Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.7.19

BVerfG zieht Grenzen der Meinungsfreiheit erneut weit

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des OLG Bremen aufgehoben ( Beschluss vom 14. Juni 2019, Az.: 1 BvR 2433/17) und die Äußerungen

Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten. (…)

„Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechts-staatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren.“

gegenüber einer Richterin nicht als beleidigende Schmähkritik eingestuft.

Zur Begründung führt das BVerfG u.a. folgendes aus:

Mit seinen Vergleichen richtete sich der Beschwerdeführer gegen die Verhandlungsführung der Richterin in dem von ihm betriebenen Zivilverfahren. Dieses bildete den Anlass der Äußerungen, die im Kontext der umfangreichen Begründung eines Befangenheitsgesuchs getätigt wurden. Die Äußerungen entbehren daher insofern nicht eines sachlichen Bezugs. Sie lassen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erscheinen auch nicht als bloße Herabsetzung der Betroffenen. Die Äußerungen lassen nicht ohne weiteres den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe der Richterin eine nationalsozialistische oder „mittelalterliche“ Gesinnung unterstellen wollen. Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis begründen für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Februar 2017 – 1 BvR 2973/14 -, juris).

Auch wenn die Entscheidung heute in sozialen Medien kontrovers diskutiert wurde, ist sie letztlich wenig überraschend und entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG und auch des EGMR zu äußerungsrechtlichen Sachverhalten. Das BVerfG geht davon aus, dass die Schmähkritik regelmäßig auf Privatfehden beschränkt ist und ansonsten regelmäßig nicht angenommen werden kann. Solange nicht ausschließlich die Herabwürdigung einer Person im Vordergrund steht, sondern noch ein Sachbezug erkennbar ist, scheidet die Annahme einer Schmähung aus. Das ist hier ganz offensichtlich der Fall, denn der Beschwerdeführer setzt sich kritisch und polemisch mit der Verhandlungsführung des Gerichts auseinander und zielt nicht ausschließlich auf die Diffamierung der Richterin ab.

Das Bedauerliche ist letztlich, dass drei Instanzgerichte anders entschieden haben. Man erlebt es leider sehr häufig, dass die Fachgerichte nicht ausreichend mit der äußerungsrechtlichen Rechtsprechung von BVerfG und EGMR vertraut sind und allzu oft eine Schmähkritik annehmen, in Fallkonstellationen, die davon noch weit entfernt sind.

posted by Thomas Stadler at 22:15  

7 Comments

  1. Käfer & Buske sehen das bestimmt anders. Bei den Zensurverfahren kommt es auch nicht auf die Absicht des Äußernden an. Die Konstruks „Verdacht“ und „Eindruck“ sowie die Stasi-Sicht nach Stolpe machen dieses VerfG-Urteil wertlos.

    Die Verurteilung durch das AG zu 30 Tagessätzen ist auch bei einem höheren Tagessatz als 9,00 Euro lächerlich gegenüber den Rechtsanwaltskosten in den Zivilverfahren wegen den künstlichen, meinungsfeindlichen Streitwerten.

    Comment by Rolf Schälike (@RolfSchaelike) — 23.07, 2019 @ 23:15

  2. „Das Bedauerliche ist letztlich, dass drei Instanzgerichte anders entschieden haben.“ – Ich halte es nicht nur für bedauerlich, sondern für einen Skandal.

    Comment by Wolf-Dieter Busch — 24.07, 2019 @ 15:23

  3. Eine sehr weite Auslegung des Begriffs Meinungsfreiheit.

    Ursprünglich ging es nur um vermeintlich mangelhafte Malerarbeiten. Auch wenn die Verhandlungsführung in heutigen Zivilprozessen oft desastroesen Charakter hat, erscheint der vom Beschwerdeführer angestellte Vergleich doch etwas überzogen.

    Nationalsozialistische Sondergerichte pflegten Delinquenten meist zum Tode zu verurteilen, oft wegen Bagatellen, ebenso wie Inquisitionsgerichte im Mittelalter.
    Wer einmal angeklagt war, hatte meistens keine Chance mehr. Er oder sie wurde verbrannt.

    Das ist dem Beschwerdeführer offensichtlich nicht passiert.

    Wie auch immer, es ergeben sich diverse interessante Möglichkeiten der Justiz – Kritik. So war es z.b. legal, den ehemaligen Generalstaatsanwalt von Berlin als durchgeknallt zu bezeichnen. Das, weil er einen gewissen Paolo Pinkel angeklagt hatte.
    Noch dazu wegen Kokainbesitzes.

    Comment by Arne Rathjen RA — 24.07, 2019 @ 20:43

  4. „Wer einmal angeklagt war, hatte meistens keine Chance mehr. Er oder sie wurde verbrannt.“

    Das war so in der Sowjetunion, in der DDR und ist so meist bei der Pressekammer in Hamburg so. Bei den Nazis war es nicht so. Haben die erkannt, dass die Tatsachen der Anklage nicht entsprechen, wurden die Beklagten wieder freigelassen.

