Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

11.8.09

BVerfG: Haftung für Pressespiegel

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2009 interessante Ausführungen zur Frage einer Verantwortlichkeit für die Verbreitung fremder Inhalte mittels einer Presseschau gemacht, die m.E. gerade auch für Blogger hochinteressant sein dürften.

Das Gericht führt u.a. folgendes aus:

Die Behauptung einer Tatsache ist streng genommen zwar keine Meinungsäußerung, fällt aber gleichwohl in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, weil und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist.

Die Wiedergabe andernorts zuvor veröffentlichter Berichte im Rahmen einer Presseschau bzw. eines Pressespiegels ist daher selbst dann von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn die fremde Äußerung weder kommentiert noch in anderer Weise in eine eigene Stellungnahmen eingebettet, sondern schlicht um ihrer selbst willen referiert wird.

Die Meinungsfreiheit genießt keinen vorbehaltlosen Schutz. Sie findet ihre Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und dem Recht der persönlichen Ehre.

Anwendung und Auslegung dieser Vorschriften sind Sache der Zivilgerichte. Werden im Zuge der Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Normen des Zivilrechts jedoch grundrechtlich geschützte Positionen berührt, müssen die Zivilgerichte die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen und ihrer Bedeutung und Tragweite Rechnung tragen, damit der wertsetzende Gehalt der Grundrechte auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Dies verlangt bei Anwendung der die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden zivilrechtlichen Normen regelmäßig eine Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung andererseits, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles vorzunehmen ist.

Oft ist die Wahrheit einer Tatsache im Zeitpunkt ihrer Äußerung aber ungewiss und stellt sich erst später heraus. Würde auch die erst nachträglich als unwahr erkannte Äußerung uneingeschränkt mit Sanktionen belegt werden können, stünde zu befürchten, dass der Kommunikationsprozess litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden dürften. Damit wäre ein vom Grundrechtsgebrauch abschreckender Effekt verbunden, der bereits aus Gründen der Meinungsfreiheit vermieden werden muss. Auch könnte die Presse ihre Informations- und Kontrollfunktion nicht ausreichend erfüllen, wenn ihr jede Berichterstattung über noch nicht hinreichend geklärte Sachverhalte untersagt wäre. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte stellt einen Ausgleich dieser widerstreitenden Belange regelmäßig dadurch her, dass sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt auferlegt, die sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten.

Daraus folgt indes nicht, dass der Presse solche Sorgfaltspflichten uneingeschränkt abverlangt werden dürfen. Vielmehr sind die Fachgerichte gehalten, auch bei der Bemessung der Sorgfaltspflichten, die der Presse bei Verbreitung einer fremden Äußerung abzuverlangen sind, die Wahrheitspflicht nicht zu überspannen, um den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten freien Kommunikationsprozess nicht einzuschnüren.

Erlegte man der Presse in diesen Fällen eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung auf, führte dies dazu, dass die Tatsachenbehauptungen, die in dem wiedergegebenen Auszug enthalten sind, von dem Verfasser der Presseschau auf ihren Wahrheitsgehalt hin wie eigene Beiträge zu überprüfen sind. Eine solche Recherchepflicht wirkt jedenfalls dann maßgeblich auf den Kommunikationsprozess ein, wenn die Fachgerichte zugleich hohe Anforderungen an eine haftungsbefreiende Distanzierung der Presse stellen. (…)Bereits aus der äußeren Form einer Presseschau, wie sie hier in Rede steht, die in einer eigenständigen Rubrik publiziert wird und sich unter exakter Quellenangabe sowie Verzicht auf sprachliche Eleganz auf knappe Auszüge fremder Berichte beschränkt, ergibt sich aus Sicht des unvoreingenommenen Lesers, dass an dieser Stelle ein Fremdbericht in stark verkürzter Form wiedergegeben wird, dem keine eigenen Recherchen des Verbreiters zu Grunde liegen. Es ist zumindest zweifelhaft, ob angesichts dessen von der Presse in jedem Fall eine weitergehende Distanzierung zu verlangen ist, um eine Haftung als Verbreiter für die in einer solchen Presseschau wiedergegebenen Fremdberichte vermeiden zu können.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht vielmehr einiges dafür, auch im Fall der Veröffentlichung eines Fremdberichtes – ähnlich wie bei der Veröffentlichung von Leserbriefen – die Recherchepflicht des Verbreiters einzuschränken beziehungsweise die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht im Regelfall als hinreichende Distanzierung ausreichen zu lassen.

BVerfG, 1 BvR 134/03 vom 25.6.2009

posted by Stadler at 10:00  

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