Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

26.3.10

Die Schimäre vom Diebstahl des geistigen Eigentums

In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen (S. 12), kritisiert Michael Hutter in einem äußerst lesenswerten Beitrag die Rede vom Diebstahl geistigen Eigentums.

In der Tat haben sich Ausdrücke wie „Raubkopie“ und „Diebstahl geistigen Eigentums“ etabliert, wenn man von einer urheberrechtswidrigen Vervielfältigung von Werken spricht. Dieses Bild könnte unrichtiger freilich gar nicht sein, denn beim Diebstahl und beim Raub wird vom Täter eine Sache weggenommen, während in dem anderen Fall ein Geisteswerk kopiert und damit vermehrt wird. Es ist also anschließend nichts weg, sondern in Wahrheit ist noch mehr davon da als vorher. Wenn man einen halbwegs passenden Vergleich zu herkömmlichen Straftaten ziehen will, dann eher zu den Fällen der Erschleichung einer Leistung, die vergütungspflichtig ist.

Unpassende Begriffe wie der der Raubkopie sind eine unmittelbare Folge der Fiktion vom geistigen Eigentum, das nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem tatsächlichen Eigentum gleichgesetzt und dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterstellt worden ist.

Die Verlage sowie die Musik- und Filmindustrie klammern sich vehement an diese Vorstellung vom geistigen Eigentum, was den Blick auf das verstellt, was notwendig wäre, um dieser Industrie das Überleben zu sichern.

Denn die Unterhaltungsindustrie hat in Wahrheit noch nie Geisteswerke verkauft, sondern – wie Hutter es in seinem Beitrag für die SZ nennt – immer nur Behälter. Diese Behälter heißen Bücher, Schallplatten, CD’s, DVD’s. Und seit man diese Behälter nicht mehr zwingend benötigt, hat sich gezeigt, dass Geisteswerke nicht wie Sachen festgehalten werden können und es neuer Mechanismen bedarf, wenn man weiterhin an ihrer wirtschaftlichen Verwertung partizipieren will.

Diesen neuen Mechanismen hat sich speziell die Musikindustrie immer strikt verweigert und sie tut das heute noch. Die Major-Labels hätten Ende der 90’er Jahre damit beginnen können, eine große Plattform für den kostenpflichtigen Download von Musik aufzubauen. Stattdessen hat man Tauschbörsen und P2P-Netzwerke und deren User mit juristischen Mitteln verfolgt und sich gleichzeitig Einnahmen in Milliardenhöhe entgehen lassen. Als dann ca. fünf Jahre später Apple der Musikindustrie demonstriert hat, wie man im Netz mit dem Vertrieb von Musik Geld verdienen kann, war man keineswegs begeistert, sondern hat auch diese Entwicklung nur zögerlich angenommen. Der Zug ist in der Zwischenzeit allerdings weiter gefahren. Derzeit ist dennoch deutlich zu erkennen, dass die stark steigende Zahl kostenpflichtiger Downloads die Umsätze der Musikindustrie wieder stabilisiert hat. Das hätte die Industrie vor 10 Jahren auch schon haben können, freilich auf damals noch deutlich höherem Niveau.

Es fehlt der Branche aber weiterhin die Einsicht, dass man zwingend neue Vertriebsformen benötigt, weil man im Laufe der Zeit immer weniger körperliche Werkexemplare verkaufen wird. Diese Entwicklung ist zwangsläufig, kein Gesetzgeber dieser Welt wird sie aufhalten.

Eines dieser Modelle auf das die Industrie setzen könnte, mag es auch noch unausgegoren und mit Blick auf internationale, völkerrechtliche Verträge nicht ohne Schwierigkeiten umsetzbar sein, ist die Idee von der Kulturflatrate.

Die Industrie und offenbar auch die Bundesregierung sind aber noch nicht einmal bereit, über dieses Modell zu diskutieren.

Am Ende wird die Frage nicht sein, ob der juristische Kampf gegen Filesharer legitim ist oder nicht, sondern allein ob er wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das ist er nicht. Denn die Eindämmung des Filesharing in den letzten 5 Jahren, auf die sich die Musikindustrie so gerne beruft, hat der Industrie keine steigenden Umsatzzahlen beschert. Die Zusammmenhänge sind also möglicherweise doch anders als die Musikindustrie glaubt. Man kann die Branche nicht zu wirtschaftlich sinnvollem Verhalten zwingen, aber zumindest der Gesetzgeber sollte endlich damit aufhören, das Urheberrecht ständig weiter wider die Interessen der Allgemeinheit zu verschärfen.

