Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.9.11

Strafrechtliche Besonderheiten

Bei den wenigen Strafverteidigungen die ich so mache, stelle ich mir häufiger die Frage, ob Staatsanwaltschaften eigentlich tatsächlich überwiegend schlampig arbeiten – was Strafrichter regelmäßig nicht davon abhält, alles zu eröffnen, was ihnen vorgelegt wird – oder ob dies nur eine Besonderheit von für Strafrechtlern exotischen Materien wie solchen des Marken- oder Urheberrechts ist.

Bei meinem heutigen Termin – es ging um eine strafbare Kennzeichenverletzung nach § 143 Abs. 1 MarkenG – bat der Strafrichter zunächst zum Rechtsgespräch und teilte mit, dass es für meine Mandantin nicht gut aussieht und es wohl auf eine Freiheitsstrafe von 6 – 8 Monaten hinauslaufen würde.

Meine Antwort, dass es wohl eher für die Staatsanwaltschaft schlecht aussieht, weil aus dem in der Anklageschrift geschilderten Lebenssachverhalt nach meiner Einschätzung keine Strafbarkeit resultiert, hat ihn und auch den Staatsanwalt sichtlich überrascht. Ich habe dann noch angefügt, dass man sich auch und gerade im Bereich der strafbaren Markenverletzung zunächst über Inhalt und Schutzumfang der vermeintlich verletzten Marke Gedanken machen sollte. Das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis einer Marke scheint jedenfalls etwas zu sein, was die Strafjuristen offenbar nur als schmückendes Beiwerk betrachten.

Als der Richter seine Sprache wiedererlangt hattte, wurde das Verfahren ausgesetzt, ein neuer Termin soll im Bürowege ergehen. Da bin ich jetzt mal gespannt.

Wer übrigens glaubt, in einem Strafverfahren würde regelmäßig sorgfältiger geprüft als im Zivilverfahren, der könnte sich irren. Mein Eindruck ist mittlerweile eher ein gegenteiliger.

posted by Stadler at 13:52  

8 Comments

  1. Hatte Ihr Mandant explizit Lust auf eine öffentliche Hauptverhandlung in der Angeklagtenrolle, oder warum haben Sie Ihre markenrechtlichen Weisheiten bis zur HV für sich behalten??

    Comment by Gast — 14.09, 2011 @ 15:02

  2. … nur eine wintige Anmerkung zu der These, dass nahezu alles eröffnet werde: Die stimmt, aber man sollte das nicht dem Amtsrichtern (bzw. den Landgerichten) vorwerfen.

    Die Konzeption der StPO, dass im Zwischenverfahren intensiv geprüft und nur ggf. eröffnet wird, konterkarieren die Obergerichte regelmäßig durch „Zwangseröffner“, die sich – jenseits feinsinniger Distinktionen – auf die Formel reduzieren lassen: „Solln’s halt in der Hauptverhandlung klären ob was dran ist.“

    Ob das nun rechtspolitisch ratsam oder auch nur rechtmäßig ist, sei dahingestellt – ich verstehe aber jeden Amtsrichter und jede Kammer, die diesen Maßstab übernehmen und (nahezu) alles eröffnen, ggf. Haftbefehle aufheben und zu einem (hoffentlich schnellen) Freispruch gelangen. Für den Bürger muss das gar nicht von Nachteil sein, sofern er nicht gerade prominent ist – das Verfahren ist für ihn regelmäßig sogar schneller erledigt als bei Nichteröffnung und anschließender Hauptverhandlung.

    Interessant hierzu übrigens auch das „Kleine Strafrichterbrevier“ (bei Beck), in dem sich F.K.Föhrig, ehemaliger Vorsitzender am LG Berlin, offen zu dieser Praxis bekennt und sie jedem Tatrichter ans Herz legt …

    Comment by @vieuxrenard — 14.09, 2011 @ 15:07

  3. Warum sollte in Strafsachen sorgfältiger geprüft werden? Geht doch nur um Menschen, nicht um Geld.

    Comment by Zünika — 14.09, 2011 @ 15:20

  4. @Gast: Ich habe bereits im Zwischenverfahren eine schriftliche Stellungnahme abgegeben.

    Comment by Stadler — 14.09, 2011 @ 15:30

  5. @vieuxrenard:
    Ich bin der Meinung, dass bereits die Eröffnung für viele Menschen, die damit offiziell zum Angeklagten werden, eine erhebliche Belastung darstellt. Das ist manchen Strafrichtern, die jeden Tag zu Geld- oder Haftstrafen verurteilen, offenbar nicht mehr so richtig bewusst. Man sollte deshalb die gesetzliche Voraussetzung des hinreichenden Tatverdachts Ernst nehmen und sorgfältig prüfen.

    Comment by Stadler — 14.09, 2011 @ 15:38

  6. Zudem gibts für den Strafrichter keine Erledigung (sondern ne neue Akte), wenn nicht eröffnet wird.

    Comment by Stefan — 14.09, 2011 @ 16:08

  7. Es wäre nicht das erstemal, dass Fachjuristen der Meinung sind, in Bereichen, mit denen sie regelmäßig nicht befasst sind, gehe es viel sorgfältiger zu – solange bis sie zum ersten Mal intensiven Kontakt mit dem bislang fremden Bereich haben. Es scheint mit einem unbändigbaren Glauben an die Kraft des Gesetzes zusammenzuhängen, der nur soweit die persönliche Erfahrung reicht davon getrübt wird, dass die Realität dem hinterherhinkt und somit aus den gesetzlich festgelegten Rechten eines – in diesem Fall – Beschuldigten nicht geschlossen werden kann, dass diese auch tatsächlich zur Wirkung kommen.

    Comment by Torsten — 14.09, 2011 @ 16:27

  8. „Rechts“gespräche sind jetzt Erörterungen nach den §§ 212 (ohne Schöffen, da außerhalb der HV) oder 257b StPO. – Besser wäre ein Tat- oder Schuldinterlokut, das der deutsche Gesetzgeber aber leider nicht ermöglicht. – Bei meinem letzten Markenprozeß hatte ich (Schöffe) als Einziger das MarkenG in Textform dabei.

    Comment by Martin Overath — 17.01, 2012 @ 16:23

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