Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

15.6.10

Ernüchternd: Die Berliner Rede zum Urheberrecht

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat gestern die angekündigte Berliner Rede zum Urheberrecht gehalten, die beim BMJ im Wortlaut hinterlegt ist.

Die Rede kann inhaltlich nicht überzeugen, ist in Teilen bedenklich und macht deutlich, dass einige Dinge im Ministerium nicht verstanden worden sind.

Wieder einmal wird der Schutz des Urhebers beschworen, um den es in der ganzen Debatte freilich allenfalls noch am Rande geht. Das Urheberrecht ist de facto längst ein gewerbliches Schutzrecht. Anstatt dies anzuerkennen, wie es das insoweit zumindest ehrlichere anglo-amerikanische Recht tut, wird von der Justizministerin weiterhin der Eindruck erweckt, es ginge in erster Linie um den Schutz der Kreativen.

Es finden sich in der Rede eine ganze Reihe von Aussagen, die aus grundsätzlichen Erwägungen Kritik verdienen.

Weshalb die Schwarmintelligenz ein in der Wissensgesellschaft verfehltes, gar gefährliches Konzept darstellen sollte, wird nur behauptet aber nicht begründet. Der Erfolg vieler Open Source Projekte belegt das Gegenteil allerdings ohnehin eindrucksvoll. Wieso anschließend Open Source und Creative Commons gleichgestellt werden, bleibt unklar. Selbst im Softwarebereich ist diese Gleichsetzung nicht gerechtfertigt. Denn unter dem Sammelbegriff Creative Commons werden eine Vielzahl von mehr oder weniger großzügigen Rechtseinräumungen zusammengefasst, die mit einer Offenlegung des Quellcodes und dem Recht, Software weiterzuentwickeln, grundsätzlich nichts zu tun haben.

Richtiggehend übel wird es aber dann, wenn die Ministerin “Open Culture” als Irrtum bezeichnet. Damit stellt sie letztlich – und das ist ihr, die sie diese Rede vermutlich nicht selbst geschrieben hat, vielleicht auch gar nicht bewusst – liberale Grundwerte in Frage.

Was bedeutet Open Culture und wofür steht der Begriff? Laut Wikipedia u.a. für freies Publizieren in Blogs, für die Forderung nach Open Access im Wissenschaftsbereich und für die Open-Source-Bewegung im Softwarebereich. Wer das als Irrtum betrachtet, stellt damit auch die freie Entscheidung der Urheber und Kreativen in Frage, die Nutzung ihres Werks durch die Allgemeinheit zu gestatten. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, dass es dem BMJ keinesfalls um die Interessen und Anliegen der Urheber geht. Andernfalls könnte man deren selbstbestimmte Entscheidung für ein alternatives Urheberrechtsmodell kaum als Irrtum betrachten.

An dieser Stelle stoßen offenbar unterschiedliche Freiheitsbegriffe aufeinander. Der marktliberale Ansatz der FDP erweist sich als Gegenpol zu der freien Entscheidung von Urhebern, gezielt auf Teilhabe zu setzen. Es geht dabei um nicht weniger als den Konflikt zwischen dem Allgemeinwohl und den wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber.

Zum Abschluss redet die Ministerin noch dem Leistungsschutzrecht für Verlage das Wort, einem durch und durch illiberalen Ansatz, der im Kern eine Umverteilung zugunsten der Verleger vorsieht, die nicht der Marktentwicklung entspricht.

Weshalb gerade mit protektionistischen Mitteln, die nur die Interessen starker, altüberkommener Lobbys stützen, ein Fortschritt des Urheberrechts erreicht werden soll, wird das Geheimnis von Frau Leutheusser-Schnarrenberger bleiben.

