Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

1.8.09

Spekulationen über die Verzögerung des Sperrgesetzes

Das Zugangserschwerungsgesetz ist nicht wie geplant am heutigen Tag in Kraft getreten, sondern wird sich wohl bis zum Oktober verzögern. Als Grund wurde die Notwendigkeit der Durchführung eines europarechtlichen Notifizierungsverfahrens genannt.

Diese Begründung klingt abenteuerlich, wenn man bedenkt, dass Bundesregierung und Bundestag sich bislang wenig um die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken die gegen das Gesetzesvorhaben vorgebracht worden sind, gekümmert haben, sondern das Gesetz im Eiltempo noch vor den Wahlen durch das Parlament gepeitscht haben. Soll also jetzt tatsächlich ein bloßes Stellungnahmeverfahren, das eine EU-Richtlinie vorsieht, ein Hindernis darstellen?

Weil das in der Tat unwahrscheinlich klingt, werden Stimmen laut, die andere Ursachen vermuten und unterstellen, das BKA hätte es bislang nicht geschafft, eine ausreichende Sperrliste zur Verfügung zu stellen, weil man schlicht feststellen musste, dass es (außerhalb der EU) gar nicht genug Websites mit eindeutig kinderpornografischem Content gibt, die zu sperren wären. Nachdem in der öffentlichen Diskussion stets von einer vierstelligen Anzahl von Websites die Rede war, die in die Sperrliste aufgenommen werde sollen, wäre es wohl schwer darstellbar, wenn sich nun herausstellen würde, dass es vielleicht nur ein paar Dutzend sind.

Das BKA wird es sich angesichts des massiven Widerstands im Vorfeld sicherlich nicht erlauben können, wie in anderen Staaten geschehen, in großem Umfang Schwulen-Sites oder „normale“ Pornografie auf die Sperrlisten zu setzen. Denn dies würde die Argumente der Kritiker sogleich bestätigen und die öffentliche Diskussion über die Fragwürdigkeit der gesetzlichen Regelung neu entfachen.

posted by Stadler at 14:45  

13 Comments

  1. Angesichts der Verfassungswidrigkeit des ersten Entwurfs sollte man auch in Betracht ziehen, dass überhaupt nie beabsichtigt war, das Gesetz in dieser Legislaturperiode oder überhaupt jemals über die Bühne zu bringen.

    Vielleicht steckt dahinter auch eine sehr komplizierte und wohlüberlegte Wahlkampf-Strategie:

    Den Gegnern des Gesetzes wird jetzt vieldeutig der Wind aus den Segeln genommen. Andererseits hat man auch die bedient, die meinen, man müsste auf diese Weise etwas für den Kinder- und Persönlichkeitsschutz tun.

    Das Ganze ist alles sehr merkwürdig über die Bühne gegangen, gerade auch wenn man bedenkt, dass Guttenberg einen offensichtlich und völlig unbestritten verfassungswidrigen Erstentwurf vorgelegt hat. Und der Mann ist bekanntermaßen promovierter Verfassungsrechtler!

    lcBifi / netmob (Rechtsassessor)

    Comment by lcBifi — 1.08, 2009 @ 14:54

  2. So wie ich das sehe ist Frau von der Leyen anfangs kurzsichtig an die Sache rangegangen. Dachte damit schnell nebenbei ein paar Punkte sammeln zu können…

    Und jetzt sind eben die zwei größten Parteieen Deutschlands gezwungen offensiv zu tricksen und zu lügen wo es nur geht damit das nicht zu schlimm auffliegt.

    Klappt bis jetzt wegen demografischer Pyramide noch viel zu gut.

    Zypries Versuch das Präventions- in ein Repressionsgesetz umzuwandeln sehe auch ich als gescheiterten Sabotageakt.

