Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.9.10

Neue Studie belegt, dass die Argumente von Sperrbefürwortern falsch sind

Die angebliche Notwendigkeit des deutschen Zugangserschwerungsgesetzes, das die Blockade von kinderpornografischen Websites durch Access-Provider vorsieht, wurde sowohl in der politischen Disksussion als auch im Gesetzgebungsverfahren stets damit begründet, dass Kinderpornografie über kommerzielle Websites verbreitet würde und es insoweit einen Massenmarkt gäbe, der ausgetrocknet werden müsse.

In der Begründung des ersten Gesetzesentwurfs vom 05.05.2009 hieß es hierzu:

Der Großteil der Kinderpornographie im Bereich des World-Wide-Web wird mittlerweile über kommerzielle Webseiten verbreitet, die in Drittländern außerhalb der Europäischen Union betrieben werden.

Schon damals war für jeden, der sich mit den Fakten beschäftigt hat, erkennbar, dass diese Begründung nicht tragfähig ist. Genau das wird nunmehr erneut durch eine neue Studie der European Financial Coalition against commercial sexual exploitation of children online (EFC) bestätigt. Heise berichtet über die Studie der von der EU geförderten Organisation, deren Fazit es ist, dass es nur eine Handvoll einschlägiger gewerblicher Websites gibt, die zudem keinen hohen Profit abwerfen. Für die Studie wurde eine Datenbank von angeblich ca. 14.500 verdächtigen Websites ausgewertet. Hierbei wurde von der EFC festgestellt, dass nur 46 dieser Websites tatsächlich aktuelle Darstellungen von Kindesmissbrauch enthielten, wovon wiederum 24 als kommerziell einzustufen waren. Es gibt also im WWW kaum Kinderpornografie. Die Verbreitungswege sind nämlich andere.

Diese Ergebnisse werfen freilich auch die Frage auf, welche hunderte oder gar tausende von Websites auf den geplanten Sperrlisten geführt werden sollen, die Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes sind.

Die Studie bestätigt außerdem, dass Pädophile regelmäßig kleinere abgesicherte Räume im Internet zum Tausch von einschlägigem Material bevorzugen und der Austausch nicht primär über das frei zugängliche Web stattfindet.

Damit erweisen sich praktisch alle zur Begründung von Netzsperren vorgebrachten Argumente als sachlich falsch. Man darf gespannt sein, wie sich diese Studie auf das Vorhaben von EU-Kommissarin Malmström auswirkt, das Access-Blocking per EU-Richtlinie vorzuschreiben.

Zu diesem Richtlinienentwurf finden heute und morgen Ausschuss-Anhörungen im EU-Parlament statt, wobei die Liste der Redner überwiegend aus Sperrbefürworten besteht. Das ist auch angesichts des Umstands, dass die Mehrzahl der technischen und juristischen Sachverständigen solchen Access-Sperren kritisch bis ablehnend gegenüber steht, durchaus bemerkenswert. Wenn man speziell bei den Rednern der „Civil Society“ nach Vertretern von Bürgerrechtsorganisationen sucht, dürfte Joe McNamee von EDRi der einzige Name sein, der einem auffällt.

Update: Der Verein MOGIS (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren) hat einen offenen Brief an die Mitglieder des LIBE-Ausschusses des EU-Parlaments gerichtet, in dem u.a. dargestellt wird, weshalb Access-Blockaden auch aus Opfersicht nicht zu befürworten sind.

posted by Stadler at 11:30  

8 Comments

  1. Ein Kommentator hat sich die Mühe gemacht, einige Punkte der Studie herauszuarbeiten und bietet hier all denen, die sich das komplette Machwerk nicht antun wollen, einen kurzen Überblick über weitere Probleme des Feldes „Kinderpornographie im Internet“, u. a. die unterschiedliche Einschätzung, was überhaupt pornographisch und was ein Kind ist oder auch, daß opferlose Taten wie Schriften oder Zeichnungen Eingang in solche Studien finden.

    Insofern ein lesenswerter Kommentar:

    http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Wer-hat-einmal-die-Studie-gelesen-Die-Wahrheit-ueber-KP/forum-186621/msg-19203354/read/

    Comment by scanlines — 28.09, 2010 @ 11:40

  2. Die Ergebnisse dieser Studie werden sich überhaupt nicht auf das Malmström-Vorhaben auswirken. Das übliche Problem der Progressives: The truth will not set you free.