Update: Bei IUWIS gibt es einen Überblick über die Reaktionen zu der Rede

posted by Stadler at 11:26  

11 Comments

  1. Der Ausspruch „Wess‘ Brot ich ess, dess‘ Lied ich sing'“ bekommt hier einen ganz besonders faden Beigeschmack auch wenn sich Rechtsanwälte allgemein daran halten. Aber hier wird (erneut) erkennbar, daß so mancher im Ministerium doch zu sehr fern gesteuert wird. Fehlt nur noch, daß man Open Source verbieten will.
    Daß es jedem selbst überlassen bleiben sollte, wie er sein Werk der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, wird wohl z.T. vergessen.
    Was aber m.E. auch übersehen wird ist, daß es oftmals die Knebelverträge (totaler Ausverkauf der Rechte) sind, die den Künstlern und Werkschaffenden aufgedrängt werden. So kann nämlich auch Kreativität abgewürgt werden.

    MfkG

    Comment by anwalt-in-mol.de — 15.06, 2010 @ 14:25

  2. Nichts liegt mir im Grunde genommen ferner, als eine FDP-Ministerin zu verteidigen. Das will ich auch nicht tun. Aber Fakt ist auch: Wer selbst einmal die Erfahrung gemacht hat, wie leichtfertig inzwischen eigentlich per Copyright geschützte Texte vermittels der allseits beliebten copy-and-paste-Methode ohne Nennung etwa der Seite, von der sie stammen und auch ohne Zustimmung des Autors auf irgendwelchen anderen Blogs landen, der wird zumindest nachdenklich. Da gibt es offenkundig massenhaft Leute, die sich da bedienen und dann auch über die Werbung Geld verdienen. Wie unschön muß das sein, wenn etwa ein frei schaffender Journalist, der ich zum Glück nicht bin, feststellen muss, dass ein Geschichte sonstwo landet.
    Es geht für mich im Gegensatz dazu gar nicht primär darum, ob geistiges Eigentum honoriert wird, sondern wie Einflußmöglichkeiten etabliert werden können, wo und von wem Texte einfach geklaut werden können. Und an dieser Stelle verstehe ich auch die Einlassungen eines Autors wie Wickert recht gut, auch wenn das natürlich so gar nicht dem Mainstream entspricht.

    Comment by Uwe-Jürgen Ness — 15.06, 2010 @ 14:32

  3. Gut, das war zu erwarten; daß es von SLS kommt, hinterläßt mehr als einen bitteren Beigeschmack. Beim Lesen hatt ich die Frage im Hinterkopf, weshalb unter den vielen Angestellten im Riesenapparat des Ministeriums nicht Einer sein kann, der a. die Sachverhalte unterscheiden, und b. eine vernünftige Rede dazu schreiben kann. Es ist zum …

    Comment by vera — 15.06, 2010 @ 14:33

  4. Hah, „Open Culture“, dass ich nicht lache! Kultur ist IMMER frei verfügbar, das zu wissen muss man kein Kulturwissenschaftler sein;

    Was in diese gesamten Debatte (auch was das Stichwort „Kulturflatrate“ anbelangt) unter „Kultur“ verstanden wird, sind einfach nur Medienprodukte – nicht aber Kultur!

    Ach, was red ich mir den Mund fusslig, ausführliche Begründungen, warum der Terminus „Kultur“ hier völlig fehl am Platze ist, gibts hier:
    http://naturgetr.eu/230/kulturflatrate-oder-angebliche-kultur-als-konsumobjekt/
    und hier
    http://naturgetr.eu/271/neues-vom-missverstandnis-kulturflatrate/

    Klar, man kann das natürlich auch als blödsinnige Begriffsklauberei abtun, übersieht und leugnet damit aber die inhaltlich schwerwiegenden Konsequenzen einer falschen begrifflichen Diskussionsgrundlage.

    Comment by xiemeon — 15.06, 2010 @ 15:13

  5. Sie versteht scheinbar den Unterschied zwischen Wikipedia und Googlebooks nicht … Oder wie soll man sonst den Passus über Schwarmintelligenz erklären? Scheinbar darf man als Urheber nicht einmal das Recht haben, etwas anonym herzustellen …

    Ziemlich enttäuschend, gerade für Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

    Comment by Xaerdys — 15.06, 2010 @ 16:53

  6. Danke für die Zensur/Löschung meines Kommentares;

    Ich wüsste zwar nicht, warum man den Kommentar löschen sollte (weder war ich beleidigend noch sonstwas), zumal es auch kein „me too“-Beitrag war sondern den Sachverhalt sinnvoll ergänzen sollte (nämlich dass „Open Culture“ nichts mit _Kultur_, auch nicht im weitesten Sinne, zu tun hat).

