Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.5.09

Die Sperrliste und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Nach dem Entwurf eines § 8a Abs. 1 TMG führt das BKA eine Liste von Telemedienangeboten, die Kinderpornografie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste).

Nach welchen Kriterien und unter welchen Voraussetzungen das BKA Websites auf diese Sperrliste setzt, gibt der Gesetzgeber allerdings nicht vor.

Andererseits ist es aber so, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl den Gesetzgeber als auch das BKA als ausführende Behörde verpflichtet, sich Gedanken darüber zu machen, ob nicht mildere und gleich effiziente Mittel zur Verfügung stehen, um das angestrebte Ziel ebenfalls zu erreichen.

Anstatt kinderpornografische Inhalte nur auszublenden und vor den deutschen Internetnutzern zu verstecken, wäre es sicherlich vorzugswürdig, die inkriminierten Inhalte an ihrer Quelle tatsächlich aus dem Netz zu nehmen. Eine solche Maßnahme wäre im rechtlichen Sinne auch das mildere Mittel gegenüber der Zugangsblockade. Denn Access-Sperren beinhalten u.a. eine erhöhte Gefahr, dass unbeteiligte Dritte pönalisiert und stigmatisiert werden und die Informationsfreiheit der Nutzer beeinträchtigt wird.

Um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, müsste also, bevor eine Website auf die Sperrliste gesetzt wird, geprüft und sichergestellt werden, dass es nicht möglich ist, die Inhalte, durch ein Einwirken auf die zuständigen Behörden vor Ort bzw. die Host-Provider aus dem Netz zu bekommen.

Insoweit muss man sich vor Augen führen, dass die überwiegende Mehrzahl derjenigen Websites, die sich auf den skandinavischen Sperrlisten befinden, in Ländern gehostet werden, in denen Kinderpornografie strafbar ist und damit effektiv bekämpft werden kann. Ein ganz erheblicher Teil der Server die von skandinavischen Behörden blockiert werden, befindet sich sogar innerhalb der EU und in Nordamerika.

Die Kinderschutzorganisation CareChild hat demonstriert wie es funktioniert. Sie hat sich 20 Domains/Websites der dänischen Sperrliste vorgenommen und die Provider vor Ort angeschrieben und auf die kinderpornografischen Inhalte hingewiesen. Innerhalb weniger Tage waren 16 dieser 20 Inhaltsangebote vom Netz.

Was ein NGO wie CareChild kann, sollte das Bundeskriminalamt allemal können. Der Gesetzgeber gibt dem BKA dies aber nicht vor und es ist offenbar politisch auch gar nicht gewollt. In einem früheren Entwurf des Kinderporno-Sperrgesetzes war zumindest noch vorgesehen, Inhalte mit Standort innerhalb der EU von der Sperrung auszunehmen, weil davon auszugehen ist, dass hier ein unmittelbares Vorgehen effektiv möglich ist. Aber selbst diese Einschränkung wurde wieder fallengelassen und findet sich im aktuellen Gesetzesentwurf nicht mehr.

Wenn das Gesetz in der kommenden Woche in erster Lesung in den Bundestag eingebracht wird, sollte eine der zentralen Fragen lauten:
„Warum sieht der Gesetzesentwurf zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht vor, dass das BKA sicherzustellen hat, dass Maßnahmen zur tatsächlichen Entfernung der Inhalte am Serverstandort erfolglos waren?“

posted by Stadler at 09:30  

8 Comments

  1. Ich denke, die Möglichkeit, inkriminierte Seiten an der Quelle zu beseitigen, ändert nichts im Hinblick auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der Sperren. Denn bei der Erforderlichkeitsprüfung muss geprüft werden, ob andere Maßnahmen im Hinblick auf den verfolgten Zweck gleichermaßen geeignet, aber weniger eingriffsintensiv sind.

    Der Zweck der Internet-Sperren ist aber ein anderer – die Seiten sollen nicht beseitigt, sondern (zunächst) weniger leicht abrufbar sein. Es handelt sich dabei ja nicht um einander ausschließende, sondern um komplementäre Maßnahmen. Zudem darf im Rahmen der Erforderlichkeit vom Staat keine alternative Maßnahme verlangt werden, die fiskalisch belastender ist. Die Internet-Sperren kosten (den Staat) nichts, die Ermittlungen und die Verfolgung gerade im Ausland sind aber sehr teuer.

    Letztlich sind die Internet-Sperren m.E. eher im Hinblick auf die Geeignetheit problematisch. Dort besteht aber eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.

    Ich denke, so bedauerlich das ist, dass man über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an die Sperren nicht rankommen wird.

    Ein aussichtsreicher verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt wären aber m.E. die fehlende Bundeskompetenz, Art. 10 und Art. 5 GG.

