite, wonach es sich bei der Tagesschau-App um ein nichtsendungsbezogenes presseähnliches Angebot handelt, das nach den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages unzulässig ist. Daraus folgt für den vorliegenden Rechtsstreit, dass der geltend gemachte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch begründet ist, weil der Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag sich als Verstoß gegen eine marktregulierende Vorschrift i.S.d. Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellt. Die Kammer stellt darauf ab, dass Sinn und Zweck des § 11d Abs. 2 Ziff. 3 (letzter Halbsatz) des Rundfunkstaatsvertrages auch sei, die Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Bereich der Telemedien im Hinblick auf den Kernbereich der Pressefreiheit zu regeln und zu beschränken.
Die Kammer bewertet die Tagesschau-App als presseähnlich, weil nach ihrer Auffassung das Angebot aus der Sicht der Nutzer geeignet ist, als Ersatz für die Lektüre von Zeitungen oder Zeitschriften zu dienen – mit einer Informationsdichte, die an diejenige herkömmlicher Presseerzeugnisse heranreicht. Daran ändern auch Verknüpfungen mit Hörfunk- oder Fernsehbeiträgen nichts. Zugleich sind die Angebote der App nicht hinreichend sendungsbezogen. Das bedeutet, ihnen fehlt der ausdrücklich ausgewiesene Bezug zu einer konkreten Hörfunk- oder Fernsehsendung mit der Folge, dass der Nutzer erkennen kann, dass mit dem Beitrag die entsprechende Sendung nur thematisch oder inhaltlich vertieft werden soll. Bei diesen Fragen war nach Auffassung der Kammer auf das Angebot in seiner Gesamtheit abzustellen, so dass es für das Verbot ausreichte, dass die presseähnlichen und nicht sendungsbezogenen Beiträge einen breiten Raum einnehmen, das Angebot auch optisch dominieren und so den Gesamteindruck wesentlich mitbestimmen.
Ein generelles Verbot der App, wie von der Klägerseite ursprünglich beantragt, scheidet nach Auffassung der Kammer allerdings aus, weil die App entgegen der Auffassung der klagenden Verlage das Genehmigungsverfahren nach dem Rundfunkstaatsvertrag durchlaufen hat (§ 11f RStV). Aus diesem Grund hat die Kammer die Kosten des Rechtsstreits zu 20% der Klägerseite auferlegt.
Aktenzeichen: 31 O 360/11
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die unterliegende Partei kann innerhalb eines Monats ab Zustellung Berufung zum Oberlandesgericht Köln einlegen. Der Entscheidungstext wird in den nächsten Tagen in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen (NRWE) im Internet abrufbar sein: www.nrwe.de
Das Landgericht geht also davon aus, dass das inhaltliche Angebot – also eigentlich der Inhalt von tagesschau.de – am 15.06.2011 deshalb presseähnlich war, weil das Angebot geeignet gewesen sei, als Ersatz für Zeitungen oder Zeitschriften zu dienen. Als sendungsbezogen betrachtet das Landgericht ein Angebot nur dann, wenn es unmittelbaren Bezug zu einer ganz konkreten Rundfunksendung aufweist.
Dieser Argumentation zufolge wären textbasierte Onlineinhalte von ARD und ZDF ganz regelmäßig unzulässig. Das grundsätzliche Problem der juristischen Betrachtung besteht im konkreten Fall u.a. darin, dass speziell die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriff der Presseähnlichkeit gänzlich unklar ist. Das Landgericht Köln kümmert sich ganz offensichtlich um die verfassungsrechtlichen Aspekte des Programmauftrags und auch der Programmautonomie nicht. Mit der Argumentation des Landgerichts Köln ließen sich deshalb auch weite Teile des Videotexts als unzulässig qualifizieren.
Vor diesem Hintergrund dürfte die ARD ein vitales Interesse daran haben, ggf. verfassungsgerichtlich zu klären lassen, ob die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags verfassungsgemäß sind und wenn ja, wie die Begriffe presseähnlich und nicht sendungsbezogen im Lichte von Art. 5 GG auszulegen sind.
