Darf die Staatsanwaltschaft Domains beschlagnahmen?
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat im Zuge der Ermittlungen gegen Betreiber und Hintermänner der Streaming-Plattform „kino.to“ auch die Domain beschlagnahmt, was laut einem Bericht von ZEIT Online von der Generalstaatsanwaltschaft auf die Vorschrift des § 94 StPO gestützt wird. Die Staatsanwaltschaft/Kriminalpolizei hat auf der Website außerdem den Hinweis platziert:
Die Kriminalpolizei weist auf Folgendes hin: Die Domain zur von Ihnen ausgewählten Webseite wurde wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen geschlossen. Mehrere Betreiber von KINO.TO wurden festgenommen. Internetnutzer, die widerrechtlich Raubkopien von Filmwerken hergestellt oder vertrieben haben, müssen mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen.
Bieten die Vorschriften der §§ 94 ff. StPO tatsächlich eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme von Domains im Rahmen eines Strafverfahrens? Das hängt m.E. entscheidend davon, was man unter einem Gegenstand i.S.v. § 94 StPO versteht. Denn der Beschlagnahme unterliegen (nur) Gegenstände. Nun hat das BVerfG bereits vor Jahren entschieden, dass darunter auch nichtkörperliche Gegenstände wie Datenbestände fallen. Betrifft das auch Domains? Das hängt entscheidend davon ab, was eine Domain rechtlich eigentlich ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Domain rechtlich betrachtet nichts weiter, als die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Domaininhaber gegenüber der Vergabestelle aus dem Domainregistrierungsvertrag zustehen. Eine Domain ist also eine schuldrechtliche Rechtsposition.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Domain wohl kaum als Gegenstand begreifen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es sich, zumindest im Rahmen eines Strafverfahrens, nicht eher um eine Form der Vermögensbeschlagnahme handelt. Die „Schließung“ einer Domain ließe sich eventuell auch als Maßnahme der Gefahrenabwehr nach den Polizei- und Sicherheitsgesetzen der Länder rechtfertigen. Der Anknüpfungspunkt des § 94 StPO erscheint mir allerdings diskussionsbedürftig.
Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft die Domain auf eine Website umleitet, um dann den obigen Hinweistext zu präsentieren. Wer hierzu eine Eingriffsnorm findet, der möge sie mir nennen. Sachlich handelt es sich möglicherweise um eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit von Polizei und Staastanwaltschaft, die bislang allerdings auch nicht ausreichend rechtlich geregelt ist.
Update:
Jens Ferner widerspricht meinem Blogbeitrag und geht davon aus, dass vorliegend eine Beschlagnahme einer Domain gar nicht stattgefunden hat, dass aber eine solche Beschlagnahme nach § 111c Abs. 3 StPO auch zulässig wäre.
Hierzu ein paar Anmerkungen. Es mag durchaus sein, dass im konkreten Fall nicht die Domain beschlagnahmt wurde, sondern nur der Webserver. Nachdem die Staatsanwaltschaft aber von einer Beschlagnahme der Domain spricht, habe ich mal versucht darzustellen, ob eine solche Beschlagnahme zulässig wäre.
Meine These war die, dass § 94 StPO als Rechtsgrundlage ausscheidet und allenfalls eine Vermögensbeschlagnahme in Betracht kommt. Der von Ferner ins Spiel gebrachte § 111c Abs. 3 StPO bietet insofern keine Lösung, als er nicht regelt unter welchen Voraussetzungen eine Forderung beschlagnahmt werden kann, sondern nur, dass sich das Verfahren einer solchen Beschlagnahme nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung richtet. § 111c Abs. 3 StPO stellt also keine Eingriffsgrundlage für eine Forderungsbeschlagnahme dar. Diese kann sich z.B. aus den Vorschriften über eine Einziehung oder Vermögensbeschlagnahme (§§ 430 – 443 StPO) ergeben. Dazu müssen aber dann auch deren Voraussetzungen vorliegen.
Na super. Bevor ein Urteil gesprochen wurde wird der Besucher der Website im Prinzip bereits auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft hingewiesen.
Für mich stellt das eine klare Vorverurteilung dar. Es wäre korrekt die Domain mit einem Baustellenzeichen zu versehen, aber eine Beschlagnahme in einem Verfahren mit einem solchen Hinweis zu versehen, ist absolut unverhältnissmäßig.