    Entscheidend ist doch, dass die Sperrbefürworter die bessere, eingängigere Geschichte bieten, nämlich die vom unkontrollierbaren, wild-wuchernden Dschungel Internet, in dem gefährliche Kriminelle ungestört jagen dürfen.

    Ich würde tippen, dass es in Europa eine klare Mehrheit für viel weitergehendere Sperrungen bzw. weitergehendere polizeiliche Kontrolle. Und diese Mehrheit handelt nunmal wie wir alle nach dem Prinzip: Wenn die Fakten nicht zur Geschichte passen, wird nicht etwa die Geschichte angepasst, sondern die Fakten ignoriert.

    Comment by curious yellow — 28.09, 2010 @ 12:24

  3. ‚Machwerk‘?

    Sofern die Kritikpunkte jenes Kommentators valide sind – immer schwierig, wenn es um schwer fassbare Abgrenzungsfragen geht -, unterstützt die Studie doch erst recht genau die Punkte, die gegen Sperren sprechen. Gehen wir einmal davon aus, dass die Studienmacher tatsächlich großzügig zugunsten der Sperrfraktion untersucht und beurteilt haben – trotzdem kommt hinten eine verschwindend geringe Zahl an „sperrwürdigen“ kommerziellen Seiten heraus.

    Selbst wenn also die Karten im Sinne der Anklage gemischt werden, kommt ein Freispruch raus. Nicht übel, solche Machwerke zu haben.

    Comment by Dierk — 28.09, 2010 @ 16:03

  4. Es ist meiner Überzeugung nach unerheblich, wie viele Studien die Argumentation der Sperrungsbefürworter bestätigen oder widerlegen: Die Sperrungen sind doch bereits beschlossene Sache und haben eigentlich ja auch nichts mit Kinderpronographie zu tun.
    Unsere Politiker – egal welches Land, egal welches Lager – haben festgestellt, dass man mit Hilfe von Ängsten prima Kontrollen einführen kann und sich niemand dagegen wehrt: Das war bei den Flughafenkontrollen so, das ist bei den vielen Überwachungskameras so und das wird jetzt mit der KiPo dasselbe sein!

    Comment by JoyntSoft — 28.09, 2010 @ 18:29

  5. Einen „neuen Massenmarkt“ scheint es zu geben.. mit scheinbaren Kinder und Jugendschutz kasse zu machen.. oder eben besser dazustehen…

    Comment by christian — 28.09, 2010 @ 19:58

  6. Am Rande dieser Thematik möchte ich mal auf das „Lexikon der Gefahren“ aufmerksam machen, das abseits der durch Massenmedien bewirkten Hysterie versucht alltägliche Gefahren und deren Risiken wissenschaftlich zu bewerten.

    http://www.thegap.at/reviews/review/alexander-marguier/das-lexikon-der-gefahren
    http://www.slow-wear.de/2010/08/26/das-lexikon-der-gefahren

    Comment by Ein Mensch — 28.09, 2010 @ 20:06

  7. @JoyntSoft (#4), @Ein Mensch (#6) (,@all)

    Möglicherweise könnte euch auch folgendes noch interessieren? WDR, Sendung Quarks & Co vom 12. Febr. 2008, Titel „Die Waffen der Terror-Fahnder“: http://tinyurl.com/Quarks-Terrorfahnder
    Es geht in diesem podcast neben „Antiterrormaßnahmenkommen“ unter anderem auch um die Themen „Vorratsdatenspeicherung“, „BKA-Gesetz“ u.ä. … Rückblickend ist das in meinen Augen sogar noch’n Tick interessanter als noch Anfang 2008.
    Immerhin kommen die verschiedenen Themen m.E. nicht „einfach so“ auf’n Tisch. Da gehört m.M.n. schon eine gewisse Vorbereitung zu (mit böser Zunge:“Gehirnwäsche“). So standen die Themen „content filtering“, „protocol blocking“ und „blocking access“ bereits 2006 bei dem Medien-Lobby-Verein IFPI auf der Tagesordnung, wie man auf dem folgenden Dokument (als leak) von der Seite der US-amerikanischen online-Bürgerrechtsorganisation EFF sehen kann:
    http://tinyurl.com/IFPI-filtering-memo

