Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

17.4.10

Zensur im Internet

So lautet der Titel der Dissertation von Ansgar Koreng, die den Untertitel „Der verfassungsrechtliche Schutz der digitalen Massenkommunikation“ trägt und kürzlich erschienen ist. Koreng nimmt sich damit des vielleicht wichtigsten Internetthemas aus juristischer Sicht an. Der Autor leitet seine Arbeit mit einem Zitat ein, das Voltaire zugeschriebenen wird -„I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it“ – und deutet damit sogleich an, worauf es ihm ankommt.

Koreng erläutert in seiner Einleitung, dass das Verfassungsrecht zwar strukturell konservativ ist, aber dennoch die Aufgabe zu erfüllen hat, sich auf tatsächliche Veränderungen und daraus resultierende Gefahren einzustellen, um seine Schutzfunktion behaupten zu können. Der Autor lässt von Anfang wenig Zweifel daran, dass er gewillt ist, Art. 5 GG vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung, die zu massiven medialen Veränderungen geführt hat und noch führen wird, progressiv zu interpretieren. Denn der Grundrechtsschutz erwiese sich als in zunehmendem Maße unzureichend, würde man die Verfassung konservativ interpretieren.

Diese Erkenntnis macht es erforderlich, altüberkommene Dogmatik zu überdenken und in Frage zu stellen. Und mit dieser mutigen Ambition geht Koreng ans Werk.

Im ersten Teil seiner Arbeit legt der Autor dar, dass die Unterscheidung zwischen Presse- oder Rundfunkfreiheit und Meinungsfreiheit mit Blick auf die Kommunikationsvorgänge im Internet vielfach nicht mehr sinnvoll zu treffen ist, weshalb er für eine Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG als einheitliches Mediengrundrecht plädiert.

Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bildet die Darstellung der Gefährdung der Äußerungsgrundrechte durch „privatisierte“ staatliche Eingriffe sowie privat veranlasste Eingriffe in die Meinungsfreiheit, bei denen der Staat, vor allen Dingen durch seine Gerichte, eine Beschränkung von Meinungsäußerungen bewirkt.

Koreng postuliert sodann für sein einheitliches Mediengrundrecht auch eine einheitliche Schrankenregelung und vor allen Dingen auch ein neues Verständnis des Begriffs der Zensur, die er als „Schranken-Schranke“ bezeichnet. Dem geht die Erkenntnis voraus, dass die derzeit hierzu vorherrschenden Ansichten den neuen Gegebenheiten der elektronischen Massenkommuniktation nicht ausreichend Rechnung tragen.

In Widerspruch zur bislang herrschenden Meinung, vertritt Koreng die Auffassung, dass sich Access-Provider als notwendige Vermittler der Kommunikation auch unmittelbar auf das Grundrecht des Art. 5 GG berufen können. Das wurde bislang u,a. deshalb in Abrede gestellt, weil man ansonsten Logistikunternehmen wie die Bahn, die z.B. Zeitungen transportieren, auch in den Schutzbereich aufnehmen müsste. Dabei wird allerdings übersehen, dass ein Pressevertrieb auch ohne die Bahn denkbar ist, aber das Internet nicht ohne die Provider, worauf Koreng zutreffend hinweist.  Die Provider sind „sine qua non“ für die Funktionsfähigkeit des Netzes.

Diese Schlussfolgerung könnte weitreichende Konsequenzen haben, z.B. im Hinblick auf das Zugangserschwerungsgesetz und die Einbindung von Zugangsprovidern in eine technische Struktur, die geeignet ist, eine zensurähnliche Wirkung zu entfalten. Access-Sperren sieht Koreng, soweit ausländische Inhalte betroffen sind, als völkerrechtlich problematisch an. Der Autor bezweifelt aber, zu Recht, auch deren Verhältnismäßigkeit.

Ansgar Koreng beschäftigt sich auch mit dem Grundsatz der Netzneutralität, in dem Sinne eines „Must-Carry“ Ansatzes. Die derzeit primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutierte Frage der Netzneutralität, weist nach Auffassung Korengs auch einen äußerungsrechtlichen Aspekt auf. Der Autor, der insoweit von einem „Meinungsmarkt“ spricht, vertritt hierzu die Ansicht, dass es eine Pflicht des Staates gebe, Netzneutralität zu garantieren, weil nur dadurch die vom Grundgesetz geforderte Pluralität sichergestellt werden kann.