Angeforderte URL: http://kino.to/
Kategorie(n):
Betrug / Täuschung
Gruß
T.S.
Comment by Torsten Schreiber — 16.06, 2011 @ 18:33
Wenn man es ganz spitzfindig betrachten möchte, wurde das *Internetangebot* geschlossen, nicht die Domain. Die Domain (letztlich im Grunde nur eine Adresskonvention) wurde bestenfalls auf andere Inhalte umgeleitet. Wäre sie „geschlossen“ würde man einen DNS-Fehler angezeigt bekommen.
Comment by jan wohlgemuth — 16.06, 2011 @ 18:52
Dumm gelaufen: So könnte man bei der Kriminalpolizei oder bei dem sächsischen Staatsministerium des Inneren sagen, aber offenbar wurde nach der Razzia gegen die Betreiber von Kino.to und der Beschlagnahme der Domain eindeutig gegen § 2 Nr. 1 des Telemediengesetzes verstoßen.
Es fehlt schlicht und einfach ein Ansprechpartner oder ein rechtsgültiges Impressum.
http://www.konsumer.info/?p=17053
Comment by konsumer — 16.06, 2011 @ 19:26
Das sehe ich genau so. Zumal mich persönlich der Text ein wenig an die US-amerikanischen Unarten des FBI hinsichtlich Copyright-Gedöns erinnert. Dieser Umstand macht mich -offen gesagt- etwas nachdenklich…
Ohne ein faires Verfahren inklusive Urteilspruch eines Gerichtes halte ich das persönlich zunächst einmal für eine willkürliche Zensur seitens Staatsgewalt. Siehe z.B. Art. 6 MRK.
Übrigens unabhängig davon, wie man zu solchen Seiten wie eben kino.to auch stehen mag… Ich persönlich sehe zum Beispiel nicht, daß auf der Seite urheberrechtlich geschützte Inhalte bereitgestellt wurden, die ein illegales Verhalten darstellen würde. Die kommerzielle Ausschlachtung seitens kino.to hingegen erachte ich persönlich dabei als „schlimmer“. Das ist aber wohl zugegebenermaßen eher eine ideologische, als juristische Angelegenheit. ;-)
Allerdings (abschließend): Wenn wir schon beim Thema „kriminelle Vereinigung“ sind, wie sieht es denn dann eigentlich aus mit der „Bildung einer kriminellen Vereinigung zum gewerbsmäßigen Betrug„? Wann werden durch die Staatsanwaltschaft(en) denn eigentlich auch endlich einmal die „Gehilfen“ dieser dubiosen „anti-piracy“-Lobby-Verbände wie z.B. GVU e.V., BVMI e.V., Boersenverein e.V. und Konsorten strafrechtlich verfolgt bzw. untersucht bzw. hinterfragt? Ich denke da beispielsweise an solche „Firmen“, wie ProMedia, DigiProtect, Logistep … et al!
Stichwort(e): „TURN PIRACY INTO PROFIT“, „…dem Auftraggeber entstehen keine Kosten“, Abmahngebühren inkl. 1,3 RVG in Rechnung stellen obwohl (nachweislich) dieser Betrag im Innenverhältnis gar nicht abgerechnet wird, Steuerhinterziehung (?), und so weiter und so fort… Fragen über Fragen – die seit Jahren unbeantwortet bleiben. Warum eigentlich?
In diesem Sinne, Baxter
Comment by Baxter — 16.06, 2011 @ 19:58
Ich bin kein Jurist, aber hatte nicht das BGH geurteilt, dass eine Domain durchaus der Pfändbarkeit unterliegt? Wenn etwas Pfändbar ist, warum nicht auch beschlagnahmen? Bankkonten und deren Werte dürfen ja auch eingenommen werden. Oder sehe ich das zu naiv?
