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Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.7.09

Der Fall Demjanjuk

Die Staatsanwaltschaft München I hat nunmehr Anklage gegen den 89-jährigen John Demjanjuk, wegen NS-Verbrechen im Konzentrationslager Sobibor, erhoben.

Um zu verstehen, worum es hier geht, muss man sich mit den Eckdaten des Falles vertraut machen. Ein junger Ukrainer wird, als er gerade Anfang 20 ist, zur roten Armee eingezogen, um gegen die Wehrmacht zu kämpfen. Er gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft und wird von den Nazis (zwangsweise) als Wächter im KZ Sobibor eingesetzt. Zumindest nimmt das die Münchener Staatsanwaltschaft an, während Demjanjuk behauptet, gar nicht dort gewesen zu sein.

Pikant an dem Fall ist auch, dass Demjanjuk in den 70’er Jahren in Israel bereits in der Todeszelle saß, bis sich herausstelle, dass eine Verwechslung vorgelegen hat. Weil Demjanjuk nichts nachzuweisen war, haben die Israelis ihn wieder auf freien Fuß gesetzt. Was vor über 30 Jahren in Israel nicht gelungen ist, soll jetzt in München möglich sein, nämlich John Demjanjuk des Massenmordes bzw. der Beihilfe dazu, zu überführen. Die SZ spricht von einem der letzten großen Prozesse über Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Belege für unmittelbare Tathandlungen von Demjanjuk gibt es offenbar nicht. Alleine der Umstand, dass er von den Nazis zwangsweise als KZ-Aufseher eingesetzt worden sein soll, genügt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft für eine Beihilfe zum Mord. Denn Demjanjuk hätte sich weigern müssen, für die Nazis als KZ-Wärter zu arbeiten, meint die Münchener Staatsanwaltschaft.

Darüber, ob sich diese Fragestellung von einem Büro oder einem Gerichtssaal in München aus, 65 Jahre nach Kriegsende, tatsächlich verlässlich beurteilen lässt, kann sich jedermann seine eigene Meinung bilden. Juristische Kenntnisse sind dafür nicht erforderlich.

Die Frage ist nämlich nur die, was man von einem im Tatzeitpunkt 23 Jahre alter ukrainischer Bauernsohn erwarten darf, der in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten ist und mit Sicherheit bereits einige Greueltaten der Nazis selbst miterlebt und von noch mehr solcher Taten gehört hatte.

Die Staatsanwaltschaft wird dem Einwand des Angeklagten, er hätte sich in einem Befehlsnotstand befunden, entgegenhalten, es gäbe keinen dokumentierten Fall in dem ein solcher Befehlsnotstand großartig sanktioniert worden wäre, abgesehen von ein wenig Prügel vielleicht. Ob diese Annahme tatsächlich statthaft ist und ob man von einem Kriegsgefangenen, der selbst Opfer des Naziregimes ist und um sein eigenes Leben fürchtet, ernsthaft erwarten kann, dass er den Befehl verweigert, wird das Landgericht zu klären haben. Die meisten Menschen hätten sich in dieser Situation vermutlich ebenso wie Demjanjuk verhalten und sich aus Angst – ob objektiv begründet oder nicht – nicht geweigert, die Befehle der NS auszuführen. Zum Helden sind nämlich nur die wenigsten geboren.

Der Fall Demjanjuk ist denkbar ungeeignet, als letzter großer NS-Prozess in die Geschichte einzugehen, sondern er zeigt vielmehr, wie groß die Probleme der deutschen Justiz nach wie vor sind, zu einer sachgerechten Aufarbeitung des NS-Regimes zu finden.

Der Umstand, dass man in den 50’er und 60’er Jahren in Deutschland die Täter nicht verfolgt hat, von Mitläufern möchte ich erst gar nicht reden, wird nicht dadurch kompensiert, dass man jetzt Opfer zu Tätern erklärt. Dieses Strafverfahren beinhaltet die Gefahr, dass nicht Unrecht bestraft wird, sondern neues Unrecht begangen wird.

posted by Stadler at 21:20  

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