Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.7.09

Die Verlage wollen, dass der Staat „Fehlentwicklungen“ im Internet korrigiert

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) fordert von der Politik zur Stabilisierung des Zeitungsmarkts eine Lockerung des Kartellrechts, eine weitere Absenkung der Mehrwertsteuer für Verlagsprodukte sowie die „Unterstützung bei der Korrek­tur von Fehlentwicklungen im Internet“. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung vom 09.07.2009:

„Nur mit einem umfassenden Leistungsschutzrecht könne dem Con­tent-Klau Einhalt geboten werden. Im nächsten Schritt gehe es dann darum, Bezahlmodelle für Internetinhalte zu entwickeln. Die Onlinewerbung allein werde nicht ausreichen, publizistische Qualität im Internet zu finanzie­ren. Deshalb müssten Wege gefunden werden, die von der Gratiskultur wegführten. „Es geht um den Erhalt der Qualitätspresse in einer digitali­sierten Welt“

Was sich die Verlage unter einem neuen Leistungsschutzrecht vorstellen, hat Hubert Burda unlängst skizziert. Ihm ist es ein Dorn im Auge, dass man über Suchmaschinen und Links einfach so und kostenlos auf die „Qualitätsangebote“ der Zeitungen im Netz gelangt.

Das können die Verlage natürlich jederzeit selbst ändern, indem sie ihren Content nicht mehr frei zugänglich ins Netz stellen. Dazu bedarf es keiner neuen gesetzlichen Regelungen. Da die Verlage aber wissen, dass sie derzeit nicht in der Lage sind, Bezahlmodelle zu etablieren, soll der Gesetzgeber offenbar Suchmaschinen und vielleicht auch Zugangsanbieter zwingen, Teile ihres Erlöses an die Zeitungen abzuführen oder gar die Verlinkung auf Zeitungartikel gesetzlich beschränken.

Das Verhalten der Verlage ist anachronistisch. Sie reagieren in derselben rückwärtsorientierten Art und Weise, wie dies die Musikindustrie seit mehr als 10 Jahren tut. Den zugrundeliegenden Modellen ist bislang, trotz zahlreicher Verschärfungen des Urheberrechts zugunsten der Content-Industrie, der Erfolg versagt geblieben und das wird auch so bleiben.

Die Verlage fordern Eingriffe des Gesetzgebers in die Markt- und Gesellschaftsentwicklung. Dass die „freie Presse“, die sich gerne als 4. Gewalt sieht, jetzt eine staatliche Intervention fordert und sich damit vom Staat abhängig macht, ist wiedersinnig und gefährlich.

Es wird ein Zeitungssterben geben und wir werden sicherlich auch Verlagspleiten erleben. Dennoch sollte man sich davor hüten, die Zeitung als solche bereits als schutzwürdiges Kulturgut zu betrachten. Es gibt mittlerweile im Netz jede Menge hochwertigen Journalismus abseits der etablierten Verlage. Das Internet begünstigt eine neue Form des Journalismus, durch das die Zeitungen ihre Deutungshoheit verlieren. Damit muss kein Nachteil für die Allgemeinheit verbunden sein. Bei den Apellen der Verlage geht es denn auch nicht um die Sicherung von Qualitätsjournalismus und Meinungsvielfalt, sondern allein um die wirtschaftlichen Interessen der Branche. Und diese Interessen rechtfertigen keine Eingriffe des Staates in die Strukturen und Mechanismen des Netzes, im Wege neuer urheberrechtlicher Leistungsschutzrechte. Es gibt entgegen der Ansicht der Verlagsbranche keine Fehlentwicklung, die zu berichtigen wäre. Dennoch werden die Lobbyisten der Verlagsbranche jetzt damit beginnen, die Bundesregierung und die Abgeordneten massiv in ihrem Sinne zu bearbeiten.

posted by Stadler at 17:10  

4 Comments

  1. Ja, die Verlage verhalten sich anachronistisch. Absolut. Ich selbst bin Redakteur, angestellt in einem Verlag und verfolge die Diskussionen der letzten Wochen mit zunehmender Beschämung. Habe den Eintrag daher mit viel Kopfnicken gelesen.

    Bis ich zum letzten Absatz kam. Mal abgesehen davon, dass ich die Phrase "Qualitätsjournalismus" so langsam nicht mehr hören kann, zweifle ich daran, dass sich (zumindest hier in Deutschland) schon andere Qualitätsangebote jenseits der klassischen Presse (Verlagsangebote) etabliert haben.