    „Nationalsozialistische Sondergerichte pflegten Delinquenten …., oft wegen Bagatellen, ebenso wie Inquisitionsgerichte im Mittelalter.“
    Die meisten Pressesachen bei den Pressekammern sind Bagatellen.

    Nazigerichte haben Todesurteile ausgesprochen, sehr viele. Das entbindet keinen, von der Gefahr der heutigen Rechtsprechung zu sprechen, wenn es auch keine Todesurteile gibt.

    Comment by Rolf Schälike — 24.07, 2019 @ 23:36

  5. In der deutschen Politik – Szene gehört es im Allgemeinen zum guten Ton, sich gegenseitig Ähnlichkeiten mit totalitären Regimes vorzuwerfen. So verglich etwa in der legendären und historischen Vogelschiss – Debatte Gauland die Bundesregierung mit dem Stasi – bzw. DDR – Regime. Ein Ex – Kanzlerkandidat wiederum verglich die AFD mit den Nazis und kündigte an, sie auf dem historischen Müllhaufen werfen zu wollen soweit ich mich erinnere. Vielleicht war es auch ein Misthaufen. In dieser Mélange ist es etwas schwierig, den Überblick zu behalten.

    Dies ist vermutlich einer der Gründe, warum der Beschwerdeführer in dem hier zur Debatte stehenden Verfahren von dem Bundesverfassungsgericht Recht bekam. Außerdem war er ja kein Anwalt.

    Die Nazi – Sondergerichte im übrigen verurteilten Leute bereits wegen einfacher Aussagen a la „wir werden den Krieg verlieren“ oder „Adolf Hitler ist ein Verräter“ zum Tode . Ein gewisser Ministerpräsident musste wegen einiger Todesurteile zurücktreten, die er selbst unterschrieben hatte, unter anderem wegen des Diebstahls von Schokolade.

    Die Abarbeitung des DDR-Unrechts ist ebenso wie die des NS – Unrechts relativ schnell versandet, und man schloss seine Reihe von Kompromissen, letztlich, um sich nicht selber zu kompromittieren.

    Daher ist in durchaus vielen Fällen der Vergleich mit den Nazis oder den Kommunisten völlig gerechtfertigt, alleine aufgrund der faktischen Ähnlichkeit der Akteure. Auch wenn diese staatliche Aufgaben im Bereich der Bundesrepublik wahrnehmen.

    Aber sich wegen einem irre geleiteten Sachmangelprozess so aufzuregen, dass man die Richterin in einen Topf wirft mit Nazi – Blutrichtern und Schlächtern, das ist doch etwas zuviel oder nicht?

    Comment by Arne Rathjen — 25.07, 2019 @ 19:41

  6. Wehret den Anfängen, wäre meine Antwort. Allerdings mit rechtsstaatlichen Mitteln, sachlich, gebildet, verantwortungsbewusst. Nur so kann verhindert werden, dass der heutige deutsche Rechtsstaat rechtsstatlich in eine Diktatur abgleitet. Zum Teil geschieht das leider schon.

    Comment by Rolf Schälike — 25.07, 2019 @ 20:42

  7. Die durchaus vorhandenen sehr ambitionierten rechtsstaatlichen Ansätze in der Bundesrepublik wurden etwa seit 1990, vielleicht seit 2000 systematisch demontiert.

    Über die Art und Weise wie dies passiert ist könnte man diverse Bücher schreiben, mit einigen tausend
    Seiten Umfang.

    Man sollte nicht so naiv sein, etwa in einem Zivilprozess zu erwarten, dass man eine gesetzmäßige Entscheidung erhält. Dies ist nur ausnahmsweise der Fall. Etwa, wenn die Beteiligten Prominente sind, oder vermögend.

    Einer der Gründe dafür ist, dass die personellen und materiellen Ressourcen für eine gesetzmäßige Abarbeitung der anfallenden Fälle nicht ausreichen. Das Gros der Streitigkeiten wird ja auch außergerichtlich abgearbeitet, etwa 80 oder 90%. In diesem Kontext fällt sogar für die zahllosen schlecht bezahlten Anwälte ein abgenagtes Hühnerbeinchen ab.

    Außerdem gibt es relativ viele unerfreuliche Fälle von sogenannter Prozesssteuerung durch die Exekutive. Diese existieren offiziell zwar nicht, aber sie existieren eben irgendwie doch. Die Berufungsinstanz als eigentliche Instanz der Sach und Rechtsprüfung ist zu Beginn der Nullerjahre bereits weggefallen. Fast alle Berufungen werden durch einen Einzeiler zurückgewiesen.

    Vor dem bekannten historischen Hintergrund Deutschlands kann man eben nicht allzu viel erwarten.

    Nachdem diverse Jahrzehnte lang etwa die Justiz in Grund und Boden gespart wurde, hat man jetzt 100 oder 200 Millionen locker gemacht, um einige Reparaturarbeiten durchzuführen. Zum Vergleich: die Reparatur der geschrotteten Gorch Fock kostet auch etwa 100 Millionen.

    Das Innenministerium hat jetzt einen Jahresetat von etwa fünfzehn Milliarden Euro, was indiziert, wohin die Reise geht.

    Comment by Arne Rathjen — 26.07, 2019 @ 19:48

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.