Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.7.15

Amerikanische Verhältnisse: Generalbundesanwalt ermittelt gegen Blogger

Der Generalbundesanwalt hat bei der Verfolgung von Straftaten im Umfeld der NSA-/BND-Affäre bisher eine klägliche Figur abgegeben. Von vielen wird dies auch darauf zurückgeführt, dass der Generalbundesanwalt nicht unabhängig ist, während ein Interesse der Bundesregierung besteht, dass möglichst keine Ermittlungsergebnisse geliefert werden. Strafverfahren gegen Mitarbeiter und Verantwortliche amerikanischer Dienste oder gar amerikanische Politiker, kämen in Washington nicht gut an. Strafverfahren gegen Verantwortliche von BND oder Verfassungsschutz möchte die Bundesregierung ebenfalls tunlichst vermeiden, denn sie würden die Frage aufwerfen, in welchem Umfang die Regierung Merkel rechtswidrige Aktivitäten deutscher Dienste gedeckt oder gar angeordnet hat.

Dass der Generalbundesanwalt auf Antrag des Verfassungsschutzpräsidenten jetzt nicht nur gegen Whistleblower, sondern sogar gegen die verantwortlichen Blogger von netzpolitik.org wegen des Verdachts des Landesverrats ermittelt, toppt die amerikanischen Verhältnisse noch.

Während man die Angehörigen der Dienste, die das Recht brechen, unbehelligt lässt, werden Journalisten und Blogger ins Visier genommen.

Anlass der Ermittlungen ist offenbar der Bericht „Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an Massendatenauswertung von Internetinhalten.“ Im Zuge dieses Berichts hatte netzpolitik.org einen Teil des als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Haushaltsplans des Verfassungsschutzes veröffentlicht, um darzustellen, in welchem Umfang Mittel für die Internetüberwachung bereitgestellt werden.

posted by Stadler at 16:07  

13 Comments

  1. Spätestens jetzt sollte überlegt werden, ob die Unterordnung des obersten Staatsanwalts (der Neutralität verpflichtet) unter das Justizministerium (dem Staat verpflichtet) noch verfassungsgemäß ist.

    Comment by Wolf-Dieter — 30.07, 2015 @ 16:32

  2. Auf http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/generalbundesanwalt-ermittlungen-netzpolitik-whistleblower-datenhehlerei/ hatte ich geschrieben:

    Um den Fall mal auf die entscheidenden Fragen herunterzubrechen:

    Ermittlung durch den GBA setzen Anhaltspunkte für den Verdacht voraus, daß jemand beim BfV ein Staatsgeheimnis (§ 93 StGB) verraten hat. Der bei netzpolitik.org veröffentlichte Teil des Haushaltsplans und der Organisationsplan müßten also Staatsgeheimnisse sein, Geheimnisse, deren Bekanntwerden objektiv die Gefahr eines schweren (!) Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführen kann. Das ist schon einmal interessant.

    Wenn es sich hingegen nur um Dienstgeheimnisse handelt (§ 353b StGB), wäre der GBA eklatant inkompetent. Wenn das BfV aufgeregt zum GBA läuft und dort eine Anzeige stellt, handelt er dann nicht anders als jeder andere Querulant, der meint, der GBA wäre eine besonders wichtige Staatsanwaltschaft und gerade für seine Anzeigen der richtige Adressat.

    Die Geheimnistuerei des GBA verhindert natürlich effizient, daß die Öffentlichkeit nachprüfen kann, ob sich diese Behörde im Hinblick auf die Kompetenzfrage an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebunden fühlt.

    Nachvollziehbar wären Ermittlungen gegen einen unbekannten BfV-Mitarbeiter wegen Verletzung eines Dienstgeheimnisses (vgl. Fall Cicero). Daß dafür der GBA aber unzuständig ist, scheint beim GBA inzwischen auch jemandem aufgefallen zu sein. Deshalb versucht man zu retten, was zu retten ist, und verfällt tatsächlich auf die Schnappsidee mit dem Landesverrat (jetzt muß nur noch Angela Merkel im Bundestag feierlich sagen: „Ein Abgrund von Landesverrat“).

