Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

5.6.10

Im Reich der Angela Merkel

Gustav Seibt, einer der bedeutenden Feuilletonisten der Gegenwart, schreibt in der Süddeutschen (SZ vom 05./06. Juni 2010, S. 13) zu den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten einen Satz, mit dem praktisch alles gesagt ist:

„Diese fahle Gestalt (Christian Wulff, Anm. d. Verf.) beleuchtet von der Seite auch die ausgeschlagene Möglichkeit Joachim Gauck, dessen glanzvolle, von Freimut und Intelligenz getragene Redebegabung, dramatische Biographie und moralische Deutlichkeit eine so ideale und dabei eigenständige Rollenausfüllung versprochen hätten, dass klar ist: Im Reich der Angela Merkel ist dergleichen unvorstellbar.“

Die Auseinandersetzung um die Nachfolge von Horst Köhler könnte für die Bundesregierung zur Zerreißprobe werden und groteske Züge trägt sie ohnehin. SPD und Grünen ist mit der Nominierung von Joachim Gauck ein Coup gelungen, an dem die Union und in noch stärkerem Maße die FDP zu beißen hat. Weiß man doch, dass Merkel große Stücke auf Gauck hält und man höre und staune, sogar die CSU bereits vor über zehn Jahren versucht hat, Gauck für eine Kandidatur gegen Johannnes Rau zu gewinnen. Unter anderen Vorzeichen hätten die Konservativen Gauck also für einen prima Kandidaten gehalten. Umstände, die nebenbei belegen, wie absurd deutsche Parteipolitik in Wirklichkeit ist.

Die angeschlagene Regierung Merkel/Westerwelle möchte derzeit allerdings jemanden aus der aktuellen Politik, auf den Verlass ist und der im Zweifel die Bundesregierung stützen soll. Einen Ja-Sager und Abnicker also. Sein Name: Christian Wulff.

Aber ihm steht plötzlich der charismatische Joachim Gauck gegenüber, DDR-Bürgerrechtler und ehemals Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen (vulgo: Gauck-Behörde). Und sofort setzt auch in Union und FDP die Diskussion ein, denn es gibt dort nicht wenige, die den streitbaren Demokraten Gauck für die bessere Wahl halten. Und vielleicht brauchen wir ja gerade jetzt einen wie Gauck in diesem Amt.

Möglicherweise wird diese Groteske auch durch die Linke vollendet, die sich in ihrer wenig überraschenden Ablehnung von Gauck als das outet, was sie in Wirklichkeit ist, nämlich eine im schlechten Sinne konservative Partei.

posted by Stadler at 23:21  

9 Comments

  1. „was sie in Wirklichkeit ist, nämlich eine im schlechten Sinne konservative Partei.“

    Ich denke die Formulierung „konservativ“ bei den Linken ist missverständlich, da fast jeder unter diesem Begriff was anderes versteht. Vielleicht konkretisierst du noch, was du genau damit meinst. Für mich persönlich ist das Ablehnen von Bürgerrechten (insbesondere Freiheitsrechten) nämlich z.B. auch nicht konservativ.

    Comment by Otto — 5.06, 2010 @ 23:27

  2. Nein, die Formulierung ist nicht missverständlich, wenn man der These von Ulrich Beck von den den zwei Konservatismen folgt und diese unausstehliche „Linkspartei“ als einen „Konservatismus“ anderer Art versteht. Verfolgt man deren Strategien als einen auf einen kollektivistisch verstandenen Sozialismus (Verstaatlichung der Insdustrie) bezogenen Konservatismus, der fast wahnhafte Züge trägt, zeigt dies durchaus umgekehrt konservative Züge. Man sollte dabei nicht übersehen, dass der neokommunistische Ansatz, letztlich jede Idee von Freiheitsrechten negieren muss, weil der Staat und nicht Selbstorganisation der Bürger die zentrale Regulationsstruktur dieser Partei bildet. Wie Basso einmal feststellte, berühren sich „Links“ und „Rechts“ an den Enden. Nebenbei bemerkt, gibt es auch konservative Bürgerrechtler. Dieses ganze „Links – Rechts – Schema“ hat sich längst überholt und schadet Europa. Gauck ist diesem Schema nicht verfangen und daher bin ich für ihn.

    Comment by Rafael — 6.06, 2010 @ 02:35

  3. Es wäre in der Tat überfällig, das auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung von 1789 zurückgehende Links-Rechts-Schema über Bord der politischen Diskussion zu werfen!

    Comment by Markus Felber — 6.06, 2010 @ 07:27

  4. Hallo Markus,
    ich dachte eigentlich, dass das Links-Rechts-Schema (auch) auf die Sitzordnung im britischen Unterhaus zurückgeht. Und dieses Parlament ist das beste Beispiel dafür, dass es sich überholt hat.

    Comment by Stadler — 6.06, 2010 @ 08:14

  5. Die Linkspartei hat aber auch klar gesagt, dass die Ablehnung von Gauck weniger in der Person als viel mehr in der Art wie er von SPD und Grünen präsentiert wurde, begründet ist. Die Partei hätte sich anscheinend eine Beteiligung gewünscht. Bleibt aber die Frage, ob Sie am Ende nicht doch noch im letzten Wahlgang diesen Kandidaten unterstützen werden. Und spätestens da wird es interessant, jetzt, wo Teilen der FDP ein interessanter Interessenkonflikt bevorsteht.

    Comment by Christoph — 6.06, 2010 @ 11:54

  6. Die Linke hat mit ihrer Ablehnung von H. Gauck eine grosse Chance vertan, in den Augen der Öffentlichkeit mit ihrer Vergangenheit zu brechen. Natürlich dürfte einem Gutteil der Mitglieder dieser Name nicht vermittelbar sein. Deswegen auch die ziemlich lahme Ausrede.
    Schade. Chance verpasst.

    Comment by GustavMahler — 6.06, 2010 @ 12:03

  7. @Thomas Stadler
    Wir lernten das in der Schule so, und weiter wurde uns gesagt, dass diese Sitzordnung im deutschen Paulskirchenparlament von 1848 übernommen worden sei. Von England sprach niemand. Also einmal mehr: Nie zu spät, etwas Neues zu lernen!

    Comment by Markus Felber — 8.06, 2010 @ 09:05

  8. @Alle
    Vielleicht lest Ihr einfach mal ein bißchen was über Hr. Gauck, bevor ihr die Haltung der Linkspartei so pauschal bewertet. Z.B. für welche Stiftung er arbeitet und welche Ziele diese hat.
    Eine gute Zusammenfassung hierzu gibts hier:
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=5806#h02

    Eine bessere Wahl als Wulff ist er in jedem Fall, aber das ist auch nicht schwer.

    Comment by Jan Muskewitz — 9.06, 2010 @ 07:50

  9. Einen der sich des Nachdenkens schuldig machte, braucht schwarz/gelb nicht. Gott bewahre! Einen Bürgerrechtler! Vielleicht einen, der die Beendigung der richterlichen Unabhängigkeit unterschreiben würde?? Hätte der dann auch in BY was zu sagen? Na dann täumen Sie weiter……….

    Meine Stimme hätte er.

    Comment by Helmut Karsten — 9.06, 2010 @ 08:12

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