Die Einführung eines Auskunftsanspruchs gegen Provider in § 101 UrhG hat bisher nur zur Entstehung eines neuen Abmahnunwesens geführt. Die Zahl der jährlichen Filesharing-Abmahnungen bewegt sich nur im Musikbereich deutlich im sechsstelligen Rahmen, wovon wiederum bestimmt 90 % auf sog. One-Song-Abmahnungen entfallen. Das ist zwar für einen dadurch neu entstandenen Geschäftszweig um Unternehmen wie DigiProtect lukraktiv, nützt aber der Musikindustrie wenig. Ganz im Gegenteil verschlechtert man sein Ansehen damit nur weiter. Solange Politik und Industrie aber in ihrer reflexhaften und rückwärtsgewandten Haltung übereinstimmen, dürfte sich wenig ändern.

posted by Stadler at 11:30  

10 Comments

  1. "Unmittelbare Folge der Fiktion vom geistigen Eigentum"?

    Nein: Denn das "geistige Eigentum" macht rechtsphilosophisch absolut Sinn. Es _ist_ ja ein Eigen-Tum, um das es geht. Es geht um die Subjekt-Objekt-Beziehung, unbeschadet der Tatsache, dass das Objekt beim geistigen Eigentum abstrakt und nicht konkret ist.

    Man tut sich keinen Gefallen, wenn man hier einfach nur undifferenziert gegen "geistiges Eigentum" holzt. Vielleicht sollte man sich mal wieder etwas lösen von der wohl der deutschen Rechtsordnung geschuldeten allzu engen Verknüpfung der Idee des Eigentums mit seinen Rechtsfolgen.

    Nein, das ist höchstens mittelbare Folge. Es braucht nämlich noch einen undifferenzierten Mittler, der eine logisch nicht zulässige Analogie benutzt, nur weil er ein Wort wiedererkennt, das er bei anderen Straftaten auch schon mal gesehen hat.

    Comment by hawhill — 26.03, 2010 @ 11:55

  2. @hawhill wenn sie schon so philosophisch da dran gehen, sollte man auch in Betracht ziehen das der Autor nur erschaffen konnte was er erschaffen hat auf Grund unendlich vieler anderer Werke, Taten und Unterstützung durch die Gesellschaft. Deswegen macht es meiner Meinung nach nur Sinn, wenn man den Autor als total autark betrachtet, kann man aber nicht, also kann auch keine Beziehung wie sie sie darlegen entstehen.

    Comment by step21 — 26.03, 2010 @ 12:13

  3. @hawhill:
    Die Gleichsetzung von geistigem Eigentum und Sacheigentum stellt m.E. zunächst eine Fiktion dar. Ob wir es dabei tatsächlich mit eng verwandten Phänomenen zu tun haben, die eine Gleichsetzung rechtfertigen, halte ich für diskutabel.

    Was ist jetzt bitte an Ihrer Polemik differenziert?

    Comment by Pavement — 26.03, 2010 @ 12:40

  4. Geistiges Eigentum ist eine Fiktion.

    Dummerweise ist Eigentum an einer physisch existierenden Sache aber genauso eine Fiktion.

    Comment by Andreas Krey — 26.03, 2010 @ 13:52

  5. Ich denke, es spiegelt alles nur die kapitalistische Welt wieder. Ich versuche heute so viel Geld wie möglich zu verdienen, auch wenn es dadurch diese Branche morgen nicht mehr gibt. Wichtig ist: ICH HABE MEIN GELD!

    Comment by Anonymous — 26.03, 2010 @ 14:04

  6. Die Industrie sollte sich auch die Frage stellen, ob ein Abgemahnter jemals wieder mag, Produkte (zumindest von dem Abmahner) zu erwerben. Aber vielleicht erklärt das, warum man gerne so "hohe" Summen verlangt…..

    Comment by michi — 26.03, 2010 @ 14:42

  7. Ich habe heute früh im Radio einen Song gehört, der geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich muss den ganzen Tag daran denken und diese Melodie geistig "wiederkäuen".