Dass das Urteil in dieser Form Bestand haben wird, kann ich mir kaum vorstellen.
Gab es nicht mal eine Rechtsprechung noch in den Zeiten des Hans Bausch, wonach es den Sendern nicht untersagt werden darf, neue Sendeformate zu nutzen? Warum ist ein Text allenfalls sendungsbezogen und keine Sendung? Darf nicht bei Rundfunkstaatsvertraegen nicht einmal an die Konkurrenz gedacht werden? Warum haben sich die Sender so ueber den Tisch ziehen lassen?
Comment by Heikor — 29.09, 2012 @ 00:20
Es ist im Urteil von der »Tagesschau-App vom 15.6.2011« die Rede. Heißt das, dass ein evtl. zwischenzeitlich stattgefundenes Update hiervon gar *nicht* betroffen ist? Laut BILD-Artikel auf der Titelseite von gestern (Freitag) wären alle Fassungen betroffen. Aber deren »Nachrichten« traue ich keine 5 Buchstaben weit – besonders bei »Artikeln« in eigener Sache.
Was würde das dann für die Nutzer bedeuten? Müssten diese ihre Apps von den Smartphones deinstallieren?
Comment by SC — 29.09, 2012 @ 01:36
Dazu stellen sich zwei weitere Fragen:
1. Wer trägt die Kosten für die ständigen Rechtsstreite der öffentlich rechtlichen Sender? Sind es die Gebührenzahler/innen? Wer aus dem Vollen schöpfen kann, hat natürlich keine Hemmungen.
2. Wer braucht die „Tagesschau“ als was auch immer? 15 Minuten angerissene, teilweise falsche, tendenziell gelenkte „Nachrichten“ im Kurzformat. Da gibt es in Deutschland, vor allem aber im Ausland bessere Nachrichtenangebote. CNN ist zu empfehlen.
Die „Tagesschau“ braucht niemand. Ein Rechtsstreit darüber ist so lächerlich, wie die „Tagesschau“ höchstselbst. Die öffentlich rechtlichen Sender nehmen ihre Nachrichtensendungen ernster als die Konsumenten. Sie sind tatsächlich vollständig überflüssig.
Comment by Rudolf — 29.09, 2012 @ 09:29
Ehrlich jetzt Rudolf? Ausgerechnet CNN als Alternative? Bei der Tagesschau weiß man wenigstens von wem die Nachrichten beeinflusst wurde und kann mit passendem Filter lesen. Bei CNN sitzt der Censor ganz subtil an ganz anderer Stelle. Wenn man bei CNN nicht sämtliche Sekundärinformationen ständig verfolgt, bekommt man deren Beeinflussung gar nicht mit, wie man auch schön an ihrem Kommentar sehen kann.
Tatsächlich ist die Tagesschau das beste deutschsprachige Nachrichten Angebot das wir im Fernsehen haben. Und DAS ist die eigentliche traurige Nachricht …
Comment by Kommentator — 29.09, 2012 @ 09:58
@Rudolf: Vielleicht mal als Einstieg: http://www.guardian.co.uk/world/2012/sep/04/cnn-international-documentary-bahrain-arab-spring-repression
Wer sich schon von Bahrain „erpressen“ lässt …
Comment by Kommentator — 29.09, 2012 @ 10:00
@Kommentator
CNN ist im Amiland noch der beste Sender. Einfach mal reinschauen, es muß nicht immer Fox sein. Bei denen würde ich Dir zustimmen. Die „Tagesschau“ ist nicht das Beste, wie Du schreibst. Kürzlich sagte ein Ami zu mir, der um 20 Uhr vor der Glotze saß und zappte: „Bei Euch sind alle Nachrichten gleichgeschaltet. Ihr bekommt alles nur aus dieser Quelle.“
Das ist der Eindruck von Ausländern. Zu Recht.
