Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

13.9.11

Sächsische Richter greifen Landesdatenschutzbeauftragten an

Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig hat in einem Prüfbericht an den sächsischen Landtag die massenhafte Erfassung von Mobilfunkdaten durch sog. Funkzellenabfragen anlässlich einer Demonstration in Dresden deutlich kritisiert. In dem Prüfbericht der Datenschutzbehörde heißt es u.a.:

StA und LKA haben damit mangelnden Respekt vor dem Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG, Art. 27 SächsVerf), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG, Art. 23 SächsVerf), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 20 SächsVerf), der Religionsfreiheit (Art. 4 GG; Art. 19 SächsVerf) sowie den spezifischen Rechten von Abgeordneten und Rechtsanwälten gezeigt. Ich bewerte dieses Vorgehen als besonders schwerwiegend.

Diese Rüge richtet sich unmittelbar nur gegen die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Kritisiert werden aber mittelbar natürlich auch die Gerichte, die diese rechtswidrigen Maßnahmen der TK-Überwachung z.T. genehmigt hatten.

Genau dies hat der Sächsische Richterverein nunmehr zum Anlass genommen, den Datenschutzbeauftragten zu attackieren und ihm gar einen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz vorzuwerfen. Hintergrund ist der Umstand, dass die Gerichte – wegen ihrer verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit – grundsätzlich nicht der Kontrolle des Datenschutzbeauftragten unterliegen.

Wenn man den Vorgang insgesamt betrachtet, dann wird man allerdings weniger eine Gefährdung des Gewaltenteilungsgrundsatzes erkennen, als vielmehr eine Gefährdung des Rechtsstaates ganz allgemein.

Der Datenschutzbeauftragte hat nur seine gesetzliche Aufgabe erfüllt und rechtswidrige Maßnahmen der Datenerhebung durch die Exekutive (Polizei und Staatsanwaltschaft) beanstandet. Dass man dies mittelbar auch als Kritik an den Gerichten betrachten kann, liegt in der Natur der Sache. Seine Kompetenzen hätte der Datenschutzbeauftragte aber nur dann überschritten, wenn er das Vorgehen der Gerichte (förmlich) beanstandet hätte, was er aber gerade vermieden hat.

Die Kritik der Richtervereinigung offenbart eine aus meiner Sicht rechtsstaatlich befremdliche Haltung. Denn letztlich wird versucht, richterliche Beschlüsse, die offensichtlich rechtswidrig sind, dadurch zu rechtfertigen, dass man dem Datenschutzbeauftragten eine unzulässige Einmischung und Kompetenzüberschreitung vorwirft.

Dem Datenschutzbeauftragten ist es aber nicht verwehrt, die Justiz zu kritisieren, obwohl er dies ohnehin so weit wie möglich vermieden hat. Nur förmliche Beanstandungen kann er keine aussprechen, was er aber auch nicht getan hat.

Der gesamte Vorgang um die massenhafte Erfassung und Auswertung von Mobilfunkdaten macht deutlich, dass in Sachsen, sowohl auf Ebene der Exekutive als auch der Justiz, erhebliche rechtsstaatliche Defizite vorhanden sind. Umso erfreulicher ist es, dass ein Datenschutzbeauftragter seine gesetzliche Aufgabe erfüllt und auch dem Landtag gegenüber in deutlicher Art und Weise berichtet. Chapeau Herr Schurig.

posted by Stadler at 11:50  

18 Comments

  1. Getroffene Hunde bellen.

    Comment by Tuttle — 13.09, 2011 @ 11:59

  2. Die sächsiches Justiz hat ohnehin eine zerrüttete Beziehung zum Amt des Datenschutzbeauftragten. Der erste Datenschützer, Schurigs Vorgänger Thomas Giesen, wurde sogar strafrechtlich verfolgt (4 KLs 420 Js 49212/00).

    Comment by OG — 13.09, 2011 @ 12:54

  3. Lieber Thomas,

    +1 – ich kann die Aufregung der sächsichen Richtervereins auch nicht nachvollziehen.

    In der Tat kann es doch nicht Ziel der Richterschaft sein, dass Entscheidungen nicht öffentlich diskutiert werden (allerdings wohl lieber nicht – wie es in Berlin nur allzu oft geschieht – unter Namensnennung).

