Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

4.7.09

Ist das Urteil des BVerfG zum Vertrag von Lissabon tatsächlich so bahnbrechend?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon wird in der Presse unisono als wegweisend, bahnbrechend oder gar als europäische Sternstunde gefeiert. Dazu muss man nur die Kommentare von Prantl in der SZ oder Wefing in der Zeit lesen.
Die begeisterten Kommentatoren ignorieren allerdings, dass der Tenor nicht hält, was die Urteilsbegründung verspricht.

Die höchsten deutschen Richter heben das Demokratiedefizit der EU hervor und weisen darauf hin, dass Deutschland unter diesen Bedingungen seine Souveränität nicht preisgeben darf. Aber sogleich beschwichtigt das BVerfG, denn eine solche Preisgabe sei im Vertrag von Lissabon noch gar nicht enthalten. Die scheibchenweise Übertragung der Souveränität nach Brüssel kann damit weitergehen, unter Beibehaltung des bestehenden Demokratiedefizits. Es sind allerdings schon dermaßen viele Scheiben abgeschnitten worden, dass von einem annähernd vollständigen Verbleib der Souveränität in Deutschland gar keine Rede mehr sein kann. Praktisch alles, was wirtschaftlichen Bezug aufweist – und der EuGH neigt zu einer extensiven Auslegung – wird nicht mehr in Berlin entschieden.

Der große europäische Verfassungsentwurf, zu dem man in Deutschland das Volk befragen und dem EU-Parlament endlich die Stellung eines Gesetzgebers geben müsste, ist freilich auch in Zukunft nicht zu erwarten. Das Verfassungsgericht weiß dies und hat sich geschickt um die Sachentscheidung gedrückt, die aufgrund der eigenen Urteilsbegründung angezeigt gewesen wäre.

Die Entscheidung zementiert in Wirklichkeit nur den status quo. Aber Wefing hat in seinem Kommentar in der Zeit in einem Punkt Recht. Das Urteil ist auch ein Appell an die Abgeordneten des Bundestages endlich aufzuwachen. Anlass zu der Hoffnung, dass das auch passieren wird, besteht allerdings in den unterschiedlichsten Feldern der Politik nicht.

posted by Stadler at 18:23  

2 Comments

  1. Tja, das sind eben "Kommentartoren", keine Kommentatoren. ;-)

    Ich habe in der Urteilsbegründung aber auch ein paar aufmunternde Passagen gefunden (obwohl das BVerfG die Beschwerdebefugnis nach Art. 20 (4) GG verneinte), so z.B. die Absätze 216-218 und 250.

    Comment by Anonymous — 5.07, 2009 @ 05:33

  2. I agree that the status quo is maintained by the judgement. That is until the BVerfG comes into conflict with the ECJ on the interpretation of the national implementation of some item of EU legislation.

    This seems unlikely as the existing rules (which are strengthened under the Lisbon Treaty) in relation to "complementary" competences (where a difficulty in distinguishing EU from national competences is most likely to arise) rule out the harmonisation of legislation across the EU. No harmonisation, no possibility of conflict!

    The exception is the area of police and judicial cooperation. But this is an area on the "communitarisation" of which Germany was most insistent. (Not surprising given Germany's geographical location).

    As the judgement is based on a false assumption (that the EU can be regarded as a state in the making), the entire analysis underpinning the judgement is equally mistaken c.f. Joscha Fischer's broadside in Die Zeit this week. He treats the BVerfG as a political rather than a legal instance in the German system of government which, on the evidence of this judgement, is an approach which is entirely justified.

    Comment by Anonymous — 15.07, 2009 @ 15:43

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