„Tagesschau“ ist penetrant, so langweilig wie deren „Sprecher/innen“, so gelenkt wie deren Sender, so blöde wie deren Tendenz, den armen Zuschauern manche Schrecklichkeit einfach zu unterschlagen. Zensur nennt man das. Zensur durch Unterlassen.
Die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland scheffeln Geld ohne Ende. Mods der Politiktalkrunden bekommen pro Sendung (!) ca. 30000 Euro! Das sind unsere Gebühren!
Deutschlands TV ist unterirdisch mies. Wie gut ist es doch, daß es das Web gibt. Und genau daher verstehe ich nicht, daß man dann dort auf so einen Schwachsinn wie „Tagesschau“ zugreifen möchte. Genau den Mist möchten die meisten User im Web eben gerade NICHT sehen!
Comment by Rudolf — 29.09, 2012 @ 10:28
Fallbeispiel gefällig?
Tagesschau: Bei einem Drohnenangriff der Verbündeten (Amis nicht genannt) sind in Afghanistan vermutlich (!) mehrere Zivilisten ums Leben gekommen, darunter sollen auch Frauen gewesen sein.
CNN zeitgleich: Der US-Drohnenangriff hat in Afghanistan vierzehn Frauen und Kinder das Leben gekostet, die Zahl der Verletzten ist unbekannt. Die Frauen und Kinder haben Holz gesammelt. Sie wurden abgeschlachtet von US-Drohnen. Sofort gingen Tausende auf die Straße, um gegen diesen Massenmord zu demonstrieren. Dazu gleich eine Sondersendung.
Wer hat die Wahrheit weggelassen? NA??? Die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland sind eine einzige Zensurkloake. Wir werden dumm gehalten.
Comment by Rudolf — 29.09, 2012 @ 12:08
Die Begründung des Gerichts ist unterirdisch. Es hat nicht über die App geurteilt, sondern über den mit dieser an einem bestimmten Tag vermittelten Inhalt. Daneben wird außer acht gelassen, dass der gleiche Inhalt zur Verfügung steht, wenn man die Webseite der Tagesschau aufsucht. Gegen die und deren Inhalt haben Verleger ja nicht geklagt. Man kann m. E. gut darüber reden und klagen, dass die ÖRA mit Gebührengeldern, die demnächst zwangsweise einer Steuer gleich erhoben werden, ihr Angebot über Rundfunk und Fernsehen hinaus erweitern. Die Verleger scheinen aber der irrigen Annahme zu sein, eine App wäre die wahre Form der Konkurrenz, während die mobile Nutzung in Wirklichkeit auf diese Form gar nicht angewiesen ist. Zudem sind Mobilgeräte sicher nicht allein für den Rückgang von Umsätzen im klassischen Geschäft verantwortlich. Ich kenne jedenfalls eine Reihe von Leuten, die wie ich in den letzten Jahren eine Reihe ihrer Zeitungs-Abos wegen der stetig sinkenden inhaltlichen Qualität (!) der Blätter gekündigt haben. Ich werde den verBILDeten Müll sicher nicht digital konsumieren, egal wie viele Prozesse die Verlage noch führen und welche Gesetze sie sich schreiben.
Comment by M. Boettcher — 29.09, 2012 @ 19:10
@Rudolf: Alles was sie über die Tagesschau sagen stimmt, das ändert aber nichts daran, dass es trotzdem die beste deutsche Nachrichtensendung im TV. Genau das ist ja das Traurige. Und leider zeigt das Beispiel CNN, dass es International nicht besser aussieht. Genau deshalb informiert sich ja niemand mehr, der was auf sich hält, über TV zu tagesaktuellen Themen. Und wenn, dann schaut man es eben in dem Wissen um die Einschränkungen und Färbungen der Sendung. Der Tagesschau kann man immerhin zu gute halten, dass man genau weiß, wer da wie die Berichterstattung beeinflusst. Darin unterscheidet sich die Tagesschau in meinen Augen positiv von anderen Sendungen wie dem was man bei CNN zusehen bekommt.