    Weil ich einmal dabei bin, möchte ich euch noch gerne als persönliche Lese-Empfehlung auf folgendes aufmerksam machen (an die evt. Interessierten gerichtet): Artikel auf heise.de/Telepolis vom 26.07.2007 (Autor: Jörn Hagenloch) mit dem Titel: „Lobbyarbeit für die Militärmacht Europa“. Auch hier finde ich persönlich zumindest ein rückblickendes Lesen äußerst interessant: http://tinyurl.com/heise-telepolis-260707

    Rhetorische Frage(n) (verlangen keine Antwort): Wie könnte man eine digitale „Supermacht“ EU ohne Schlagbäume in Zukunft eigentlich am effektivsten kontrollieren? Und wie schafft man dafür überhaupt eine entsprechende Struktur, die die Bürger auch akzeptieren würden? Wie unterbindet man beispielsweise die Möglichkeit daß jedermann Informationen dinfach dezentral verbreiten kann (Stichwort: P2P und „Abmahnwahn“ unter dem vorgeheuchelten Deckmantel des „Schutz geistigen Eigentums“)? Wie schafft man am einfachsten einen „Index Librorum Prohibitorum 2.0“ ?

    Auch wenn man folgendes Zitat in dem Zusammenhang sehr oft zu lesen bekommt, werde ich für meinen Teil dennoch nicht müde es ebenfalls zu platzieren:

    „Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“

    Kann mir jemand freundlicherweise verraten, wie man es schafft durch ein Sperren von irgendwelchen web-Seiten (die vermutlich sowieso noch woanders gespiegelt verfügbar sind (?) ) die Menschenwürde der Opfer ernsthaft zu verteidigen? Warum können z.B. Firmen international zusammenarbeiten, Politiker und Polizei (als Oberbegriff gemeint) aber nicht?

    Damit schließe ich diesen lang gewordenen Beitrag (Sorry!) mit einem frei übersetzten Zitat des „Vaters des Internets“ Vint Cerf (aktuell u.a. auch im Management von Google Inc.) aus dem Jahre 2006 zum Thema „Die Zukunft des Internets“:

    All dies habe weitreichende Konsequenzen für die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen und die existierenden Geschäftsmodelle der weiter expandieren Informationswirtschaft. Die Zeit der großen Telekommunikations-, Kabel und Fernsehgesellschaften sei vorbei. Nationalstaatliche Regulierungen griffen mehr und mehr ins Leere.

    Quelle: http://tinyurl.com/Vint-Cerf-Zukunft-des-INET

    In diesem Sinne, Baxter

    Comment by Baxter — 1.10, 2010 @ 05:10

  8. Spätestens seit der Jahrtausendwende kann man nicht mehr von einen „Massenmarkt“ von Pay KP Seiten sprechen. Es gab anfangs (93-96) im Usenet jeden Menge KP, die gratis angeboten wurde.

    Etwa von 97-2000 war wohl die Hochphase der PAY KP Seiten. Viele waren damals noch in Japan gehostet, weil Japan erst ab 99 die Gesetze verschärfte und aufgrund des internationalen Drucks dann dagegen vorging.

    Auch Belarus, Moldawien und besonders Russland sind zu nennen.
    Beim KP Material ist es aber nicht anders als bei Musik- und Filmdateien auch, sie werden mittlerweile größtenteils kostenlos getauscht.

    Da der Fahndungsdruck in den letzten Jahren aber enorm zugenommen hat, sind PAY KP Seiten heute eher die Ausnahme. Schon deshalb, weil man jede Geldtransaktion zurückverfolgen kann.

    Hier wird größtenteils ein Mythos aufgebaut, befeuert von ständigen Definitionserweiterungen, neuer Zählweise, bewußter Fehlinterpretation von Gesetzen im Ausland, usw.

    Letzteres ist ein Paradebeispiel von Zensursela und Vereinen a la „Innocence in Danger“, die darauf verweisen, daß ein Viertel der Staaten gar keine Gesetze gegen KP haben.

    Dies sind aber fast ausschließlich autoritäre und/oder islamistische Staaten, in denen JEDE Pornographie verboten ist.
    Deshalb gibt es dort auch keine Sondergesetze gegen KP.

    Comment by Caroline Kaiser — 4.10, 2010 @ 22:16

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