    Comment by OG — 30.07, 2015 @ 17:26

  3. Immer häufiger sind Ermittlungsverfahren etwas Ehrehhaftes.

    In der DDR war Stasihaft Ehrenhaft Stasiermittlungen haben geadelt.

    Comment by Rolf Schälike — 30.07, 2015 @ 19:25

  4. Dass ausgerechnet eine Regierung, die selbst permanent und immer noch und in unzähligen Fällen Landesverrat begeht, die beiden Netzpolitik-Journalisten wegen Landesverrat anklagt, ist so grotesk, es verschlägt mir glatt die Sprache.

    Comment by Jens Bernert — 30.07, 2015 @ 22:05

  5. Da bin ich mal gespannt auf die Begründung, wie das Bekanntwerden dieses nur als „Verschlusssache vertraulich“ eingestuften Dokumentes die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden soll.
    Soweit ich die Geheimhaltungsstufen verstanden habe, sollten solche Dokumente mindestens als „geheim“ eingestuft werden. Durch die geringere Einstufung hat die klassifizierende Stelle also ihre Einschätzung bekannt gegeben, dass die Sicherheit der BRD dadurch eben NICHT gefährdet wird, erst recht nicht „schwer“.

    Comment by Rochus — 30.07, 2015 @ 22:47

  6. Langsam wird es gefährlich, die Einschläge der Mächtigen kommen näher. Nehmt euch in Acht.

    Comment by Frank — 30.07, 2015 @ 22:49

  7. Unter welchem Gesichtspunkt Haushaltsbestimmungen für einen Inlands-(!)Geheimdienst auch nur abstrakt geeignet sein können, einen „schweren Nachteil für die äußere (!) Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ herbeizuführen, wird die zentrale Aufgabe des von OStA Greven beauftragen Gutachters (Gefälligkeitsgutachters?) sein. Vielleicht verletzen diese Haushaltsbestimmungen ja den gesetzlichen Auftrag des BfV, so daß in Wahrheit ein illegales Geheimnis (§ 93 Abs. 2 StGB) vorliegt, was wiederum die Frage der (zumindest politischen) Haftung anderer Personen aufwirft. Man wird sehen, welche Köpfe rollen werden, nachdem – streisandmäßig – der GBA eine genaue öffentliche Durchleuchtung der inkriminierten Papiere auf den Weg gebracht hat.

    Nicht vom Geheimnis-Gutachter beantwortbar ist die Frage, ob die Betreiber von netzpolitik.org die für § 94 Abs. 1 StGB erforderliche Absicht hatten, diesen schweren Nachteil herbeizuführen (im Falle von Fahrlässigkeit würde § 97 Abs. 1 StGB gelten).

    Insgesamt vermittelt dieses Ermittlungsverfahren den Eindruck eines frivolen Machtmißbrauchs zur politischen Einschüchterung, wie man sie von autoritären Regimen kennt (aktuell aus der Türkei: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/tuerkei-kurden-staatsanwaltschaft-ermittlungen-hdp-demirtas).

    Man lese die Warnung vor Repressionsaktionen, die der mit netzpolitik.org sympathisierende Behörden-Insider unter dem Namen „Beamte/r“ bereits im September 2014 ausgesprochen hat:
    https://web.archive.org/web/20150724083648/https://netzpolitik.org/2014/stets-zu-diensten-netzpolitik-org-hilft-der-polizei-mit-kontaktdaten-von-anonymen-hacker/ (archive.org, weil netzpolitik.org derzeit überlastet ist). Anlaß war damals die Überwachung des netzpolitik.org-Korrespondenten durch die „Bundestagspolizei“.