    Entscheidungen, die – wie Du völlig zu Recht schreibst – so offensichtlich abwegig sind wie diese hier, bedürfen zwingend der öffentlichen Kritik. Denn die richterliche Unabhängigkeit findet ihre Grenzen stets dort, wo Richter selbst das Recht brechen, wenn auch wohl noch nicht in strafrechtlich relevanter Weise beugen. Die Grundrechte und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz etwa binden auch alle Richter (Art. 1 Abs. 3 GG); sie sind in die Eingriffsgrundlagen der StPO gleichsam hineinzulesen und bei ihrer Anwendung zu berücksichtigen. Dass vor diesem Hintergrund eine millionenfache Datenerhebung wg. (meinetwegen auch teilweise strafrechtlich relevanter) Randale auf einer Demo geradezu absurd ist, sollte wirklich jedem Ermittlungsrichter spontan einleuchten. Geschieht dies nicht, wirft das Fragen nach der Effizienz der richterlichen Prüfung auf. Und die ist nun wahrlich ein wichtiger Gegenstand der res publica und damit legitimes Diskussionsthema – auch für den sächsischen DSB.

    Vielleicht bietet der Fall ja Anlass für eine generelle Abkehr von der mehr als fragwürdigen Praxis, dass Richter seitens der StA vorformulierte Beschlüsse abzeichnen. Natürlich kann ein Richter auch auf einem Formular prüfen, ob die Maßnahme rechtmäßig ist. Wer jedoch auch nur einmal einen Beschluss selbst formuliert (oder ein Urteil geschrieben) hat, wird sich erinnern, dass man bei aktivem eigenen Formulieren eine ganz andere Kontrolldichte erreicht als beim bloßen Abzeichnen: Man ist nämlich durch den Akt des Selbstschreibens zum Nachdenken gezwungen. Dieser Grad der Reflektion ist anders kaum zu erreichen.

    Selbst formulieren wäre daher – in den Worten des BVerfG – Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung.

    Natürlich würde das Arbeit machen. Aber genau diese Arbeit ist es, um deretwillen es überhaupt Richtervorbehalte gibt! Für den Job des „Urkundsbeamten der Staatsanwaltschaft“ (so Prof. Dr. Matthias Jahn, Erlangen) sollten sich (auch die sächsischen) Richter zu schade sein.

    Beste Grüße!

    Comment by @vieuxrenard — 13.09, 2011 @ 13:16

  4. „Urkundsbeamter der Staatsanwaltschaft“ ist gut. ;-) Das muss ich mir merken.

    Comment by Stadler — 13.09, 2011 @ 13:36

  5. …es wurde schon mit Krokodilstränen beanstandet, dass kleine Proberichter in Großverfahren, z.B. gegen (Landes-)Banken oder „politische Freunde“ (Huch!), Durchsuchungsbeschlüsse erlassen (dürfen). Es wurde in diesem Zusammenhang sogar erwogen, den notwendigen Verdachtsgrad bei Durchsuchungen anzuheben auf: „Dringend!“.

    Die Idee, zum Zwecke der „Verrechtsstaatlichung“ und“ Kontrollverdichtung“, über die Generalstaatsanwaltschaften die Staatsanwält/-innen anzuhalten (nein, keine unzulässige Einflussnahme, da nur „organisatorisch“!), keine vorforumlierten Beschlüsse mehr zu beantragen, wurde weniger begeistert aufgenommen. Das kostet nämlich Geld, weil Zeit, weil Personal.

    By-the-way: Es soll schon die beleidigte „Drohung“ gegeben haben: „Dann stelle ich halt nur einen mündlichen Antrag…“, als Reaktion auf arg anstrengende richterliche Nachfragen oder gar Kritik :-(

    Comment by Justizschräck — 13.09, 2011 @ 13:56

  6. Ist das der gleiche Reinhard Schade, der auch im Sachsensumpf agierte, bei dem sich auch der jetzige Bundesverteidigungsminister dafür rechtfertigte, dass der sächsische Verfassungsschutz ermittelte, wo Richter und Staatsanwälte sich mit Prostituierten korrumpieren ließen?

    Dieses ständige Leugnen nützt sich ab, wenn immer wieder Männer aus Justiz und Polizei in Sachsen erwischt werden, wenn sie es mit unserer Rechtsordnung nicht so ernst nehmen. Wie schön es auch immer ist, im Rathaus von Leipzig kostenlos Prostituierte zu vögeln und sich an abertausenden Telefongesprächen sich rechtswidrig zu vergehen. Law and Order ist mit sächsisch offenbar nicht kompatibel. Für Anständige eine No-Go-Area?