    Wenn es sich dabei um "geistiges Eigentum" eines anderen Menschen handelt, dann möchte ich doch mal wissen, was dies in meinem Kopf zu suchen hat. Sollte er nicht besser drauf aufpassen, auf sein Eigentum? Was besonders unangenehm dabei ist: Ich krieg es nicht mehr los. Ich versuche es zu vergessen, aber es scheint mich nur zu verhöhnen und zieht sich hartnäckig durch meine Hirnwindungen! Das nervt gewaltig, ich könnte den Typen…

    Frage: Gibt es juristische Mittel, den Eigentümer dafür haftbar zu machen, oder noch besser: ihn zu verpflichten, dieses entfleuchte Eigentum wieder einzufangen? Am besten mit einem angemessenen Betrag Schmerzensgeld für jeden Tag, den mich sein geistiges Eigentum von eigenen kreativen Leistungen abgehalten hat.

    scnr ;-)

    Comment by Dominic — 26.03, 2010 @ 19:03

  8. @Anonymous
    schön das du DEIN GELD HAST.
    hier geht es aber um die fiktion des geistigen eigentums, nicht die des kapitalismus.

    @all
    im ernst, sicherlich sind alle rechte in einem materiellen sinn fiktional.
    erst dadurch das sie von anderen anerkannt werden, werden forderungen zu rechten.
    geistiges eigentum hat da relativ schlechte karten da es erstens nahezu unmöglich ist dessen einhaltung sicherzustellen und andererseits der gesellschaftliche nutzen meiner meinung nach kleiner als null ist..

    für ersteres vergleicht man mal die kosten zum betreiben eines bittorrent-trackers mit den kosten der copyright-stasi (inklusive der gefängnisaufenthalte, der verstopfung der gerichte, etc)

    für zweiteres ist noch hinzuzufügen das es eine ziemlich absurde vorstellung ist das niemand bereit währe einen künstler zu unterstützen. das tun sie nämlich bereits.
    wenn die leute, statt schallplatten und itunes-files zu kaufen, das geld den künstlern zugute kommen lassen würden, währe die kulturlandschaft noch um einiges reicher..
    der anreiz ist (neben sympatie) einfach der ‚mehr davon‘ zu bekommen.

    da materielle güter (trotz aller post-scarcity-theorien) begrenzt sind, ist es viel wahrscheinlicher (aber keineswegs selbstverständlich) das bestimmte monopolansprüche wechselseitig anerkannt werden.

    Comment by sofias. — 27.03, 2010 @ 03:22

  9. Geschichte wiederholt sich!

    Folgendes ist natürlich ganz vereinfacht dargestellt. Das ist schließlich nur ’n Kommentar in ’nem blog und keine Doktorarbeit! ;-)

    Es gab eine Zeit, da war die Vervielfältigung von Informationen in Form von Büchern wenigen vorbehalten (i.d.R. Mönchen, d.h. der Kirche). Somit hatte dieses quasi Monopol (Vgl. heute: Oligopol MI) auch gleichzeitig die Kontrolle.

    Mit der Erfindung des automatisierten Buchdrucks, im Grunde eine -zu der Zeit- neue Informations- und Kommunikationstechnologie (Vgl. heute: Internet), war diese Macht und Kontrolle der katholischen Kirche plötzlich in Gefahr.

    Auch die katholische Kirche versuchte unter Androhung von Strafe ihre Macht zu erhalten (Vgl. heute: Abmahnwahn) und nutze zum Beispiel auch das Mittel Zensur. Möglich war das natürlich auch durch die Mithilfe von damaligen weltlichen Herrschern (Vgl. heute: Durch Lobbyismus verseuchte Politiker sämtlicher Regierungen,sämtlicher Länder).

    Parallel ermöglichte der mechanische Buchdruck aber beispielsweise auch das Verbreiten reformatorischen Gedankenguts, was die katholische Kirche zu Zensurmaßnahmen, wie zum Beispiel den „Index Librorum Prohibitorum“ veranlasste (Vgl. heute: „Zensursula“)
    Zumeist genügte bereits der „protestantische“ Druckort für einen Anfangsverdacht, der zur Anzeige führte (Vgl. heute: IP-Adresse). Am Rande sei erwähnt, daß beispielsweise Hitlers „Mein Kampf“ nie auf dieser Zensurliste auftauchte und durchaus auch falsche Tatsachen vorgegaukelt wurden, um dieses Zensurnetz zu stärken (Vgl. heute z.B.: „Brennerstudie“).

    Natürlich wäre es zu einfach gedacht, beispielsweise die Entstehung einer „neuen Kirche“ allein der -durch den mechanischen Buchdruck- ermöglichten raschen Verbreitung Luthers Thesen zuzuschreiben. Sicherlich spielte auch soziale Unzufriedenheit der Menschen zu der Zeit, sowie das Zutun weltlicher Herrscher eine große Rolle (z.B. Kurfürst Friedrich der Weise) – nichtsdestotrotz kann man m.E. als eine Art Katalysator des kulturellen Wandels betrachten, der das Ende der Vormachtstellung von Papst und katholischer Kirche.