    Comment by OG — 30.07, 2015 @ 23:47

  8. netzpolitik.org Am 5. August 2015 wird die Plattform von „Deutschland – Land der Ideen“, unter der Schirmherrschaft von Joachim Gauck, für ihr Engagement für ein offenes Web und Informationen zur Netzpolitik, ausgezeichnet werden.

    Da die ganze Geschichte kein Aprilscherz ist, die Anzeige des BfV Chefs ganz und gar widersinnig ist, was bleibt dann als Motiv für dieses Spektakel eigentlich übrig?
    Genau!
    Diese ganze Aktion des BfV Chefs und des GBA bringt vor allem eines, neben einer empörten Öffentlichkeit und eine sich echauffierende Medienlandschaft, werden quasi, wie aus dem nichts, neue Medien-Heroes à la „Springer-Spiegel 2.0“ geschaffen. Sorry, es riecht, es riecht gewaltig nach einer gekonnten Inszenierung. Zuerst der „nette Polizei-Begleiter“ (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-10/bnd-nsa-ausschuss-netzpolitik-blog) auf der Zuschauertribüne bei den Aufzeichnungen zum NSA-Untersuchungsausschuss und jetzt diese Anzeige, beides wunderbare PR, für ein vom Staat subventioniertes Journalisten-Projekt. Das Ganze erinnert irgendwie an die Nachkriegszeit, an die Anstrengungen der westlichen Besatzungsmächte, im Rahmen des „Re-Education Program“ eine, zuerst vor allem Nazifreie Presse und dann, eine Propagande-Maschinerie gegen den Ostblock zu etablieren.
    Aktuell wird dieses „Demokratie-Projekt“ vor allem von Stiftungen (http://www.stiftung-wirtschaftsethik.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/ergebnisprotokollakademietag.pdf) als eine „Möglichkeit“ erkannt, die 4. Macht der Demokratie zu einer Renaissance zu verhelfen.
    „Journalismus in seiner besten Form ist gemeinnützig“, sagt Volker Lilienthal von der Hamburger Universität, der deshalb auch lauthals, staatliche Unterstützung für Journalismusprojekte einfordert (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Media-Bias-Guter-Journalismus-ist-gemeinnuetzig-2718412.html).

    Die Öffentlichkeitsarbeit für Staatsmedien ist im vollen Gange und niemand regt sich darüber auf! Sorry, in was für einem Land leben wir eigentlich? Merkt denn niemand, unserer ach so intellektuellen Eliten, was hier gerade vor sich geht? Ein Aufschrei der Empörung, wenn der GBA die Pressefreiheit gefährdet aber nicht einmal ein leises hüsteln, wenn die Presse quasi im Handstreich verstaatlicht wird?!
    Wer arm ist, ist nicht unabhängig

    Man kann fragen, ob diese Unabhängigkeit ein Konstrukt ist. Kann ein Fox-TV-Journalist unter Rupert Murdochs Ägide freier agieren als ein stiftungsfinanzierter oder steuersubventionierter Kollege? Ist ein Parteien-Proporz unterworfener ZDF-Mann unfreier als ein Kollege, dessen Verleger nach Gutsherrenart regiert?

    Medien, denen finanziell die Puste ausgeht, sind nicht unabhängig, sondern erpressbar. Integrität von Medien ist keine Frage des Geschäftsmodells, sondern von Regeln und Strukturen, die die Arbeitsbedingungen definieren.

    Aber diese Regeln existieren bzw. funktionieren in Deutschland nicht!

    Im Gegenteil, in Deutschland gibt es für gemeinnützige Organisationen keine Pflicht, die eigenen Finanzen offenzulegen, deshalb ist die Gefahr bei spendenfinanzierten Modellen, „dass dieser Journalismus in die Einflussnahme seiner Spender gerät“ enorm! (http://www.medienkorrespondenz.de/leitartikel/artikel/wie-ein-non-profit-tuev.html)