Ich persönlich bin btw. sogar dazu übergegangen tagesaktuelle Berichterstattung komplett zu ignorieren. Es gibt schlicht kein Medium in diesem Bereich, welches meinen Ansprüchen genügen würde.
Und Ihre Meinung zur Verbreitung der Tagesschau im Internet teile ich nicht. Fernsehen stirbt vielleicht nicht aus, aber es verliert an Relevanz. Wenn schon „Steuergelder“ für die Produktion solcher Sendungen verwendet werden, sollten sie wenigstens jedem überall und jederzeit zugänglich sein. Die Mediatheken machen den Kohl bei den Kosten auch nicht mehr fett …
Comment by Kommentator — 29.09, 2012 @ 23:49
@ rudolph:
Und woran weiß ich nun, dass CNN seine Nachrichten nicht auch nach gewissen Gewichtungen präsentiert?
Und an welcher Stelle hat die Tagesschau in der Afghanistannachricht falsch berichtet?
Woher weißt du, dass es 14 waren und nicht 15 oder 13 oder eine ganz andere Zahl?
Die Anzahl der Toten ist doch – bei allem persönlich dahinter stehenden Leid – für einen Mitteleuropäer (wie auch für einen US-Amerikaner) vollkommen uninteressant. Es gab einen Militäreinsatz, bei dem es zu „Kollateralschäden“ gekommen ist, das reicht als Information vollkommen aus.
Der Krieg in Afghanistan hat für die USA eine ganz andere Bedeutung als für Deutschland, es stehen mehr Amerikaner im Kampf, es ist Folge von 9/11 für die Amerikaner, sie haben die schwierigeren Einsätze zu bewältigen.
Die Nachricht aus Afghanistan ist also von vornherein wesentlich bedeutsamer für die USA und wird dann auch größer präsentiert, während es in D vielleicht eher um den SPD-Kanzlerkandidaten geht oder um BER oder um wasweißich.
Bei der Versendung von Nachrichten geht es ja nicht nur um deren Ausführlichkeit, sondern besonders um deren Gewichtung, denn tagtäglich rauschen Millionen Informationen durch die Welt auf allen Kanälen, aber kaum jemand sorgt dafür, das wichtige vom unwichtigen zu unterscheiden. Das ist das Werk der Nachrichtenredaktionen.
Und in wieweit berichtet CNN eigentlich über innenpolitische Themen in der Bundesrepublik Deutschland?
Machen die auch Sondersendungen, wenn Herr Beck zurücktreten will, wenn Herr Steinbrück ein wichtiges Amt antreten möchte, wenn tausende Kinder unerklärlicherweise erkranken?
…
Mich interessieren die einen Nachrichten mehr und die anderen weniger, und danach richtet sich mein Wunsch nach Detaildichte.
Schließen sich zwei Orchester im SWR zusammen, ist das für mich eine Nullinformation, macht hier in Berlin eine der drei Opern dicht, dann ist das wichtig. Steht der Zugverkehr in Stuttgart ist es unwichtig, steht die S-Bahn in Berlin ist es wichtig.
Comment by schnorri — 30.09, 2012 @ 17:31
CNN ist ein Nachrichtensender. Er macht also nichts anderes. Eine Tagesschau-Sendung dauert 15 Minuten. Dennoch ist die Tendenz klar. Selbst Phoenix bringt kaum Licht in die Faktenlagen, es werden irgendwelche selbsternannten Experten zu Rate gezogen, die immer die gleichen Textbausteine runtersabbeln, man kann teilweise mitsprechen, wenn man sie kennt. Es ist durchaus wichtig, ausländische Nachrichten zu sehen, um sich ein möglichst breitgefächertes Bild zu verschaffen. Das Netz, Print, TV sind als Ganzes zu betrachten. Je mehr Quellen, desto näher kommt man des Pudels Kern.
Comment by Vera — 2.10, 2012 @ 18:48
USA und wird dann auch größer präsentiert, während es in D vielleicht eher um den SPD-Kanzlerkandidaten geht oder um BER oder um
Comment by water needs — 25.06, 2013 @ 07:32