Comment by Ole — 16.06, 2011 @ 20:53
Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist, was die Rechtsfolge sein soll, wenn das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden in diesem Fall ohne Rechtsgrundlage und damit rechtswidrig erfolgte? Beweisverwertungsverbot für die Inhalte, die auf der Webseite waren? Anklage gegen die Polizei und Staatsanwaltschaft wegen was auch immer? Manche Diskussionen sind für mich rein „fachlich“/“dogmatisch“. Für mich steht hier außer Frage, dass die „Bösen“ die Betreiber von kino.to waren und nicht die Strafverfolgungsbehörden. Wenn die nicht mal so einen sachlichen Hinweis schalten dürfen als Abschreckung, was dürfen sie dann überhaupt noch???
Comment by fernetpunker — 16.06, 2011 @ 21:38
Ich bin auch kein Jurist, von daher ’ne Frage an die hier mitlesenden Juristen:
Wie sieht es eigentlich mit ’nem richterlichen Vorbehalt aus, denn ich denke wir sind uns einig daß man hier wohl kaum von „Gefahr in Verzug“ sprechen kann. Oder mit welchem Recht kann ein Staatsanwalt in Deutschland „einfach so“ etwas beschlagnahmen?
Zumal das Sperren einer website für meine Begriffe nichts anderes als eine Zensur darstellt. Ob da jetzt ein Stopp-Schild a la Zensursula dargestellt wird oder eine Staatsanwaltschaft ein paar Zeilen hinterlässt…
Übrigens nebenbei gefragt: Seit wann steht das Betreiben einer Internetpräsenz mit streaming-Angeboten unter Strafe? Wo ist das entsprechende Gesetz? Wo ist das entsprechende Urteil?
Ich für meinen Teil habe zumindest auf beispielsweise youtube.com noch keinen derartigen Hinweis seitens Staatsgewalt bemerken können… Da scheint die Filmbranche (diesbzgl. vertreten durch den GVU e.V.) andere „Connections“ zu haben, als die Musikindustrie (vertreten durch den BVMI e.V. respektive, d.h. im Bezug auf beispielsweise youtube, die GEMA).
Wie oben bereits versucht zu betonen: Unabhängig davon, was man individuell von solchen Seiten wie kino.to auch halten mag – man sollte meiner persönlichen Meinung nach bei den Überlegungen möglichst das „Gesamtbild“ im Auge behalten.
Denn: Zensur gleich (auch) -> Politisches Verfahren, um Inhalte zu kontrollieren!
Auch unabhängig davon, ob ich ein „Angebot“ aktiv nutze oder nicht, kann bzw. könnte ich mich auch lediglich informieren…ähnlich wie auch auf beispielsweise Seiten, auf denen man z.B. Sportwetten abgeben könnte (aber nicht zwingend muss).
Gruß, Baxter
—————–
P.S. @Ole:
Solltest du dich evtl. auf das BGH Urteil VII ZB 5/05 beziehen, dann verrate doch einmal wo du dort denn genau entnimmst daß eine „nackte“ domain pfändbar sei. Danke!
Comment by Baxter — 16.06, 2011 @ 22:02
Der Abmahnung wegen Verstosses gegen die Impressumspflicht entnehme ich, dass unter der Domain kino.to auch legale Angebote abrufbar waren. Hätte die Staatsanwaltschaft in diesem Falle nicht den Betreibern die Gelegenheit geben müssen die streitgegenständlich illegalen Angebote zu entfernen und ansonsten die legalen Angebote weiterhin bereitzustellen?
Comment by Ein Mensch — 16.06, 2011 @ 22:40
Zur Impressumspflicht: Die Staatsanwaltschaft/Polizei hat ja nun keines hinterlassen, womit sie abmahngefährdet wäre. Abmahnen können aber nur Anbieter des gleichen Betätigungsfeld(?!)
Nun hat die Staatsanwaltschaft nur bedingt Konkurrenz, aber könnte die Staatsanwaltschaft eines anderen Bundeslandes – wenn sie denn lustig wären – die Staatsanwaltschaft abwehren. Oder ein Detektivbüro die Kripo?