    Aber gut, jedem Tierchen sein Zensierchen.

    Comment by xiemeon — 15.06, 2010 @ 17:48

  7. Na gut, der Kommentar ist plötzlich wieder da. War er im Spamverdacht??

    Comment by xiemeon — 15.06, 2010 @ 17:49

  8. Hab das hier http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2474119_0_9223_-die-freiheit-des-internets-bewahren.html eben noch mal gelesen und jetzt echte Verständnisschwierigkeiten: Ist das dieselbe Person?

    Comment by vera — 15.06, 2010 @ 22:49

  9. Zypries -> L.-Schnarrenberger –> Vom Regen in die Traufe!

    Die haben leider allgemein einfach keine Ahnung, wovon sie eigentlich reden. Thomas Stadler hat ja bereits auf die Sache bzgl. „open source“ verwiesen.

    In dem Zusammenhang einfach noch ein, in meinen Augen, sehr „schönes“ Beispiel aus dem Jahre 2007 (youtube-clip), mit dem Titel:

    „Kinderreporter – Politiker im Internet“

    http://www.youtube.com/watch?v=C0Q41F6m1_E

    Für unseren aktuellen Vize-Kanzler, zum Beispiel, war ein Computer also „ein ganz einfaches Instrument, so wie ’n Hammer oder ’n Nagel“.
    Die Vorgängerin der L.-Schnarrenberger wusste noch nicht ‚mal was’n browser ist und die Kinder konnten noch nicht einmal alle Fragen überhaupt stellen, weil das Wissen so dermaßen dünn vorhanden war…

    Warum sollte das heute denn anders sein? Sind doch im Grunde (fast) die gleichen Köpfe in Berlin, nur auf anderen Positionen. Außerdem werden die seit Jahren von der Medienbranche eingelullt und mit Tränendrüsenattacken weichgeklopft.

    Kurzum: Leichtes Spiel für Lobbyisten!

    Armes Deutschland -> damit wird m.E. im Grunde nämlich genau das Gegenteil erreicht und Neu-Entwicklungen bleiben auf der Strecke… Es geht doch nur um Machterhaltung und Gewinnmaximierung. Der „Schutz des geistigen Eigentums“ ist doch nichts anderes als ein schlechter PR-Gag und Volks- sowie Politikerverarsche!

    In diesem Sinne, Baxter

    Comment by Baxter — 16.06, 2010 @ 01:36

  10. Nachtrag:

    Siehe, ebenfalls als Beisppiel, folgendes Dokument aus dem Jahre 2006 (geleakt bei eff.org):

    http://www.eff.org/files/filenode/effeurope/ifpi_filtering_memo.pdf

    Jahre, bevor Zensursula ihren Mist „an den Mann“ bringen wollte machte sich die IFPI bereits Gedanken zu Themen, wie „content filtering“, „protocol blocking“, „blocking access to infringing online locations“.

    Wenn man in dem Zusammenhang heute an Themen, wie „3 strikes“, „white listings“, „Stopp-Schilder“ u.s.w. denkt, dann könnte man fast zum Schelm werden, der böses dabei denkt… nicht wahr!?

    P.S.: Die Organisation „EFF“ (Electronic Frontier Foundation) ist eine US-amerikanische Organisation, die sich für Freiheitsrechte im Netz einsetzt)

    Comment by Baxter — 16.06, 2010 @ 01:44

  11. @xiemeon: Der Beitrag wurde nicht gelöscht, sondern von WordPress aufgrund der Voreinstellungen als freischaltpflichtig eingestuft.

    Comment by Stadler — 16.06, 2010 @ 10:47

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