Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.12.10

Assange und der Europäische Haftbefehl

In einem wieder einmal sehr instruktiven Blogbeitrag erläutert Henning Ernst Müller – Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht an der Uni Regensburg – einige Hintergründe zum Europäischen Haftbefehl und warum es naheliegend ist, dass der Wikileaks-Chef nach Schweden ausgeliefert wird.

Müller weist zunächst darauf hin, dass der bisher bekannte Tatvorwurf in den meisten europäischen Ländern den Tatbestand einer Vergewaltigung nicht erfüllen würde, weil von einer Gewaltanwendung oder Drohung bisher nicht die Rede war. Da es nach der Regelung über den Europäischen Haftbefehl aber nicht auf die beiderseitge Strafbarkeit ankommt, kann die britische Justiz nur prüfen, ob die schwedischen Behörden offensichtlich missbräuchlich handeln. Einen solchen Missbrauch wird die britische Justiz nach der Einschätzung von Müller aber kaum annehmen, zumal dies dem „europa- und außenpolitische Comment“ widerspräche.

Müller weist aber auch auf die Merkwürdigkeiten des Falles hin, die u.a. darin bestehen, dass das Verfahren in Schweden bereits eingestellt worden war und dann auf  Weisung der Generalstaatsanwältin wieder aufgenommen worden ist. Da die schwedischen Staatsanwaltschaften – ähnlich wie in Deutschland – Teil der Beördenhierarchie der Exekutive sind, kann eine politische Einflussnahme, gerade in solchen Fällen, nicht ausgeschlossen werden. Die schwedische Staatsanwaltschaft ist direkt dem Justizministerium unterstellt, so dass die schwedische Regierung grundsätzlich die Möglichkeit hat, unmittelbar Einfluss zu nehmen. Zu den Merkwürdigkeiten des Falles gehört auch, dass eine der beiden Frauen, die Assange der Vergewaltigung bezichtigen, noch nach dem vermeintlichen Tatzeitpunkt offenbar recht locker über „Julian“ getwittert hat.

Henning Ernst Müller weist schließlich noch darauf hin, dass eine Weiterauslieferung an die USA seines Erachtens wegen Art. 27 Abs. 2 des EU-Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nicht in Betracht kommt. Auch wenn ich insoweit eher Art. 28 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses für einschlägig halte, schließe ich mich dieser Ansicht an.

Ob in dem Fall tatsächlich politische Einflussnahme eine Rolle spielt oder nur eine übereifrige Generalstaatsanwältin am Werk ist, bleibt vorerst Spekulation. Die Sache hat allerdings einen erheblichen Beigeschmack.

posted by Stadler at 11:09  

7 Comments

  1. Danke für Aufklärung.
    Gibt es eine Frist in der UK sich entscheiden muss was nur weiter mit Assange passiert und unter welche Bedingungen muss er dort auf diese Entscheidung warten?

    Comment by annarose — 9.12, 2010 @ 12:20

  2. @annarose: Antwort auf deine Fragen und ein paar weitere Fakten gibt die juristische Korrespondentin der Guardian, Afua Hirsch, bei salon.com und in ihrem Blog.
    http://www.salon.com/news/politics/war_room/2010/12/08/afua_hirsch_assange

    Sie kommentiert auch die „Merkwürdigkeit, dass das Verfahren in Schweden bereits eingestellt worden war und dann auf Weisung der Generalstaatsanwältin wieder aufgenommen worden ist.“ Laut schwedischen Experten sei das nicht unüblich:
    „I have to say that I think that, in any case where a woman is alleging rape, there should be a degree of caution in dismissing those allegations, and from what Swedish experts tell me, it’s not that uncommon for a rape case to be dropped and then to be restarted again“

    Zum Tatvorwurf und den schwedischen Vorschriften schreibt sie, eine Kategorie 2 Vergewaltigung bedeutet möglicherweise einvernehmlicher Verkehr, wenn jemand nicht in vollem Besitz der geistigen Kräfte ist, z.B. im Schlaf.
    „… it means having possibly consensual intercourse with somebody when they don’t have full mental capacity. So it can be when they’re asleep, for example …“

    Comment by Dreizack — 9.12, 2010 @ 13:04

  3. Mehr über Anna Ardin:

    http://qwstnevrythg.com/2010/12/anna-ardin-cia-2/

    Comment by rtfm — 9.12, 2010 @ 13:16

  4. Es reicht doch, wenn man jemand diskreditieren und für eine Zeit „aus dem Verkehr“ ziehen kann. Und dieses Ziel ist doch wohl erreicht. Da sehe ich die Einflussnahme der USA ggü. Schweden. Dass die „Damen“ von den USA gekauft wurden, glaube ich eher nicht. Vielmehr vermute ich eine Möglichkeit, Geld herausschlagen zu können.
    Vielleicht bekommt man ja später einmal Dokumente via wikileaks zu Gesicht, die diesen Gedanken entsprechen.

    Comment by GustavMahler — 9.12, 2010 @ 14:05

  5. @rtfm: Die Frau hat schräge Ansichten – eine Christin mit einer Lebensphilosphie der Rache!? – und dubiose Kontakte, aber ich stimme Henning Ernst Müller zu, wenn er schreibt, dass eine Falle, ein vorab geplantes Komplott sehr fernliegend sei.

    Meine Meinung: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“ – Sprichwort frei nach John Lyly, Autor von „Die Anatomie des Witzes“. Julian Assange hat die zweite Hälfte des Sprichworts vergessen während seiner lobenswerten Bemühungen die Fakten über die erste Hälfte zu entlarven und zu veröffentlichen.

    Mein (salomonisches?) Urteil: die beiden sollten gemeinsam eine Zwangsvorführung von sechs Episoden von „Two and a Half Men“ schauen, bei denen nicht immer Charlie Harper die Frau ausnutzt, sondern manchmal die Frau die Oberhand gewinnt.

    Lieber riskiere ich, ein Teil des Konflikts zu verharmlosen als mich mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/John_Lyly

    Comment by Dreizack — 9.12, 2010 @ 17:43

  6. Danke an Herrn Stadler für diesen interessanten Kommentar.
    Ich habe eine Frage zum Thema Auslieferung:

    Kann eine Person aus einem EU-Mitgliedsland einem Staat ausgeliefert werden welches die Todesstrafe für das Vergehen der betreffenden Person vorsieht oder wahrscheinlich ist?

    Comment by Michael Kühner — 13.12, 2010 @ 10:27

  7. Der „Europäische Haftbefehl“ ist ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung totalitärer Meinungsdiktatur.
    Als der „Holocaust-Leugner“ Dr. Fredrick Töben – auf Antrag der BRD – in England verhaftet wurde, jubelten die Gutmenschen.
    Der Fall Assange lässt sich zwar nicht mit Töben vergleichen, aber das Gutmenschen-Gejubele gibt es auch hier. Mir selbst fehlen (anders als bzgl. Töben) Informationen, um mir über Assange ein Urteil zu erlauben.
    Aber selbst wenn dieser EU-Haftbefehl jetzt tatsächlich mal „den Richtigen“ treffen sollte: Der Preis der totalitären Diktatur ist dafür einfach zu hoch.

    Comment by Pater Rolf Hermann Lingen — 13.12, 2010 @ 20:17

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