    Comment by Jan Dark — 13.09, 2011 @ 13:57

  7. Die Richter stören sich an zweierlei: Erstens an der Unterstellung, das Unterzeichnen vorformulierter Anträge sei ein Indiz für fehlende richterliche Prüfung. Damit haben sie natürlich recht, Indizwirkung hat das nicht – aber das selbständige Formulieren der Entscheidungsgründe würde die ernsthafte richterliche Befassung erheblich besser dokumentieren.

    Zweitens stören sich die Richter an einer Unterwerfung unter die Prüfkompetenz des Datenschutzbeauftragten. Die hat er aber für sich nicht in Anspruch genommen – wenn auch sein Hinweis auf den richterlichen Rückgriff auf den vorformulierten Antrag der StA durchaus als Kritik zu verstehen ist. Damit müssen Richter aber – zumal nach Abschluss des Verfahrens – leben. Wichtiger scheint mir ein anderes richterliches Missverständnis: Die Gerichte unterliegen zwar nicht der Prüfungskompetenz des Landesdatenschutzbeauftragten, wohl aber dem Landesdatenschutzgesetz selbst. Dessen Bestimmungen haben die Gerichte – als eigene, nicht vom LfD überprüfbare Aufgabe – anzuwenden. Und das hat erhebliche Auswirkungen auf den Prozess (vgl. Brink, Wolff: Die verfassungsrechtliche Ausstrahlung des Datenschutzes auf den Verwaltungs- und Sozialgerichtsprozess NVwZ 2011, 134) – oder besser: sollte es haben.

    Comment by FrankBStein — 13.09, 2011 @ 14:01

  8. …der Ermittlungsrichter, der nicht für vorforumlierte Anträge dankbar (sic!) ist, der HEUCHELT !

    Aber: Manchmal eröffnet gerade der vorformulierte Antrag überhaupt erst das Zeitfenster, in eiligen Sachen, für eine genaue inhaltliche Prüfung.

    Comment by Justizschräck — 13.09, 2011 @ 14:13

  9. Ich kann zu dem Thema ja ganz besonders den Pentacast-Webcast Nummer 35 mit dem Juristen Johannes Lichdi (Grüne) empfehlen.

    Inhaltlich kann ich die Aufregung des Sächsichen Richtervereins ebenfalls nicht nachvollziehen. Auf mich wirkt deren Verhalten wie ein peinlicher Versuch zur Abwehr von zweifellos berechtigter Kritik.

    Comment by Peter Piksa — 13.09, 2011 @ 14:58

  10. Hat denn schon jemand die gar „offensichtliche“ Rechtswidrigen der Entscheidungen festgestellt – außer dem Datenschutzbeauftragten, der dafür weder zuständig noch im Zweifel qualifiziert ist? Falls nicht wäre die Reaktion der Rechenschaft nämlich mehr als berechtigt. Es ist nicht Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, den Vollzug rechtmäßiger richterliche Anordnungen durch die dazu berufenen Strafverfolgungsbehörden zu beanstanden, mögen ihm auch die Maßnahmen, deren richterliche Beurteilung und ggf. auch die Rechtslage nicht passen.

    Comment by -thh — 13.09, 2011 @ 15:28

  11. Den Richtern in Sachsen ins Stammbuch: richterliche Unabhängigkeit und Gewaltenteilung heisst nicht, dass man euer Tun und Lassen nicht beobachten, nicht bewerten nicht kritisieren darf.

    Comment by M. Boettcher — 13.09, 2011 @ 15:50

  12. @-thh: mit einem „klitzekleinen“ Problem: die Richterschaft wird nicht förmlich beanstandet.

    Die Beanstandung in Richtung Polizei/StA hat die Richterschaft insoweit nicht zu interessieren – auch wenn es Sie potentiell mittelbar betrifft. Mit Kritik muss aber jeder – auch die Richterschaft – leben.

