Die Reaktion der deutschen Politik auf „Censilia“
Wenn man sich die Reaktionen deutscher Politiker auf das Vorhaben der EU-Kommissarin Malmström, Access-Blockaden im Internet zu etablieren, ansieht, sticht die Pressemitteilung des Justizminsters von Rheinland Pfalz hervor, in der es u.a. heißt:
Ein zentrales Anliegen muss es sein, sich dafür einzusetzen, dass in allen Staaten der Welt wirksame gesetzliche Regelungen der Strafbarkeit und der Strafverfolgung sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornographie umgesetzt werden“, betonte Justizminister Heinz Georg Bamberger anlässlich der gestrigen Ankündigung der EU-Kommissarin Cecilia Malmström, der zufolge die Mitgliedsstaaten zur Sperrung von Internetseiten verpflichtet werden sollen.
„Angesichts der weltweiten Vernetzung über das Internet haben die vorhandenen gesetzesfreien Räume auch unmittelbare Auswirkungen auf die Situation in Deutschland. Sie sind maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass trotz aller Bemühungen kinderpornographisches Material auch heute noch massenhaft – über das Internet auch von Deutschland aus – vorhanden ist. Das Löschen dieser Inhalte muss selbstverständlich Vorrang vor dem Sperren genießen, in den Fällen, wo dies möglich ist“, bekräftigte der Minister.
Es sei völlig inakzeptabel, dass es immer noch Staaten gibt, die keine oder nur völlig unzureichende Gesetze zur Strafbarkeit von Kinderpornographie hätten, so der Minister.
Diese Stellungnahme ist in ihrer Unrichtigkeit und Widersprüchlichkeit symptomatisch für den unwissenden Umgang der deutschen Politik mit dem Thema.
Welche gesetzesfreien Räume dafür verantwortlich sein sollen, dass weiterhin massenhaft kinderpornografisches Material über das Internet vorhanden ist, wäre zumindest erklärungsbedürftig gewesen.
In allen Staaten dieser Welt, die über eine relevante Internetinfrastruktur verfügen, ist Kinderpornografie strafbar und wird auch verfolgt. Insoweit ist es interessant, einen Blick auf die Länder zu werfen, in denen solche Inhalte überwiegend gehostet werden. Wer dabei den Ausführungen der Sperrgegener nicht vertraut, wird sich vielleicht durch die Aussagen des Bundeskriminalamtes überzeugen lassen. Das BKA nennt nach Häufigkeit geordnet:
USA: 1148
Deutschland: 199
Niederlande: 79
Kanada: 57
Russland: 27
Japan: 20
Korea: 19
Tschechien: 15
Großbritannien: 14
Diese Zahlen beziehen sich auf Access-Sperren in Dänemark zwischen Oktober 2008 und Januar 2009. Ein ähnliches Bild hat die Analyse der australischen Sperrlisten ergeben.
Die dänischen Zugangsprovider blockieren also massenhaft kinderpornografische Webseiten z.B. in Deutschland und den Niederlanden, obwohl man innerhalb der EU mithilfe der Behörden vor Ort bzw. mittels Abuse-Mails eine effektive Löschung binnen Stunden erreichen könnte. Und dieses absurde Modell soll nun in ganz Europa eingeführt werden.
Es ist in gewisser Weise zermürbend, dass man nach über einem Jahr intensiver Diskussion in Deutschland immer noch und immer wieder mit den immergleichen falschen Tatsachenbehauptungen und populistischen Parolen konfrontiert wird. Völlig zu Recht schreibt Sandra Mamitzsch bei CARTA, dass sich einige Beiträge zum Netzsperren-Vorschlag von Cecilia Malmström lesen, als ob es die “Zensursula”-Debatte nie gegeben hätte.
Wirklich interessant an den Zahlen ist doch, dass Deutschland weit vor dem ach so bösen Russland steht. Wieso wollen deutsche Politiker und das BKA ausgerechnet die leicht zugänglichen deutschen Seiten hinter Paravents verstecken statt sie komplett aus dem Verkehr zu ziehen?
Ganz abgesehen davon, dass offenbar die wenigsten Diskutanten sich darüber im Klaren sind, dass kinderpornografisches Material Nebenprodukt der eigentlichen Taten sind – des Missbrauchs, der Vergewaltigungen, der Quälerei.
Comment by Dierk — 30.03, 2010 @ 18:10
„…dass sich einige Beiträge zum Netzsperren-Vorschlag von Cecilia Malmström lesen, als ob es die “Zensursula”-Debatte nie gegeben hätte“
In einem gewissen Sinn hat es diese Debatte nie gegeben. Die Idee der Debatte, in der die „Öffentlichkeit“ Argumente austauscht und dadurch zu einem besserem Wissen gelangt, ist doch Illusion. Es gab zwar in Blogs und zuweilen auch in den Medien Diskussionen. Aber wieviele Menschen hat diese Diskussion wirklich erreicht?
Ich denke, es kommt mehr darauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Diese bestimmen die Weltsicht mit. Wer zu der Blogger-Blase gehört, hat sich auch intensiv mit der Sperrdiskussion beschäftigt. Wer mit Blogs nichts zu tun hat, kam um diese Diskussion herum. Nicht in jeder Lebenssphäre ist es bedeutsam und aufmerksamkeitsheischend, was Niggemeier,Vetter und Beckedahl so schreiben. Die Argumente gegen die Sperren sind offenbar sehr an ein bestimmtes Milieu gebunden.
Der Austausch über die Milieugrenzen hinweg ist eher rituell: Man trifft sich auf Anhörungen und an Runden Tischen. Aber diese Rituale verhindern einen echten Austausch. Man tut ja nur so, als würde man aufeinander zu gehen. Das geschieht aus politischem Kalkül, etwa, weil man die Sperrgegner nicht mehr ganz umgehen kann. Aber der Austausch wird nicht durch inhaltliches Interesse angetrieben. Und deswegen bleibt auch jede Seite bei der eigenen Meinung.
Comment by Internetausdrucker — 1.04, 2010 @ 10:41
Mir scheint auch, dass viele technikaversen Diskussionsteilnehmer dem Argument, Sperrungen seien notwendig, weil viele Seiten außerhalb des europaeischen Territoriums liegen, wenig entgegenzusetzen haben. Verstaendlich, wenn Medien nicht informieren.
@2 Nun, wenn sogar die Tagesschau Interviews mit Gegner ausstrahlt, dann denke ich, dass nur noch die Bild und die Welt Leser erreicht werden mussten.
Dass Problem ist einfach, dass es keine Lobby zu diesem Thema gibt, die sich gegen die Politik stellt, womit letztere ihre Position viel leichter verteidigen koennen.
Comment by Tom — 3.04, 2010 @ 14:46