    Die neue, für das damalige Handwerk komplizierte Technologie ließ natürlich Produktionsstätten entstehen und man merkte sehr rasch, daß über die Auflage gutes Geld verdient werden kann. Logisch, denn die Satzkosten eines Buches änderten sich ja nicht wodurch der Gewinn bei einer Erhöhung der Auflage überproportional (!) anstieg (Vgl. heute z.B.: Plattenfirmen, sprich: „label“).

    Das Wissen über die neue Technologie wurde ursprünglich allerdings nicht in dem Medium veröffentlicht, welches sie selbst erzeugte es wurde vielmehr vom Meister zum Gesellen „überliefert“.

    Und wie das nun ‚mal so ist, entstanden immer mehr Produktionsstätten wodurch das Angebot quantitativ stark anstieg, was den Preis natürlich sinken ließ („Angebot und Nachfrage“). Es wurde dann quasi auf Vorrat produziert, denn es war wirtschaftlicher ein Buch quasi „auf einmal“ in der gewissen Stückzahl zu produzieren. D.h. letzten Endes ohne zu wissen wieviele Exemplare man denn tatsächlich absetzen würde.

    Die Buchdrucker entwickelten sich zu gleichzeitigen Buchhändlern, die auch den Vertrieb organisierten.

    Die großen Druckunternehmen konnten wirtschaftliche Pleiten durch erfolglose, „auf Halde“ produzierte Exemplare leichter verkraften, als die Kleinen (Vgl. heute z.B.: Major Label).

    Ein wesentliches Merkmal des Buchdruckes war das Vorhandensein der Vorlage (Vgl. heute: „Werk“), worauf dann die gesamte Kalkulation aufgebaut war bevor letzten Endes in Serie gegangen werden konnte.

    Einfacher und günstiger war es da für solche Druckereien die bereits Bücher als Vorlage nutzten, die sich einer hohen Nachfrage erfreuten, wodurch die gesamte Planung/kalkulation etc. entfiel und somit der Profit gesteigert werden konnte

    –> das sog. „Nachdruckwesen“.

    Quasi die Geburt des heutigen Urheberrechtes (Im Jahre 1837: „„Gesetz zum Schutz des Eigentums an Werken der Wirtschaft und Kunst in Nachdruck und Nachbildung“)

    ———————————————-

    Kurzum (als persönl. Meinungsäußerung):

    Willkommen bei den Anfängen der Kulturrevolution 2.0 live dabei zu sein!

    Ich persönlich bin mir ziemlich sicher, daß das Medium Internet sich genauso durchsetzen wird, wie der mechanische Buchdruck seinerzeit. Ebenso sicher bin ich mir persönlich, daß auch all den Zensur-, Reglementierungs- und sonstigen Versuchen getrotzt werden wird.
    Und last but not least bin ich mir persönlich ziemlich sicher, daß auch das Urheberrecht -wie wir es heute kennen- verschwinden wird und in irgendeiner ersetzt werden wird, da irgendwann ja wohl endlich ‚mal jemand erkennen wird, daß das Verbreiten und somit auch der kommerzielle Vertrieb von Materialgütern nicht „einfach“ 1:1 auf Immaterialgüter anwendbar ist und man ruhig etwas weiter bzw. „gelöster“ denken darf.

    Zwar neigt der gemeine Jurist i.A. zum „Rechtsverdrehen“, d.h. bevor ein Gesetz einfach als nicht praktikabel in die Tonne getreten und neu aufgesetzt wird, wird es i.d.R. zig ‚mal hin- und hergedreht und immer wieder modifiziert (Vgl. z.B.: Dieses lächerliche Einführen diverser -ebenfalls und immer noch- lächerlichen „Körbe“! Welch Armutszeugnis!)

    Naja, wie dem auch sei: Niemand von uns hier wird das wahrscheinlich noch selbst miterleben (???), aber hoffen wir das Beste für unsere Kinder und Enkelkinder!

    Ich finde, gerade WIR stehen in der Pflicht und tragen auch die Verantwortung. Laßt uns diese Chance nicht durch Habgier, Blödheit und Ignoranz Einzelner kaputt machen!
    Es wird mit Sicherheit auch in Zukunft Geld verdient werden… siehe oben!

    In diesem Sinne, Baxter

    Comment by Baxter — 28.03, 2010 @ 14:14

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