    Comment by le D — 13.09, 2011 @ 15:56

  13. Unabhängige Richter gibt es keine. Und dem Gesetzten Recht werden unsere Richter doch unterworfen sein – oder auch das nicht (mehr)? Ich kann auch in einer Kritik an einer richterlichen Entscheidung keinerlei Kompetenzüberschreitungen sehen. Die Kontrolle der Gerichtsbarkeiten obliegt schlussendlich dem Volke, demzufolge wir bei uns auch die Geheimjustiz (eigentlich, auf Papier zumindest) abgeschafft haben. Das zu verweigern wäre dann erneut ein Versuch die Grundordnung außer Kraft zu setzen, das bestätigt den Datenschutzmann doch. Richter müssen aus unserer Verfassung heraus ihre Urteile deswegen begründen, sie sind dazu verpflichtet, damit deren Urteile überprüft werden können – und zwar von uns, und dazu gehören auch die legitimen Volksvertreter, auch die in weitestem Sinne: das gilt für jeden hier. Ein Richter unterliegt der Kontrolle durch uns alle. Wer damit nicht klar kommt, sollte den Beruf wechseln. Niemand ist gezwungen das alltägliche Leid eines Richters einschließlich seiner nahezu Unantastbarkeit in allen Bereichen des auch alltäglichen Lebens nebst seiner fürstlichen Entlohnung zu ertragen. Also wer keine Bock hat sich unter solchen Bedingungen Tag für Tag zu krümmen vor Schmerzen – es gibt noch andere schöne Berufe.

    Comment by Michael Pliester — 13.09, 2011 @ 21:56

  14. „…erhebliche rechtsstaatliche Defizite ….“
    Nur in Sachsen, Herr Stadler, nur in Sachsen? ;)

    Comment by dentix07 — 13.09, 2011 @ 21:59

  15. Der SächsDSB hatte im Presse-Hintergrundgespräch am 9.September mehrfach auf die Unabhängigkeit der Gerichte hingewiesen und eine direkte/unmittelbare Kritik an der Justiz/den Gerichten bewusst unterlassen. Was einige Journalisten – ob tatsächlich anwesend, oder nicht – daraus gemacht haben… nun ja. Unter anderem ging es im Gesamtzusammenhang auch explizit um die Formulierung von „es wurden Gesetze gebrochen“ vs. „gesetzliche Vorgaben wurden nicht vollständig eingehalten“. Mehr Zurückhaltung als durch letztere Formulierung ging nun wirklich nicht.

    Comment by Fidel — 14.09, 2011 @ 02:20

  16. Den Vorgänger kenne ich nicht, und kann daher nichts dazu beitragen, was das Verhältnis der Justiz zu ihm angeht.

    Der aktuelle Datenschützer hingegen und seine Arbeit sind bekannt. Der Richterverein hat ganz offensichtlich falsch gehandelt mit seinem Angriff auf ihn, und sein Bericht ist sicherlich korrekt gehalten, keine Frage. Allerdings sollte man eventuell ergänzen, daß ziemlich jeder, der mit dem aktuellen Datenschützer beruflich in Kontakt gekommen ist, ihn rundheraus ablehnt, und die vorschnelle und überzogene Reaktion zumindestens verstehen kann. Selbst eisenharte Datenschutzverfechter weigern sich teilweise im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, mit ihm zusammenzuarbeiten, obwohl es ihre Position ja schwächt. Ganz schwieriger Fall, und von außen sicher nur schwer nachzuvollziehen.

    Comment by sic — 14.09, 2011 @ 07:16

  17. Was bringt ein Richtervorbehalt wenn die Anträge der Staatsanwaltschaft eh einfach abgenickt werden?

    Hier ein Beispiel:

    Laut einer im Auftrag des BMJ erstellten Studie habe ein Richter in Bayern pro Hausdurchsuchungsbeschluss gerade einmal 2 Minuten Zeit zur Verfügung.

    Panoramabeitrag über unnötige Hausdurchsuchungen (Youtube):

    http://www.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=fLp0kCU3r8g

    http://lawgical.jura.uni-sb.de/index.php?/entry/334-Richterlicher-Beschluss.html

    Und genau so läuft es leider in sehr vielen anderen Bereichen auch…

    Comment by stachel — 15.09, 2011 @ 00:22

  18. @ sic
    Da ist aber jemand mit seiner Meinung ganz ganz sehr einsam – So etwas habe ich über den Schurig ja noch nie gehört…
    Im Übrigen: Schlimmer als der Sächsische Richterverein, der ja noch Meinungsäußerungsfreiheit beanspruchen kann, ist der Behördenleiter und Präsident des OLG (übrigens auch Verfassungsrichter in Sachsen) der ohne Legitimation meint, für alle Richter in Sachsen sprechen zu können: http://www.justiz.sachsen.de/olg/content/1436.php (wohl eine weitere Nebelgranate um von den sächsischen Zuständen abzulenken)
    Anders geht es aber auch: http://www.nrv-net.de/main.php?id=161&presse_id=149&lv_id=88&fg_id=
    und http://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Entschliessungssammlung/DSBundLaender/82DSK_Funkzellenabfragen_2.pdf?__blob=publicationFile

    Comment by Yogi Bär — 25.11, 2011 @ 15:34

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