Schließlich stellt Koreng auch die altüberkommene Unterscheidung zwischen Vor- und Nachzensur in Frage und fordert eine am Zensurbegriff orientierte Schrankendogmatik. Nichts Geringeres als eine Neudefinition des Zensurbegriffs ist dabei sein Anliegen. Ansgar Koreng hält die bislang enge Auslegung des Zensurbegriffs durch das BVerfG zwar für bedenklich, macht aber deutlich, dass es mit Blick auf die traditionellen Medien noch vertretbar war, nur die Präventivzensur als Zensur zu begreifen, weil es in der vordigitalen Zeit einen klaren Publikationszeitpunkt gegeben hat und damit auch eine klare begriffliche Trennung zwischen Vor- und Nachzensur möglich war. Dies trifft aber auf Veröffentlichungen im Netz nicht zu. Sobald sich diese, eigentlich banale Erkenntnis durchgesetzt hat, wird damit die zwingende Notwendigkeit verbunden sein, über eine Veränderung des Zensurbegriffs durch das Medium Internet nachzudenken. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der von einer Zensur ausgehende Lähmungseffekt entscheidend für die Schaffung des verfassungsrechtlichen Zensurverbots gewesen ist. Dass es im Netz häufig zu derartigen „chilling effects“ durch zensurähnlich wirkende Maßnahmen kommt, stellt Koreng in seiner Dissertation ausführlich dar.

Die Schlussfolgerung Korengs lautet, dass jedes gefahrenabwehrrechtliche Eingreifen des Staates gegen Äußerungsinhalte untersagt ist. Bei der „Privatzensur“, aufgrund zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche, sieht Koreng zwar eine Drittwirkung des Zensurverbots, allerdings nicht in einem absoluten Sinne, wie gegenüber dem Staat. Vielmehr soll das Zensurverbot hier nur ein Abwägungskriterium bei der richterlichen Entscheidung sein.

Die Arbeit von Ansgar Koreng ist nicht nur mutig, sondern auch juristisch überzeugend. Gleichwohl wird er mit Kritik und Ablehnung zu rechnen haben, weil er für eine deutliche Abkehr von althergebrachten Positionen eintritt. Es ist dennoch schwer vorstellbar, dass dieses Werk ignoriert werden kann.  Der Teil der juristischen Fachwelt, der sich mit dem Thema Meinungsfreiheit und Internet beschäftigt, wird künftig kaum daran vorbei kommen, sich mit der Arbeit Korengs auseinanderzusetzen.

posted by Stadler at 17:22  

12 Comments

  1. Auch das ist web 2.0: Juristische Rezensionen kurz nach Erscheinen des Werks, informativ und klug durchdacht – ohne den langen Weg durch Zeitschriftenredaktionen. Das weckt Interesse und eröffnet eine wichtige Diskussion. Ich hatte noch keine Gelegenheit zur Lektüre, äußere aber jetzt schon mal die Hoffnung, dass es auch in der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung künftig mehr solche Werke gibt; so manche Position gehört auf den Prüfstand. Später mehr.
    Vielen Dank an den Rezensenten.
    Dirk Heckmann

    Comment by Prof. Dr. Dirk Heckmann — 17.04, 2010 @ 17:56

  2. Ich bin zwar weder Jurist, noch habe ich eine Ahnung, aber ich habe schon lange das Gefühl daß massenhaft „zensiert“ wird – es wird nur nicht als Zensur verstanden. Was ist beispielsweise mit berechtigter, bzw. nicht widerlegter Kritik an Firmen? Da wird beim kleinsten Hauch von Kritik massiv auf die meist mittellosen, oder zumindest monetär schlechter gestellten Kritikern juristisch eingeschlagen. Das geht so weit, daß keine Kritik mehr im Netz zu finden ist. Ein typisches Beispiel ist aus meiner Sicht die Firma Nutzwerk. Diese sah sich vor einigen Jahren massiver Kritik an ihrem wohl weitgehend dilletantischen Produkt SaferSurf ausgesetzt. Daraufhin hat die Firma die Kritiker so of verklagt (und meist verloren) bis den Kritikern das Geld und wohl die Lust am Streiten vergangen war. Wer jetzt im Netz nach Kritik sucht, wird nichts mehr finden, weil eben alles gelöscht wurde.
    Solcherart „Zensur“ findet doch permanent statt.

    Comment by keineAhnung — 17.04, 2010 @ 22:44

  3. „Die nützlichsten Bücher werden zur Hälfte von den Lesern selbst gemacht.“ -auch Voltaire.

    Comment by grauetheorie — 18.04, 2010 @ 00:50

  4. Bei der “Privatzensur”, aufgrund zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche, sieht Koreng zwar eine Drittwirkung des Zensurverbots, allerdings nicht in einem absoluten Sinne, wie gegenüber dem Staat.

    Falls das in der Dissertation tatsächlich so steht, dann ist das irreführend bis falsch.

    Die Richter bei den Zivilgerichten entscheiden im Auftrag und mit der Macht des Staates. Sie entscheiden, was im öffentlichen d.h. staatlichen Interesse, und was nicht im öffentlichen d.h. nicht im staatlichen Interesse ist. Das ist Zensur pur, keine „Privatzensur“.

    Interessant ist auch die staatliche Verfolgung von tatsächlichen und angeblichen Beleidigungen im Internet. Das ist eindeutig staatlicher Eingriff durch einen Staatsanwalt. Was steht dazu in der Dissertation?

    Comment by Rolf Schälike — 18.04, 2010 @ 07:27

  5. Hallo Herr Schälike,
    wusste gar nicht, dass Sie hier lesen. Das steht sinngemäß so in der Dissertation.

    Wenn man den Zensurbegriff derart weit und absolut fasst, wie Sie es sich wünschen, stellt sich allerdings das Problem, dass es dann gar keinen Persönlichkeitsschutz mehr gäbe, weil ja eine Abwägung nicht stattfinden darf.

