Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.7.09

Sind Netzsperren Zensur?

„Keine Zensur“ lautete der Titel eines Kommentars von Zeit-Autor Heinrich Wefing – immerhin promovierter Jurist – unlängst. Der Widerspruch kommt heute vom Informatiker Hendrik Schneider und erscheint ebenfalls in der Zeit.

Die Frage, ob im Zusammenhang mit dem bereits verabschiedeten Zugangserschwerungsgesetz von einer Zensur gesprochen werden kann, weist verschiedene Facetten auf, die weder Wefing noch Schneider beleuchten.

Die eine Frage ist in der Tat, ob der Umstand, dass Websites, die vom BKA als kinderpornografisch eingestuft werden, auf eine Sperrliste gesetzt werden und damit die Weiterverbreitung des Contents verhindert wird, als Zensur aufgefasst werden kann. Die weitere Frage ist allerdings die, ob diese Sperrregelung eine allgemeine Infrastruktur schafft, die es dem Staat ermöglicht, ohne ausreichende Kontrolle, beliebige „unerwünschte Inhalte“ auszufiltern.

Das Bundesverfassungsgericht geht von einem formellen und engen Zensurbegriff aus und sieht vom Verbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG nur die sog. Vor- bzw. Präventivzensur als erfasst an. Zensur ist danach eine Maßnahme, vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung des Inhalts. Sonach ist Zensur das generelle Verbot, behördlich ungeprüfte Geistesinhalte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verbunden mit dem Gebot, sich zuvor an die zuständige Behörde zu wenden, die die Inhalte prüft und je nach dem Ergebnis der Prüfung die Veröffentlichung erlaubt oder verbietet.

Diese Definition von Zensur entstammt einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972. Ob speziell die Unterscheidung von Vor- und Nachzensur im Internetzeitalter noch haltbar ist, darf bezweifelt werden. Denn die Differenzierung des Gerichts basiert auf der traditionellen Vorstellung, dass ein Druckwerk einmal ausgeliefert oder eine Rundfunksendung ausgestrahlt wird, womit alle nachfolgenden Maßnahmen nicht mehr als Zensur im juristischen Sinne verstanden werden können. Das mag 1972 auch zutreffend gewesen sein. Im World Wide Web werden Inhalte aber nicht einmal ausgeliefert und ausgestrahlt, sondern sind vielmehr dauerhaft online, weshalb sich die Frage stellt, ob die Verhinderung der künftigen „Ausstrahlung“ von Websites nicht doch Vorzensur sein kann.

Würde man also annehmen, dass alle Websites zu irgendeinem Zeitpunkt einen staatlichen Filter durchlaufen und eine Behörde dann prüft, ob die Verbreitung verboten oder erlaubt wird, dann könnte man das durchaus als Zensur betrachten.

Eine solche Regelung enthält das Zugangserschwerungsgesetz natürlich nicht. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob das Gesetz nicht Präventivmaßnahmen vorsieht, die faktisch wie eine Zensur wirken oder wirken können.

Im konkreten Fall wird durch das Zugangserschwerungsgesetz bei den Providern eine technische Infrasktruktur etabliert, die dazu führt, dass Websites, die vom BKA auf eine geheim zu haltende Sperrliste gesetzt werden, von den Providern blockiert werden und der Nutzer auf eine sog. Stopp-Seite umgeleitet wird. Was das BKA auf diese Sperrliste setzt, soll und darf die Öffentlichkeit nicht erfahren.

Das BKA prüft und kontrolliert also zunächst beliebige Internetinhalte und entscheidet anschließend, ob die Weiterverbreitung dieser Inhalte stattfinden kann oder nicht.

Das ist vermutlich noch keine Zensur im engen Sinne. Die Schaffung einer solchen Blockade-Infrastruktur versetzt das BKA allerdings in die Position, kurzfristig jede Website sperren zu können und schafft die technische Möglichkeit, beliebige Anfragen von Bürgern nach Information aufgrund einer staatlich kontrollierten Sperrliste zuzulassen oder zu blockieren.

Dass das Zugangserschwerungsgesetz dies in dieser Form nicht vorsieht, ist klar. Dennoch werden dem BKA technische Möglichkeiten eröffnet, die zu zensurähnlichen Effekten führen können.

Man macht es sich also sehr leicht, wenn man wie Heinrich Wefing unter Hinweis auf eine 40 Jahre alte Rechtsprechung behauptet, dass das alles mit Zensur nichts zu tun hätte. Andererseits ist der Begriff der Zensur in der Netzgemeinde mittlerweile zu einer Art Kampfbegriff geworden, den man vorschnell für jede Art von staatlichem Eingriff bemüht.

Das verstellt häufig – und Wefing ist das beste Beispiel dafür – den Blick darauf, dass die Sperrgegner alle Sachargumente auf ihrer Seite haben, während die führenden Sperrbefürworter ihr Vorhaben häufig nur durch die Verfälschung von Fakten noch rechtfertigen können. Die Zensurdiskussion lenkt nur von dem eigentlich (juristisch) relevanten Aspekt ab, nämlich dem Umstand, dass das Gesetz formell und materiell verfassungswidrig ist. Und das sollte einen promovierten Juristen wie Herrn Wefing, der schließlich nicht für irgendein Käseblatt schreibt, schon interessieren. Tut es aber offenbar nicht.

posted by Stadler at 12:28  

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