    Comment by Anonymous — 1.08, 2009 @ 15:53

  3. Nunja, was Hadmut Danisch da vermutet, entbehrt nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Letztes Endes jedoch ist er das, was man gemeinhein einen Spinner nennt, der gern Dinge behauptet, die frei erfunden sind. Hier hat er aber vielleicht mal ganz gut geraten.

    Fragt sich eigentlich übrigens mal jemand, wen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für das Gremium berufen wird, das er nun zu bilden hat? Man darf gespannt sein, wer sich für dieses offensichtlich auf vielen Ebenen verfassungswidrige Gesetz einspannen lassen wird.

    Comment by Anonymous — 1.08, 2009 @ 16:38

  4. Falls sich das BKA an das Gesetz halten sollte und nur Seiten mit Kinderpornografie nach §184b StGB in die Liste aufnimmt, dürften auch kaum mehr als ein paar Dutzend Einträge übrig bleiben. Wie wir eigentlich alle wissen, wird solche Kinderpornografie kaum über WWW vertrieben. Sofern die diversen ausländischen Listen überhaupt auf – nach dortigem Recht – strafwürdige Pornografie verweisen, dürfte es sich meist um Jugendpornografie nach §184c StGB handeln.

    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Aussage von Frank Federau vom LKA Hannover, der kürzlich in einem Interview für ZDF Aspekte andeutete, dass er von diesem Sperrgesetz nichts hält und sich lieber mehr Mittel zur tatsächlichen Bekämpfung von Kinderpornografie gewünscht hätte.

    Die Schlampigkeit, mit der dieses Gesetz realisiert wurde, deutet eher darauf hin, dass es eigentlich noch nie um Kinderpornografie ging, sondern um den Aufbau einer Sperrinfrastruktur. Dieser Aufbau ist bereits im Gange und wird erhebliche Summen kosten. Allein die investierten Summen werden dafür sorgen, dass diese Sperrinfrastruktur auch verwendet werden wird, mit oder ohne Gesetz. Für eine der wesentlichen Interessengruppen, der Rechteverwerterindustrie, spielt es auch keine besondere Rolle, dass diese Sperren nicht wasserdicht sind. Der gewünschte Effekt ist hier bereits dann erreicht, wenn "illegale" Downloads wesentlich eingeschränkt werden.

    Comment by Anonymous — 1.08, 2009 @ 22:09

  5. Ich lese ja genug von dem was bei Jurablogs gelistet wird, aber eine richtige Diskussion, ob der Bund überhaupt die Gesetzgebebungskompetenz für das Gesetz hat finde ich bisher nicht wirklich.
    Wie in Aspekte gesagt wurde ist nämlich der Eingriff in die Medien (das Internet ist ja auch ein Medium) laut Grundgesetz Ländersache, was bedeuten würde, dass das Gesetz garnicht verabschiedet werden kann, weil der Bund schlicht nicht zuständig ist.

    MfG LinFre

    Comment by Anonymous — 1.08, 2009 @ 23:30

  6. Sorry, aber diese Spekulation entbehrt jeder Logik. Das BKA publiziert die Zahl der gesperrten Seiten nicht und eine Verzögerung würde daran nichts ändern.

    Comment by Torsten — 2.08, 2009 @ 09:09

  7. Wer nicht glaubt, dass meine Befürchtungen von Anfang an richtig waren, der lese heute im Springer-Abendblatt das Neueste unserer Zensursula:

    http://www.abendblatt.de/politik/article1120772/Kampf-gegen-Schmutz-im-Internet-wird-verschaerft.html

    Ich persönlich schrecke nun vor keiner gewaltlosen Aktion mehr zurück. Wer noch weiter gehen mag, wird sich meine Missbilligung gewiss nicht zuziehen.

    Comment by lcBifi — 2.08, 2009 @ 09:30

  8. @Anonymus da oben: Zur Gesetzgebungskompetenz können sie sich z. B. hier informieren:

    http://www.bundestag.de/ausschuesse/a09/anhoerungen/Archiv/22_Anhoerung/Stellungnahmen/16_9_1554.pdf

    Die Expertenanhörung war in den gängigen jurablogs auch verlinkt.