    Comment by admin — 18.04, 2010 @ 11:39

  6. Auf Ihre Site komme ich zufällig über JuraBlogs „Meldungen des Tages“, die ich jeden Tag erhalte und lese. Ansonsten habe ich Not, die vielen Blogs zu verfolgen.

    Bei der Zensur unterscheide ich, die private Zensur und die staatliche.

    Die Zensur über die Zivil- und Strafgerichte ist eine staatliche Zensur. Einer besonderen Behörde bedarf es nicht, um staatliche Zensur zu üben.

    In der DDR gab es z.B. im Unterschied zur Sowjetunion keine staatliche Zensurbehörde. Niemand wird deswegen erntshaft behaupten, in der DDR gab es keine staatliche Zensur.

    Das sieht Ansgar Koreng wohl genau so. Wozu dann die weiteren Unterschiede mit dem Kustobjekt „Schranke“?

    Entweder wir haben eine staatliche Zensur oder wir haben keine.

    Die Zensurverfahren müsses raus auf den Gerichten. Es gibt genug Gesetze, mit denen die Folgen von Verleumdung, Rufmord etc. geahndet werden können, ohne moralische und ethische Gesichtspunkte in die Waagschale zu werfen.

    Mimosen und Geschäftsleute dürften nicht die Meinungs- und Äußerungsfreiheit bestimmen. Das tun sie gegenwärtig. Geschäfttätigkeit und Menschenwürde werden bei der „Abwägung“ auf eine Waagschale geworfen. Es sind jedoch Kategorien, welche sich nicht gegeneinander abwägen lassen. Die Menschenwürde (GG Art. 1) ist nicht vermarkbar und nicht verwertbar.

    Alle Äußerungsprozesse über die staatliche Zensur in den Zivil- und Strafverfahen sind damit Unsinn.

    Comment by Rolf Schälike — 18.04, 2010 @ 13:33

  7. Genau so, Herr Schälike! Als Kölner wäre ich ja fast geneigt zu sagen: „Endlisch normaaale Leute“!

    Zensur ist nichts anderes als die Kontrolle von Informationen mit dem Ziel daß nur durch fragwürdige Interessensgruppen erwünschte Inhalte veröffentlicht und/oder getauscht werden!

    Dabei wird zudem der Quatsch vom „rechtsfreien Raum“ wiederholt, was die Angelegenheit natürlich nicht automatisch richtig macht aber dennoch dazu führt daß so ‚was unüberlegt nachgeplappert wird.

    In meinen Augen kommt also auch noch eine gehörige Portion Manipulation hinzu. Bestes Beispiel: Die „Raubkopierer“ (gibt es gar nicht), die laut Lobbyorganisationen „Verbrecher“ sind.

    Bereits im Jahre 2007 wurden Themen, wie „content blocking“, „protocol blocking“ sowie „blocking access to infringing online locations“ diskutiert.

    Siehe hier: http://www.eff.org/files/filenode/effeurope/ifpi_filtering_memo.pdf

    Damit schließt sich der Kreis dieses Beitrages zum Thema Zensur hinsichtlich Inhalte veröffentlichen und/oder tauschen.

    In diesem Sinne, Baxter
    ____________________________
    P.S., provokativ: Nehmen wir ‚mal an mir würde der Internetzugang gekappt werden, weil sich irgendwelche Individueen das selbst in Gesetze schreiben. Nehmen wir weiterhin an, ich würde VoIP nutzen (noch ganz klassisch gedacht, denn (irgendwann) in Zukunft gibt es sowieso keine „Festnetzanschlüsse“ mehr –> Stichwort: „mobile web“):
    Wie könnte ich dann im Notfall eigentlich den Notruf wählen?

    Comment by Baxter — 18.04, 2010 @ 19:29

  8. Voltaire! Was hat der Mann doch für schöne Zitate in seiner englischen Muttersprache zum Besten gegeben!

    Comment by Anonym — 19.04, 2010 @ 14:42

  9. Das Zitat stammt, wie man in der besagten Dissertation leicht nachlesen kann, auch nicht von Voltaire, sondern von Evelyn Beatrice Hall aka S. G. Tallentyre.

    Comment by code — 19.04, 2010 @ 16:40

  10. Das Zitat wird Voltaire von Evelyn Beatrice Hall – laut der Fußnote in der Diss. – aber zugeschrieben!

    Comment by admin — 19.04, 2010 @ 17:13

  11. Klar. Voltaire sprach Französisch. Hall schrieb aber auf Englisch. Daher ist der Kommentar von Anonym halt doch nicht so treffend ironisch.

    Comment by code — 19.04, 2010 @ 19:22

  12. Generell ist die tatsächliche Lektüre der Arbeit einem Orakeln über deren Wortlaut und Inhalte vorzuziehen.

    Comment by Peter Hense — 21.04, 2010 @ 08:33

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