… :D
Comment by asdf — 16.06, 2011 @ 23:11
Der letzte Kommentar ist echt lustig. Die Frage ist nur, da die Staatsanwaltschaften ja gesetzliche Zunständigkeiten haben und somit keine direkte Kongurrenz besteht, da abgemahnt werden kann? Ich glaube ehr nicht…
Comment by Krass — 16.06, 2011 @ 23:20
Sollte es noch keinem aufgefallen sein (was ich kaum glaube bzw. hoffe), hier ein dezenter Hinweis. Die Staatsanwaltschaft läßt übrigens unter anderem folgendes schreiben:
@Jens Ferner (im Bezug auf das update von Th. Stadler):
Bevor ihr Juristen mal wieder ins Verdrehen von Paragraphen verfallt, beantworte doch zunächst einmal bitte die Frage was denn juristisch eine „Raubkopie“ sein soll? Definiere doch einfach bitte ‚mal den Begriff „Raubkopie“. Immerhin kommt dieser Begriff von Seiten der Exekutive! Dabei besonders auch bitte die Aspekte „Herstellen“ und „Verteiben“ im Zusammenhang mit der stream files – Thematik beachten. Vielleicht hilft das ja sogar evtl. bei der Beantwortung von diversen weiteren Fragestellungen…für’n Anfang quasi!?
Zumindest beantwortet das m.E. schon ‚mal blitzschnell die Frage nach „strafrechtlichen Konsequenzen“ für die sog. „Nutzer“ der Seite… Diese stellt sich m.M.n. so erst gar nicht! ;-)
Gute Nacht, Baxter
Comment by Baxter — 16.06, 2011 @ 23:55
Sorry…Einen letzten Punkt meinerseits noch schnell, bitte (hatte ich eben vergessen).
Mal ganz blöd gefragt: Weshalb soll der GVU e.V. als eingetragener Verein eigentlich aktivlegitimiert sein, vermeintliche Urheberrechte generell wahrzunehmen. Also zeitlich unbeschränkt, örtlich unbeschränkt sowie inhaltlich unbeschränkt… Die diesbzgl. Vertragslage würde mich persönlich ‚mal interessieren (nicht nur wegen § 31 UrhG auch hinsichtlich z.B. § 1 UrhWahrnG oder § 1 VerlG u.s.w. …).
Damit beantworte ich mir selbst abschließend meine eigene, oben gestellte Frage (siehe Beitrag #4) wie folgt:
Die Staatsanwaltschaft(en) ermitteln nicht gegen die “Gehilfen” dieser dubiosen “anti-piracy”-Lobby-Verbände wie z.B. GVU e.V., BVMI e.V., Boersenverein e.V. und Konsorten weil sie meiner persönlichen Meinung nach (!) selbst (Erfüllungs-)“Gehilfen“ derselbigen sind! Simple as that!
So! Jetzt aber genug von meiner Seite aus… Tschüß, Baxter
Comment by Baxter — 17.06, 2011 @ 00:17
Hehe, die Staatsanwaltschaft wurde jetzt tatsächlich abgemahnt. Siehe link. Wunderbar :D
Comment by asdf — 17.06, 2011 @ 15:39
Öhm, die Domain wurde nicht beschlagnahmt. Da die Staatsanwaltschaft in solchen Dingen keinen blassen Schimmer hat, hat sie das zwar gesagt, aber rein praktisch nicht getan.
Die Domain kann man rechtgültig nur beim Registrar beschlagnahmen bzw. übernehmen. Die beim Registrar hinterlegten Daten haben sich aber nicht geändert, ergo wurde nichts beschlagnahmt bzw. übernommen.
Die Domain wurde faktisch gekapert, da in Zuge der Verhaftung des Eigentümers auch dessen Zugangspasswörter für den Server vorlagen. Ergo konnte die Webseite verändert werden. Mit der Domain selber hat das nichts zu tun und diese ist wie gesagt auch nicht verändert wurden.
Im Zuge eines Gerichtsverfahrens könnte die Herausgabe der Domain angeordnet werden – ausführen kann eine Domain-Überletzung aber nur der vorherige Eigentümer, ganz egal was das Gericht sagt. Selbst eine gerichtliche Eigentumsüberantwortung muß der Registrar letztlich nicht beachten (bzw. kann nicht dazu gezwungen werden, wenn er nicht in D ansässig ist), für ihn ist allein die Unterschrift des Eigentümers beim Vertragsabschluß relevant. Ohne Willen dieser Person kann die Domain nirgendwohin übertragen werden (wie gesagt wenn der Registrar im Ausland sitzt).
Comment by RGA — 19.06, 2011 @ 18:17