    Comment by Henning Ernst Müller — 2.08, 2009 @ 12:21

  9. Danke für den Link.
    Ist mir garnicht aufgefallen das die Stellungnahme schon öfters verlinkt wurde.

    Wenn ich jetzt aber weiter denke, ist das auch ein guter Grund das Gesetz zu verzögern, da es aus dem Grund theoretisch sofort vom BVerfG als Verfassungswidrig gekippt werden kann.

    Das die Sperrliste zu klein ist halte ich als Grund für die Verzögerung auch für möglich, aber bei weitem nicht für so schwerwiegend, wie ein noch vor der Bundestagswahl gekipptes Gesetz.

    Comment by Karsten — 2.08, 2009 @ 13:23

  10. Vielleicht noch der Hinweis, dass auf den Aspekt der fehlenden formellen Verfassungsgemäßheit in diesem Blog und auch anderswo lange vor der Anhörung im Wirtschaftsausschuss hingewiesen worden ist:
    Kinderporno-Sperrgesetz nicht verfassungskonform

    Comment by Pavement — 2.08, 2009 @ 22:36

  11. Ja, wie jetzt? Für die Sperrliste haben wir zu wenig Einträge? Da sind doch diese Sperrgegner schuld, die sich einfach bei den Providern melden, und auf die Inhalte hinweisen! Und die Provider löschen das dann einfach. Eine Un-ver-schämt-heit, das, also wirklich.

    Comment by doppelfish — 3.08, 2009 @ 11:00

  12. Es sieht so aus als wenn die Internetgemeinde schon zurückgeschlagen hat. Da wurden einfach die Provider angeschrieben den Schund aus dem Netz zu nehmen. Das BKA muss damit rechnen das die Sperrliste veröffentlicht wird weil zu viele Admins Einblick bekommen. Ausländische Seitenbetreiber können im Minutentakt prüfen ob sie aufgeflogen sind und die URLs auf harmlose Seiten umleiten. Sie müssen ja damit rechnen das ihre Polizei informiert wird. Und dann ist das Geschrei noch größer weil harmlose Seiten gesperrt werden.
    Ja, jeder Täter kann auf deutschen DNS Servern nach schauen ob er aufgeflogen ist, wenn die Sperre in kraft ist. Es soll niemand Glauben das geht nicht.
    Nicht nur die Gesetzgebung ist wie aus dem Tollhaus auch was danach kommt ist wie im Tollhaus.
    Ich glaube das BKA findet kein 5 Seiten und ist die Sperre in kraft sind sie am gleichen Tag harmlos. Ich höre das Geschrei der Internetgemeinde jetzt schon.
    Auf der wichtigsten Pressekonferenz wurde wohl ein Video von einem Fall von 1994 gezeigt. Dann muss das wohl zurück ins Internet ja wenn es überhaupt von dort kommt.
    Und die vielen tausende Klicks wo die wohl herkommen sollen und die Millionen Umsätze.
    Da kommt doch die Verzögerung gerade richtig.
    Übrigens es gibt schon DNS Server auf Port 110, das ist der wo eigentlich Mails geholt werden und es gibt welche auf Port 1053 wo verschlüsselt abgefragt wird. Also Geheim wird da nichts ablaufen.

    Comment by Bruno — 5.08, 2009 @ 01:11

  13. Und bei aller Spekulation bitte nicht die ueberhastigen Deutschen Internet-Zensurprovider vergessen,
    die voellig uebereilt die illegalen Verträge mit dem BKA unterzeichnet haben…!

    http://www.zensurprovider.de

    Die Kunden dieser Provider sollten so schnell wie moeglich deren Anschluesse kuendigen!

    Comment by Anonymous — 31.08, 2009 @ 22:45

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