Die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts
Ein neues Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 05.07.2010 (Az.: VG 1K 905.09), wonach die Polizei bei Demonstrationen nicht anlassunabhängig filmen darf, ist auf sehr große Resonanz in Blogs und Medien gestoßen.
Das ist sowohl überraschend als auch bedenklich, denn im Grunde hat das VG Berlin nur eine rechtsstaatliche Selbtverständlichkeit wiederholt, die im übrigen ausdrücklich so im Gesetz (§§ 12 a, 19a VersG) steht:
„Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.“
Dass die Polizei bei Demonstrationen nicht beliebig sondern nur in konkreten, erheblichen Gefahrensituation filmen darf, ist eine zwingende Auswirkung des Grundrechts aus Art. 8 GG. Die Polizei hat auch nicht die Möglichkeit auf andere gesetzliche Reglungen wie das Polizeiaufgabengesetz auszuweichen, denn insoweit gilt der Grundsatz der sog. „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“.
Der Bürger, der auf eine Versammlung geht, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass er nicht ohne zwingenden Anlass von der Polizei gefilmt wird. Denn eine permanente Überwachung würde einschüchternd wirken und könnte manche Bürger davon abhalten, von ihrem Grundrecht Gebrauch zu machen.
Dass ein Urteil eines Verwaltungsgerichts, das an sich nur eine juristische Selbstverständlichkeit bestätigt, dennoch als „grundlegend“ wahrgenommen wird, zeigt nur, wie verfassungsfern die tatsächliche Praxis der Polizei- und Sicherheitsbehörden ist.
Es wird bei Versammmlungen leider häufig gefilmt und in den meisten Fällen sind diese Filmaufnahmen rechtswidrig.
Mir stellt sich ganz konkret die Frage: was können wir Bürger denn nun mit diesem Urteil anfangen? Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Polizisten von seinem Tun abhalten wird, wenn ich zu ihm gehe und sage „entschuldigung, aber ihre Filmaufnahme ist rechtswidrig“.
Comment by daMax — 28.07, 2010 @ 14:06
Natürlich. Welcher Polizist wird sich schon in seinem Handeln von der Justiz einschränken lassen…
Die Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Filmaufnahme lässt sich in jedem Einzelfall von der Justiz überprüfen.
Da braucht es keinen bürgerlichen Märtyrer am Außenspiegel eines Polizeifahrzeuges.
…
Ob die Polizei nun aber nur noch ab der „Ausholbewegung eines Demonstranten-Wurfarmes nach vorne“ videografieren darf – denn vorher gäbe es ja noch den straflosen Rücktritt vom Versuch einer Straftat oder, worin läge die Gefahr eines Steines in der Hand eines Demonstranten, er könnte ja auch eine Geologe sein – werden wohl noch weitere Instanzen zu klären haben.
Ich halte das Urteil in der veröffentlichten Begründung für überzogen. Wegen der Kamerabeobachtung würde der Demonstrant in seinem Handeln zu etwas anderem, einem gefälligen Verhalten, gezwungen. Wir sind doch nicht mehr im Wilhelmismus…
Abenteuerlich wird es, wenn eine Demonstration von Gegnern derselben aufgehalten wird. Die Gegner dürfen ja offensichtlich noch gefilmt werden, die Demonstration selbst aber nicht mehr. Wer aber schiebt die Blende über die Aufzeichnung, und was passiert bei wechselseitigen Aktionen…?
Comment by Julius Wilhelm — 28.07, 2010 @ 14:43
„Versammmlungen leider häufig gefilmt“ zeigt mir das Sie schon lange nicht mehr auf Demos waren. Es wird immer gefilmt. Mit Dutzenden Kameras. Immer!
Comment by Felix Nagel — 29.07, 2010 @ 10:23
@Felix Nagel: Meine letzte Demo war die Freiheit statt Angst 09 in Berlin. Ist also noch nicht Jahre her.
Comment by Stadler — 29.07, 2010 @ 12:18