    Welche denn? Die einschlägigen Blogs, die, wie ich glaube gemeint sind, leben in erster Linie davon, dass sie Geschichten, Artikel und Interviews aus den klassischen Medien kommentieren oder zerpflücken oder einfach darauf hinweisen, dass es sie gibt. Das ist bei Niggemeier so, das ist im Bildblog so, das ist bei Nerdcore so. Selten, wirklich selten, lese ich in einem Blog eine selbst recherchierte Geschichte zu einem selbst erdachten Thema, mit einem selbst erdachten Spin. Die Blogger zehren von den Verlagsangeboten, indem sie die aufgreifen und kommentieren oder verreißen. Ohne uns Redakteure aber könnten die Blogger – ja, ich weiß nicht – auf der Glatze Locken drehen.

    Sonst aber: Ja. Die Verlage stellen sich momentan an wie die Musikindustrie in den letzten Jahren. Wir machen einen Strukturwandel durch oder besser: Wir stehen gerade am Anfang eines Strukturwandels. Ich glaube schon, dass es noch Printmedien geben wird in ein paar Jahren. Nur weniger als heute. Und damit vermutlich auch weniger Verlage. So ist das eben. Ein wenig Zappeln während des Todeskampfes gehört aber dazu. Ist ein Reflex.

    Comment by Andreas — 9.07, 2009 @ 22:53

  2. Mitten im Land der Dichter und Denker, am ICE-Bahnhof der Republik, entdeckte das Bundespresseamt ein provinzielles Tagesschau-Bild. Dieses Optiksignal war kein wahrer Kanzler, sondern nur die Liniendarstellung eines zeitlich begrenzten Kanzlers im Fernsehen eines Unionsbuergers in der Deutschen Provinz. Auf der Grundlage des ungesetzlichen “Domainrechtes” liess ein Rechtkreativer der Bundesregierung eine einstweilige Verfügung vom Landgericht Berlin gesetzlos abstempeln. Dem Unionsbuerger wurden 6 Monate Gefängnis für seine Internetdichtung versprochen. Ihm wurde verboten, sein unabhängiges kanzlerschroeder.de-Bild “reserviert und/oder konnektiert” zu halten. Gegen diesen undemokratische Beschluss wurde im Geist der Bürgerrechtsdeklaration widerstanden und zum Glück für die Republik wurde der Unionsbuerger.de von Prozessanwalt.de im Geist von I. Kant verteidigt. Nach einem geistreichen Disput vorm Landgericht Berlin vertrugen sich sich die Parteien auf der übernationalen Grundlage der Europäischen Charta der Grundrechten .

    Das Bundespresseamt der Bundesregierung versprach Wahlleiter.de, Unionsbuerger.de, Praesidentin.de, Stoiberkanzler.de und eine-frau-soll-kanzler-werden.de nicht zu belegen. Der Unionsbuerger versprach kanzlerschroeder.de zu aus seiner Uchronie zu radieren.

    Moral dieser Leitkulturellen Uchronie geschrieben am 1.12.2003 im Landgericht Berlin

    OHNE AUTORITÄT KEIN RECHT !

    Comment by kanzlerschroeder.de — 10.07, 2009 @ 08:16

  3. @Andreas
    Blogs waren u.a. gemeint. Ich lese Tag für Tag sehr unterschiedliche Blogeinträge und es findet sich in Blogs auch immer wieder Hintergründiges, das man ohne weiteres auch in einer Zeitung drucken könnte.

    Dass die Blogger ihre Informationen nur von den Verlagen beziehen und primär Geschichten aus den klassischen Medien kommentieren, entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Ich sehe vielmehr mittlerweile eine sehr große Wechselwirkung. Journalisten, die für klassiche Medien schreiben, beziehen ihre Informationen z.T. auch aus Blogs und dem Web, sie rufen bei Bloggern an und fragen nach Hintergrundinformationen.

    Mir geht es auch gar nicht darum, den Tod der klassischen Presse zu propagieren, zumal ich ganz gerne auch noch eine richtige Zeitung in der Hand halte. Aber es wird mit Sicherheit zu einer "Konsolidierung" kommen.

    Comment by Pavement — 10.07, 2009 @ 09:58

  4. Nur interessehalber: Was war denn die letzte große Story, die Journalisten klassischer Medien aus Blogs aufgegriffen haben?

    Comment by ElGraf — 11.07, 2009 @ 13:07

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