    Comment by WissMit — 2.05, 2009 @ 10:32

  2. a) Geeignet sind die Sperren, weil sie den Zugriff zumindest erschweren (wenn auch nicht sehr)
    b) Die Erforderlichkeit wird eben nicht durch fiskalische Überlegungen blockiert. Woher kommt denn diese merkwürdige Auffassung? Fiskalische Aspekte sind i.Ü. hinsichtlich des Grundrechtsschutz nur dann relevant, wenn sie extrem werden.
    c) Die Maßnahmen (Sperre und Löschung) sind nicht parallel einsetzbar. Beide Maßnahmen bezwecken die Verhinderung der Verbreitung von KiPo, wobei die Löschung effektiver und präziser ist. Sie hat zudem einen niedrigere Stigmatisierungsanfälligkeit. Das sind alles Argumente im Rahmen der Erforderlichkeit.

    Comment by Malte S. — 2.05, 2009 @ 11:09

  3. Die „merkwürdige Auffassung“ kommt vom BVerfG. Hat was mit Gewaltenteilung zu tun, für diejenigen unter uns, die bei Staatsrecht I gefehlt haben. Selbstverständlich handelt es sich bei Sperren und Beseitigen um komplementäre Maßnahmen. Das eine schließt das andere nicht aus.

    Comment by WissMit — 2.05, 2009 @ 11:26

  4. Ich sehe es ähnlich kritisch: Wenn schon die Abschaltung kein Problem mehr wäre, kann die Sperre erst recht nicht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein Problem sein (bezogen auf den Betreiber).

    Die Argumentation: Abschaltung der Seite X wäre OK, die Sperre der Seite X bei gleichem Sachverhalt aber nicht, erschließt sich mir noch nicht.

    Comment by Jens — 2.05, 2009 @ 11:28

  5. Jens: Abschaltung der Seite selbst betrifft unmittelbar nur den Betreiber. Die Sperre jedoch betrifft Provider, Kunden und Unbeteiligte.

    Comment by Torsten — 2.05, 2009 @ 13:05

  6. Stichwort Unbeteiligte: durch die Sperre auf DNS-Ebene können ja durchaus auch vom Betreiber des kinderpornographischen Inhalts unabhängige Seiten gesperrt werden, sollten diese unter derselben Domain erreichbar sein. Würde hingegen eine Löschung der fraglichen Seiten beim Provider veranlasst werden, blieben diese Unbeteiligten von der Maßnahme verschont.

    Comment by daniel. — 2.05, 2009 @ 18:35

  7. @WissMit: Quelle? Eine kurze juris-Suche hat da nichts ergeben. Ich lerne ja gerne neues, aber nur, wenn ich es irgendwie belegt bekomme. z.B. spricht BVerfGE 77, 84 lediglich von unzumutbaren finanziellen Belastungen. Damit hat wohl kaum jemande Probleme. Mit der Auffassung jedoch, eine Maßnahme sei auch dann erforderlich, wenn es ein milderes, jedoch kostenaufwändigeres Mittel gibt, könnte man de facto jegliche Grundrechtsverwirklichung (zumindest im Merkmal der Erforderlichkeit) beschränken. So ist das Verbot einer Demonstration sicherlich kostengünstiger als die Begleitung durch Polizeitruppen.

    Für anders lautende fachliche Quellen bin ich natürlich immer offen.

    i.Ü.: die Beseitigung schließt denknotwendig die Sperre aus, da nach Beseitigung kein inkriminiertes Material mehr vorhanden ist, welches gesperrt werden soll. Damit ist der gleiche Zweck erreicht, den auch die Sperre erreichen soll – nur ist er effektiver und gezielter erfolgt.

    Staatsrecht I ist zumindest bei uns auch Staatsorga und nicht Grundrechte. Also lieber Staatsrecht II besuchen?

    Comment by Malte S. — 4.05, 2009 @ 14:14

  8. Ich gehe noch weiter und behaupte, daß die Sperre von Webangeboten mit kinderpornografischen Inhalten die Pädokriminellen schützt und nicht die Kinder. Die werden lediglich vorgeschoben, um einen an sich schon fragwürdigen und in Zukunft mit Sicherheit ausgeweiteten Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung zu rechtfertigen – wobei ich das Verbreiten von Kinderpornografie selbstverständlich nicht als von diesem Grundrecht geschützt betrachte. Im Gegenteil.

    Die Sperre dient aber auch dazu, daß pädokriminelle Kreise, von denen sich vermutlich eine überdurchschnittlich hohe Zahl in politisch hochgestellten und einflußreichen Kreisen findet, ihr Treiben auch weiterhin ungestört „unter dem Teppich“ fortführen können. Beispiele aus der Vergangenheit gibt es genug, daß tatsächliche Eermittlungen von staatlichen Behörden behindert wurden. Man denke nur an den Fall Dutroux (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Marc_Dutroux), der bis in die Achziger Jahre zurückreicht und mehr als 10 Jahre von „Fehlern“ der Ermittlungs- und Justizbehörden gekennzeichnet war.

    Die Maßnahme bringt also nicht nur nichts, sie behindert eine tatsächliche Lösung des Problems. Pädophile in hoher Position können sich wieder ungestört ins Fäustchen lachen, nicht kriminelle Bürger dürfen sich Bevormundung gefallen lassen und bekommen rechtspolitische Sedativa verabreicht – ganz so, wie es Pädokriminellen recht ist.

    Comment by Vendetta — 31.05, 2009 @ 12:41

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