    Kein Wunder, dass sich gerade Stiftungen wie die Brost-Stiftung, Spender von correctiv.org, 3 Mio.€ Gründungshilfe und jährlich zusätzlich 1 Mio.€ für das gemeinnützige Presse-Projekt interessieren und finanziell engagieren.
    Stiftungen, die Steuersparmodelle der Superreichen Deutschen, ein Hort der Intransparenz und Heimlichkeit. Stiftungen sind auch ein deutsches Modell der US-Think Tanks à la Atlantik-Brücke e.V. des Aspen Instituts. Viele der US-Vorbilder Institute, „taxe free foundations“, wurden explizit zur Finanzierung verdeckter CIA Projekte in den 1960er Jahren gegründet. 1967 wurde darüber sehr ausführlich von CBS berichtet, unter dem Serientitel „In the pay of CIA – An American Dilemma“ wurde die Arbeit der CIA „tax free foundations“ und deren Projekte im US Fernsehen aufgedeckt! Dieser Link führt zu einer dieser Sendungen von damals. Wer genau hinschaut, dem wird ab Minute 5:50 eine Szene auffallen, die fast identisch mit einem TV-Beitrag der „Die Anstalt“, über die Verflechtung deutscher Journalisten zu US-Think Tanks ist!

    UNBEDINGT ANSCHAUEN:(https://www.dropbox.com/s/90zywb5pus21kkg/cia%20dokumentation%20teil%201_ngos%20think%20tanks_nbc%201967.mp4?dl=0)

    Der verstorbene Stiftungsnamensgeber, Erich Brost, ein SPD Urgestein und ehemaliger WAZ Gründer, war schon in der Besatzungszeit für die Gründung von Zeitungsverlagen zuständig. Er arbeitete im Rahmen des „Re-Education Program“ der Westalliierten für die britische Besatzungsmacht und filterte geeignete deutsche Zeitungs-Lizenznehmer aus! Natürlich hat er dabei auch an sich gedacht….
    Im Grunde eine Ironie der Geschichte, nur scheint sich, anders als im Nachkriegsdeutschland, niemanden zu stören!

    Comment by derblauweisse — 31.07, 2015 @ 10:02

  9. Das „Verfahren“ zur Untersuchung des Merkel Handys in der NSA Überwachung hat derselbe Bundesanwalt übrigens eingestellt…

    Auch sonst verhällt der Bubdesanwalt sich bei der NSA Selektorenliste sehr unauffällig …

    Aber Netzpolitik.org wegen Landesverrat anklagen…

    Comment by Anton — 31.07, 2015 @ 14:31

  10. Das „Verfahren“ zur Untersuchung des Merkel Handys in der NSA Überwachungsaffäre hat derselbe Bundesanwalt übrigens eingestellt…

    Auch sonst verhällt der Bubdesanwalt sich bei der NSA Selektorenliste sehr unauffällig …

    Aber Netzpolitik.org wegen Landesverrat anklagen…

    Comment by Anton — 31.07, 2015 @ 14:32

  11. Sorgen müssen sich die Netzpolitik-Betreiber nicht machen, weil schon der Tatbestand des § 94 StGB nicht erfüllt ist.

    Aber ich schlage trotzdem vor, dass wir alle die gleichen Dokumente veröffentlichen und uns gegenseitig anzeigen: https://mosereien.wordpress.com/2015/07/31/landesverrat-ich-bin-dabei/

    Comment by Andreas Moser — 31.07, 2015 @ 14:54

  12. Die Ermittlungen ruhen bis zum Erhalt eines Gutachtens, wobei dessen unnötige Anforderung nur die Unfähigkeit von Range belegt. Dieser war und ist schon immer gehorsamer Befehlsempfänger der Bundesregierung gewesen. Er soll seinen Krempel packen und gehen.

    Die Ermittlungen werden sowieso eingestellt, hoffentlich in Verbindung mit dem Abgang von Range.

    Comment by Aldo — 31.07, 2015 @ 19:18

  13. Sich über Amerikanische Verhältnisse aufregen und es selbst ähnlich machen kann nicht sein.

    Comment by kundentests.com — 6.08, 2015 @ 09:49

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